Die Haftungsfunktion der Grundrechte
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Die Haftungsfunktion der Grundrechte
Eine Untersuchung zum anspruchsbewehrten ›status negativus compensationis‹
Schriften zum Öffentlichen Recht, Vol. 881
(2002)
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Abstract
Zentrale Bereiche des Staatshaftungsrechts sind gesetzlich nicht geregelt. Der Versuch der Rechtsprechung, diese Vakanz durch richterrechtliche Haftungsinstitute zu schließen, ist nur teilweise gelungen. Deren Rechtsgrundlagen, nahezu sämtliche Tatbestandsmerkmale wie auch ihre Rechtsfolgen sind nach wie vor stark umstritten. Zunehmende Kritik erfährt vor allem die Beschränkung der »Rechtswidrigkeitsaufopferung« auf Eingriffe in das Eigentum und die Rechtsgüter Leben, körperliche Unversehrtheit und Freiheit (Art. 2 Abs. 2 GG). Dabei findet die wissenschaftliche Auseinandersetzung regelmäßig in den Bahnen und innerhalb der Grenzen der richterrechtlichen Haftungsinstitute statt; es geht um Erweiterungsmöglichkeiten und Beschränkungszwänge sowie das Verhältnis der einzelnen Rechtsinstitute untereinander und zum Amtshaftungsrecht. Üblicherweise wird ihre Existenz auch in der Lehre unterstellt, Rechtsgrundlagen nur deklaratorisch benannt.Im Zuge eines Methodenwechsels wendet sich Daniel Röder gegen dieses induktive Denken, das er als die »Achillesferse« des deutschen Staatshaftungsrechts erkennt. Anstelle der »Ansprüche ohne Anspruchsgrundlagen« entwickelt er ein deduktives Anspruchssystem, indem er Haftungsansprüche gegen den Staat aus den Grundrechten selbst ableitet. Konsequenz dieser »kopernikanischen Wende« ist, dass der Folgenbeseitigungsanspruch ebenso zur bloßen Rechtsfolge einer Grundrechtsverletzung gerät wie die Aufopferungsansprüche.Die Begründung des grundrechtlichen Kompensationsanspruchs erfolgt in zwei Schritten. In einem ersten Teil analysiert der Autor die Rechtsprechung zum Aufopferungsrecht. Dabei legt er nicht nur eine Vielzahl dogmatischer Widersprüche offen, sondern zeigt, dass das gesamte Richterrecht (bruchstückhafte) Umsetzung grundrechtlicher Vorgaben sein muss. Im zweiten Teil bestätigt eine teleologische Auslegung der Grundrechte diese Erkenntnis. Insgesamt überführt der Autor das Richterrecht in ein widerspruchsfreies System und denkt es konsequent fort. Integrativer Bestandteil sind haftungseinschränkende Kriterien, wodurch der befürchteten »Überbelastung öffentlicher Haushalte« effektiv begegnet wird.
Table of Contents
Section Title | Page | Action | Price |
---|---|---|---|
Vorwort | 5 | ||
Inhaltsverzeichnis | 7 | ||
Einleitung | 13 | ||
Α. Problemexposition | 13 | ||
Β. Fallexemplarische Problemillustration | 22 | ||
1. Teil: Der Funktionszusammenhang zwischen den Grundrechten und der Aufopferungshaftung - eine kritische Bestandsaufnahme der herrschenden Meinung | 28 | ||
A. Dogmatische Grundlagen und geschützte Rechtsgüter des Aufopferungsrechts im Überblick | 28 | ||
I. „Mutationen" eines Rechtmäßigkeitsausgleichs | 30 | ||
II. Historisch bedingte Begrenzung des Eingriffsobjekts | 34 | ||
IIΙ. Die entschädigungsrechtliche Dogmatik des Bundesgerichtshofs | 37 | ||
1. Eine zweifache „Abnabelung" von Art. 14 GG | 37 | ||
a) Entschädigung bei Eingriffen in die Rechtsgüter des Art. 2 Abs. 2GG | 37 | ||
b) Erzwungene Neuverortung der richterrechtlichen Eigentumsentschädigung | 39 | ||
2. Renaissance des „allgemeinen Aufopferungsgedankens" | 40 | ||
B. Ausdehnung des Aufopferungstatbestands auf andere Grundrechte bei einfachrechtlicher Verortung der Haftungsgrundlage | 43 | ||
I. Legitimationsdefizite des beschränkten Rechtsgüterkanons | 44 | ||
1. Kontinuität des Begründungsmangels: Analyse der BGH-Rechtsprechung | 44 | ||
2. Haftungshypertrophie und Gewaltenteilung | 50 | ||
a) Tatbestandliche Begrenzung der Staatshaftung durch ihre finanziellen Auswirkungen? | 51 | ||
aa) Wider die Angst vor leeren Staatskassen | 51 | ||
bb) Kein genereller Vorbehalt staatlicher Leistungsfähigkeit, keine ungeschriebene „Höchstbetragshaftung" im Staatshaftungsrecht | 56 | ||
b) Die richterliche Kompetenz zur Erweiterung der Kompensationstatbestände | 60 | ||
II. „Rechtsprechungsimmanente" Revision des haftungsrechtlichen status quo | 68 | ||
1. Aufopferungshaftung bei Eingriffen in die Berufsfreiheit gemäß Art. 12 GG | 70 | ||
a) Entschädigungsrelevante Fälle und Haftungsharmonisierung mit Art. 14 GG | 70 | ||
b) Fehlende Haftungskodifikation in Art. 12 GG als aufopferungstypisches Phänomen | 71 | ||
c) Keine Exklusivität der Entschädigung bei Eingriffen in das Eigentum im Bereich wirtschaftlicher Grundrechte | 73 | ||
aa) Grundgesetzgemäßes „Aufopferungsrecht" ist kein spezifisches Eigentumsschutzrecht | 73 | ||
bb) Kein Entschädigungsmonopol des Art. 14 Abs. 1 GG bei dessen Verbindung mit dem „allgemeinen Aufopferungsgedanken" | 76 | ||
d) Herausragende Bedeutung der Berufsfreiheit auch im Vergleich mit Art. 14 GG | 78 | ||
e) Sekundärer Erwerbsschutz in der Rechtsprechung | 80 | ||
aa) Schutzbereichsüberlagerungen zwischen Art. 12 und Art. 14 GG unter dem Gesichtspunkt des „eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs" | 80 | ||
bb) Sekundärhaftung im Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG durch Vermögensausgleichsnormen | 86 | ||
2. Aufopferungshaftung bei Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts | 88 | ||
a) Grundrechtliche Verankerung des deliktischen Persönlichkeitsschutzes | 89 | ||
aa) Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG als Haftungsgrundlage | 89 | ||
bb) Entschädigungsrechtliche Gleichwertigkeit zwischen Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 GG und Art. 2 Abs. 2 GG | 96 | ||
b) Argumentum a fortiori aus dem Mechanismus der grundrechtlichen „Drittwirkung" | 97 | ||
aa) Das Erfordernis eines „mindestens" gleichwertigen Persönlichkeitsrechtsschutzes im öffentlichen Recht im Verhältnis zum Privatrecht | 97 | ||
bb) Das de lege lata geringere Schutzniveau im öffentlichen Recht | 104 | ||
c) Mögliche Extensionshindernisse und Modalitäten der Integration des allgemeinen Persönlichkeitsrechts in den Aufopferungstatbestand | 108 | ||
aa) Die Rechtsfolge „Immaterialschadensersatz" | 108 | ||
bb) Die Tatbestandsvoraussetzungen „objektiv erhebliche", „schuldhaft schwere Persönlichkeitsverletzung" | 111 | ||
3. Einbeziehung aller immateriellen Freiheitsrechte in die Aufopferungshaftung | 115 | ||
a) Die Argumentationslogik der „Impfschadensentscheidung" als umfassende Extensionsstütze | 115 | ||
b) Haftungsausdehnung auf alle Grundrechte durch grundgesetzgemäße Interpretation des Begriffs „Recht" im Sinne der §§ 74 f. EinlALR | 117 | ||
c) Keine haftungsrechtliche Privilegierung des Art. 2 Abs. 2 GG wegen besonderer verfassungsrechtlicher Wertigkeit | 118 | ||
d) Keine Beschränkung der Extension auf die Berufsfreiheit des Art. 12 GG | 123 | ||
aa) Die „partielle Austauschbarkeit" der Schutzbereiche von Art. 14 GG und Art. 12 GG als extensionsbestimmendes Moment? | 124 | ||
bb) Die Schadensneigung des Rechtsguts als extensionsbestimmendes Moment? | 128 | ||
4. Ergebnis der „rechtsprechungsimmanenten" Überprüfung des Aufopferungsrechts | 133 | ||
C. Fragwürdigkeit des Rechtsprechungsaxioms: Grundrechtswirkungen wider einfachrechtliche Prämissen | 134 | ||
I. „Janusköpfigkeit" der Anspruchsgrundlage | 135 | ||
1. Spannungsfeld zwischen dem ,Aufopferungsgedanken" und den Freiheitsrechten | 135 | ||
2. Der „allgemeine Aufopferungsgedanke" als Schmelztiegel disparater Bestandteile | 140 | ||
II. Normenhierarchische Friktionen bei der rechtsgutsbezogenen Ausdehnung des Aufopferungstatbestands | 144 | ||
2. Teil: Die Grundrechte als Haftungsgrundlagen | 150 | ||
A. Keine Haftungsfunktion der Grundrechte nach herrschender Meinung | 150 | ||
I. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts | 152 | ||
II. Kritik „auf den ersten Blick" | 154 | ||
IIΙ. Die traditionelle Lehre | 156 | ||
IV. Kritik „auf den ersten Blick" | 157 | ||
B. Art. 34 GG als „Entschädigungssperre" für sonstige verfassungsrechtliche Ansprüche gegen den Staat? | 160 | ||
I. Das „argumentum e contrario" des Bundesverfassungsgerichts | 160 | ||
II. Methodologische Überprüfung des Umkehrschlusses aus Art. 34 GG | 161 | ||
1. Dogmatische Anforderungen an ein „argumentum e contrario" | 161 | ||
2. Die Mittelbarkeit des Amtshaftungsanspruchs als Anknüpfungspunkt für den Umkehrschluss | 162 | ||
a) Historische Auslegung: Die Schuldübernahmekonstruktion als Relikt eines überkommenen Staats- und Haftungsverständnisses | 163 | ||
b) Teleologische Auslegung: Kein Schutz des Staates durch die Haftungsmittelbarkeit | 173 | ||
3. Die Verschuldensabhängigkeit des Amtshaftungsanspruchs als Anknüpfungspunkt für den Umkehrschluss | 175 | ||
4. Drittnormdependenz des Amtshaftungsanspruchs bei grundrechtlicher Wertsetzung | 180 | ||
5. Resümee | 184 | ||
C. Die Inkompatibilität von Staatsunrecht und „Aufopferung" - Trennung heterogener Eingriffssituationen | 185 | ||
D. Die Freiheitsrechte als Haftungsgrundlagen für rechtswidriges Staatshandeln | 199 | ||
I. Die Deduktion von Rechtsfolgen aus dem verletzten Grundrecht als methodischer Ansatz | 199 | ||
1. Staatshaftungsrechtliche Rechtsinstitute als Anspruchsgrundlagenersatz | 199 | ||
2. Der Perspektivenwechsel vom „Rechtsinstitut" zur „Rechtsfolge" | 205 | ||
3. Das Rechtssicherheit schaffende Konfliktlösungspotenzial des Einzelgrundrechts | 210 | ||
II. Anspruchsbewehrungen des „status negativus" zur Sicherung der grundrechtlichen Eingriffsabwehr | 216 | ||
1. Abhängigkeit der Abwehransprüche von einer einfachrechtlichen, ungeschriebenen „Umschaltnorm"? | 216 | ||
2. Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche als Garanten der grundrechtlichen Abwehrfunktion | 219 | ||
a) Die „nichtlogische" Deduktion der Abwehransprüche aus dem Normzweck der Grundrechte | 219 | ||
b) Die funktionelle Gleichrangigkeit von Unterlassungs- und (Folgen-)Beseitigungsanspruch | 225 | ||
III. Die Fortsetzung des grundrechtlichen Integritätsschutzes im Kompensationsanspruch | 230 | ||
1. Das spezielle Haftungsmodell für Art. 14 GG | 230 | ||
a) Mögliche Begrenzungen durch Art. 14 Abs. 3 S. 2 GG | 231 | ||
aa) Die Junktimklausel als verfassungsrechtliches Hindernis einer Anspruchsgrundlage „Art. 14 Abs. 1 GG"? | 231 | ||
bb) Die Junktimklausel als allgemeiner Gesetzesvorbehalt für Ersatzansprüche bei Eigentumseingriffen? | 234 | ||
(1) Teleologisch terminierte Beschränkung der Junktimklausel auf die rechtmäßige Enteignung | 236 | ||
(2) Art. 14 Abs. 1 GG als Träger der eigentumsrechtlichen Wertentscheidungen | 241 | ||
b) Sekundäre Eingriffshaftung auf Basis der Wertgarantie des Eigentums | 244 | ||
aa) Die eigentumsspezifische Folgerung von Kompensationsansprüchen aus der Wertgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG: „Wertersatz weil Wertgarantie" | 245 | ||
bb) Schwächen des „Wertschutzkonzepts" | 252 | ||
(1) Die kaum mögliche Einordnung nicht eigentumsbezogenen Staatsunrechts | 252 | ||
(2) Die Unzulänglichkeit eigentumsspezifischer Hilfs- und Zusatzüberlegungen | 256 | ||
(3) Der Rückgriff auf allgemeine freiheitsrechtliche Erwägungen: Wertersatz wegen Verletzung des „status negativus" | 259 | ||
2. Unrechtswiedergutmachung - ein teleologisches Gebot aller Freiheitsrechte | 265 | ||
a) Eigentumsübergreifende, monetäre Grundrechtshaftung im geltenden Recht | 265 | ||
aa) Kompensatorische Prolongierungen des Folgenbeseitigungsanspruchs | 265 | ||
bb) Die Identität von „Folgenentschädigung" und „Rechtswidrigkeits- Aufopferung" | 268 | ||
b) Der Kompensationsanspruch als Bestandteil des grundrechtlichen Rechtsfolgenprogramms | 275 | ||
aa) Reaktionsfähigkeit des „status negativus" bei nicht abwehrbaren Eingriffen | 277 | ||
bb) Art. 1 Abs. 3 GG und die grundsätzliche Unabhängigkeit der Bewehrung von der Rechtsnatur des Eingriffsaktes | 284 | ||
c) Die Rechtsfolge „Geldersatz" | 286 | ||
aa) Voller Schadensausgleich als Unrechtskompensation | 287 | ||
bb) Entgangener Gewinn und Immaterialschadensersatz | 292 | ||
3. Immanente Haftungsbegrenzungen und Einschränkungsmöglichkeiten des Gesetzgebers | 295 | ||
a) Gesetzliche Limitierung des Abwehrgehalts im Rahmen der Schrankensystematik | 296 | ||
b) Die Subsidiarität des Geldersatzanspruchs innerhalb des grundrechtlichen Bewehrungssystems | 296 | ||
aa) Anspruchsstufung durch die abwehrrechtliche Regelungsintention | 297 | ||
bb) Die Berücksichtigung prozessualer Gefahrenlagen | 305 | ||
c) Der Schutzzweck des verletzten Grundrechts als Haftungskorrektiv | 307 | ||
d) Weitergehende Regelungsbefugnisse des Gesetzgebers? | 314 | ||
4. Resümee | 317 | ||
E. Entschädigung für Opferlagen bei rechtmäßigem Staatshandeln | 318 | ||
I. Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG als Grundlage des Aufopferungsprinzips traditioneller Prägung | 319 | ||
II. Verlagerungstendenzen zugunsten der Unrechtshaftung im Grenzbereich zwischen rechtswidrigen und rechtmäßigen Eingriffssituationen | 323 | ||
Schlussbetrachtung | 334 | ||
Literaturverzeichnis | 353 | ||
Sachwortverzeichnis | 380 |