Das Recht in der Risikogesellschaft
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Das Recht in der Risikogesellschaft
Der Beitrag des Strafrechts zum Schutz vor modernen Produktgefahren
Strafrechtliche Abhandlungen. Neue Folge, Vol. 217
(2010)
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About The Author
Dr. Katharina Reus, Jahrgang 1981. Studium der Rechtswissenschaften, dreisemestrige Zusatzqualifikation im Pharmarecht und Promotion zum Dr. jur. an der Philipps-Universität Marburg. Dort auch langjährige Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Kriminalwissenschaften. Referendariat in Marburg, Bonn und Frankfurt. Seit 2011 Rechtsanwältin bei v. Boetticher Hasse Lohmann in Frankfurt. Juristische Themenschwerpunkte im Bereich Pharma- und Medizinprodukterecht, Compliance sowie Prozessführung.Abstract
Ausgehend von den Thesen des Soziologen Ulrich Beck, der unsere Zivilisation als Risikogesellschaft beschreibt, erörtert Katharina Reus die Möglichkeiten rechtlicher Steuerung von komplexen Gefahren in einem globalisierten Umfeld. Hier gibt es immer mehr grundsätzlich steuerbare Risiken, die eine Vielzahl von Menschen bedrohen, aber aufgrund ihrer Komplexität vom Einzelnen nicht erkannt und beherrscht werden können. Diese Risiken steigern das Schutzbedürfnis der Bürger und erzeugen einen Veränderungsdruck im staatlichen Sicherungssystem.Der Schwerpunkt der Arbeit liegt - neben Ausführungen zur dadurch notwendig werdenden (Neu-)Organisation des Gefahrenabwehrrechts - auf der Frage, welchen Beitrag das Strafrecht zur Sicherheit in einer "Risikogesellschaft" leisten kann. Exemplarisch verdeutlicht wird diese grundlegende Fragestellung im Bereich strafrechtlicher Produktverantwortlichkeit. Die Autorin diskutiert kritisch vor allem die Legitimität abstrakter Gefährdungsdelikte, auf die der Gesetzgeber zur Erfassung komplexer Lebensbereiche verstärkt zurückgreift, sowie mögliche Gründe für die bisweilen zu attestierende Ineffizienz und Symbolhaftigkeit des modernen Strafrechts. Ausgehend von den Legitimationsgrundlagen und verfassungsrechtlichen Grenzen von Strafe im Rechtsstaat schlägt sie vor, wie effektive strafrechtliche Strukturen auch in komplexen Lebensbereichen aussehen könnten, und belegt deren verfassungsrechtliche Zulässigkeit. Konkret wird die Implementierung einer kernstrafrechtlichen Vorschrift zur Produktverantwortlichkeit angeregt.
Table of Contents
Section Title | Page | Action | Price |
---|---|---|---|
Vorwort | 9 | ||
Inhaltsverzeichnis | 11 | ||
A. Einführung in die Problemstellung | 17 | ||
I. Einleitung | 17 | ||
II. Bedeutung und Ausmaß moderner Gefahren | 18 | ||
1. Größe des Schadensausmaßes | 19 | ||
2. Wissenschaftliche Unsicherheit hinsichtlich der Schädigungspotenziale | 19 | ||
3. Dynamik | 20 | ||
4. Risikobewertung und -abwehr durch den Einzelnen | 20 | ||
5. Zurechnung der Gefahr | 21 | ||
6. Vermeidbarkeit der Gefahren | 21 | ||
7. Fazit | 22 | ||
III. Staatlicher Schutz in der Risikogesellschaft | 22 | ||
IV. Zum Verständnis des Gefahr- und Risikobegriffs | 24 | ||
B. Verfassungs- und europarechtliche Aspekte des Umgangs mit modernen Risiken | 28 | ||
I. Verfassungsrechtliches und staatstheoretisches Spannungsfeld von Sicherheit und Freiheit | 28 | ||
II. Sicherheit | 29 | ||
1. Sicherheit durch staatliche Schutzpflichten | 30 | ||
a) Schutzpflichtherleitung des BVerfG | 30 | ||
b) Herleitungen in der Literatur | 33 | ||
aa) Ansatz der Zweidimensionalität des grundrechtlichen Freiheitsbegriffs | 33 | ||
bb) Menschenwürdeansatz | 33 | ||
cc) Staatstheoretischer Ansatz | 34 | ||
dd) Abwehrrechtlicher Ansatz | 35 | ||
c) Subjektive Rechte | 36 | ||
d) Inhalt und Ausmaß | 38 | ||
2. Sicherheit durch Schutzpflichten der Gemeinschaft | 39 | ||
a) Herleitung der Schutzpflichten | 39 | ||
aa) Aus den Gemeinschaftsgrundrechten | 39 | ||
bb) Aus dem Primärrecht | 41 | ||
b) Ausgestaltung und Umfang | 42 | ||
3. Fazit | 43 | ||
III. Freiheit | 43 | ||
IV. Ausgleich von Sicherheit und Freiheit | 44 | ||
C. Schutz auch bei Ungewissheit durch das Vorsorgeprinzip | 47 | ||
D. Gefahrenabwehrrecht bei modernen Risiken | 50 | ||
I. Vorverlagerung des Eingriffszeitpunkts | 50 | ||
II. Dynamisierung des Rechts | 51 | ||
1. Unfähigkeit des parlamentarischen Gesetzgebers zur Detailregelung | 52 | ||
2. Delegation der Gesetzgebung | 52 | ||
a) Generalklauseln | 53 | ||
b) Bestimmtheitsgebot | 53 | ||
c) Gewaltenteilungsgrundsatz | 55 | ||
d) Administrative Beurteilungsspielräume | 57 | ||
e) Private Regelwerke | 60 | ||
aa) Rechtssetzung | 60 | ||
(1) Normergänzende Verweisungen | 61 | ||
(2) Normkonkretisierende Verweisungen | 61 | ||
bb) Rechtsanwendung | 62 | ||
III. Revisionsoffenheit | 63 | ||
IV. Wachsende Beteiligung der Rechtsunterworfenen an staatlichen Schutzmaßnahmen | 64 | ||
1. Beratung und deren Steuerung | 64 | ||
2. Selbstkontrolle der Wirtschaft | 66 | ||
3. Kooperatives Verwaltungshandeln | 67 | ||
V. Fazit | 69 | ||
E. Strafrecht in der Risikogesellschaft | 71 | ||
I. Die Kritik der Frankfurter Schule am „Risikostrafrecht“ | 72 | ||
II. Stellungnahme | 75 | ||
III. Gang der Untersuchungen | 77 | ||
IV. Funktion und Legitimation von Strafe | 78 | ||
1. Präventiver Rechtsgüterschutz durch Trennung von Verhaltens- und Sanktionsnorm | 78 | ||
2. Legitime Verhaltensnorm | 81 | ||
a) Angemessener Rechtsgüterschutz | 81 | ||
b) Legitimationsperspektive | 82 | ||
c) Keine reinen Verursachungsverbote | 83 | ||
d) Tatbestand als Rechtsquelle | 84 | ||
3. Verhaltensnormverstoß durch geistige Infragestellung | 85 | ||
4. Tatbestandsmäßiges Verhalten | 86 | ||
5. Angemessene Reaktion auf den Verhaltensnormverstoß – Legitimation der Sanktionsnorm | 87 | ||
a) Besondere Eingriffsintensität und Effektivität der Strafe | 87 | ||
b) Voraussetzungen einer angemessenen strafrechtlichen Reaktion | 88 | ||
c) Geeignetheit und Erforderlichkeit als weitgehend abgeleitete Faktoren | 89 | ||
aa) Geeignetheit | 89 | ||
bb) Erforderlichkeit | 90 | ||
d) Andere staatliche Reaktionsinstrumente | 91 | ||
aa) Schadensersatz | 91 | ||
bb) Verwaltungs- und Berufsrecht | 93 | ||
cc) Ordnungswidrigkeiten | 94 | ||
e) Strafbarkeitslimitierende Funktion der Angemessenheitsprüfung | 95 | ||
6. Stellenwert von spezifischen Fehlverhaltensfolgen und anderen objektiven Gegebenheiten | 98 | ||
7. Fazit: Vom Nutzen des Strafrechts | 99 | ||
V. Pönalisierungsgebote als Ausfluss staatlicher Schutzpflichten | 101 | ||
VI. Zentrale Kritikpunkte der Erfassung moderner Risiken durch das Strafrecht | 104 | ||
1. Vorverlagerung des Strafrechtsschutzes durch abstrakte Gefährdungsdelikte | 104 | ||
a) Gründe für den Bedarf an abstrakten Gefährdungsdelikten: Ungewisse Kausalität | 105 | ||
b) Lösungsansätze de lege lata | 108 | ||
aa) Materiell-rechtlicher Lösungsansatz: Risikoerhöhungslehre | 108 | ||
bb) Prozessualer Lösungsansatz: Freie richterliche Beweiswürdigung | 109 | ||
cc) Fazit | 112 | ||
c) Definition abstrakter Gefährdungsdelikte und Abgrenzung zu anderen Deliktsformen | 114 | ||
d) Kritik an den abstrakten Gefährdungsdelikten | 116 | ||
aa) Legitimationsprobleme: Fehlender Rechtsgüterschutzbezug im Wortlauttatbestand | 116 | ||
(1) Lösungsansätze | 118 | ||
(a) Strafe auch bei ungefährlichen Verhaltensweisen | 119 | ||
(aa) Präsumtion | 119 | ||
(bb) Kindhäuser | 120 | ||
(cc) Kratzsch | 121 | ||
(dd) Schünemann und Wolter | 123 | ||
(b) Teleologische Reduktion bei ungefährlichem Verhalten | 125 | ||
(aa) Cramer | 125 | ||
(bb) Volz | 126 | ||
(cc) Ansichten, die sich auf die Fahrlässigkeitdogmatik beziehen | 126 | ||
(dd) Wolter | 128 | ||
(2) Defizite der dargestellten Lösungsansätze | 129 | ||
(3) Angemessene Lösung durch konsequente Trennung von Verhaltens- und Sanktionsnorm | 130 | ||
(a) Geschütztes Rechtsgut der Sanktionsnorm: Normgeltung | 130 | ||
(b) Legitimation der Verhaltensnorm | 131 | ||
(c) Tatbestandsmäßiges Verhalten | 133 | ||
(d) Kein „Erfolgsunrecht“ vonnöten | 133 | ||
(e) Annäherung an die konkreten Gefährdungsdelikte? | 135 | ||
(f) Zusammenfassung und Fazit | 138 | ||
bb) Problem der Überkriminalisierung: Verhältnismäßigkeit der Sanktion | 138 | ||
e) Ergebnis | 141 | ||
2. Ineffizienz des modernen Strafrechts am Beispiel von AMG und LFGB | 142 | ||
a) Aufbau der Gesetze | 145 | ||
aa) Grundnormen | 145 | ||
bb) Formalistische und detaillierte Einzelregelungen | 146 | ||
b) Inkonsistente Regulierung | 148 | ||
aa) Kaum eigenständige Anwendungsbereiche vieler Normen | 148 | ||
bb) Auffangfunktion bei Schutzlücken der Grundtatbestände | 149 | ||
(1) Ungewisse Schadenseignung | 149 | ||
(2) Beschränkung auf das Inverkehrbringen | 151 | ||
cc) Ineffizienz der Regulierung | 152 | ||
dd) Ergebnis | 153 | ||
c) Nachteile formalistischer, sehr detaillierter Straftatbestände | 153 | ||
aa) Schutzlücken trotz vieler Straftatbestände | 153 | ||
bb) Schwierigkeiten bei der angemessenen Bestrafung | 154 | ||
cc) Angemessene Strafverfolgung | 155 | ||
dd) Delegation der Strafgesetzgebung auf die Exekutive durch qualifizierte Blankettstrafnormen (Rückverweisungsklauseln) | 156 | ||
(1) Erwünschter Vorteil der qualifizierten Blankettgesetzgebung | 157 | ||
(2) Bedenken gegen qualifizierte Blankettstrafgesetze | 157 | ||
(a) Verstoß gegen den strengen Gesetzesvorbehalt | 157 | ||
(b) Fehleranfälligkeit der Regelungstechnik | 160 | ||
(c) Bestimmtheitsgebot | 160 | ||
(d) Fazit | 161 | ||
ee) Fazit | 162 | ||
d) Zwischenergebnis | 162 | ||
e) Generelle Regelungen, die ihre Legitimationsgründe offenlegen | 163 | ||
aa) Vorteile | 164 | ||
(1) Veränderungsoffenheit | 164 | ||
(2) Keine Strafbarkeitslücken | 164 | ||
(3) Erleichterung des Strafvollzugs und der angemessenen Sanktionierung | 164 | ||
(4) Kein Bedarf für Gesetzgebungsdelegationen | 165 | ||
bb) Modifikationsbedarf bei den Grundnormen in AMG und LFGB | 165 | ||
(1) Risikodelikte | 165 | ||
(a) Zulässigkeit der Vorverlagerung | 166 | ||
(aa) Angemessenheit | 166 | ||
(bb) Kein Verstoß gegen den Zweifelsgrundsatz | 168 | ||
(b) Fazit | 169 | ||
(2) Beschränkung auf das Inverkehrbringen | 169 | ||
(3) Beschränkung der Produktgruppen | 170 | ||
cc) Reformvorschlag zur strafrechtlichen Produktverantwortlichkeit von Freund | 171 | ||
dd) Kritikpunkte | 173 | ||
(1) Mangelnde Bestimmtheit | 173 | ||
(2) Rechtskonkretisierung als Aufgabe der Strafjustiz | 175 | ||
(3) Überkriminalisierung | 177 | ||
(4) Tatbestandsalternative des „Zum-Inverkehrbringen-Bereithaltens“ | 178 | ||
ee) Fazit | 180 | ||
f) Verbleibende Effektivitätsprobleme | 180 | ||
aa) Probleme bei der Ermittlung | 181 | ||
bb) Verantwortungszuschreibung | 182 | ||
cc) Probleme der „white collar-crime“ | 183 | ||
dd) Fazit | 184 | ||
g) Ergebnis zum Vorwurf des „symbolischen“ Rechts | 184 | ||
3. Ergebnis zum Strafrecht in der Risikogesellschaft | 186 | ||
F. Fazit und Ausblick | 188 | ||
Literaturverzeichnis | 190 | ||
Sachwortverzeichnis | 207 |