Das Unrechtsbewusstsein der DDR-»Mauerschützen«
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Das Unrechtsbewusstsein der DDR-»Mauerschützen«
Schriften zum Strafrecht, Vol. 163
(2005)
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Der tödliche Schusswaffengebrauch an der innerdeutschen Grenze stellt im Rahmen der strafgerichtlichen Aufarbeitung des SED-Unrechts einen zentralen Aspekt dar, der sich nach der Wiedervereinigung sowohl in der zahlreich ergangenen Rechtsprechung als auch umfangreichen Literatur niederschlägt. So ist die Diskussion über die strafrechtliche Verantwortlichkeit der DDR-Soldaten für tödliche Schüsse an der innerdeutschen Grenze bis heute nicht abgeschlossen.Die in diesem Zusammenhang vorhandene Rechtsprechung und Literatur misst dem Aspekt des Unrechtsbewusstseins des handelnden Schützen eine relativ geringe Bedeutung zu. Hanno Siekmann geht der Frage nach, ob nicht die soziale Lebenswirklichkeit der DDR-Grenzsoldaten verkannt und ein dem psychologischen, soziologischen und kriminologischen Befund nicht gerecht werdendes Ergebnis erzielt wird, sofern das Unrechtsbewusstsein dieser Personen tatsächlich in einer Form angenommen wird, die einen strafrechtlichen Schuldvorwurf rechtfertigt. Er gelangt dabei zu dem Ergebnis, dass - vorbehaltlich einer abweichenden Beurteilung im Einzelfall - die Grenzsoldaten in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum gemäß § 17 StGB handelten und ein strafrechtlicher Schuldvorwurf ihnen gegenüber somit im Interesse eines ernstgenommenen Schuldstrafrechts nicht zu erheben ist.
Table of Contents
Section Title | Page | Action | Price |
---|---|---|---|
Vorwort | 3 | ||
Inhaltsverzeichnis | 5 | ||
Abkürzungsverzeichnis | 10 | ||
Einleitung | 13 | ||
Erstes Kapitel: Die Rechtswidrigkeit der tödlichen Schüsse an der Grenze | 18 | ||
I. Die Norm des § 27 GrenzG/DDR | 19 | ||
1. Rechtsstaatliche Auslegung | 20 | ||
2. „Realsozialistische“ Auslegung | 21 | ||
3. Verstoß gegen höherrangiges positives Recht der DDR | 23 | ||
II. Das Spannungsverhältnis von Recht und Moral | 23 | ||
1. Die Radbruchsche Formel | 24 | ||
a) Inhalt und Bedeutung | 24 | ||
b) Anwendbarkeit außerhalb des NS-Rechts | 25 | ||
2. Das Vorliegen gesetzlichen Unrechts i. S. Radbruchs | 27 | ||
a) Erste Auffassung: Die Annahme gesetzlichen Unrechts | 28 | ||
aa) Die Begründung des BGH | 28 | ||
(1) Verweis auf den IPBPR | 28 | ||
(a) Die Ausreisefreiheit nach Art. 12 Abs. 2 IPBPR | 28 | ||
(b) Recht auf Leben nach Art. 6 Abs. 1 S. 1 u. S. 3 IPBPR | 30 | ||
(2) Kritik am Rückgriff auf den IPBPR durch den BGH | 30 | ||
bb) Die Begründung der Literatur | 32 | ||
b) Zweite Auffassung: Die Ablehnung gesetzlichen Unrechts | 32 | ||
c) Stellungnehmende Erwägungen | 33 | ||
3. Das Rückwirkungsverbot nach Art. 103 Abs. 2 GG | 37 | ||
III. Zusammenfassung Erstes Kapitel | 41 | ||
Zweites Kapitel: Die Bedeutung des Unrechtsbewusstseins für den strafrechtlichen Schuldvorwurf | 42 | ||
I. Der strafrechtliche Schuldgrundsatz | 42 | ||
II. Die strafrechtliche Schuld als Vorwerfbarkeit der Willensbildung | 43 | ||
1. Die menschliche Willensfreiheit als Grundvoraussetzung | 44 | ||
2. Erforderlichkeit der Kenntnis von Recht und Unrecht | 44 | ||
III. Die Verbotsirrtumsregelung des § 17 StGB | 45 | ||
IV. Materiell- und prozessrechtliche Aspekte des Unrechtsbewusstseins | 46 | ||
Drittes Kapitel: Das aktuelle Unrechtsbewusstsein der DDR-Grenzsoldaten | 48 | ||
I. Begriffsbestimmung und Grundlagen | 48 | ||
II. Das aktuelle Unrechtsbewusstsein der Grenzsoldaten in der Rechtsprechung des BGH | 50 | ||
1. Anwendung des § 5 Abs. 1 WStG | 50 | ||
2. Vorliegen eines Verbotsirrtums nach § 17 StGB | 51 | ||
3. Fehlende Begründung des BGH für seine Annahmen | 51 | ||
III. Die Feststellung des aktuellen Unrechtsbewusstseins eines Täters | 54 | ||
1. Das Bestehen erkenntnistheoretischer Probleme | 54 | ||
2. Möglichkeiten der Erkenntnisgewinnung | 55 | ||
a) Kommunikative Festsetzung über das Medium der Sprache | 55 | ||
b) Einbeziehung spezifischer äußerlicher Kennzeichen der Tatbegehung | 57 | ||
IV. Inhalt und Gegenstand des aktuellen Unrechtsbewusstseins | 57 | ||
1. Der anzuwendende Maßstab im Rahmen des § 5 Abs. 1 WStG | 58 | ||
2. Der Inhalt des Unrechtsbewusstseins im Rahmen des § 17 S. 1 StGB | 59 | ||
a) Das Unrechtsbewusstsein als ablehnende Regung des Gewissens | 60 | ||
aa) Das Unrechtsbewusstsein der DDR-Grenzsoldaten unter Zugrundelegung der genannten Auffassung | 61 | ||
bb) Die Frage der Rechtsgeltung | 65 | ||
cc) Der Standpunkt des BGH | 68 | ||
b) Das Unrechtsbewusstsein als Kenntnis des Verstoßes gegen eine kollektive Norm | 69 | ||
aa) Die Kenntnis der Sittenwidrigkeit oder der Sozialwidrigkeit als Gegenstand des Unrechtsbewusstseins | 70 | ||
bb) Die materiale Wertordnung des Rechts als Gegenstand des Unrechtsbewusstseins | 71 | ||
V. Erkenntnis des Verstoßes der tödlichen Schüsse gegen die verbindliche materiale Wertordnung des Rechts | 72 | ||
1. Die besondere Problematik der Erkenntnisgewinnung in den „Mauerschützen“-Fällen | 72 | ||
a) Die soziale Lebenswirklichkeit der Grenzsoldaten: Zugehörigkeit zu einer fremden Staats- und Rechtsordnung | 74 | ||
aa) Das Recht in der politischen Ordnung der DDR | 75 | ||
bb) Das sozialistische Menschenbild in der DDR | 78 | ||
cc) Die Bedeutung des Eingehens auf die Lebenswirklichkeit eines Täters | 80 | ||
b) Die tödlichen Schüsse als Erscheinungsform kollektiver Gewalt | 82 | ||
aa) Die Rollen-Normen-Anpassung der Grenzsoldaten | 84 | ||
bb) Der Einfluss gruppendynamischer Kräfte | 86 | ||
c) Die Schwierigkeiten der Orientierung in einem totalitären System | 88 | ||
aa) Die Grundsätze des Staschynskij-Falles | 88 | ||
bb) Übergesetzlicher Schuldminderungsgrund wegen „Verstrickung in ein Unrechtssystem“? | 90 | ||
d) Bewertung | 93 | ||
2. Das Prinzip der Eliminierung bzw. Minimierung des Unrechtsbewusstseins der Grenzsoldaten seitens der DDR-Staatsführung | 94 | ||
a) Die Bedeutung eines Befehlsnotstandes der Grenzsoldaten nach § 35 StGB | 96 | ||
b) Die Entrechtung der Flüchtlinge | 101 | ||
aa) Absprechung des Rechts auf Leben | 102 | ||
bb) Die Kriminalisierung der Flüchtlinge | 104 | ||
(1) Der Tatbestand der Republikflucht gem. § 213 StGB/DDR | 104 | ||
(2) Die Qualifikation der Republikflucht als Verbrechen gem. § 213 Abs. 3 StGB/DDR | 107 | ||
cc) Die Vermittlung des Flüchtlingsverhaltens und des Republikfluchtparagraphens gegenüber den Grenzsoldaten | 110 | ||
(1) Die Verhinderung von Identifikationen durch Erzeugung von Distanz und Verfremdung | 111 | ||
(2) Die Erzeugung von Verteidigungsreflexen | 115 | ||
dd) Das „Entrechtungsbewusstsein“ der Grenzsoldaten | 116 | ||
(1) Einbeziehung spezifischer äußerlicher Kennzeichen der Tatbegehung | 117 | ||
(a) Die Geheimhaltung der Vorgänge an der Grenze | 117 | ||
(b) Das Verhalten der DDR-Behörden im Anschluss an die Tötungen | 119 | ||
(aa) Die Verschleierung des Geschehens gegenüber den Angehörigen | 119 | ||
(bb) Weitere Verschleierungsmaßnahmen | 121 | ||
(cc) Versetzung der Soldaten nach den Taten | 121 | ||
(2) Die Bedeutung des Rechts auf Freizügigkeit | 124 | ||
(a) Das Recht auf Freizügigkeit in der DDR unter Berücksichtigung des sozialistischen Menschenrechtsverständnisses | 125 | ||
(b) Einbeziehung der Maßstäbe der Bundesrepublik | 129 | ||
(aa) Die Regelung der Ausreisefreiheit in der BRD | 130 | ||
(bb) Die bundesdeutschen Schusswaffengebrauchsbestimmungen für Grenzbeamte | 131 | ||
c) Die Befehlslage an der Grenze | 136 | ||
d) Das Schusswaffengebrauchsrecht in der DDR | 143 | ||
aa) Die Schusswaffengebrauchsbestimmungen vor Erlass des Grenzgesetzes vom 25. März 1982 | 144 | ||
bb) Das Grenzgesetz vom 25. März 1982 | 145 | ||
(1) Rechtsstaatliches Antlitz des § 27 GrenzG/DDR | 148 | ||
(2) Verdeckung der Tötungsbefugnis mittels eines Rechtfertigungsgrundes | 148 | ||
(3) Die Auslegung und Vermittlung des § 27 GrenzG/DDR seitens der staatlichen Stellen der DDR | 149 | ||
(a) Die „Staatspraxis“ | 149 | ||
(b) Das Prinzip der sozialistischen Gesetzlichkeit | 150 | ||
(4) Einsicht des Verstoßes der Norm gegen vorgeordnete Rechtsprinzipien | 154 | ||
(a) Die Grundsätze des Hanke-Falles | 154 | ||
(b) Hindernisse aus Sicht der Grenzsoldaten | 157 | ||
(aa) Bestehen des grundsätzlichen Tötungsverbotes auch in der DDR | 157 | ||
(bb) Unterdrückung der Strafverfolgung und Belobigung der Schützen | 159 | ||
(cc) Zunehmende internationale Anerkennung der DDR | 161 | ||
e) Die politisch-ideologische Einflussnahme auf die Grenzsoldaten | 164 | ||
aa) Vermittlung eines Feindbildes und Betonung der Notwendigkeit des Grenzdienstes | 166 | ||
bb) Übertragung kriegsethischer Vorstellungen auf die außerkriegerische Situation an der Grenze | 167 | ||
f) Bewertung | 170 | ||
VI. Zusammenfassung Drittes Kapitel | 170 | ||
Viertes Kapitel: Das potentielle Unrechtsbewusstsein der DDR-Grenzsoldaten | 174 | ||
I. Begriffsbestimmung | 174 | ||
II. Das potentielle Unrechtsbewusstsein der DDR-„Mauerschützen“ in der Rechtsprechung des BGH | 175 | ||
1. Die „Offensichtlichkeit“ im Rahmen des § 5 Abs. 1 WStG | 175 | ||
2. Kriterien innerhalb der Norm des § 17 StGB | 176 | ||
3. Bewertung der gerichtlichen Argumentation | 177 | ||
III. Die Vermeidbarkeitskriterien des Verbotsirrtums nach § 17 S. 2 StGB | 178 | ||
1. Anlass der Vergewisserung | 179 | ||
2. Die real aufweisbare Möglichkeit zur Erkenntnis der Rechtswidrigkeit | 181 | ||
a) Eigenes Nachdenken | 181 | ||
b) Einholen von Erkundigungen | 190 | ||
3. Einbeziehung präventiver Erwägungen | 193 | ||
4. Bewertung | 194 | ||
IV. Zusammenfassung Viertes Kapitel | 195 | ||
Fünftes Kapitel: Gesamtergebnis und Schlussbetrachtung | 198 | ||
Literaturverzeichnis | 202 | ||
Sachwortverzeichnis | 219 |