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Gesichter des Einzigen

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Stulpe, A. (2010). Gesichter des Einzigen. Max Stirner und die Anatomie moderner Individualität. Duncker & Humblot. https://doi.org/10.3790/978-3-428-52885-1
Stulpe, Alexander. Gesichter des Einzigen: Max Stirner und die Anatomie moderner Individualität. Duncker & Humblot, 2010. Book. https://doi.org/10.3790/978-3-428-52885-1
Stulpe, A (2010): Gesichter des Einzigen: Max Stirner und die Anatomie moderner Individualität, Duncker & Humblot, [online] https://doi.org/10.3790/978-3-428-52885-1

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Gesichter des Einzigen

Max Stirner und die Anatomie moderner Individualität

Stulpe, Alexander

Beiträge zur Politischen Wissenschaft, Vol. 158

(2010)

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Abstract

"Mir geht nichts über Mich!", lautet das "egoistische" Credo der Titelfigur in Max Stirners (1806 - 1856) Werk "Der Einzige und sein Eigentum" von 1844. Das Buch wurde zunächst vor allem von anderen Junghegelianern wahrgenommen, nicht zuletzt von Marx und Engels, in den 1890er Jahren aber schlug es diskursiv ein wie die Bomben der anarchistischen 'Dynamiteurs', die zeitgleich die Öffentlichkeit in Entsetzen und Verzückung versetzten. In der 'Stirner-Renaissance' wurde der Einzige, oft verbunden mit Nietzsches Übermenschen, zur kontrovers diskutierten Lieblingsfigur des Zeitgeistes, zum Synonym eines Individualismus, der ebenso für Emanzipation und kulturelle Erneuerung wie für Exzesse und sittlichen Verfall stand. Vom Fin de siècle bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts erschien er rezeptionsgeschichtlich in den unterschiedlichsten Gestalten, etwa als Anarchist, Psychopath, Sozialist, Kleinbürger, Genie, Paranoiker, Bohemien, Satanist, Liberaler, Existentialist, Terrorist, Aristokrat, Achtundsechziger, Faschist oder als Totalitarismuskritiker.

Alexander Stulpe thematisiert die widersprüchliche Vielgestaltigkeit des Einzigen in ihrem jeweiligen historisch-diskursiven Kontext. Im Anschluß an Luhmann beobachtet er den Einzigen wissenssoziologisch als Bezugspunkt für die semantische Reflexion und Konstruktion von Individualität in einer Gesellschaft, der ihre Modernität zum Problem und mitunter ihre eigene Überwindung zum Anliegen wurde. Ausgehend von aufklärungs- und modernitätstheoretischen Überlegungen werden realistische und eskapistische Formen der Individualitätssemantik profiliert. Diese untersucht der Autor im Lichte eines neuen, charismasoziologisch und narzißmuspsychologisch instruierten, konstruktivistisch-kommunikationstheoretischen Deutungsangebots und analysiert sie in den Interpretationen des Einzigen bezüglich sozialdiagnostischer, politisch-ideologischer und moralphilosophischer Implikationen.

Max Stirner ist heute nahezu vergessen - vielleicht, weil der Einzige inzwischen selbstverständlich geworden ist? Die ideengeschichtlich angelegte Studie erweist sich somit auch als eine aufschlußreiche Diagnose der Gegenwart.

Table of Contents

Section Title Page Action Price
Vorwort 9
Inhaltsverzeichnis 11
I. Stirners Einziger und seine Rezeptionsgeschichte, der Einzige der Gesellschaft und das moderne Individuum 17
1. Der Einzige 18
2. Die Stirner-Rezeptionsgeschichte – Grundzüge und Verlauf 23
3. Wissenssoziologie 28
4. Exklusionsindividualität, Individualitätssemantik, Interpretationsschemata, Individualidentitätsangebote: das Exemplarische und Symptomatische am Einzigen 35
5. Geschichte und Gegenwart des Einzigen: die ‚Anatomie moderner Individualität‘ und ihr Aufbau 45
II. Paradise Lost 52
1. Fragmente der Großen Erzählung 52
2. Drei Kränkungen 64
a) Die kosmologische Kränkung 65
b) Die biologische Kränkung 73
c) Die psychologische Kränkung 81
3. Der Narzißmus und das moderne Individuum 87
a) Kompensation, Regression und Realismus, entwicklungsgeschichtlich betrachtet 88
b) Implikationen des biogenetischen Grundgesetzes 92
c) Narzißtische Zustände 99
d) Ideale und Wünsche 107
e) Moderner narzißtischer Kränkungsdruck als individuelle Last 114
4. Kränkung und Entzauberung: Ansichten der Moderne 119
III. Narzißmus und Charisma 130
1. Narzißtische Kränkung, individualitätssemantischer Eskapismus und der All-Einzige als Charismatiker 130
a) Soziale Phänomenologie und ideologische Affinitäten der Inflationsheiligen-Szene 134
b) Selbstdarstellungen und Machenschaften leibhaftiger All-Einziger: Haeusser und Konsorten 139
2. Zeitgenössische Beobachtungen: klassische Charisma-Soziologie und Massenpsychologie 149
a) Charisma in Webers Herrschafts- und Religionssoziologie 149
b) Der Narzißmus des Führers und das Begehren der Masse bei Freud 166
3. Psychoanalytische Narzißmustheorie und Sozialpsychologie des Charismas 178
a) Größen-Selbst, Selbst-Objekte und narzißtische Übertragungen: Heinz Kohuts Theorie des Narzißmus 178
b) Charismatische Herrschaft als narzißtische Pathologie: Stefan Breuers Sozialpsychologie der Sekte 191
4. Soziale Konstruktion von Charisma: charismatische und charismatifikatorische Kommunikation 199
a) Kommunikationstheoretische Grundlagen 199
aa) Kommunikation 200
bb) Annahme, Ablehnung und Erfolgsmedien 201
cc) Wahrnehmung und Adresse 203
b) Charismatische Kommunikation und Sektenform 205
c) Die charismatifikatorische Kommunikation und ihre vier strategischen Typen 215
aa) Werk 221
bb) Leben und Persönlichkeit 228
cc) Wirkung als Erlebnis 236
dd) Inszenierung 245
IV. Der Wahnsinn, die Genialität und das Böse 260
1. Der Einzige in der Nervenheilanstalt: Ernst Schultzes „Stirner’sche Ideen in einem paranoischen Wahnsystem“ 260
a) Stirners Bekanntheit und ihre Ursachen 267
b) Eine leibhaftige Einzige 269
c) Die Philosophie der Einzigkeit als Wahn und die Grammatik narzißtischer Pathologie 271
d) All-einzige Selbstexemption vs. je-einzige Sozialreflexivität und die Paranoia als psychiatrisches Individualidentitätsangebot 283
e) Askriptive Stirner-Deutung und Einzigkeit als Beobachtungsschema 289
2. Metaphysische Innenansichten, soziale Erfolgsaussichten und Extremismus des All-Einzigen nach Oskar Panizza 293
a) Stirner und andere geniale Paranoiker: der infektiöse Wahn als Wahrheit 296
b) Geniale Inspiration, psychotische Halluzination und gesunde Wahrnehmung aus psychopathologischer und psychopathischer Perspektive: Außen- und Innenansicht des Einzigen 304
c) Die solipsistische Metaphysik illusionistisch-dämonistischer All-Einzigkeit und ihre narzißtisch-kränkungsregressiven Implikationen 313
d) Der all-einzige Individualist als grandioses Individualidentitätsangebot: Idealisten, Helden, Heilige, Märtyrer und die Lizenz zum Töten 325
3. Das Böse und die all-einzige Struktur der Antisozialität 342
a) Josef Clemens Kreibig 345
b) Eduard von Hartmann 352
V. Der Einzige, der Anarchismus und die Gewalt: soziale Phänomenologie der Antisozialität 356
1. Terrorismus und Anarchismus: zeitgenössische Evidenzen 356
a) Ravachol 360
b) Vaillant 361
c) Henry 363
2. Georg Adlers Bestandsaufnahme: Anarchismus und individualistische Gewalt 372
a) Individualismus, Anarchismus und die ‚Propaganda der Tat‘ 373
b) Stirners ‚antimoralischer Anarchismus‘ und die anarchistische Gewalttradition 378
c) Terrorismus, Individualismus, Gewaltverherrlichung und Décadence im Fin de siècle 385
d) Psychopathologie anarchistischer Antisozialität 397
3. Konjunkturen, Konstruktionen und Konturierungen des Anarchismus und seiner Antisozialität im wissenschaftlichen Diskurs der Jahrhundertwende 401
a) Ernst Zenker 409
aa) ‚Freiheit statt Sozialismus‘: das individualistische Ideal 409
bb) Idealismus, Individualismus, Zivilisation vs. Nihilismus, Terrorismus, Barbarei: Stirner vs. Bakunin 413
cc) Germanen, Romanen und die Propaganda der Tat 416
dd) Antisozialer Individualismus: die Pathologie des Antisemitismus und die All-Einzigkeit 420
4. Revolutionäre Rivalitäten 427
a) Peter Kropotkin 427
aa) Antisoziale und konterrevolutionäre Implikationen von Stirners Individualismus 429
bb) Punktuelle Allianzen und doppelte Frontstellung des anarchistischen Kommunismus: gegen autoritären Kommunismus und Individualismus 433
b) Georg Plechanow 436
aa) Historisch-politische Kontexte: der Marxismus in Rußland und die Zweite Internationale 437
bb) Ideologie und Wahrheit, Utopismus und Wissenschaft, Anarchismus und Sozialismus: das ideologiekritische Paradigma 443
cc) Das individualistische Prinzip und die Praxis des Anarchismus: Antisozialität des Einzigen 445
dd) Stirners ideologiegeschichtliche Bedeutung, seine Epigonen und der soziale Standort des Anarchismus 448
ee) Gefahren des Anarchismus 453
ff) Der Einzige als Denunziationsschema: Stirner und der Anarchismus als ideologiekritische Medien marxistischer Polemik 457
gg) Der Anarchismus als Dekadenz-Symptom der untergangsgeweihten bürgerlichen Welt 463
VI. Außenseiter, Aristokraten, Avantgardisten und andere Individualisten – Stirner und Nietzsche 470
1. Individualistische Panoramen 470
2. Antibürgerlicher Individualismus als Alternativkultur und Kulturkritik: Boheme 485
a) Selbstverständnis und soziale Phänomenologie 486
b) Selbstbeschreibungen und Distinktionen 491
aa) Julius Hart 492
bb) Bruno Wille 500
cc) Erich Mühsam 510
3. Individualität als Devianz, Individualisierung durch Diskriminierung: der kulturzersetzende Individualist 515
a) Affinitäten des Individualismus – Variationen des Nonkonformismus 515
aa) Karl Joël 522
bb) Stanislaw Przybyszewski 525
cc) John Henry Mackay 536
b) Abnormität als Individualität – Individualität als Abnormität 541
aa) Richard Freiherr von Krafft-Ebing 544
bb) Hans Brennert 550
cc) Helene Stöcker 554
dd) Eduard von Hartmann 558
4. Stirner und Nietzsche im Diskurs 570
a) Nietzsches Stirner-Kenntnis 576
b) Gegensätze und Übereinstimmungen aus Sicht von Befürwortern und Gegnern 581
aa) Georg Simmel 584
(1) Aristokratisches Ethos gegen Immoralität 584
(2) Formen des Individualismus und ihre Soziologie 591
bb) Anselm Ruest 605
(1) Aristokratische Voraussetzungen und Implikationen 607
(2) Ethische Maßstäbe und Divergenzen 612
cc) Robert Schellwien 619
dd) Benedict Lachmann 623
ee) Hermann Türck 630
ff) Rudolf Steiner 641
5. Typologie des normativen Individualismus 652
a) Universalistischer Individualismus: zwischen Objektivismus und Relativismus 656
b) Partikularistischer Individualismus: vier typologische Ausprägungen und ihre Beziehungen 659
aa) Aristokratischer Individualismus 664
bb) Elitaristischer Individualismus 666
cc) Nonkonformistischer Individualismus 667
dd) Avantgardistischer Individualismus 670
ee) Relationen, Mischungen, Schlüsse 672
VII. Der Egoismus des Einzigen und sein Verein: soziale Bewegung, politisches Projekt, Ideologie und Gesellschaftsdiagnose vor und zwischen den Weltkriegen 677
1. Die je-einzige Struktur der sozialen Welt 677
a) Karl Löwith 681
2. Antibürgerliches Sozialmodell und revolutionäre Bewegung vor dem Weltkrieg 688
a) Anarchismus als utopistische Sozialtheorie und soziale Bewegung 689
aa) Rudolf Stammler 690
bb) Paul Eltzbacher 697
cc) Georg Adler 699
(1) Integrationstheoretischer Gehalt 705
(2) Subproletarische Ideologie 708
b) Max Adler und die marxistische Ideologiekritik 716
aa) Franz Mehring 717
bb) Eugen Dietzgen 720
cc) Max Adler 726
(1) Psychologische Ideologiekritik 736
(2) Anarchismus – Sozialismus 742
(3) Sozialdemokratische Intention und Organisation 746
3. Die ‚Verbürgerlichung‘ des Einzigen zwischen den Weltkriegen 754
a) Der zeitgemäße Einzige als Totalitarismuskritiker und Feind der neuen Bürgerfeinde 756
aa) Max Nettlau 759
bb) Hans Sveistrup 774
(1) Anti-atomistische Soziologie 774
(2) Anti-organizistische Kritik 779
(3) Philosophische und psychologische Affinitäten 785
b) Nach dem Untergang des bürgerlichen Individualismus 795
aa) Kurt Adolf Mautz 796
(1) Antiintellektualistische Lebensphilosophie und individualistische Ethik der Existenz 798
(2) Individualismus als Krisensymptom des bürgerlichen Bewußtseins 804
bb) Meyers Lexikon 1936/39 810
cc) Max Horkheimer 820
(1) „Egoismus und Freiheitsbewegung“ 822
(2) ‚Flaschenpost‘ und innerweltliche Transzendenz 824
dd) Hans Mayer 838
(1) Kritische Theorie vs. dualistische Sozialethik 839
(2) Ideologie der Mittelschichten 847
VIII. Nachhuten der Avantgarden 856
1. Vergangenheitsbewältigung und Kalter Krieg 858
a) Guntolf Herzberg 860
b) Alfred Schaefer 863
c) Hans G. Helms 867
d) Günther Anders 873
2. Nach dem Ende der Geschichte 882
a) Hans Magnus Enzensberger 885
b) Der „Tanz ums goldene Selbst“ 892
3. Der letzte Individualisierungsschub des 20. Jahrhunderts 902
a) Hans Heinz Holz 906
aa) Ideologische Beschränktheit und politische Folgen der Abenteuerlichen Rebellion 908
bb) Der Einzige als Strukturmodell kleinbürgerlichen Bewußtseins 909
cc) Der Einzige als 68er 911
4. Der Einzige der modernen Gesellschaft 915
a) Semantische Selbstverständlichkeit und massenmediale Ubiquität 922
b) Individualidentitätsangebote und psychische Systeme 926
c) Rück- und Aussichten 931
Literaturverzeichnis 936
Sachregister 969