»Doppelindividualisierung« und Irrtum
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»Doppelindividualisierung« und Irrtum
Studien zur strafrechtlichen Lehre von der Erfolgszurechnung zum Vorsatz
Schriften zum Strafrecht, Vol. 193
(2007)
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Abstract
In der vorliegenden Untersuchung werden die Grenzfälle zwischen dem error in persona und der aberratio ictus behandelt: Um ein bestimmtes Objekt zu verletzen, nutzt der Täter eine geeignete Kausalkette aus und glaubt, das erwünschte Objekt werde in die Kausalkette geraten. In diesem Fall bestehen zwei Konkretisierungen im Tatplan, einmal hinsichtlich des Zielobjekts und einmal bezüglich des Angriffsobjekts der Kausalkette. Die tatsächliche Geschehensentwicklung ist jedoch anders als geplant, weshalb von einem Doppelindividualisierungsirrtum die Rede ist. Ein Beispiel: Der Täter baut in das Auto des B eine Bombe ein, um ihn beim Start zu töten. Ausnahmsweise benutzt jedoch dessen Frau das Auto und stirbt durch die Explosion.In seiner Untersuchung hat Yu-An Hsu festgestellt, dass die unterschiedlichen bisherigen Lösungsansätze aus der Perspektive von Psychologismus und Intellektualismus nicht in der Lage waren, die Problematik widerspruchsfrei zu bewältigen, denn der Täter kann seine Kenntnisse manipulieren. Aufgrund dieser Wechselbeziehung zwischen Wissen und Wollen kritisiert der Autor die bisherigen Meinungen. Sein Gegenmodell gründet er auf die Unterscheidung von Individuum und Person, sowie auf den Normbefolgungswillen und seinen Gegensatz, den Tatwillen, als Teile des normativen Willensbegriffs. Die subjektive Zurechnung bezieht sich auf die Bewertung der angewendeten subjektiven Befähigung des Handelnden, und ermöglicht es, den Tatwillen anhand der Art der pflichtwidrigen Reaktion des Handelnden festzustellen. Der Gemütszustand ist so zwar Gegenstand der Bewertung, nicht jedoch Bewertungsmaßstab. Durch die Unterscheidung von konkreter und abstrakter Kenntnis bleibt die Bewertung unabhängig davon, dass der Täter bei der Tatbegehung überhaupt nicht an deren Folgen denkt. Da die abstrakte Kenntnis die generellen Eigenschaften einer Tatsache oder einer Handlung enthält, ist diese Kenntnis jeder vernünftigen Person immanent. Der Tatwille als Vorsatz liegt dann vor, wenn ein beabsichtigtes Verhalten nach abstrakter Kenntnis mindestens regelmäßig eine Folge herbeiführt, gleichgültig, ob der Handelnde sich diese gewünscht oder vorgestellt hat.Mit der in dieser Arbeit vertretenen These werden die umstrittenen Irrtumsprobleme und die axiologisch ungerechte Behandlung der Tatsachenblindheit gelöst.
Table of Contents
Section Title | Page | Action | Price |
---|---|---|---|
Vorwort | 7 | ||
Inhaltsverzeichnis | 9 | ||
Einführung und Überblick über den Gang der Untersuchung | 17 | ||
Erster Teil: Das Problem des Doppelindividualisierungsirrtums | 19 | ||
§ 1 Die relevanten Fälle und ihre komplexe Problematik | 19 | ||
I. Untersuchung der Fallkonstellationen | 20 | ||
1. Bombenlegerfall | 20 | ||
a) Die konventionelle Situation – die falsche Person | 20 | ||
b) BGH NStZ 1998, 294 – das falsche Auto | 21 | ||
2. Telefonbeleidigerfall | 23 | ||
a) Fälle von error in persona | 23 | ||
b) Der diskussionswürdige Sachverhalt | 24 | ||
3. Fangbrieffall BGHSt. 9, 240 | 24 | ||
4. Enzianschnapsfall | 26 | ||
5. Weitere Fälle des Doppelindividualisierungsirrtums | 26 | ||
II. Bedeutung des Doppelindividualisierungsirrtums | 26 | ||
1. Die Problematik der Abgrenzbarkeit von aberratio ictus und error in objecto vel persona | 26 | ||
2. Die Problematik des Doppelindividualisierungsirrtums | 27 | ||
III. Überblick über die bisherigen Lösungsansätze | 28 | ||
§ 2 Der Meinungsstand im Einzelnen | 29 | ||
I. Gegenmeinungen zur Doppelindividualisierung | 29 | ||
1. Irrelevante Zusatzindividualisierung – Jakobs | 29 | ||
2. Zweifel an der Abgrenzung – Puppe und Loewenheim | 30 | ||
3. Gattungsvorsatz – Janiszewski | 31 | ||
II. Zum Vorschlag der Lösung über die Kausalität | 32 | ||
1. Irrtum über den Kausalverlauf | 33 | ||
2. Von der geistigen Identitätsvorstellung bis zur bekannten Gefahr – Herzberg | 34 | ||
3. Das durch den Mechanismus richtig verstandene Angriffsobjekt – Prittwitz | 35 | ||
4. Programmierung des Tatplans – Stratenwerth | 36 | ||
5. Theorie der Planverwirklichung – Roxin | 37 | ||
6. Der Strukturvergleich – Rath | 39 | ||
7. Die aktuelle Beherrschung – Toepel | 39 | ||
8. Lebenskonkreta – Grotendiek | 41 | ||
III. Kritische Zusammenfassung und Zwischenergebnis | 42 | ||
1. Doppelindividualisierungsirrtum als Kausalabweichung | 42 | ||
2. Doppelindividualisierungsirrtum als error in objecto oder aberratio ictus | 44 | ||
3. Die Gattungsvorsatzthese als Lösung? | 44 | ||
Zweiter Teil: Die für die Doppelindividualisierungsfälle relevanten dogmatischen Grundlagen der Irrtumslehre | 45 | ||
§ 3 Doppelindividualisierungsirrtum bei Kausalabweichungen | 45 | ||
I. Die Ansicht der Rechtsprechung zur Kausalabweichung – Vorzeitiger Erfolgseintritt als Hauptbeispiel | 45 | ||
1. Der Entführungsfall BGH NStZ 2002, 309 | 46 | ||
a) Auffassung und Bewertung des BGH | 46 | ||
b) Analyse der Rechtsprechung | 47 | ||
aa) Die subjektive Seite bei der ersten Stufe | 47 | ||
bb) Versuchsbeginn = Vorsatzbeginn? | 49 | ||
2. Der Luftinjektionsfall BGH NStZ 2002, 475 | 50 | ||
3. Der Eisenbahnsturzfall RG DStrR 1939, 177 | 51 | ||
4. BGH GA 1955, 123 | 52 | ||
5. Zwischenergebnis: Der BGH argumentiert zirkelhaft | 53 | ||
II. Meinungsstand in der Literatur | 53 | ||
1. Die Wesentlichkeitstheorie bei Kausalabweichung | 53 | ||
2. Die neue Lehre im Anschluss an die objektive Zurechnungslehre | 55 | ||
3. Die Auffassung von der Vorsatzgefahr – Puppe | 58 | ||
4. Die bekannte Gefahr – Herzberg | 59 | ||
5. Die Planverwirklichung – Roxin | 61 | ||
III. Zwischenergebnis | 63 | ||
1. Kritische Bemerkung: Kausalverlauf und subjektive Zurechnung | 63 | ||
2. Eine Lösung für den Doppelindividualisierungsirrtum? | 64 | ||
§ 4 Doppelindividualisierungsirrtum beim error in objecto vel persona | 66 | ||
I. Meinungsstand zum error in objecto vel persona | 66 | ||
1. Rechtsprechung und herrschende Meinung: Motivirrtum | 66 | ||
2. Tatwille bei der finalen Handlungstheorie | 68 | ||
3. Mindermeinung: Kausalverlaufsirrtum | 68 | ||
a) Wesentlicher Kausalverlaufsirrtum | 68 | ||
b) Unwesentlicher Kausalverlaufsirrtum | 70 | ||
II. Doppelindividualisierungsirrtum jenseits von error in objecto vel persona | 71 | ||
§ 5 Doppelindividualisierungsirrtum bei der aberratio ictus | 72 | ||
I. Meinungsstand zur aberratio ictus | 73 | ||
1. Die Versuchslösung – die sog. Konkretisierungstheorie | 73 | ||
a) Aberratio ictus als „Danebenschießen“ wegen Kausalabweichung | 73 | ||
b) Das erkannte Risiko | 75 | ||
c) Konkreter Tatwille – Hettinger | 76 | ||
d) Raumzeitkonkretisierung des Wollens bzw. des Vorsatzes – Rath | 77 | ||
2. Die Vollendungslösung | 78 | ||
a) Die sog. Adäquanztheorie | 78 | ||
b) Die sog. formelle Gleichwertigkeitstheorie | 80 | ||
aa) Gleichwertigkeit im Tatbestand und in der Vorstellung des Täters | 80 | ||
bb) Würdigung und Kritik | 82 | ||
c) Grundsatz der Vorsatzzurechnung und Vorsatzgefahr – Puppe | 84 | ||
3. Die differenzierende Lösung | 84 | ||
a) Materielle Gleichwertigkeitstheorie – Hillenkamp | 84 | ||
b) Die Planverwirklichung – Roxin | 86 | ||
4. Gesamtwürdigung und Kritik | 86 | ||
II. Der Doppelindividualisierungsirrtum jenseits der aberratio ictus | 87 | ||
1. Die Bedeutung der sinnlichen Wahrnehmung bei der aberratio ictus | 87 | ||
2. Objektive Prognose bei Doppelindividualisierungsirrtum | 88 | ||
Dritter Teil: Grundlagen der subjektiven Zurechnung und ihr Einfluss auf die Irrtumslehre | 90 | ||
§ 6 Entwicklung der Vorsatzlehre und Meinungsstand | 90 | ||
I. Feuerbach und der psychologische Vorsatzbegriff | 90 | ||
1. Theorie des psychologischen Zwangs als Grundlage | 90 | ||
2. Dolus und culpa | 91 | ||
a) Dolus als Absicht | 92 | ||
b) Culpa als ein Unterbegriff der Willensschuld | 93 | ||
3. Vorsatz-Fahrlässigkeit-Kombination | 94 | ||
4. Normativer Vorsatzbegriff? | 96 | ||
5. Die psychologische Vorsatzlehre nach Feuerbach | 97 | ||
II. Wesen und Ratio der Vorsatzbestrafung in der jüngeren Diskussion | 99 | ||
1. Vorsatz als Entscheidung zur Rechtsgutsverletzung | 99 | ||
a) Vorsatz als Planverwirklichung | 99 | ||
b) Vorsatz als Entscheidung gegen die rechtliche Verhaltensnorm | 101 | ||
c) Die sozialpsychische Perspektive – Frisch | 102 | ||
d) Vorsatz als hervorgehobener Modus des „Dafür-Könnens“ – Hassemer | 103 | ||
2. Vorsatz als willentliche Verletzung | 104 | ||
a) Die finale Handlungstheorie – Welzel | 104 | ||
b) Der verletzende Wille – E. A. Wolff, Zaczyk und Köhler | 106 | ||
3. Vorsatz als Wissen | 109 | ||
a) Wissen als Grund der Akzeptabilität – Jakobs | 109 | ||
b) Die Lehre der Vorsatzgefahr – Puppe | 111 | ||
c) Die analytische Handlungstheorie – Kindhäuser | 114 | ||
III. Das sog. Kompensierungsverhältnis zwischen Wissen und Wollen | 117 | ||
1. Die Bedeutung der Kompensierung | 117 | ||
2. Problematik beim typologischen Vorsatzbegriff | 118 | ||
IV. Anmerkung zu der oben wiedergegebenen Diskussion | 119 | ||
§ 7 Vorsatz und Irrtum gem. § 16 StGB | 120 | ||
I. Zur Entstehungsgeschichte von § 16 StGB | 120 | ||
II. Zur strafrechtlichen Dogmatik von § 16 StGB | 123 | ||
1. Die sog. Kehrseite von § 16 StGB | 123 | ||
2. § 16 StGB als Lösung für das Problem des Tatbestandsirrtums? | 124 | ||
III. § 16 StGB im Lichte von Psychologismus und Intellektualismus | 125 | ||
IV. Zwischenergebnis | 127 | ||
Vierter Teil: Entwicklung eines neuen Lösungsansatzes: Doppelindividualisierungsirrtum als Tatabweichung | 128 | ||
§ 8 Vorsatz als normative Institution | 128 | ||
I. Grundlage der subjektiven Zurechnung | 128 | ||
1. Grundzüge einer Person in der Gesellschaft | 128 | ||
2. Normbefolgungswille als Grundhaltung einer Person bei ihrer Handlung | 129 | ||
II. Der Wille als Element der Zurechnung | 132 | ||
1. Der normative Willensbegriff | 132 | ||
2. Der Wille im psychologischen Sinne? | 134 | ||
a) Der Willensbegriff seit Luden bis zur kausalen Handlungslehre | 134 | ||
b) Die Trennung innerhalb des Willens bei Welzel | 136 | ||
c) Der ontologische Willensbegriff der heute h. M. in der Literatur | 137 | ||
§ 9 Wissen und Wollen bei der subjektiven Zurechnung | 140 | ||
I. Die Ebenen und der Inhalt der Kenntnis | 140 | ||
1. Abstrakte Kenntnis und konkrete Kenntnis | 140 | ||
2. Die Bedeutung der Unterscheidung zwischen konkreter und abstrakter Kenntnis | 144 | ||
3. Kenntnis, Erkennbarkeit und sog. allgemeine Lebenserfahrung | 148 | ||
4. Der Inhalt der Kenntnis | 150 | ||
II. Die Beziehung zwischen Wissen und Wollen | 151 | ||
1. Die konventionelle Erklärung im Strafrecht | 152 | ||
2. Die Wechselseitigkeit von Wissen und Wollen | 155 | ||
3. Vermeidungsmotiv, Wissen und Wille | 157 | ||
III. Die Schuldformen und die subjektive Zurechnung | 159 | ||
1. Die Kenntnis beim Versuch | 159 | ||
2. Kenntnis, Unkenntnis und Fahrlässigkeit | 161 | ||
a) Die unbewusste Fahrlässigkeit | 161 | ||
b) Die sog. bewusste Fahrlässigkeit und das Vertrauen | 162 | ||
3. Die Kenntnis bei den drei Erscheinungsformen des Vorsatzes | 164 | ||
a) Absicht | 164 | ||
b) Wissentlichkeit | 166 | ||
c) dolus eventualis | 167 | ||
4. Die Kenntnis und der Willen beim Unterlassungsdelikt | 167 | ||
IV. Zwischenergebnis | 169 | ||
1. Der Vorsatz als Tatwille | 169 | ||
2. Die Bedeutung der abstrakten Kenntnis | 170 | ||
§ 10 Irrtum und die subjektive Zurechnung | 170 | ||
I. Bedeutung der Unkenntnis im Strafrecht | 170 | ||
1. Unkenntnis als Grund für Straferleichterung | 171 | ||
a) Unkenntnis als Unfreiwilligkeit | 171 | ||
b) Unkenntnis der „starken“ Norm | 173 | ||
c) Der nicht vorhandene Tatwille | 174 | ||
2. Unkenntnis als Irrtum in der Strafrechtsdogmatik | 175 | ||
3. Die Bedingung eines relevanten Irrtums | 177 | ||
II. Vorliegen von nicht relevanten Irrtümern | 179 | ||
1. Die verschuldete Unkenntnis | 179 | ||
2. Die Problematik der Tatsachenblindheit | 185 | ||
a) Die Diskussion über die Tatsachenblindheit | 186 | ||
b) Essenz der Tatsachenblindheit | 189 | ||
c) Die überlieferte Lösung zum Irrtumsproblem – dolus indirectus | 192 | ||
aa) Historische Rückschau | 193 | ||
bb) Gleichgültigkeit als dolus indirectus – Jakobs | 196 | ||
d) Würdigung und Kritik | 199 | ||
III. Zwischenergebnis | 200 | ||
1. Konkrete Kenntnis, abstrakte Kenntnis und Irrtum | 200 | ||
2. Unkenntnis und Tatwille | 200 | ||
§ 11 Lösung für die Irrtumsproblematik und ihre Fälle | 201 | ||
I. Die objektive Interpretation des § 16 StGB | 202 | ||
1. Die objektive und widerspruchsfreie Interpretation | 202 | ||
2. Überlegungen zum Unkenntnisbegriff im Sinne des § 16 StGB | 204 | ||
II. Die Kausalabweichung | 206 | ||
1. Der sog. Irrtum über den Kausalverlauf | 206 | ||
2. Der vorzeitige Erfolgseintritt | 207 | ||
3. Der sog. dolus generalis | 208 | ||
III. Aberratio ictus und error in persona | 210 | ||
1. Die Standardfälle | 210 | ||
2. Die verwandten Fälle | 211 | ||
a) Anstiftung | 212 | ||
b) Mittelbare Täterschaft | 214 | ||
IV. Strafrechtliche Bewertung des Doppelindividualisierungsirrtums | 216 | ||
1. Mangel an der objektiven Zurechenbarkeit | 216 | ||
2. Regelmäßigkeit der Tatbestandsverwirklichung | 217 | ||
a) Bombenlegerfall | 217 | ||
b) Fangbrieffall | 219 | ||
c) Essplatz- und Hotelzimmerwechselfall | 220 | ||
3. Unregelmäßigkeit der Tatbestandsverwirklichung | 220 | ||
§ 12 Ergebnisse | 221 | ||
I. Zusammenfassung der vorliegenden Untersuchung in Thesen | 221 | ||
II. Schlussbetrachtung und Ausblick | 225 | ||
Literaturverzeichnis | 226 | ||
Sachwortverzeichnis | 245 |