Realitätsprägung durch Verfassungsrecht
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Realitätsprägung durch Verfassungsrecht
Kolloquium aus Anlass des 80. Geburtstages von Peter Lerche
Wissenschaftliche Abhandlungen und Reden zur Philosophie, Politik und Geistesgeschichte, Vol. 50
(2008)
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Prof. Dr. Dr. h.c. Peter Lerche gehört zu den bedeutendsten Staatsrechtslehrern der Bundesrepublik. 1928 geboren, studierte er Rechtswissenschaft in München, wurde 1961 Professor für Öffentliches Recht an der Freien Universität Berlin und lehrte von 1964 bis zu seiner Emeritierung 1996 an der Universität München. Er ist Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und Träger des Maximiliansordens für Wissenschaft und Kunst, war Mitglied des Wissenschaftsrats und Vorsitzender der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer. Lerches Schriften haben die Wissenschaft vom Verfassungsrecht und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts maßgeblich geprägt, nicht zuletzt durch seine prozedurale Akzentuierung materieller Rechtspositionen. Häufig war er Verfahrensbevollmächtigter in großen Prozessen. Zahlreiche Rechtsfiguren von Lerche sind heute selbstverständliche Bestandteile der Verfassungsrechtsdogmatik (z.B. schonender Ausgleich, Homogenität im Verfahren, Kontrolldichte, Grundrechtsprägung). Eine für die deutsche Grundrechtsdogmatik herausragende Bedeutung besitzt sein Werk "Übermaß und Verfassungsrecht" (1961, 2. Aufl. 1999). Lerche ist zudem ein Pionier des Medienrechts. Zum 75. Geburtstag gaben seine Schüler einen Band mit bedeutenden Aufsätzen Lerches heraus ("Ausgewählte Abhandlungen", Schriften zum Öffentlichen Recht, Band 969, 2004, Duncker & Humblot).Abstract
Am 12. Januar 2008 feierte Prof. Dr. Dr. h.c. Peter Lerche, emeritierter Ordinarius für Öffentliches Recht an der Universität München, seinen 80. Geburtstag. Aus diesem Anlass veranstalteten seine habilitierten Schüler ein Kolloquium in der Carl Friedrich von Siemens Stiftung München. Der Band dokumentiert die dort gehaltenen Vorträge. Unter dem Titel "Realitätsprägung durch Verfassungsrecht" wird jeweils an das Werk Lerches angeknüpft. Gemeinsamer Grundgedanke der hier versammelten Abhandlungen ist die von Peter Lerche immer wieder bekräftigte Einsicht, dass die dirigierende Kraft der Verfassung auch über die Verfassungsrechtsprechung hinaus und jenseits von ihr wirkt. "Verfassungsvollzug" erschöpft sich nicht in Verfassungsjudikatur.Diesem Thema gehen die Autoren anhand unterschiedlicher Sachfragen und Rezeptionsvorgänge nach. Rupert Scholz behandelt das Problem der verfassungsrechtlichen Vor-Prägung politischer Themen mit den Gefahren einer Lähmung des politischen Lebens durch übertriebene Verrechtlichung; die Anpassung von Verfassungstexten sowie geglückte, missglückte und unterbliebene Verfassungsänderungen sind das Thema von Christian Pestalozza. Dieter Lorenz untersucht aktuelle sicherheitsrechtliche und grundrechtliche Fragen (insbesondere der Online-Durchsuchung); Michael Kloepfer behandelt die Rückwirkungen von Verfassungsverstößen auf die öffentliche Meinung und die dadurch ausgelösten (oder unterbliebenen) politischen Sanktionen. Hans D. Jarass wendet sich dem Problem der Konstitutionalisierung der Rechtsordnung durch die Grundrechte zu; Christoph Degenhart untersucht die Rückwirkung realer Veränderungen auf die Verfassungsinterpretation. Oliver Lepsius analysiert, wie das Bundesverfassungsgericht seine Entscheidungen aufbautechnisch begründet, um sachverhaltsübergreifende verfassungsrechtliche Maßstäbe bilden zu können.
Table of Contents
Section Title | Page | Action | Price |
---|---|---|---|
Vorwort | 5 | ||
Inhalt | 7 | ||
Rupert Scholz: Konstitutionalisierte Politik oder politisierte Konstitution? | 9 | ||
Dieter Lorenz: Die verdeckte Online-Durchsuchung als Herausforderung an die Grundrechtsdogmatik | 17 | ||
I. Problemstellung | 17 | ||
1. Die veränderte Sicherheitslage | 17 | ||
2. Die verdeckte Online-Durchsuchung | 19 | ||
II. Die grundrechtliche Zuordnung | 20 | ||
1. Grundproblematik | 21 | ||
2. Grundrechtsschutz gegen Online-Durchsuchung | 22 | ||
a) Freiheit der Telekommunikation | 22 | ||
b) Unverletzlichkeit der Wohnung | 22 | ||
c) Das allgemeine Persönlichkeitsrecht | 25 | ||
III. Die Eingriffsproblematik | 25 | ||
1. Freiheitssicherung durch Freiheitsbeschränkung | 25 | ||
2. Grundrechtsschutz und Allgemeininteresse | 26 | ||
3. Die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit | 27 | ||
Christian Pestalozza: Die Endlichkeit von Verfassungen | 31 | ||
I. Ansprüche von Verfassungstexten | 31 | ||
II. Überfällige Verfassungsänderungen | 34 | ||
1. Das redaktionelle Mißgeschick | 35 | ||
2. Die Fehlkonstruktion | 38 | ||
a) Alte Anmaßung | 38 | ||
b) Vertrauen als Maßstab | 39 | ||
c) Reformdefizite 2006 | 41 | ||
3. Die Lücke | 43 | ||
a) Empfindliche Lücken | 43 | ||
b) Läßliche Lücken | 44 | ||
4. Die Verfassungsgerichtsbarkeit | 45 | ||
a) Rezeptionsbedarf | 46 | ||
b) Drei staatsorganisatorische Erfindungen | 46 | ||
c) Drei grundrechtliche Erfindungen | 48 | ||
d) Klarstellungsbedarf | 50 | ||
e) Legitimationswirkung der Reaktion des Verfassungsgebers | 51 | ||
III. Wünsche: Neuordnung der Verfassungspflege | 52 | ||
1. Verfassungskonsilien | 52 | ||
2. Verfassungspflege | 53 | ||
3. Verfassungsänderung als Ausnahme | 54 | ||
Michael Kloepfer: Verfassungsverstöße und Öffentliche Meinung | 55 | ||
I. Verfassungssicherung durch Öffentliche Meinung als Konzept | 55 | ||
II. Zum praktischen Funktionieren dieses Konzepts | 57 | ||
III. Gelingen des Konzepts? | 60 | ||
IV. Zur politischen Folgenlosigkeit von Verfassungswidrigkeit | 61 | ||
V. Zur tatsächlichen Verfassungsgeprägtheit von Politik | 66 | ||
VI. Fazit | 73 | ||
Hans D. Jarass: Die Konstitutionalisierung des Rechts, insb. durch die Grundrechte | 75 | ||
I. Die Konstitutionalisierung des Rechts | 75 | ||
1. Zentrale Rolle des Bundesverfassungsgerichts | 75 | ||
2. Gründe für die Konstitutionalisierung | 76 | ||
a) Auf Verfassungsrecht beschränkter Prüfungsmaßstab | 76 | ||
b) Normverwerfungsrecht und verfassungskonforme Auslegung | 77 | ||
c) „Flächendeckende“ Zuständigkeit | 79 | ||
3. Folgen der Konstitutionalisierung | 79 | ||
a) Stellung des Verfassungsgerichts gegenüber Fachgerichten und Gesetzgeber | 79 | ||
b) Inhaltlicher Einfluss auf das Recht | 82 | ||
II. Konstitutionalisierung und Grundrechte | 83 | ||
1. Auswirkungen auf die Funktionen der Grundrechte | 83 | ||
a) Die Leistungs- und Schutzfunktion der Grundrechte | 83 | ||
b) Einschränkungen der positiven Grundrechtswirkung, insb. im Privatrecht | 85 | ||
2. Weitere Elemente der Konstitutionalisierung durch die Grundrechte und Grenzen | 86 | ||
Christoph Degenhart: Realitätsprägung durch Verfassungsrecht – Verfassungsinterpretation und reale Veränderungen | 89 | ||
I. Verfassung, Rechtsordnung und Realität | 89 | ||
1. Verfassung und rechtlich strukturierte Realität | 89 | ||
2. Normative Kraft der Verfassung als übergeordnete Auslegungsmaxime | 91 | ||
II. Verfassungsinterpretation und Verfassungswandel | 93 | ||
III. Verfassungsprägung durch Realität? – Einzelfälle | 94 | ||
1. Verfassungsinterpretation und Verfassungsnegation – zur aktuellen Sicherheitsdebatte | 94 | ||
2. Rundfunkrecht | 97 | ||
3. Art. 6 Abs. 1 GG | 99 | ||
IV. Bilanz | 100 | ||
Oliver Lepsius: Zur Bindungswirkung von Bundesverfassungsgerichtsentscheidungen | 103 | ||
I. Faktische Bindungswirkung als Problem | 103 | ||
II. Gesetzliche Bindung nach § 31 BVerfGG | 106 | ||
III. Das „C. I.-Problem“ | 111 | ||
IV. Die maßstabsetzende Gewalt | 114 |