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Die normative Erfassung gescheiterter Staaten
Veröffentlichungen des Walther-Schücking-Instituts für Internationales Recht an der Universität Kiel, Vol. 152
(2005)
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Abstract
Ziel der Arbeit war es, das Phänomen der gescheiterten Staaten, der so genannten Failed States einer völkerrechtlichen Gesamtbetrachtung zu unterziehen. Ausgehend von dem völkerrechtlichen Staatsbegriff, mussten hierzu im ersten Teil der Arbeit zunächst die Definitionsmerkmale sowie die Rechtspersönlichkeit des gescheiterten Staates untersucht werden, bevor in einem zweiten Teil die Rechtsfolgenseite sowie potentielle Reaktionsmöglichkeiten im Umgang mit Failed States erörtert werden konnten.Als Parameter für eine völkerrechtliche Definition ließ sich über die Abwesenheit einer effektiven Staatsgewalt hinaus auch die Paralyse der Ausübung des inneren Selbstbestimmungsrechtes identifizieren. Erst wenn beide Merkmale kumulativ vorliegen, ist zu erwarten, dass ein Staat dauerhaft zur eigenständigen Reorganisation sowie zur Erfüllung seiner internationalen Verpflichtungen außerstande sein wird. Insbesondere Menschenrechtsschutzverträge entfalten unter diesen Umständen keinerlei Schutzwirkung, zumal sich Tendenzen einer Ausdehnung der menschenrechtlichen Verpflichtungen auf nichtstaatliche Akteure, wie sie im Failed State allein aktiv sind, gegenwärtig allenfalls de lege ferenda abzeichnen. Auch im Bereich des humanitären Völkerrechts findet allein der in dem gemeinsamen Artikel 3 der vier Genfer Konventionen enthaltene absolute humanitäre Minimumstandard Anwendung, wohingegen trotz erkennbaren failed state-spezifischen Implikationen die detaillierteren Vorschriften des Zweiten Zusatzprotokolls keine Schutzwirkung entfalten. Schließlich ließ sich auch eine Staatenverantwortlichkeit, entgegen verschiedenen, vor allem auf Artikel 9 des ILC Entwurfes basierenden Ansätzen in der Literatur, nicht begründen.Im Lichte der Prinzipienkollision von Effektivitäts- und Kontinuitätsprinzip ließ sich die fortbestehende Rechtssubjektivität gescheiterter Staaten auf der Grundlage des Selbstbestimmungsrechtes als materiellem Kontinuitätskriterium herleiten. Ausgehend von der so begründeten souveränen Staatlichkeit auch gescheiterter Staaten, war allen Versuchen einer failed state-spezifischen Ausweitung der unilateralen Interventionsmöglichkeiten eine Absage zu erteilen. Die Untersuchung hat jedoch ergeben, dass auf Grundlage der definitorischen Charakteristika des Failed State die Einstufung des Phänomens als relevante Friedensbedrohung im Sinne von Artikel 39 der Charta im zulässigen Ermessenspielraum des Sicherheitsrates liegt.
Table of Contents
Section Title | Page | Action | Price |
---|---|---|---|
Vorwort | 5 | ||
Inhaltsverzeichnis | 7 | ||
Abkürzungsverzeichnis | 14 | ||
Einleitung | 17 | ||
I. Terminologischer Ausgangspunkt | 20 | ||
II. Die Frage nach den Ursachen staatlichen Scheiterns | 22 | ||
III. Der Gang der Darstellung | 23 | ||
Erster Teil:rEine definitorische Annäherung an den Begriff des Failed State | 25 | ||
1. Kapitel:rDie Wahrnehmung staatlichen Scheiterns auf internationaler Ebene | 25 | ||
I. Die Parameter der Analyse | 25 | ||
1. Die Staatskrise Somalias | 27 | ||
a) Das Regime Siad Barres | 28 | ||
b) Der Zerfall staatlicher Strukturen nach dem Sturz Siad Barres 1991 | 28 | ||
2. Die Staatskrise Liberias | 34 | ||
a) Der Konflikt ab Dezember 1989 | 36 | ||
b) Der ECOMOG-Einsatz | 37 | ||
c) Der Konfliktverlauf nach der Ermordung Does | 39 | ||
II. Identifikation der Erscheinungs- und Wesensmerkmale staatlichen Scheiterns | 42 | ||
1. Die typischen Erscheinungsmerkmale staatlichen Scheiterns | 43 | ||
2. Die Wesensmerkmale staatlichen Scheiterns | 44 | ||
2. Kapitel:rDefektive Staatlichkeit als völkerrechtlich erheblicher Sachverhalt | 47 | ||
I. Einleitung | 47 | ||
II. Der universelle Staatsbegriff des Völkerrechtes | 47 | ||
1. Konkretisierung des Untersuchungsgegenstandes: Defektive Staatsgewalt | 51 | ||
a) Die Staatskrise im Libanon | 58 | ||
b) Die Staatskrise Albaniens | 59 | ||
c) Die Staatskrise Sierra Leones | 62 | ||
aa) Beginn der Krise und Verlauf bis 1996 | 62 | ||
bb) Der Konfliktverlauf nach dem Sturz Kabbahs am 25. Mai 1997 | 64 | ||
cc) Konfliktanalyse | 66 | ||
d) Auswertung | 68 | ||
2. Die Paralyse der Ausübung des Selbstbestimmungsrechtes als weiteres Definiens | 68 | ||
a) Die Staatskrise Ruandas | 69 | ||
aa) Der Konfliktverlauf von 1990 bis April 1994 | 70 | ||
bb) Der Verlauf des Konflikts ab April 1994 | 71 | ||
cc) Konfliktanalyse | 73 | ||
b) Selbstbestimmungsrecht und Staatlichkeit | 77 | ||
c) Das Selbstbestimmungsrecht im Failed State | 79 | ||
aa) Träger des Selbstbestimmungsrechtes im Failed State | 79 | ||
bb) Die Auswirkungen des Staatszerfalls auf die Einheit des Staatsvolkes | 81 | ||
cc) Inhalt des Selbstbestimmungsrechtes in der Situation des Failed State | 83 | ||
(1) Der äußere Aspekt des Selbstbestimmungsrechtes in der Situation des Failed State – Eine Abgrenzung zu Fällen staatlicher Dismembrationr | 84 | ||
(2) Der innere Aspekt des Selbstbestimmungsrechtes in der Situation des Failed State | 85 | ||
3. Ergebnis | 91 | ||
a) Die Staatskrise Kambodschas | 91 | ||
b) Die Staatskrise Afghanistans | 94 | ||
4. Ergebnis | 97 | ||
3. Kapitel:rDer Endpunkt staatlichen Scheiterns | 98 | ||
I. Problemstellung | 98 | ||
1. Der Verlust eines konstitutiven Staatlichkeitselements | 99 | ||
2. Der Failed State im Lichte der Kontinuitätsindizien der Staatenpraxis | 101 | ||
3. Das Endgültigkeitskriterium im Lichte der Prinzipienkollision von Effektivitäts- und Kontinuitätsprinzip | 103 | ||
a) Das völkerrechtliche Effektivitätsprinzip | 104 | ||
b) Das völkerrechtliche Kontinuitätsprinzip | 107 | ||
aa) Der Failed State im Vergleich zu den anerkannten Fallgruppen fortbestehender Kontinuität | 109 | ||
bb) Das Selbstbestimmungsrecht als Kontinuitätskriterium | 114 | ||
II. Ergebnis | 120 | ||
4. Kapitel:rDie Souveränität des Failed State | 120 | ||
I. Fortbestehende Souveränität des Failed State | 120 | ||
II. Die Geltung des Gewaltverbotes | 123 | ||
5. Kapitel:rDie völkerrechtliche Handlungsunfähigkeit des Failed State | 126 | ||
I. Völkerrechtliche Handlungsfähigkeit | 126 | ||
II. Die Repräsentation des Failed State auf internationaler Ebene | 129 | ||
1. Die völkerrechtliche Vertretung durch zentrale Organe | 129 | ||
2. Die völkerrechtliche Vertretung durch dezentralisierte Organe | 129 | ||
a) Diplomatische Missionen des Failed State im Ausland | 130 | ||
b) Ausländische Missionen im Failed State | 134 | ||
c) Das Fortbestehen der diplomatischen Beziehungen auf unterster Ebene | 136 | ||
d) Kontakte zu den einzelnen Gruppierungen im Failed State | 138 | ||
e) Die Wahrnehmung grundlegender konsularischer Aufgaben | 139 | ||
f) Die Vertretung des Failed State bei den Vereinten Nationen | 143 | ||
3. Ergebnis | 150 | ||
III. Rechtsetzung durch den Failed State | 152 | ||
1. Die Vertragsschlussfähigkeit des Failed State | 152 | ||
2. Rechtserzeugende Staatenpraxis eines Failed State | 153 | ||
3. Der Failed State als "Persistent Objector" | 154 | ||
IV. Die Unfähigkeit des Failed State zur friedlichen Streitbeilegung | 155 | ||
V. Die Unfähigkeit des Failed State zur Abgabe von Zustimmungserklärungen | 156 | ||
VI. Wirksamkeit von im Zeitpunkt noch vorhandener Staatsgewalt abgegebenen Zustimmungserklärungen | 159 | ||
VII. Ergebnis zur Handlungsunfähigkeit des Failed State | 162 | ||
VIII. Zusammenfassung | 163 | ||
Zweiter Teil:rDie normative Erfassung des Failed State | 165 | ||
1. Kapitel:rAusgangspunkt der weiteren Analyse | 165 | ||
I. Der Failed State, ein handlungsunfähiges Rechtssubjekt | 165 | ||
II. Die Maxime impossibilia nemo obligatur est | 168 | ||
2. Kapitel:rDer Failed State als Partei völkerrechtlicher Verträge | 170 | ||
I. Die Kontinuität völkervertragsrechtlicher Rechte und Pflichten | 170 | ||
1. Failed State spezifische Rechtsgrundlagen für die Beendigung oder Suspendierung eines völkerrechtlichen Vertrages | 171 | ||
2. Das Völkervertragsrecht im Verhältnis zum Recht der Staatenverantwortlichkeit | 172 | ||
3. Die rechtliche Erfassung der nachträglichen Unfähigkeit zur Vertragserfüllung | 174 | ||
a) Die nachträgliche Unmöglichkeit der Erfüllung gemäß Artikel 61 WVK | 175 | ||
b) Die Berücksichtigung einer subjektiven Unmöglichkeit im Rahmen der WVK | 177 | ||
c) Die Berücksichtigung von außerhalb der WVK liegenden Unmöglichkeitsregelungen | 179 | ||
d) Die grundlegende Änderung der Umstände gemäß Artikel 62 WVK | 181 | ||
aa) Die Rechtsfolge | 183 | ||
bb) Der automatische Eintritt der Rechtsfolge | 185 | ||
e) Die Vertragsverletzung gemäß Artikel 60 WVK | 188 | ||
f) Zusammenfassung | 189 | ||
4. Ausnahmen für bestimmte Vertragstypen | 189 | ||
a) Zahlungspflichten | 190 | ||
b) Statusverträge | 192 | ||
c) Drittstaaten einseitig verpflichtende Verträge | 192 | ||
d) Menschenrechtsverträge und humanitäres Völkervertragsrecht | 193 | ||
II. Ergebnis | 193 | ||
3. Kapitel:rDie Geltung und Anwendbarkeit der Menschenrechte im Failed State | 194 | ||
I. Die Menschenrechtssituation in gescheiterten Staaten | 194 | ||
II. Herrschaftsgewalt als Anknüpfungspunkt für die Anwendbarkeit der Menschenrechte | 196 | ||
III. Suspendierung menschenrechtlicher Verträge in der Zeit des Staatszerfalls | 202 | ||
IV. Gewohnheitsrechtlicher Mindeststandard | 207 | ||
V. Ergebnis | 208 | ||
VI. Menschenrechtliche Verpflichtungen nichtstaatlicher Akteure | 209 | ||
1. Befreiungsbewegungen als Träger menschenrechtlicher Verpflichtungen | 211 | ||
2. Stabilisierte de facto Regime als Träger menschenrechtlicher Verpflichtungen | 211 | ||
3. Herabgesetzter Standard für im Failed State agierende Gruppen | 213 | ||
VII. Die Anwendbarkeit menschenrechtlicher Kontroll- und Beobachtungsmechanismen im Failed State | 217 | ||
1. Das Staatenberichtverfahren | 218 | ||
2. Die länderspezifische Situationskontrolle | 220 | ||
3. Die Beschwerdeverfahren | 223 | ||
VIII. Ergebnis | 224 | ||
4. Kapitel:rDie Anwendbarkeit des humanitären Völkerrechtes im Failed State | 225 | ||
I. Failed State-spezifische Probleme im Hinblick auf die Anwendbarkeit der Regelungen des humanitären Völkerrechtes | 225 | ||
1. Der Failed State als nicht-internationaler Konflikt | 228 | ||
2. Die Anwendbarkeit des gemeinsamen Artikels 3 GK I-IV | 229 | ||
3. Die Anwendbarkeit des zweiten Zusatzprotokolls | 236 | ||
4. Gewohnheitsrechtlich erweiterter Anwendungsbereich des ZP II | 238 | ||
a) Außervertragliche Geltung von Bestimmungen über die menschliche Behandlung | 239 | ||
b) Außervertragliche Geltung der Bestimmungen des Teil IV über den Schutz der Zivilbevölkerung | 242 | ||
aa) Der Schutz der Zivilbevölkerung gemäß Artikel 13 ZP II | 242 | ||
bb) Der Schutz der für die Zivilbevölkerung lebensnotwendigen Objekte gemäß Artikel 14 ZP II | 243 | ||
c) Ergebnis: Gewohnheitsrechtliche Geltung | 244 | ||
d) Gewohnheitsrechtliche Ausdehnung des Anwendungsbereichs des ZP II auf niederschwellige Konflikte | 245 | ||
II. Ergebnis | 250 | ||
5. Kapitel:rDie völkerrechtliche Verantwortlichkeit des Failed State | 251 | ||
I. Das völkerrechtliche Verantwortlichkeitsprinzip | 251 | ||
II. Die Deliktsfähigkeit des Failed State | 254 | ||
1. Zurechnung des Verhaltens staatlicher Organe auf niedrigster Ebene | 257 | ||
2. Die Zurechnung privaten Verhaltens in der Situation des Failed State | 259 | ||
a) "Conduct directed or controlled by a State" gemäß Artikel 8 des ILC-Entwurfes | 260 | ||
b) "Conduct carried out in the absence or default of the official authorities" gemäß Artikel 9 des ILC-Entwurfes | 261 | ||
c) Zurechnung des Verhaltens Aufständischer gemäß Artikel 10 Absatz 1 des ILC-Entwurfs | 265 | ||
d) Die Übernahme privaten Verhaltens gemäß Artikel 11 des ILC-Entwurfes | 268 | ||
3. Ergebnis | 269 | ||
4. Verantwortlichkeit für die Verletzung so genannter due diligence Verpflichtungen | 270 | ||
5. Staatliches Unterlassen im Zeitpunkt noch vorhandener Handlungsmöglichkeiten | 277 | ||
6. Der Eintritt einer Staatenverantwortlichkeit ex ante | 280 | ||
7. Zusammenfassung | 282 | ||
III. Unilaterale Rechtsdurchsetzung | 286 | ||
1. Unilaterale Rechtsdurchsetzung gegenüber einem Failed State | 286 | ||
2. Unilaterale Rechtsdurchsetzung bereits begründeter Ansprüche in Anwendung der Repressalie | 289 | ||
3. Unilaterale Rechtsdurchsetzung in Anwendung der Retorsion | 291 | ||
6. Kapitel:rDer Failed State als strukturelle Bedrohung des Weltfriedens | 292 | ||
I. Friedensgefährdende Aspekte des Failed State | 292 | ||
II. Der Failed State als Friedensbedrohung im Sinne von Artikel 39 SVN | 299 | ||
III. Der Failed State als strukturelle Bedrohung des Weltfriedens | 306 | ||
Schlussbemerkungen | 308 | ||
Literaturverzeichnis | 313 | ||
Sachregister | 342 |