Das Gewissen als Argument im Recht
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Das Gewissen als Argument im Recht
Schriften zum Öffentlichen Recht, Vol. 808
(2000)
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Abstract
Bezugnahmen auf das Gewissen im Recht enthalten immer einen Bezug auf außerrechtliche Normativität. Sie sind positivierte Aspekte des ambivalenten Verhältnisses von Moral und Recht. Die Arbeit ist ein Versuch, den Gewissensbegriff auch nach seiner weitgehenden Subjektivierung und Säkularisierung als einen normativen Grenzbegriff im positiven Recht darzustellen. Die verschiedenen Verwendungen des Begriffs erschließen sich nur durch den Aspekt der - moralischen - Normbezogenheit des Gewissensphänomens, der sämtliche Verwendungszusammenhänge einheitlich prägt. Idealtypisch können "Funktionen des Gewissensbegriffs im Recht" nach der parallelen oder entgegengesetzten Zielrichtung von Gewissenspflicht und Rechtspflicht unterschieden werden: In der Verweisfunktion intendiert das Recht eine Verstärkung oder Ergänzung staatlicher Normierung; das Gewissen des einzelnen wird vom Staat appellhaft "in die Pflicht genommen" (z. B. in Eiden). In der Konfliktregelungsfunktion dient die Bezugnahme auf das Gewissen dagegen der Berücksichtigung und Anerkennung gegenläufiger außerrechtlicher Normativität.Die Angemessenheit eines normativen Gewissensbegriffs für die als Konfliktregelungsnorm zu verstehende grundrechtliche Gewissensfreiheit aus Art. 4 I GG erweist sich auch auf Grund der im allgemeinen recht wenig beachteten grundrechtsdogmatischen Unterscheidung von subjektiven und objektivierten Schutzgütern. Das Grundrecht hat - ähnlich der Religionsfreiheit - ein subjektives Schutzgut; es schützt nicht die psychische Integrität oder Gesundheit des Menschen, sondern seine "sittliche Handlungsfreiheit". Es bleibt durch eine konsequente Anwendung seiner tatbestandlichen Voraussetzungen sowie seiner Schranken (Art. 136 I WRV) praktisch handhabbar. Das Grunddrecht verpflichtet Staat und Individuum zu wechselseitiger Suche nach Verhaltensalternativen und führt zu einem spezifischen Gewissens-Dialog, in dem sich die Rechtsordnung der normativen Infragestellung durch den einzelnen ein Stückweit öffnet, ohne sich ihr preiszugeben.
Table of Contents
Section Title | Page | Action | Price |
---|---|---|---|
Vorwort | 5 | ||
Inhaltsverzeichnis | 7 | ||
1. Teil: Der Gewissensbegriff im Recht | 11 | ||
A. Statt einer Einleitung: Das Gewissen als Argument am Beispiel der Diskussion um die rechtliche Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs | 11 | ||
B. Der begriffliche Rahmen | 24 | ||
C. Funktionen des Gewissensbegriffs im Recht | 32 | ||
D. Verwendungen des Gewissensbegriffs im Recht | 35 | ||
I. Verweisfunktion | 35 | ||
1. Verstärkungsfunktion | 35 | ||
a) Das Gewissen des Auskunftspflichtigen | 39 | ||
b) Das Gewissen des Trägers öffentlicher Aufgaben | 43 | ||
aa) Verfassungsorgane | 44 | ||
bb) Richter | 45 | ||
cc) Beamte | 48 | ||
dd) Andere Amtsträger und besonders Verpflichtete | 51 | ||
ee) Träger öffentlicher Aufgaben im weitesten Sinne | 52 | ||
c) Das Gewissen der Schwangeren in der Schwangerschaftsberatung | 56 | ||
d) Das Gewissen des Straftäters in der gerichtlichen Feststellung von Unrechtsbewußtsein | 60 | ||
2. Ergänzungsfunktion | 67 | ||
a) Das Gewissen des Abgeordneten | 67 | ||
b) Das Gewissen anderer Amtsträger | 77 | ||
c) Das „ärztliche Gewissen" | 79 | ||
II. Konfliktregelungsfunktion | 82 | ||
2. Teil: Das Grundrecht der Gewissensfreiheit | 90 | ||
A. Gewissensfreiheit als eigenständiges Grundrecht? | 90 | ||
I. Gewissensfreiheit als objektive Wertentscheidung der Verfassung („Werttheorie der Grundrechte" und „institutionelle Grundrechtstheorie") | 91 | ||
1. Gewissensfreiheit als metajuristisches Prinzip | 91 | ||
a) Demokratie | 92 | ||
b) Rechtsgeltung | 93 | ||
c) Säkularität | 97 | ||
d) Neutralität | 99 | ||
2. Gewissensfreiheit als Auftrag an den Gesetzgeber | 100 | ||
3. Gewissensfreiheit als Richtlinie für die Gesetzesanwender | 104 | ||
II. Gewissensfreiheit als staatsgerichtetes subjektives Recht des Bürgers | 106 | ||
1. Gewissensfreiheit als „Ur-Grundrecht" | 107 | ||
2. Gewissensfreiheit als Abwehrrecht zur Sicherung einer individuellen Freiheitssphäre („liberale Grundrechtstheorie") | 110 | ||
a) Grundrechte als Abwehrrechte | 110 | ||
b) Besonderheiten der Gewissensfreiheit | 112 | ||
c) Grundrechtsdogmatische Modifikationen | 115 | ||
aa) Modifikationen des grundrechtlichen Schutzgutes | 115 | ||
bb) Modifikationen der Grundrechtswirkungen | 125 | ||
aaa) Beschränkung der Grundrechtswirkungen gegenüber der Gesetzgebung | 125 | ||
bbb) Ausschluß der Grundrechtswirkungen gegenüber der Gesetzgebung | 128 | ||
α) Immanente Tatbestandsbegrenzung | 128 | ||
β) Kategorische Tatbestandsbeschränkung (Gewissensfreiheit als „Wohlwollensgebot") | 131 | ||
3. Gewissensfreiheit als Leistungsrecht („sozialstaatliche Grundrechtstheorie") | 146 | ||
4. Gewissensfreiheit als staatsbürgerliches , Amt" und demokratisches Teilhaberecht („demokratisch-funktionale Grundrechtstheorie") | 151 | ||
Β. Rekonstruktion der Gewissensfreiheit als subjektives Freiheitsrecht | 166 | ||
I. Der Schutzbereich der Gewissensfreiheit | 167 | ||
1. Definitionskompetenz und Selbstverständnisse | 167 | ||
2. Das „Schutzgut" der Gewissensfreiheit | 174 | ||
a) Subjektive und objektivierte Schutzgüter | 176 | ||
b) Subjektive und objektivierte Gewissensverständnisse | 179 | ||
aa) Explizite Zuordnungen der Gewissensfreiheit | 180 | ||
bb) Gewissensfreiheit als sittliche Handlungsfreiheit (normatives Gewissensverständnis) | 183 | ||
cc) Gewissensfreiheit als Schutz der psychischen Integrität (empirisches Gewissensverständnis) | 185 | ||
c) Das Gewissen als beschränkt objektivierbares Schutzgut der Gewissensfreiheit | 193 | ||
aa) Handlungsrecht oder Integritätsrecht | 193 | ||
bb) Handlungsbezug und Normativität des Gewissens | 199 | ||
aaa) Gründe | 199 | ||
α) Wortlaut | 199 | ||
β) Systematischer Kontext | 200 | ||
γ) Bezüge zu objektiven Grundrechtsgehalten | 201 | ||
δ) Menschenrechtliche Bezüge | 202 | ||
ε) Gewissen als Rechtsbegriff | 205 | ||
ζ) Normativität von Gewissen und Recht | 206 | ||
η) Gewissensfreiheit und Anarchieargument | 211 | ||
bbb) Konsequenzen | 213 | ||
α) forum internum | 213 | ||
β) Verbales Handeln | 217 | ||
γ) Handeln und Unterlassen | 219 | ||
δ) Gemeinschaftliches Handeln | 221 | ||
ε) Notwendigkeit des Verhaltensbezugs | 222 | ||
3. Immanente Gewährleistungsgrenzen der Gewissensfreiheit | 229 | ||
a) Gewissensfreiheit als Schutz der individuellen normativen Identität des Menschen | 229 | ||
aa) Moralische Verpflichtung durch das Gewissen | 230 | ||
bb) Unbedingtheit der Gewissenspflicht - Art. 41GG als Kollisionsnorm | 235 | ||
cc) Existentialität der Gewissenspflicht | 248 | ||
b) Gewissensfreiheit des Bürgers und Gewaltmonopol des Staates | 253 | ||
c) Gewissensfreiheit und persönlicher Verantwortungsbereich | 255 | ||
II. Die Schranken der Gewissensfreiheit | 264 | ||
1. Bürgerliche und staatsbürgerliche Pflichten (Art. 140 GG iVm Art. 136 I WRV) | 265 | ||
a) Die übrigen Grundrechte des Art. 4 GG | 266 | ||
b) Die Gewissensfreiheit | 271 | ||
2. Verhältnismäßigkeit | 277 | ||
a) Erforderlichkeit | 277 | ||
b) Zumutbarkeit | 281 | ||
III. Sekundäre Grundrechtswirkungen - Das Gewissen im Dialog | 288 | ||
1. Gewissensfreiheit und Dialog | 288 | ||
2. Verfahrensrechtliche Konsequenzen | 292 | ||
3. Gewissensfreiheit und allgemeiner praktischer Diskurs | 294 | ||
Zusammenfassung | 297 | ||
Literaturverzeichnis | 303 | ||
Sachwortverzeichnis | 330 |