Rechtsbeugung durch Verletzung übergesetzlichen Rechts
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Rechtsbeugung durch Verletzung übergesetzlichen Rechts
Schriften zum Strafrecht, Vol. 176
(2006)
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Abstract
Der Rechtsbeugungstatbestand ist in den neunziger Jahren durch die Strafverfolgung der DDR-Systemverbrechen nicht nur Gegenstand wegweisender höchstrichterlicher Urteile, sondern auch Thema zahlreicher strafrechtlicher Untersuchungen geworden. Das besondere Interesse an diesem Tatbestand erklärt sich zunächst mit der Vielzahl strafrechtsdogmatischer Fragen, die § 339 StGB aufwirft. Darüber hinaus machte das Bemühen um die Strafverfolgung des DDR-Justizunrechts die Grenzen, die auch dem Rechtsstaat bei der Aufarbeitung von Systemunrecht gesetzt sind, in besonderem Maße deutlich. Die Suche nach Rechtsmaßstäben zur Beurteilung von Taten, die in einem fremden Rechtssystem begangen wurden, führte die Gerichte und die Jurisprudenz - ähnlich wie schon bei der Strafverfolgung der NS-Verbrechen - in über die Strafrechtsdogmatik hinausgehende Bereiche der Rechtsphilosophie, des allgemeinen Staatsrechts und des Völkerrechts. Die im Rechtsstaat oft nur noch theoretisch interessierende Frage nach dem Verhältnis von Gesetz und Gerechtigkeit, die Frage nach dem "richtigen Recht" - letztlich auch die Frage nach der Legitimation des Strafrechts - erlangte hier unmittelbare, praktische Bedeutung.Vor diesem Hintergrund diskutiert die Autorin die Rechtsbeugungsstrafbarkeit wegen der Verletzung übergesetzlichen Rechts. Einem Überblick über die rechtsphilosophische Rechtsbeugungsdebatte und über die aktuelle strafrechtsdogmatische Diskussion des § 339 StGB folgt eine Analyse der praktischen Bedeutung übergesetzlichen Rechts in der Rechtsprechung zum NS- und DDR-Justizunrecht. Hierauf aufbauend wird das Zusammenwirken strafrechtlicher, staatsrechtlicher, rechtsphilosophischer und völkerrechtlicher Grundlagenfragen bewertet. Es wird argumentiert, dass auch der moderne demokratische Rechtsstaat übergesetzliches Recht zwar nicht zum unmittelbar geltenden Rechtsmaßstab für § 339 StGB erheben kann, dies jedoch nur unter der Bedingung gilt, dass sich das Rechtssystem allgemein an den Grundsätzen der Gerechtigkeit orientiert.
Table of Contents
Section Title | Page | Action | Price |
---|---|---|---|
Vorwort | 7 | ||
Inhaltsverzeichnis | 9 | ||
Einleitung | 15 | ||
A. Themenstellung | 15 | ||
B. Zum Aufbau der Untersuchung | 18 | ||
1. Abschnitt: Die Stellung des Richters zu Recht und Gesetz | 20 | ||
A. Begriffsbestimmungen | 21 | ||
I. Richter | 21 | ||
II. Rechtsbeugung | 21 | ||
III. Übergesetzliches und positives Recht | 22 | ||
B. Die rechtsphilosophische Frage der Rechtsgeltung | 22 | ||
I. Erkenntnistheoretische Einwände | 24 | ||
II. Die Hinwendung zum Rechtspositivismus im 19./frühen 20. Jahrhundert | 25 | ||
III. Naturrechtsrenaissance und Neopositivismus nach dem Zweiten Weltkrieg | 26 | ||
IV. Der Relativismus als neuer Denkansatz | 28 | ||
1. Die Vorkriegsphilosophie Radbruchs | 29 | ||
a) Der Rechtsbegriff Radbruchs | 29 | ||
b) Rechtsgeltung und daraus folgende richterliche Pflichten bei Radbruch | 32 | ||
2. Die Nachkriegsphilosophie Radbruchs | 36 | ||
a) Die Radbruchsche Formel | 36 | ||
b) Konsequenzen für die Richterstrafbarkeit | 38 | ||
V. Offene Fragen | 40 | ||
C. Die Stellung des Richters in der Rechtsordnung: eine Bestandsaufnahme | 42 | ||
I. Fragestellung | 42 | ||
II. Der Richter in der bundesdeutschen Rechtsordnung | 43 | ||
1. Die Rechtsstellung des Richters und sein Verhältnis zum übergesetzlichen Recht im Allgemeinen | 43 | ||
2. Die Regelung der Richterstrafbarkeit im deutschen Strafrecht | 47 | ||
a) Das Rechtsgut des § 339 StGB | 48 | ||
b) Der Täterkreis des § 339 StGB | 55 | ||
c) Die Tathandlung des § 339 StGB | 64 | ||
(1) Die subjektive Theorie | 64 | ||
(2) Gemischt subjektiv-objektive Theorien | 67 | ||
(3) Die objektive Theorie | 69 | ||
(4) Zwischenergebnis | 72 | ||
d) Sonstige Streitfragen bei § 339 StGB | 72 | ||
3. Ist die Verletzung übergesetzlichen Rechts nach § 339 StGB strafbar? | 74 | ||
a) Streitstand zur Auslegung des Begriffs des „Rechts“ i. S. des § 339 StGB und Bedeutung des Streites | 74 | ||
b) Auslegung des § 339 StGB vor dem Hintergrund der grundgesetzlichen Rechtsordnung | 77 | ||
c) Auslegung des § 339 StGB im Hinblick auf den Normzweck | 78 | ||
d) Zwischenergebnis | 79 | ||
III. Das Verhältnis des Richters zum übergesetzlichen Recht in anderen Rechtsordnungen | 80 | ||
1. Der Richter in anderen westeuropäischen Rechtssystemen | 81 | ||
a) Strafnormen zur Rechtsbeugung und zum richterlichen Amtsmissbrauch | 81 | ||
b) Schlussfolgerungen aus der verfassungsrechtlichen Stellung der Gerichte | 83 | ||
2. Der Richter im anglo-amerikanischen Rechtsraum | 87 | ||
3. Der Richter im marxistisch-leninistischen Staat | 91 | ||
IV. Zusammenfassung und Ergebnis | 96 | ||
2. Abschnitt: Richterstrafbarkeit und übergesetzliches Recht in der Rechtspraxis | 100 | ||
A. Die praktische Rolle übergesetzlichen Rechts bei der Strafverfolgung von Rechtsbeugungen | 100 | ||
I. Die Strafverfolgung des NS-Justizunrechts | 102 | ||
1. NS-Unrechtsurteile als Richterunrecht | 103 | ||
a) Probleme der Gerichtsqualität der NS-Gerichte | 103 | ||
(1) Der Streit um die Gerichtsqualität des Volksgerichtshofes | 105 | ||
(2) Die Gerichtsqualität der NS-Sondergerichte | 106 | ||
b) Sind NS-Gesetze zur Rechtsbeugung geeignete Gesetze? | 109 | ||
2. Die Strafverfolgung von Richtern nach Alliiertenrecht, 1945–1951 | 114 | ||
a) Allgemeine Rechtsgrundlagen der Nürnberger Verfahren | 114 | ||
b) Das Nürnberger Juristenurteil | 115 | ||
c) Weitere Rechtsprechung nach dem KRG Nr. 10 | 120 | ||
(1) OGH der Britischen Zone, Urt. v. 7.12.1948 | 121 | ||
(2) OGH der Britischen Zone, Urt. v. 15.11.1949 | 123 | ||
d) Zusammenfassung | 125 | ||
3. Die Strafverfolgung ehemaliger NS-Richter durch bundesdeutsche Gerichte | 125 | ||
a) BGHSt 2, 173 (SS-Standgericht) | 127 | ||
b) Denunziantenfälle | 129 | ||
(1) OLG Bamberg, Urteil v. 27.7.1949 | 130 | ||
(2) BGHSt 4, 66 | 132 | ||
(3) BGHSt 9, 302 | 132 | ||
c) Katzenberger-Fall | 134 | ||
d) Zusammenfassung | 135 | ||
4. Ergebnis und Kritik | 136 | ||
II. Die strafrechtliche Aufarbeitung des DDR-Justizunrechts | 140 | ||
1. Probleme der Strafverfolgung von DDR-Rechtsbeugungen durch bundesdeutsche Gerichte | 143 | ||
a) Das auf DDR-Alttaten anzuwendende Strafrecht | 144 | ||
(1) „DDR-Lösung“ | 145 | ||
(2) Die „Auslandstheorien“ | 146 | ||
(3) „Inlandstheorie“ | 147 | ||
(4) „Beitrittstheorie“ | 148 | ||
b) Das mildeste Gesetz i. S. d. § 2 III StGB bei der Rechtsbeugung | 149 | ||
(1) Probleme der Gerichtsqualität der DDR-Gerichte | 152 | ||
(2) Vergleichbarkeit der Rechtsbeugung i. S. d. § 244 StGB-DDR mit einer Rechtsbeugung i. S. d. § 339 StGB | 157 | ||
(a) Fehlende Unrechtskontinuität wegen unterschiedlicher Geltungsbereiche? | 159 | ||
(b) Unzulässiger Eingriff in fremde Staatsangelegenheiten? | 159 | ||
(c) Ungerechte Folgen einer Strafverfolgung | 159 | ||
(d) Die Vergleichbarkeit der geschützten Rechtsgüter | 160 | ||
(3) Zwischenergebnis | 165 | ||
c) Rückwirkungsprobleme im Zusammenhang mit der Unrechtskontinuität | 166 | ||
d) Zusammenfassung und Kritik | 168 | ||
2. Naturrechtliche Rechtsmaßstäbe bei der Beurteilung von SED-Systemunrecht durch bundesdeutsche Gerichte | 170 | ||
a) Exkurs: Übergesetzliches Recht in den „Mauerschützen“-Urteilen | 171 | ||
b) Übergesetzliches Recht in der Rechtsprechung zum DDR-Justizunrecht | 177 | ||
(1) Entwicklung der anzuwendenden Beurteilungsmaßstäbe durch den BGH | 177 | ||
(a) Grundsätzliche Beachtung der DDR-Auslegungsmethoden | 177 | ||
(b) Anwendbarkeit der Radbruchschen Formel | 178 | ||
(c) Konkretisierung des übergesetzlichen Rechts durch das Völkerrecht | 179 | ||
(d) Beschränkung der Rechtsbeugungsstrafbarkeit auf bestimmte Fallgruppen | 180 | ||
(2) Anwendung auf konkrete Fälle | 181 | ||
c) Zusammenfassung der Rechtsprechung | 184 | ||
d) Die Rezeption der Rechtsbeugungsurteile in der Wissenschaft | 186 | ||
3. Zusammenfassung und Kritik | 187 | ||
III. Zusammenfassung: Die Rolle des Naturrechts in der Rechtspraxis | 193 | ||
B. Ergebnis | 195 | ||
3. Abschnitt: Möglichkeiten der Strafbarkeit von Rechtsbeugungen durch Verletzung übergesetzlichen Rechts | 198 | ||
A. Gerechtigkeit als verpflichtendes Ziel einer Rechtsordnung und ihrer Gerichtsbarkeit | 198 | ||
I. Übergesetzlich begründete Rechtspflichten jeder Rechtsordnung | 198 | ||
II. Übergesetzlich begründete Rechtspflichten des Richters | 200 | ||
B. Möglichkeit der strafrechtlichen Durchsetzung von Richterpflichten | 201 | ||
I. Der allgemeine Streit um die Strafbarkeit von Naturrechtsbeugungen | 202 | ||
1. Gebote der Rechtssicherheit | 203 | ||
a) Die Stellung der Rechtssicherheit bei Befürwortern einer Naturrechtsbeugungs-Strafbarkeit | 203 | ||
b) Einzelne Argumente gegen eine Strafbarkeit von Naturrechtsbeugungen | 206 | ||
(1) Rechtsunsicherheit durch individuelle Gewissensentscheidungen? | 206 | ||
(2) Durchsetzungskraft der Gesetze | 208 | ||
(3) Entgegenstehen des Gleichbehandlungsgebotes? | 209 | ||
(4) Zwischenergebnis | 210 | ||
2. Entgegenstehen des Gewaltenteilungsgrundsatzes? | 210 | ||
a) Schutz vor der Entwicklung zum Unrechtsstaat? | 211 | ||
b) Gerechtigkeit durch Gewaltenteilung | 214 | ||
3. Praktische Sinnlosigkeit einer Strafandrohung wegen Unzumutbarkeit rechtmäßigen Verhaltens? | 215 | ||
4. Folgerungen aus dem traditionellen Richterbild | 218 | ||
5. Ergebnis | 219 | ||
II. Lehren aus dem 1. Abschnitt | 220 | ||
III. Lehren aus dem 2. Abschnitt | 223 | ||
1. Strafverfolgung von systembedingtem Justizunrecht nach einem Systemwechsel | 223 | ||
a) Die Aufarbeitung von systembedingtem Justizunrecht in der bundesdeutschen Rechtsprechung | 223 | ||
b) Probleme der Strafverfolgung nach Systemwechseln im Allgemeinen | 226 | ||
(1) Entscheidung zur Strafverfolgung | 227 | ||
(2) Rechtsgrundlagen und Zulässigkeit einer Strafverfolgung | 228 | ||
(3) Beurteilungsmaßstäbe | 230 | ||
2. Strafverfolgung von systeminternem Justizunrecht | 231 | ||
a) Rechtsgrundlagen und Zulässigkeit einer Strafverfolgung | 232 | ||
b) Beurteilungsmaßstäbe | 233 | ||
3. Schlussfolgerung: Notwendigkeit der Differenzierung | 235 | ||
IV. Konsequenzen für die Rechtsbeugungsfrage | 237 | ||
1. Strafverfolgung von Naturrechtsbeugungen auf innerstaatlicher Ebene | 237 | ||
a) Grundsätzliche Unmöglichkeit einer Strafverfolgung | 237 | ||
b) Möglichkeiten zur Sicherung gerechter Gesetze jenseits des Strafrechts | 238 | ||
2. Strafverfolgung von Naturrechtsbeugungen durch eine systemfremde Instanz | 240 | ||
a) Grundsätzliche Möglichkeit einer Strafverfolgung | 240 | ||
b) Anwendbare Rechtsmaßstäbe | 240 | ||
(1) Direkte Anwendung von Naturrecht? | 240 | ||
(2) Naturrechtskonforme Anwendung der zur Tatzeit geltenden Gesetze | 241 | ||
(3) „Positiviertes“ übergesetzliches Recht | 242 | ||
(a) Internationales Recht | 243 | ||
(b) Europäische Gerechtigkeitsmaßstäbe | 246 | ||
c) Grenzen einer Strafverfolgung im Einzelfall | 249 | ||
(1) Vorsatzprobleme | 250 | ||
(2) Rechtfertigungsfragen | 255 | ||
(3) Entschuldigungsgründe | 255 | ||
C. Ergebnis | 257 | ||
4. Abschnitt: Ergebnisse | 260 | ||
Literaturverzeichnis | 264 | ||
Sachverzeichnis | 279 |