“Nation“ und Verfassungsrecht. Das “integrierte Volk“ als demokratischer Souverän in der Migration
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“Nation“ und Verfassungsrecht. Das “integrierte Volk“ als demokratischer Souverän in der Migration
Der Staat, Vol. 55 (2016), Iss. 2 : pp. 213–234
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Prof. Dr. mult. Dr.h.c. Walter Leisner, Pienzenauerstraße 99, 81925 München Fax: 0 89 98 29 09 97
Abstract
Migrationen, im Ausmaß von Völkerwanderungen, werden begrüßt als Erneuerungen in Vielfalt, gefürchtet als Verlust nationaler Identität. Anknüpfungspunkte für eine Verfassungskontrolle einer gesetzlichen Immigrationsordnung bietet der Text des GG jedoch weder in Art. 79 Abs. 3 noch in Art. 16a (Asyl). Dürf(t)en Millionen von Ausländern integriert werden, bis über eine Volksmehrheit “ohne deutsche Wurzeln“ hinaus, zu einem neuen “Misch-Volk“, damit zu einem “gemischten Staat“? Das Völkerrecht gibt keine Zusammensetzung des “Volkes“ vor. Und das Verfassungsrecht? Bietet hier der Begriff “Nation“ einen Anhalt?
“Nation“ ist ein verschwindender Verfassungsbegriff. Weder ist er in der Wiedervereinigung inhaltlich aufgefüllt worden, noch kann dies aus Verfassungssymbolen (Flagge, Hymne) gelingen, oder in Rückgriff auf deutsche Verfassungsgeschichte (“Reich Deutscher Nation“). Nation als Rechtsbegriff dominiert zwar das französische Staatsrecht, spätestens seit dem 18. Jahrhundert. In der klassischen deutschen Staatslehre steht aber “Integration zum Staat“ im Vordergrund, in Recht, Befehl, Ordnung. Für Deutschland gibt es keine staatsrechtlichen Kriterien des “nationalen“ jenseits des demokratischen Volkswillens, seiner Formen und Inhalte. Einen “natürlichen Volksbegriff“ kennt das GG nicht: “Volk“ bestimmt sich nach Staatsangehörigkeit(srecht). Ebenso wenig gibt es “natürliche Elemente eines Volkes als Nation“, die zu achten oder gar zu bewahren wären: weder ethnisch-rassische Zusammengehörigkeit, noch Religion, Sprache, gemeinsame Kultur oder ein einheitlicher Wirtschaftsraum.
Das souveräne Volk als (aller)höchstes Staatsorgan kann, in demokratischer Entscheidung, beliebig zusammengesetzt sein. EU- und völkerrechtliche Einbürgerungsformalien sind zu beachten. Nationale Identität als Verfassungsschranke aber gibt es nicht. Integrationshürden rechtlicher Art errichtet die Verfassung nicht.
Wen der deutsche Volkssouverän als Migranten aufnimmt, der (mit-)konstituiert Deutschland.
So ist die Verfassungslage. Viele werden sie begrüßen, werden sie verändern wollen. Auf in den Streit!