Religion und Neutralität im privaten Arbeitsverhältnis
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Religion und Neutralität im privaten Arbeitsverhältnis
Der Staat, Vol. 56 (2017), Iss. 4 : pp. 621–651
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PD Dr. Dr. Armin Steinbach, Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, Referat “Grundsatzfragen der Wirtschaftspolitik“, 11019 Berlin
Cited By
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70 Jahre Grundgesetz
Die Ordnung religiös-weltanschaulicher Vielfalt
Volkmann, Uwe
2019
https://doi.org/10.13109/9783666310782.111 [Citations: 0] -
Die Herausforderungen der “Integrationsverwaltung“ im Spiegel der neuen Verwaltungsrechtswissenschaft
Buchholtz, Gabriele
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https://doi.org/10.3790/staa.57.3.407 [Citations: 0]
Abstract
Der Europäische Gerichtshof hat ein neues Recht zur unternehmerischen Neutralität anerkannt – zukünftig dürfen Unternehmen eine Politik der politischen, philosophischen oder religiösen Neutralität ausrufen, auf deren Grundlage sie entsprechende Bekundungen ihrer Mitarbeiter unterbinden können. Das was aus den heterogenen Erscheinungsformen laizistischer Staatspolitik bislang als Neutralitätspflicht als eine Rechtfertigung für die Zurückdrängung religiöser Symbole bekannt war, findet nunmehr in einem umfassenden Neutralitätsrecht im privatrechtlichen Raum eine, wenngleich grundverschiedene, Entsprechung – gemein ist der öffentlichen wie privaten Neutralitätshegemonie, dass die Grundrechtsträger religiöser Bekundungen in ihre Schranken verwiesen werden. Die Qualität dieses Neutralitätsrechts als Rechtfertigungskategorie, ihr Umfang und ihre Ausbalancierung mit der Religionsfreiheit stehen zur Diskussion – in rechtsvergleichender wie auch verfassungs- und europarechtlicher Hinsicht. Zudem rührt die Problematik an Grundsätzlichem: Die Expansion der Neutralität von der Staats-Bürger-Sphäre hinüber in das private Arbeitsverhältnis stellt die Religionsausübung als sozial akzeptables Verhalten in Frage. Das unternehmerische Anliegen an Selbstdarstellung führt zur Verdrängung nicht nur des Religiösen – weitergehender wird Individualität durch auf den Arbeitsbereich ausgedehntes Neutralitätsrecht aus dem öffentlichen Raum verbannt und in die Privatsphäre des Einzelnen verwiesen. Damit bedarf aber nicht nur die Neutralitätsdebatte der Erweiterung. Auch der davon ausgehende Homogenisierungsdruck verweist auf einen Topos der Staatslehre und eröffnet den Diskurs über Toleranzerwartungen gegenüber religiösen Bekundungen.
Following two recent rulings of the European Court of Justice, according to which companies may ban the wearing of headscarves on grounds of pursuing neutral corporate images, the freedom of religion has come under pressure. The rulings go beyond the well-established jurisprudence of religious symbols developed in the context of public institutions. An extensive company’s right to reject religious (or philosophical) customs from the working place has been created – this article discusses legal grounds of the company’s right to neutrality at the detriment of employees and questions the implicit move towards homogeneity and the ensuing loss of individuality in public life. A comparative legal analyses reveals weak traces of this new jurisprudence both in national and European jurisprudence. Further, the right to neutrality encroaches on religious freedom and transforms the wide margin of appreciation from the state context to the companies’ level. From a social perspective, removing heterogeneity in appearance and behavior undermines the tolerance expectations enshrined in the German constitution.