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Müller, C. (1998). Anscheinsbeweis im Strafprozeß. am Beispiel der Feststellung von Kausalität und von Dispositionsprädikaten. Duncker & Humblot. https://doi.org/10.3790/978-3-428-49490-3
Müller, Christoph Markus. Anscheinsbeweis im Strafprozeß: am Beispiel der Feststellung von Kausalität und von Dispositionsprädikaten. Duncker & Humblot, 1998. Book. https://doi.org/10.3790/978-3-428-49490-3
Müller, C (1998): Anscheinsbeweis im Strafprozeß: am Beispiel der Feststellung von Kausalität und von Dispositionsprädikaten, Duncker & Humblot, [online] https://doi.org/10.3790/978-3-428-49490-3

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Anscheinsbeweis im Strafprozeß

am Beispiel der Feststellung von Kausalität und von Dispositionsprädikaten

Müller, Christoph Markus

Schriften zum Prozessrecht, Vol. 144

(1998)

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Abstract

Nach fast einhelliger Meinung findet der im Zivil- und im Verwaltungsprozeß gebräuchliche Anscheinsbeweis im Strafprozeß keine Anwendung. Für eine strafrechtliche Verurteilung wird ein "voller Beweis" verlangt. Hinterfragt man diese wenig diskutierte und scheinbar selbstverständliche Annahme einmal genauer, stößt man schnell auf Ungereimtheiten. Denn auch im Strafprozeß werden in der Praxis Beweisfragen in einer dem Anscheinsbeweis verblüffend ähnlichen Weise gehandhabt, wie es etwa der "Lederspray-Fall" bei der Behandlung der generellen Kausalität gezeigt hat.

In der Arbeit werden - ausgehend vom Zivilrecht - Struktur und dogmatische Erklärungsversuche des Anscheinsbeweises dargestellt. Aufgezeigt werden mögliche Anwendungsbereiche des Anscheinsbeweises im Strafprozeß, insbesondere die Feststellung der Kausalität und der Fahruntüchtigkeit, einem sog. Dispositionsprädikat. Breiten Raum finden die Querverbindungen zur Wissenschaftstheorie. Die gegen einen Anscheinsbeweis im Strafprozeß angeführten Argumente werden untersucht, ebenso wie der dem Anscheinsbeweis strukturell nahestehende, im Strafprozeß aber anerkannte Indizienbeweis. Der erste Teil der Arbeit endet mit der Einsicht, daß sich hinter der Thematik die normativ zu lösende Frage nach einer adäquaten Tatsachenfeststellung verbirgt. Denn Grundlage eines Urteils kann immer nur eine mehr oder weniger gut bestätigte Hypothese sein, die aus bestimmten Gründen für erhärtet betrachtet wird.

Der zweite Teil behandelt die mögliche Ausgestaltung sowie die Grenzen des Anscheinsbeweises im Strafprozeß. Denn die Grundfrage eines jeden Prozesses ist, wann der Richter aufhören darf zu ermitteln und wann eine Verurteilung trotz eines immer bestehenden Fehlverurteilungsrisikos zu legitimieren ist. Mit der Arbeit wird nicht etwa einer Verringerung der Beweisanforderungen das Wort geredet, sondern durch die Aufstellung von Maßstäben für den Umgang mit Zweifeln bei der Beweiswürdigung ein Beitrag zur Rechtssicherheit geleistet.

Table of Contents

Section Title Page Action Price
Vorwort 7
Inhaltsverzeichnis 9
Abkürzungsverzeichnis 18
Einleitung 19
Erster Teil: Anwendbarkeit des Anscheinsbeweises im Strafprozeß 23
§ 1 Der Anscheinsbeweis im Zivilprozeß 23
I. Vorbemerkung 23
II. Entwicklung des Anscheinsbeweises durch die zivilrechtliche Rechtsprechung 24
1. Grundsätze des Anscheinsbeweises 24
2. Anwendungsbereich 26
III. Dogmatische Einordnung des Anscheinsbeweises 27
1. Beweislasttheorie 29
2. Beweismaßtheorie 30
3. Beweiswürdigungstheorie 31
4. Materiell-rechtliche Theorie 32
§ 2 Anscheinsbeweis und Strafprozeß 34
I. Bestandsaufnahme der grundsätzlichen Auffassungen zum Anscheinsbeweis im Strafprozeß 34
II. Das Alternativenausschluß verfahren 37
§ 3 Fallkonstellationen für die Anwendung eines Anscheinsbeweises im Strafprozeß 40
I. Anscheinsbeweis bei der Kausalitätsfeststellung 40
1. Feststellung der physischen Kausalität 41
a) "Schuß-Fall" und "Doppelschuß-Fall" 41
aa) Die materiell-rechtlichen Kausalitätsformeln 42
(1) Conditio sine qua non-Formel 42
(2) Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung 44
(3) Bedeutung beider Formeln 45
bb) Prozessuale Feststellung der Kausalität 46
b) "Contergan-Fall" 47
aa) Das Feststellungsproblem 47
bb) Ansicht von Armin Kaufmann 48
cc) Ansicht des LG Aachen 49
c) "Leder spray-Fall" 51
aa) Ansicht des BGH 51
bb) Stellungnahmen aus der Literatur 53
(1) Allgemeines Stimmungsbild 53
(2) Die Auffassung von Samson 54
(3) Die Auffassung von Puppe 55
cc) Ergebnis zur Unterscheidung zwischen "Contergan-" und "Lederspray- Fall" 55
d) "Speiseöl-Fall" 57
e) "Holzschutzmittel-Fall" 58
2. Feststellung der psychischen Kausalität 59
II. Anscheinsbeweis bei der Feststellung von Rechtsbegriffen, die eine "Fähigkeit" implizieren 61
1. Fahruntüchtigkeit 61
2. Schuldfähigkeit 64
3. Vermeidbarkeit der Verbotsunkenntnis 65
4. Feststellung der hypothetischen Kausalität beim sog. Pflichtwidrigkeitszusammenhang 65
III. Anscheinsbeweis bei der Feststellung des Nichtbestehens von Rechtfertigungs- bzw. Entschuldigungsgründen 68
IV. Zwischenresümee 69
§4 Wissenschaftstheorie und juristische Tatsachenfeststellung 71
I. Feststellung von Tatsachen mittels Erfahrungssätzen 72
1. Herleitung der Erfahrungssätze 72
2. Deterministische und probabilistische Erfahrungssätze 73
3. Das Induktionsproblem 74
II. Erklärungsmodelle in der Wissenschaftstheorie 77
1. Erklärung und Prognose 77
2. Deduktiv-nomologische Erklärung 78
a) Modell der deduktiv-nomologischen Erklärung 78
b) Typen rudimentärer Erklärungen 80
aa) Grundsätzliche Unvollständigkeit und Unabgeschlossenheit von Erklärungen 80
bb) Erklärungsskizze, Pseudoerklärung und Erklärbarkeitsbehauptung 81
cc) Unterscheidung von Stegmüller 82
c) Erklärung und Begründung 83
3. Induktiv-statistische Erklärung 84
a) Modell der induktiv-statistischen Erklärung 84
b) Bedeutung der Wahrscheinlichkeit für die Tatsachenfeststellung 84
aa) Klassische Wahrscheinlichkeit 86
bb) Grenzwertdefinition 88
cc) Subjektive oder personelle Wahrscheinlichkeit 89
dd) Wahrscheinlichkeit als theoretische Größe (logische Wahrscheinlichkeit) 91
ee) Ergebnis 92
4. Modell der pragmatischen Erklärung 94
III. Wissenschaftstheoretische Auffassungen zu besonderen Bezugspunkten strafrechtlicher Tatsachenfeststellung 95
1. Kausalität 95
a) Notwendige Bedingung 95
b) Irreale Konditionalsätze 96
c) Inus-Bedingung 97
d) Naturgesetze 99
2. Dispositionsprädikate 101
a) Die Problemstellung bei den Dispositionsprädikaten 101
b) Erklärungsversuche 102
aa) Definitions versuch mittels einer Implikation 102
bb) Definitions versuch mittels "wenn-dann"-Beziehung 102
cc) Andere Definitionsversuche 103
dd) Lösung von Carnap mittels sog. Reduktionssätze 103
ee) Dispositionsprädikate als theoretische Begriffe 103
3. Motivationskausalität 104
a) Kausale Erklärung 105
b) Intentionale Erklärung 107
IV. Ergebnis 108
§ 5 Argumente gegen die Zulässigkeit des Anscheinsbeweises im Strafprozeß 109
I. Argument, daß der Anscheinsbeweis streitiges Verhandeln voraussetze 109
1. Beibringungsgrundsatz versus Untersuchungsgrundsatz 109
2. Ergebnis 112
3. Exkurs: Vereinbarkeit von Anscheinsbeweis und Untersuchungsgrundsatz im Verwaltungsprozeß 112
II. Argument, daß der Anscheinsbeweis zu einer unzulässigen Beweislastumkehr führe 114
1. Objektive Beweislast und in dubio pro reo-Grundsatz 115
2. Subjektive Beweislast und Unschuldsvermutung 116
3. Ergebnis 118
III. Argument, daß der Anscheinsbeweis unzulässig sei, da er keinen "Vollbeweis" darstelle 119
1. Die Redeweise vom "Vollbeweis" als Frage nach der Verfehlung der materiellen Wahrheit 119
a) Die philosophische Auffassung von Wahrheit 120
aa) Korrespondenztheorie 121
bb) Kohärenztheorie 121
cc) Semantische Theorie 122
dd) Diskurstheorie 122
b) Ergebnis: Funktionaler Wahrheitsbegriff für den Strafprozeß 123
2. Die an den strafprozessualen Beweis zu stellenden Anforderungen 124
a) Vollbeweis" versus bloßer Verdacht 124
aa) Begriff des Verdachts 124
bb) Begriff des Vollbeweises 125
cc) Ergebnis 126
b) Keine Bedeutung des materiell-rechtlichen Schuldgrundsatzes in diesem Zusammenhang 128
c) Die erforderlichen Mindestfeststellungen - insbesondere die Opferindividualisierung 129
3. Ergebnis 130
IV. Argument, daß mit der Anwendung eines Anscheinsbeweises eine Minderung des erforderlichen Beweismaßes auf unzulässige bloße Wahrscheinlichkeit verbunden sei 131
1. Bedeutung der Wahrscheinlichkeit 131
2. Ergebnis 133
V. Argument, daß die bei einem Anscheinsbeweis verwendeten Erfahrungssätze infolge ihrer den Tatrichter bindenden Wirkung gegen die Freiheit der richterlichen Beweiswürdigung verstießen 133
1. Der Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung 134
a) Inadäquität von "Überzeugung" als dem für die Tatsachenfeststellung maßgeblichen Topos 134
b) Die Grenzen der freien richterlichen Beweis Würdigung 136
aa) Kritik des herkömmlichen Verständnisses 136
bb) Bedeutung der Erfahrungssätze im Strafrecht 138
2. Ergebnis 140
VI. Argument, daß der Anscheinsbeweis unzulässigerweise das materielle Recht umgestalte 142
1. Normentheoretische Betrachtung 143
a) Verhaltensnormen 143
b) Sanktionsnormen 145
c) Entscheidungsnormen 145
2. Relativität des Anscheinsbeweises - das Verhältnis von materiellem Recht und Prozeßrecht 146
3. Ergebnis 148
VII. Zwischenergebnis für den Anscheinsbeweis 149
§ 6 Abgrenzung des Anscheinsbeweises zum Indizienbeweis 150
I. Klärung beweisrechtlicher Begriffe 150
1. Direkter und indirekter Beweis 150
2. Verhältnis von Anscheins- und Indizienbeweis zum indirekten Beweis 152
3. Indizienkette und Indizienring 153
II. Ablehnung der vorgebrachten Abgrenzungsmerkmale von Anscheinsbeweis und Indizienbeweis 154
1. Kein logischer Unterschied 154
2. Kein Unterschied von Anzahl oder Stärke der jeweils verwendeten Erfahrungssätze 155
a) Gesichtspunkt der Anzahl der verwendeten Erfahrungssätze 155
b) Gesichtspunkt der Stärke der verwendeten Erfahrungssätze 156
c) Begriff des Erfahrungsgrundsatzes 156
d) Ergebnis 157
3. Kein Unterschied in der Typizität des Sachverhalts 158
4. Kein Unterschied in der Sachverhaltsaufklärung 159
III. Ergebnis: Anscheins- und Indizienbeweis nur ein Scheingegensatz 160
IV. Ergebnis des Ersten Teils und Folgerungen für die Anwendbarkeit des Anscheinsbeweises 161
Zweiter Teil: Ausgestaltung des Anscheinsbeweises im Strafprozeß 163
§ 7 Normative Konzeption des Anscheinsbeweises 163
I. Abgrenzungsfragen 163
1. Keine Bedeutung der revisionsrichterlichen Perspektive 163
2. Bedeutung der Subjektivität 165
3. Abgrenzung der für die richterliche Tatsachenfeststellung relevanten Zweifel 167
a) Die grundsätzlich für unbeachtlich zu erklärenden Zweifel 167
b) Abgrenzung nach "nicht ganz fernliegenden" und "sich gerade noch nicht aufdrängenden" Zweifeln 169
c) Unterscheidung in "fallbezogene" und "abstrakte" Zweifel 171
d) Die zur Objektivierung der freien richterlichen Beweiswürdigung verwendeten Kriterien 172
aa) Intersubjektivität 172
bb) Nachvollziehbarkeit 174
cc) Plausibilität 174
dd) Evidenz 174
II. Materiale Leitlinien des Anscheinsbeweises 175
1. Legitimation des Urteils 175
2. Einwand gegen eine Legitimationskonzeption und Gegenkritik 177
3. Ausrichtung der Legitimation am Zweck des Strafrechts und des Strafprozesses 178
a) Keine erkenntnisstiftende Funktion der zumeist formulierten Prozeßziele "Wahrheit" und "Gerechtigkeit" 178
b) Funktion des Strafrechts 179
aa) Rechtsgüterschutz 180
bb) Normstabilisierung 181
4. Struktur des Anscheinsbeweises und vergleichbare Ansätze 182
a) Die Regelannahmen 182
b) Normallfallanahmen bei Dencker 184
c) Vergleichbarer Ansatz von Marxen 185
d) Alternativenausschluß im konkreten Fall als zweite Komponente des Anscheinsbeweises 186
§ 8 Anforderungen an die beim Anscheinsbeweis verwendeten Erfahrungssätze am Beispiel der generellen Kausalität 188
I. Grundsätzliche Zulässigkeit auch bloß statistischer Erfahrungssätze 189
II. Benennung und Relevanz 190
1. Benennung 190
2. Relevanz 192
3. Bewährung 192
III. Stützung 193
IV. Erheblichkeit der Stützung 194
1. Keine besonderen Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit der Erfahrungssätze 195
2. Akzeptanz des Erfahrungssatzes 196
a) Bedeutung des Kriteriums "Akzeptanz" 196
b) Frage der Entscheidungskompetenz 196
c) Konkretisierung des Kriteriums "Akzeptanz" 198
§ 9 Anscheinsbeweis bei besonderen Regelannahmen 201
I. Regelannahmen für die Feststellung bestimmter Dispositionsprädikate 201
1. Feststellung der Fahruntüchtigkeit 202
a) Fahruntüchtigkeit als Dispositionsprädikat 202
b) Ausgestaltung der Regelannahme Fahruntüchtigkeit 203
c) Sog. absolute Fahruntüchtigkeit 205
d) Frage der Entscheidungskompetenz 206
e) Frage der Einordnung der Fahruntüchtigkeit 206
f) Verhältnis zwischen Empirie und Normativität 207
2. Feststellung der Schuldfähigkeit 208
3. Feststellung der Verbotskenntnis 210
4. Feststellung des sog. Pflichtwidrigkeitszusammenhangs 211
5. Feststellung der psychischen Kausalität 214
II. Feststellung des NichtVorliegens von Rechtfertigungs- bzw. Entschuldigungsgründen 215
III. Anscheinsbeweis im Vorverfahren? 217
§ 10 Alternativenausschluß beim Anscheinsbeweis im konkreten Fall 219
I. Umfang der Beweisaufnahme beim Anscheinsbeweis 219
1. Bedeutung der Aufklärungspflicht für den Anscheinsbeweis 220
2. Reichweite der Aufklärungspflicht 221
a) Möglichkeit und Zulässigkeit der Beweisaufnahme 221
b) Verhältnismäßigkeit der Beweisaufnahme 222
aa) Geeignetheit und Erforderlichkeit weiterer Aufklärung zur Normstabilisierung 223
bb) Angemessenheit weiterer Aufklärung als Entscheidung für das überwiegende Interesse 223
II. Angemessenheit der Ausdehnung der Beweisaufnahme und Ergebnis für den Anscheinsbeweis 224
1. Falls tatsächliche Anhaltspunkte für eine Geschehensalternative vorliegen 224
2. Falls keine tatsächlichen Anhaltspunkte für eine Geschehensalternative vorliegen, aber etwas für ihr Vorliegen vorgebracht wird 225
a) Irrelevanz, wer die Alternativen vorbringt 225
b) Widerlegung der vorgebrachten Alternativen 226
3. Falls keine tatsächlichen Anhaltspunkte für eine Geschehensalternative vorliegen und auch nichts für ihr Vorliegen vorgebracht wird 227
a) Interesse des Angeklagten 228
b) Interesse der Allgemeinheit - Prozeßökonomie als "Kosten" des Verfahrens im weitesten Sinne 230
c) Berücksichtigung schutzwürdiger Interessen Dritter 231
d) Interessenausgleich 232
e) Einzustellende Kriterien für den Interessenausgleich 233
aa) Vorliegen eines Geständnisses 233
bb) Bedeutung der Sache 234
(1) Allgemein zur Bedeutung der Sache 235
(2) Vergleich mit dem Strafbefehlsverfahren 236
(3) Weitere Fälle der Funktionalisierung von Wahrheit 236
(4) Gesichtspunkt der Prozeßökonomie 237
(5) Zweifelsregelung 239
III. Gesamtergebnis des Zweiten Teils 239
Schrifttumsverzeichnis 241
Sachverzeichnis 258