Braucht die Rechtswissenschaft eine empirische Wende?
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Braucht die Rechtswissenschaft eine empirische Wende?
Der Staat, Vol. 49 (2010), Iss. 3 : pp. 435–455
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1Dr. Niels Petersen, Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern, Kurt-Schumacher-Straße 10, 53113 Bonn.
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Abstract
In der Theorie werden empirische und normative Fragestellungen analytisch voneinander getrennt. Vom Sein kann man nicht ohne Weiteres aufs Sollen schließen, und auch die Existenz einer Norm sagt nichts über die tatsächlichen Umstände aus. Dies führt zu einer Aufgabenteilung, die den Sozialwissenschaftlern die Erforschung der empirischen gesellschaftlichen Zusammenhänge und den Rechtswissenschaftlern die normativen Wertungen überlässt. Allerdings lassen sich die empirische und die normative Sphäre in der Praxis oft nicht klar voneinander trennen. Gerade normative Wertungen hängen oft von den tatsächlichen Umständen ab, so dass die Empirie auch bei der Gesetzesauslegung und juristischen Theoriebildung eine beträchtliche Rolle spielt. Dieser Beitrag zeigt anhand von Beispielen aus dem öffentlichen Recht auf, dass der juristischen Theoriebildung oft sozialwissenschaftliche Annahmen zugrunde liegen, und beschäftigt sich anschließend mit der Frage, wie empirische Erkenntnisse in die Rechtswissenschaft integriert werden können. Dabei werden zwei Modelle diskutiert. Zum einen können Juristen sozialwissenschaftliche Fakten selbst interpretieren, zum anderen können sie deren Interpretation auf die Sozialwissenschaften oder externe Sachverständige auslagern. Beide Modelle sind jedoch mit Problemen behaftet: Juristen haben auf der einen Seite nicht das methodische Handwerkszeug zur Interpretation sozialwissenschaftlicher Daten; auf der anderen Seite haben auch empirische Studien oft versteckte normative Wertungen, die Juristen nicht vollständig Sozialwissenschaftlern überlassen dürfen. Insofern wird die Rechtswissenschaft einen Mittelweg gehen müssen, wenn sie die Empirie nicht vollständig ignorieren möchte.