Religionsfreiheit und Toleranz
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Religionsfreiheit und Toleranz
Der Staat, Vol. 57 (2018), Iss. 1 : pp. 35–76
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Dr. Lothar Häberle, Lindenthal-Institut, Friedrich-Schmidt-Str. 20a, 50935 Köln
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Religionskonflikte in vielen Teilen der Welt, die 2015 zu einem selten erlebten Flüchtlingsstrom nach Europa und zu hohem Blutvergießen geführt haben, erweisen das Thema “Religionsfreiheit und Toleranz“ als aktuelle und anhaltende Anforderung an Politik und Recht. Um ihr nachzukommen, bedarf es in möglichst vielen Staaten eines Staat-Kirchen-Modells, das alltagstauglich ist: effektiv religiösen Frieden stiftet und sichert, für Jedermann in hohem Maße religiöse Freiheit ermöglicht, religiöse (ethnische) und weltanschauliche Minderheiten möglichst gut integriert.
Wie kann das gelingen angesichts des religiös-weltanschaulichen Pluralismus, den es (auch) in Deutschland gibt? Neben den seit langem etablierten christlichen Kirchen und Gemeinschaften ist dieser gekennzeichnet vor allem durch die Religion des Islam und die Weltanschauungen des Säkularismus (Laizismus) und des Relativismus. Als erstes Thema wird in diesem Beitrag untersucht, wie diesen drei Herausforderungen durch das Religionsrecht, vor allem durch das Grundrecht der
In diesem Kontext sind die beiden Entscheidungen des BVerfG zum Kopftuch von Lehrkräften in öffentlichen Schulen, insbesondere der Beschluss von 2015, zu untersuchen – ein zweites (kleineres) Schwerpunktthema dieses Artikels.
Selten ist bisher die Beziehung zwischen Religionsfreiheit und Toleranz analysiert worden. Allzu oft wurden beide gleichgesetzt, weder ihre Gemeinsamkeiten noch ihre Unterschiede erörtert. Als drittes Thema dieses Beitrags soll hier versucht werden, dies einmal zu beleuchten. Religionsfreiheit verleiht ein Grundrecht, Toleranz beschreibt einen Geist, in dem dieses Grundrecht in Anspruch genommen werden sollte von den Bürgern untereinander (horizontale Toleranz). Der Staat kann diesen Geist weder verordnen noch herstellen. Jedoch kann er für die Voraussetzungen sorgen, unter denen dieser Geist gedeihen kann.
Bei der Einordnung der Toleranz in das Verfassungsgefüge spricht vieles dafür, Toleranz als eine Verfassungsvoraussetzung anzusehen: Der Wirkungsgrad einer Verfassungsnorm ist graduell abgestuft, kann höher oder niedriger sein, je nachdem, wie die Verfassungsvoraussetzungen – hier speziell die der Toleranz – gelebt werden. In diesem Sinne stellt Toleranz eine Bedingung dafür dar, dass Verfassungsnormen gut erfüllt werden können.