Von einer eurozentrischen zu einer globalen Völkerrechtsgeschichte
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Von einer eurozentrischen zu einer globalen Völkerrechtsgeschichte
Der Staat, Vol. 53 (2014), Iss. 1 : pp. 121–137
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Professor em. Dr. Heinhard Steiger, Oberhof 16, 35440 Linden.
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Die Herausgeber des “Oxford Handbook of the History of International Law” möchten die vorherrschende eurozentrische Perspektive bisheriger Völkerrechtshistoriographie durch einen globalen Ansatz ersetzen, da der eurozentrische Ansatz einseitig und dadurch unvollständig und daher falsch sei. Dieser Paradigmenwechsel ist zwar zu begrüßen, setzt aber einen offenen oder unbestimmten Begriff des Völkerrechts voraus, der sich nicht an klassischen oder gegenwärtigen Begriffsbestimmungen orientiert, sondern letzten Endes alle normativen oder doch rechtlichen Ordnungen der Beziehungen zwischen von einander grundsätzlich unabhängigen politischen Mächten gleich welcher Organisationsform zu unterschiedlichen Zeiten und in unterschiedlichen Kultur- und Ordnungsräumen umfasst. So entstehen mehrere, sehr unterschiedlich erzählte oder konstruierte Völkerrechtsgeschichten. Das “Handbook“ beschränkt sich auf die Epoche zwischen 1500 und 1945. Ergibt sich der Anfang aus den Wandlungen der Beziehungen zwischen europäischen und nicht-europäischen Mächten und Völkern um 1500, so schneidet das Enddatum wesentliche spätere Entwicklungen ab. Die globale Ausrichtung soll einerseits nicht-europäische Völkerrechtsgeschichten und die Begegnungen zwischen Europa und den politischen Mächten und Völkern in den anderen Teilen der Welt mit ihren Folgen aufnehmen, aber auch weitere Akteure neben den Staaten einbeziehen, sich den Beziehungen lokaler und globaler Vorgänge widmen, sich auf Interaktionen über weite Räume und Kristallisationen in ausgedehnteren Netzwerken richten. Umgesetzt wird der globale Ansatz vor allem durch einen regionalen Ansatz der Völkerrechtsgeschichte, in dem Europa nur noch eine Region neben Afrika, Arabien, China, Indien, Japan, den amerikanischen Regionen, der Karibik bildet, deren Völkerrechtsgeschichten für sich erzählt werden. Zum anderen werden die Begegnungen, “Encounters“, zwischen den europäischen Mächten und den Mächten und Völkern dieser anderen Regionen zum Gegenstand der Darstellungen gemacht. Dabei liegt der Hauptakzent auf dem 19. und dem 20. Jahrhundert. Aber die europabezogene Perspektive bleibt doch stark. Das gilt u.a. bei der Behandlung der klassischen Themen der Völkerrechtsgeschichte, Krieg und Frieden, Seerecht, Religion und religiöse Intervention, Gesandtschaftsrecht, Handel und Handelskompanien u.a. Dieses Vorherrschen europäischer Ausrichtung trotz der grundsätzlich globalen Tendenz des “Handbook“ ist jedenfalls in Teilen unvermeidbar. So fehlt es wohl weitgehend an Untersuchungen für die anderen Regionen zu diesen Themen. Das wird auch in den Artikeln zur Methodologie und Theorie deutlich, die nicht nur von europäischen Autoren, sondern auch aus europäischer Perspektive, wenn auch kritisch gegenüber dem älteren Eurozentrismus abgefasst sind. Der abschließende Teil über Völkerrechtsautoren behandelt mit Ausnahme eines frühen muslimischen Gelehrten nur europäisch-westliche Autoren. Um den Paradigmenwechsel zu einer globalen Ausrichtung der Völkerrechtsgeschichte völlig um- und durchzusetzen, sind somit erhebliche weitere Erforschungen der nicht-europäischen und transeuropäischen Völkerrechtsgeschichten notwendig, um mit dem Stand der europäischen Forschungen auf gleiche Höhe zu kommen und damit unterschiedliche und auch gegensätzliche Konzepte und Praxis, aber auch mögliche Parallelitäten oder “funktionelle Äquivalente“ der normativen Ordnungen der Zwischen-Mächte-Beziehungen zu erkennen. So können vielleicht auch bisher unerkannte Bedeutungen der verschiedenen Rechtskulturen für das gegenwärtige Völkerrecht herausgearbeitet werden, dessen Universalität zwar formal besteht, dessen materielle Grundlegung aber wieder hoch umstritten ist. So könnte eine globale Völkerrechtsgeschichte zu seiner inhaltlichen Reflexion beitragen.