Das Verstummen eines Parlaments. Die Rede zu Protokoll – Verfassungsrechtliche Überlegungen zur Einführung der schriftlichen Parlamentsdebatte durch den neuen § 78 Abs. 6 GOBT
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Das Verstummen eines Parlaments. Die Rede zu Protokoll – Verfassungsrechtliche Überlegungen zur Einführung der schriftlichen Parlamentsdebatte durch den neuen § 78 Abs. 6 GOBT
Der Staat, Vol. 49 (2010), Iss. 4 : pp. 587–604
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1Max Bauer, Universität Göttingen, Juristische Fakultät, Goßlerstraße 11, 37073 Göttingen.
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Der neue § 78 Abs. 6 GOBT normiert die parlamentarische Praxis, dass Reden, statt im Plenum des Bundestages gehalten zu werden, nun auch schriftlich zu Protokoll gegeben werden können. Diese Neuregelung gerät in Konflikt mit zwei zentralen verfassungsrechtlichen Normativen: dem Grundsatz der Verhandlungsöffentlichkeit des Deutschen Bundestages nach Art. 42 Abs. 1 Satz 1 GG und dem Rederecht des Abgeordneten aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG. Dieser Beitrag untersucht die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Protokollrede, wobei der Grundsatz der Verhandlungsöffentlichkeit die Überlegungen dominiert. Eine funktions- und entscheidungstheoretisch angeleitete Analyse der Parlamentsdebatte führt dazu, bei der Auslegung der relevanten Verfassungsnormen sowohl das funktionale Gestaltungs- und Kommunikationsmoment, als auch das Transparenz- und Kontrollmoment des Grundsatzes demokratischer Repräsentation zugrunde zu legen. Als Ergebnis wird ein klarer Vorrang der mündlichen vor der schriftlichen Debatte im Sinne eines Regel-Ausnahme-Verhältnisses festgestellt, dem der neue § 78 Abs. 6 GOBT nicht genügen kann. Die Verfolgung gegenläufiger Interpretationslinien aus der Perspektive der Geschäftsordnungsautonomie der Parlaments und Versuche einer verfassungskonformen Auslegung können an diesem Ergebnis nichts ändern.