Autonomie und strafrechtlicher Paternalismus
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Autonomie und strafrechtlicher Paternalismus
Schriften zum Strafrecht, Vol. 217
(2011)
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Ioannis Gkountis, geboren 1979 in Larissa (Griechenland), studierte Jura an der Demokritus Universität Thrazien. Nach einem Aufbaustudium (LL.M. im Deutschen Recht) an der Ludwig-Maximilians-Universität in München promovierte er ebendort unter der Betreuung von Professor Dr. Schünemann.Abstract
Der Zweck des Strafrechts besteht im Schutz von Rechtsgütern. Ihre Bewahrung stellt den eigentlichen Legitimationsgrund des Strafrechts dar. In den letzten Jahrzehnten wird jedoch die Tendenz des Gesetzgebers beobachtet, strafrechtliche Regelungen zu erlassen, welche nicht die Erhaltung von "wahren" Rechtsgütern ins Zentrum legen, sondern vornehmlich dem Zweck dienen, den "Täter" vor den schädlichen Folgen seines selbstbezogenen - und daher die Interessen Dritter nicht tangierenden - Verhaltens zu bewahren.Diese Art "öffentlicher Einmischung" in das individuelle Leben, welche den Einzelnen lediglich vor sich selbst schützen will, wird als strafrechtlicher Paternalismus bezeichnet. Die paternalistische Doktrin lässt sich allerdings in der heutigen liberal konzipierten Strafrechtsordnung kaum rechtfertigen, denn sie zieht zu ihrer Legitimation argumentative Topoi heran, die im Rahmen der heutigen strafrechtsdogmatischen Diskussion als höchst problematisch betrachtet werden.Vor allem missachtet die paternalistische Doktrin die fundamentale kritische Funktion des Rechtsgutbegriffs sowie die maßgebende Rolle, welche den als Konstitutionsprinzipien des modernen Rechtsstaates aufzufassenden Werten der individuellen Würde und der freien Selbstbestimmung bei der Feststellung und anschließenden Ausgrenzung dubioser Zwecksetzungen aus dem Schutzfeld des Strafrechts zukommt.
Table of Contents
Section Title | Page | Action | Price |
---|---|---|---|
Vorwort | 9 | ||
Inhaltsverzeichnis | 11 | ||
A. Einleitung | 17 | ||
I. „Der Schutz des Menschen vor sich selbst“: Das Problem des staatlichen Paternalismus | 18 | ||
II. Erscheinungsformen des staatlichen Paternalismus | 20 | ||
1. Aktiver und passiver Paternalismus | 21 | ||
2. Indirekter und direkter Paternalismus | 21 | ||
3. Reiner und unreiner Paternalismus | 22 | ||
4. Harter und weicher Paternalismus | 22 | ||
III. Die Auferlegung „objektiver“ Wohlfahrtspläne durch das Strafrecht | 23 | ||
1. Das Verbot des Umgangs mit Drogen durch die Bestimmungen des Betäubungsmittelgesetzes | 24 | ||
2. Die Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen | 31 | ||
3. Die Regelung des Transplantationsgesetzes über die Lebendspende von Organen | 37 | ||
4. Die Bestimmungen des Arzneimittelgesetzes über die klinische Forschung am Menschen | 39 | ||
5. Die Begrenzung der Einwilligungsfreiheit durch die Klausel der „guten Sitten“ | 43 | ||
6. Folgerungen | 45 | ||
IV. Demonstrandum und wesentliche Punkte der Untersuchung | 46 | ||
B. Die Thematisierung der Paternalismusproblematik durch die politische Philosophie der Aufklärung | 49 | ||
I. Die aufklärerische Wende zum Menschen und der Aufstieg des Naturrechts – Die Theorie des Naturzustands | 50 | ||
II. Die angeborenen Rechte des Menschen und der Freiheitsbegriff des älteren Naturrechts | 53 | ||
III. Das Zwielicht des status naturalis, der Übergang zum status civilis und die Stellung des Menschen innerhalb der organisierten Staatsstruktur | 58 | ||
IV. Der Übergang zum status civilis in der deutschen Philosophie und die Geburt der Idee des staatlichen Paternalismus – Der Ansatz Christian Wolffs | 63 | ||
V. Die wachsenden Bedenken gegenüber der Herrschaftsmacht im deutschen Kulturraum und die Entstehung der ersten Ansätze antipaternalistischen Staatsdenkens | 69 | ||
VI. Der fundamentale Antipaternalismus des jüngeren deutschen Naturrechts – Die kritische Aufklärungsphilosophie Wilhelm von Humboldts und Immanuel Kants | 71 | ||
VII. Die Bestimmung der legitimen Grenzen der staatlichen Tätigkeit in der postaufklärerischen Zeit – Die Grundlegung des modernen antipaternalistischen Denkens in der liberalen Doktrin John Stuart Mills | 88 | ||
VIII. Zusammenfassung der wichtigsten Feststellungen | 97 | ||
IX. Folgerungen aus der historisch-philosophischen Betrachtung der Problematik des staatlichen Paternalismus | 97 | ||
C. Die Bestimmung des Autonomiebegriffs aus philosophischer Perspektive und seine Gewichtung gegenüber der Doktrin des staatlichen Paternalismus | 99 | ||
I. Die unterschiedlichen Konzeptionen der Autonomie | 99 | ||
1. Der Unterschied zwischen moralischer und persönlicher Autonomie | 100 | ||
2. Die Autonomie als idealer Zustand | 103 | ||
a) Die Autonomie nach Joseph Raz | 103 | ||
b) Der Ansatz von John Rawls zum Wesen der Autonomie | 107 | ||
3. Die Autonomie als negative und positive Freiheitskonzeption (Isaiah Berlin) | 109 | ||
4. Die Autonomie als „deskriptives“ Konzept und als angeborene Eigenschaft des Menschen („descriptive“ and „ascriptive“ models of autonomy – Der Beitrag von Richard Fallon) | 111 | ||
5. Die Autonomie als das Konzept der „bewussten“ Lebensführung: Der Beitrag von Gerald Dworkin und Harry Frankfurt | 115 | ||
6. Die liberale Autonomiekonzeption Joel Feinbergs | 118 | ||
7. Zusammenfassend zum Begriff der persönlichen Autonomie | 132 | ||
II. Das Verhältnis der persönlichen Autonomie zum objektiven Wohl des Individuums: „one’s right versus one’s good“ | 133 | ||
III. Die Freiwilligkeit als Maßstab autonomen Verhaltens | 137 | ||
1. Freiwilligkeitsausschließende Faktoren | 137 | ||
2. Das Verhältnis der Freiwilligkeit zu angrenzenden Begriffen | 145 | ||
a) Freiwilligkeit und Vernünftigkeit | 146 | ||
b) Freiwilligkeit und „personal integrity“ | 149 | ||
c) Freiwilligkeit und Freiheitsmaximierung. | 151 | ||
3. Die praktische Festlegung der Freiwilligkeit des individuellen Verhaltens | 151 | ||
4. Zusammenfassend zum Begriff der Freiwilligkeit | 153 | ||
IV. Folgerungen aus der Analyse des Autonomiebegriffs für die Frage der Zulässigkeit der paternalistischen Doktrin | 154 | ||
D. Die Stellung der Autonomie in der liberalen Ordnung des Grundgesetzes | 156 | ||
I. Die Entstehungsgeschichte des geltenden Grundgesetzes | 157 | ||
II. Die Würde des Menschen als Fundament des modernen Staates | 162 | ||
III. Die Konkretisierung des Wesensgehalts der Menschenwürde: Die Autonomie als fundamentaler Bestandteil des Eigenwertes der Person | 164 | ||
IV. Die positivrechtliche Verankerung und der Schutz des Autonomieprinzips | 170 | ||
V. Die legitimen Schranken der persönlichen Autonomie | 172 | ||
VI. Zusammenfassung | 174 | ||
E. Das Rechtsgutskonzept und seine Bedeutung für die Einschränkung der Strafgesetzgebung | 176 | ||
I. Der historische Ursprung und die Entwicklung des Rechtsgutsdogmas | 177 | ||
II. Das Rechtsgut und seine Funktion in der neueren Zeit – Die Rolle des Grundgesetzes als Bezugspunkt für den Strafgesetzgeber | 198 | ||
III. Die Substanzhaftigkeit des Rechtsguts | 202 | ||
IV. Feststellungen | 205 | ||
F. Die Beurteilung der paternalistischen Doktrin im Lichte des liberalen Staates | 207 | ||
I. Die Unvertretbarkeit des harten strafrechtlichen Paternalismus | 207 | ||
1. Die Wertordnung des Grundgesetzes als normativer Maßstab der Strafgesetzgebung | 208 | ||
2. Die Ausscheidung reiner Abstraktionen aus dem Schutzfeld des Strafrechts | 209 | ||
3. Die Unzulässigkeit der Auferlegung der geltenden Moral durch das Strafrecht | 211 | ||
4. Die Ausgrenzung des Tabuschutzes aus dem Interessenbereich des modernen Strafrechts | 213 | ||
5. Der subsidiäre Charakter des Strafrechts – Der verfehlte Einsatz der Strafe im Fall des harten Paternalismus | 215 | ||
II. Die Zulässigkeit des weichen strafrechtlichen Paternalismus | 217 | ||
G. Zusammenfassende Betrachtung und Schlussgedanken | 221 | ||
Literaturverzeichnis | 225 | ||
Sachwortverzeichnis | 237 |