Gewaltanwendung unter und neben der UN-Charta
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Gewaltanwendung unter und neben der UN-Charta
Schriften zum Völkerrecht, Vol. 172
(2007)
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Abstract
Das Gewaltverbot nach Art. 2 Abs. 4 UN-Charta ist eine seit dem Inkrafttreten der UN-Charta unveränderte Kernnorm dieses Vertrags. Jedoch hat sich die Art, auf welche Staaten und staatsähnliche Akteure gewaltsame Auseinandersetzungen durchführen, in der Zwischenzeit stark verändert. Die sogenannte intelligente Kriegsführung hat die konventionelle in weiten Bereichen abgelöst. Daneben gab es Veränderungen in anderen Bereichen des Völkerrechts, die gleichfalls Auswirkungen auf das Gewaltverbot haben können, so z. B. bei Menschenrechtsverträgen.Unter diesen Gesichtspunkten untersucht Christian Stelter das Gewaltverbot. Er geht dabei u. a. der Frage nach, ob das Gewaltverbot nach wie vor Geltung beanspruchen kann, welche »modernen« Maßnahmen unter das Verbot fallen und inwieweit nichtstaatliche Akteure an das Gewaltverbot gebunden sind. Mit Blick auf die Rechtfertigungsgründe untersucht er, wie diese angesichts der Veränderungen auszulegen sind. In dieser Hinsicht werden z. B. präemptive Maßnahmen der Staaten und die Möglichkeiten des UN-Sicherheitsrats in den Blick genommen. Ausgehend von dem gewonnenen Bild des derzeitigen Umfangs des Gewaltverbots geht der Autor sodann der Frage nach, ob das ius contra bellum in Anbetracht der zuvor gewonnenen Erkenntnisse vor einem Wandel steht.Bestehende Regelungsdefizite machen eine partielle Reform notwendig. Diese ist in Anbetracht der bestehenden Revisionsmöglichkeiten und Kräfteverhältnisse in den Vereinten Nationen nicht zu erwarten. Die zukünftige Entwicklung des Gewaltverbots ist daher ungewiß.
Table of Contents
Section Title | Page | Action | Price |
---|---|---|---|
Vorwort | 5 | ||
Inhaltsübersicht | 7 | ||
Inhaltsverzeichnis | 9 | ||
Abkürzungsverzeichnis | 14 | ||
A. Einleitung: Untersuchungsgegenstand und Gang der Darstellung | 17 | ||
B. Ein Wandel der tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten als Anlaß für eine kritische Bestandsaufnahme des bestehenden völkerrechtlichen Systems zur Regelung der Gewaltanwendung | 19 | ||
I. Bereiche, die einem Wandel in tatsächlicher Hinsicht oder einer veränderten Wahrnehmung unterlegen sind | 19 | ||
1. Veränderte Wahrnehmung in bezug auf Verletzungen des Gewaltverbots nach Art. 2 Abs. 4 UN-Charta | 19 | ||
2. Terrorismus als strukturelle Problemlage | 21 | ||
3. Veränderte Möglichkeiten des Angriffs und der Verteidigung als instrumentelle Problemlagen | 25 | ||
a) Infrastrukturelle Gegebenheiten (Luftverkehr, Seewege) | 25 | ||
b) Veränderungen auf dem Datenverarbeitungs- und Telekommunikationssektor | 25 | ||
(1) Durch moderne Technologie bewirkte Veränderungen auf dem öffentlichen und privaten Sektor | 26 | ||
(2) Informationsoperationen | 27 | ||
(a) Informationsoperationen als moderne Problemlage | 27 | ||
(b) Logische Bomben | 30 | ||
(c) Sniffer | 31 | ||
(d) Denial of Service-Angriffe | 31 | ||
(e) Computerviren und -würmer | 31 | ||
(f) Video morphing | 32 | ||
(g) Informationsblockade | 32 | ||
(h) IP-Spoofing | 32 | ||
(i) Tatsächliche Zwischenfälle im Bereich der Informationsoperationen | 33 | ||
c) Zunahme der Effizienz, Verfügbarkeit und Verbreitung von Massenvernichtungswaffen | 35 | ||
II. Bereiche mit rechtlichem Wandel | 37 | ||
1. Wirtschaftsvölkerrecht | 37 | ||
2. Internationaler Menschenrechtsschutz | 38 | ||
a) Entwicklung des internationalen Menschenrechtsschutzes | 39 | ||
b) Schutz des Individuums durch völkerrechtliche Basisschutzregeln | 40 | ||
c) Weitergehende völkerrechtliche Verträge zum Menschenrechtsschutz | 42 | ||
(1) Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR) | 42 | ||
(2) Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IPwirtR) | 44 | ||
(3) Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) | 45 | ||
(a) Gewährleistete Rechte | 46 | ||
(b) Zusatzprotokolle zur Europäischen Menschenrechtskonvention | 46 | ||
(c) Durchsetzung der Konventionsrechte | 47 | ||
(4) Weitere internationale Abkommen | 48 | ||
(a) Amerikanische Konvention über Menschenrechte | 48 | ||
(b) Afrikanische Charta der Menschenrechte und Rechte der Völker | 49 | ||
d) Verstärkung der Wirkkraft der Menschenrechte als generelle Entwicklungslinie | 49 | ||
C. Gewaltanwendung unter oder neben der Charta – eine Bestandsaufnahme | 51 | ||
I. Das Gewaltverbot nach Art. 2 Abs. 4 UN-Charta | 51 | ||
1. Inhalt des Begriffs der Gewalt | 51 | ||
a) Ausgangspunkt: Wortlaut des Art. 2 Abs. 4 UN-Charta | 51 | ||
b) Art der Auslegung der UN-Charta | 53 | ||
c) Gewalt im Sinne von Art. 2 Abs. 4 UN-Charta: Ein weites Begriffsverständnis mit sachlicher Einschränkung | 60 | ||
d) Ausübung wirtschaftlichen und politischen Drucks | 61 | ||
e) Gewaltanwendung ohne direkten Angriff mit Truppen | 62 | ||
f) Der Sonderbereich der sog. Informationsoperationen | 65 | ||
(1) Wortlaut | 66 | ||
(2) Systematik | 67 | ||
(3) Teleologische Auslegung | 70 | ||
(a) Berücksichtigungsfähigkeit der Folgen der Operation | 72 | ||
(b) Weitergehende Auslegung anhand einzelner Entscheidungskriterien | 75 | ||
(c) Zwischenergebnis: Informationsoperationen de lege lata unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck des Art. 2 Abs. 4 UN-Charta | 78 | ||
(4) Staatenpraxis | 78 | ||
(a) Convention on Cybercrime | 79 | ||
(b) Council Framework Decision on attacks against information systems | 79 | ||
(c) Weitere internationale Praxis | 80 | ||
(d) Zwischenergebnis bezüglich der Staatenpraxis | 80 | ||
(5) Auslegungsergebnis | 80 | ||
(6) Nichtvergleichbarkeit mit wirtschaftlichem und politischem Druck als Lackmustest für die Einordnung von Informationsoperationen | 81 | ||
g) Gesamtbetrachtung zum Gewaltbegriff de lege lata | 82 | ||
2. Fortgeltung des Gewaltverbots als zwingendes geschriebenes Recht | 84 | ||
a) Untersuchung des rechtlichen Fortbestands des Gewaltverbots | 85 | ||
(1) Gang der Darstellung | 85 | ||
(2) Fragliches Außerkrafttreten des Art. 2 Abs. 4 UN-Charta | 86 | ||
(a) Desuetudo | 88 | ||
(aa) Nichtanwendung oder Verletzung einer vertraglichen Norm | 90 | ||
(bb) Zurechenbarkeit zu einem Staat | 93 | ||
(cc) Überzeugung von der Rechtmäßigkeit des Vorgehens bei den betroffenen Parteien | 93 | ||
(dd) Kein Außerkrafttreten des Art. 2 Abs. 4 UN-Charta aufgrund von desuetudo | 96 | ||
(b) Abänderndes Gewohnheitsrecht | 97 | ||
(c) Unklarheit und Unbestimmtheit der Norm | 99 | ||
(d) Clausula rebus sic stantibus | 101 | ||
b) Zwischenergebnis: Fortbestand des Gewaltverbots | 106 | ||
3. Regelungsbereich: Anwendung und Androhung von Gewalt | 107 | ||
4. Einschränkungen des Gewaltverbots auf Tatbestandsebene | 110 | ||
5. Gewohnheitsrechtliche Geltung des Gewaltverbots | 113 | ||
a) Bedeutung des Gewohnheitsrechts neben der Charta-Bestimmung | 113 | ||
b) Gewaltverbot als Teil des Völkergewohnheitsrechts | 114 | ||
6. Adressaten des Gewaltverbots | 120 | ||
a) Zur Einhaltung verpflichtete Völkerrechtssubjekte | 120 | ||
(1) Staaten | 120 | ||
(2) De-Facto-Regime | 121 | ||
(3) Internationale Organisationen | 127 | ||
(4) Individuen | 131 | ||
b) Durch das Gewaltverbot geschützte Subjekte | 132 | ||
7. Gewaltverbot als ius cogens | 135 | ||
II. Resolutionen nach Kapitel VII als Rechtfertigungsgrund | 139 | ||
1. Die ursprüngliche Konzeption: Konzentration von erlaubten gewaltsamen Maßnahmen beim UN-Sicherheitsrat | 139 | ||
a) Die Sonderabkommen nach Art. 43 UN-Charta als Ausgangspunkt der ursprünglichen Konzeption | 141 | ||
b) Das Nichtzustandekommen der Sonderabkommen | 142 | ||
2. Ermächtigung einzelner Staaten oder von Staatengruppen auf der Basis von Kapitel VII der UN-Charta | 144 | ||
a) Voraussetzungen der Ermächtigung | 145 | ||
(1) Praktische Bedeutung der Merkmale der Art. 39ff. UN-Charta | 145 | ||
(2) Angriffshandlung | 149 | ||
(3) Bruch des Friedens | 151 | ||
(4) Bedrohung des Friedens | 153 | ||
b) Befugnis des UN-Sicherheitsrats zur Ermächtigung | 157 | ||
c) Anforderungen an die ermächtigenden Resolutionen | 163 | ||
(1) Art der Ermächtigung | 163 | ||
(2) Zeitliche Geltung | 170 | ||
(3) Verhältnismäßigkeit der ermächtigenden Resolutionen | 172 | ||
d) Rahmenbedingungen der Gewaltausübung bei vorliegender Ermächtigung | 174 | ||
e) Resolutionspraxis | 177 | ||
III. Die (sonstigen) Einschränkungen des Gewaltverbots | 184 | ||
1. Selbstverteidigung nach Art. 51 UN-Charta | 184 | ||
a) Das „naturgegebene“ Selbstverteidigungsrecht | 185 | ||
b) Das Verhältnis des Art. 51 UN-Charta zum gewohnheitsrechtlichen Selbstverteidigungsrecht | 187 | ||
c) Begriff des bewaffneten Angriffs im Sinne von Art. 51 UN-Charta | 192 | ||
(1) Begriffsbestimmung | 192 | ||
(a) Unterscheidung zwischen Gewaltanwendung und bewaffnetem Angriff | 195 | ||
(b) Bedeutung des bewaffneten Angriffs | 197 | ||
(c) Bedeutung der UN-Generalversammlungs-Resolution 3314 für die Auslegung des Begriffs | 200 | ||
(d) Gewaltsame Maßnahmen gegen Staatsangehörige und Einrichtungen auf fremdem Staatsgebiet | 203 | ||
(e) Zusammenfassung und Stellungnahme zu Maßnahmen unterhalb des bewaffneten Angriffs | 208 | ||
(f) Schwere Menschenrechtsverletzungen als bewaffneter Angriff | 210 | ||
(g) Informationsoperationen als bewaffnete Angriffe | 211 | ||
(2) Urheber des bewaffneten Angriffs | 214 | ||
(a) Staaten | 215 | ||
(b) De-facto-Regime | 215 | ||
(c) Maßnahmen durch Private, insbesondere durch internationale Terrororganisationen | 216 | ||
d) Gegenwärtigkeit des bewaffneten Angriffs | 226 | ||
(1) Mögliche zeitliche Konstellationen | 227 | ||
(a) Selbstverteidigungsmaßnahmen als Reaktion auf einen bewaffneten Angriff | 227 | ||
(b) Interzeptive Selbstverteidigung | 227 | ||
(c) Präventive Selbstverteidigung | 228 | ||
(d) Präemptive Selbstverteidigung | 229 | ||
(e) Maßnahmen nach Abschluß eines bewaffneten Angriffs | 230 | ||
(2) Bestehen des Gegenwärtigkeitserfordernisses im Rahmen des Art. 51 UN-Charta | 230 | ||
(a) Das ‚Scheitern‘ des UN-Sicherheitsrats als möglicher Rechtsgrund für eine weite Auslegung des Art. 51 UN-Charta | 232 | ||
(b) Die veränderte Bedeutung des internationalen Terrorismus und die Verfügbarkeit von Massenvernichtungswaffen als Gründe für eine weite Interpretation | 235 | ||
(3) Präventive und präemptive Selbstverteidigung nach Völkergewohnheitsrecht | 240 | ||
(a) Präventives völkergewohnheitsrechtliches Selbstverteidigungsrecht | 240 | ||
(b) Präemptive Selbstverteidigung | 245 | ||
e) Rechtsfolgen bei Eingreifen des Selbstverteidigungsrechts nach Art. 51 UN-Charta | 255 | ||
(1) Notifikationspflicht | 255 | ||
(2) Maßnahmen nur vorläufiger Natur als Grundprinzip | 257 | ||
(3) Feststellung einer Selbstverteidigungssituation durch den UN-Sicherheitsrat | 259 | ||
(4) Individuelle und kollektive Selbstverteidigung | 260 | ||
(5) Geltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes | 262 | ||
(a) Erforderlichkeit | 264 | ||
(b) Angemessenheit | 265 | ||
2. Die humanitäre Intervention | 267 | ||
a) Keine Grundlage in der UN-Charta | 268 | ||
b) Die humanitäre Intervention im Völkergewohnheitsrecht | 268 | ||
3. Notstand | 280 | ||
4. Rettung eigener Staatsangehöriger im Ausland | 282 | ||
IV. Folgen einer Verletzung des Gewaltverbots | 284 | ||
D. Ius ad bellum vor einem Wandel? | 287 | ||
I. Festgestellte Regelungsdefizite | 287 | ||
II. Reformmöglichkeiten im Bereich des Gewaltverbots | 291 | ||
1. Reform von Kapitel VII der UN-Charta inklusive der Beschlußfassung | 293 | ||
2. Erweiterung des Selbstverteidigungsrechts und Schaffung neuer geschriebener Rechtfertigungsgründe | 295 | ||
3. Ansätze auf der Basis der geltenden UN-Charta | 298 | ||
4. Schaffung ergänzender multilateraler Regelungsinstrumente | 300 | ||
III. Ausblick | 301 | ||
Literaturverzeichnis | 303 | ||
Sachregister | 318 |