Das Zeugnisverweigerungsrecht aus § 52 StPO für besondere persönliche Nähe- und Vertrauensverhältnisse
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Das Zeugnisverweigerungsrecht aus § 52 StPO für besondere persönliche Nähe- und Vertrauensverhältnisse
Die Integration nicht-institutionalisierter Lebensformen in das strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen
Kölner Kriminalwissenschaftliche Schriften, Vol. 46
(2004)
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Abstract
Zeugnisverweigerungsrechte begrenzen das Interesse der Strafverfolgungsorgane an möglichst ungehinderter Sachverhaltsaufklärung. Schon seit langem wird daher diskutiert, inwieweit der Kreis zeugnisverweigerungsberechtigter Personen einer Erweiterung zugänglich ist. Für § 52 StPO gewinnt diese Frage immer mehr an Bedeutung: Enge private Bindungen bestehen nicht nur innerhalb der dort aufgezählten Personenkreise, nicht-traditionale Lebensmuster finden immer mehr Verbreitung.Kirsten Jansen befasst sich mit der Frage der Notwendigkeit einer Umgestaltung des § 52 StPO aus normativer, aber auch aus empirischer und aussagepsychologischer Perspektive. Mit diesem Ansatz geht die Untersuchung über bisherige Veröffentlichungen zum Thema hinaus. Die Autorin setzt sich intensiv mit dem hinter § 52 StPO stehenden Normkonzept auseinander. Der von ihr herausgearbeiteten einfachrechtlichen wie verfassungsrechtlichen Begründung des Zeugnisverweigerungsrechts stellt sie neueste empirische Erkenntnisse gegenüber. Berücksichtigung finden dabei nicht nur nicht-eheliche Lebensgemeinschaften, sondern unterschiedlichste private Nähe- und Vertrauensbeziehungen. Da Zeugenaussagen in der Praxis des Strafverfahrens große Bedeutung zukommt, untersucht die Autorin außerdem, ob diese hohe Wertigkeit des Zeugenbeweises gerechtfertigt ist. Hierzu beschäftigt sie sich ausführlich mit aktuellen Erkenntnissen der Aussagepsychologie. Jansen kommt nach eingehender Auseinandersetzung mit § 52 StPO zu dem Schluss, dass bei verfassungskonformer Auslegung dieser Norm verlöbnis-ähnlichen lebenspartnerschaftlichen Bindungen bereits nach geltendem Recht ein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht. Hinsichtlich sonstiger enger Nähe- und Vertrauensverhältnisse spricht sie sich für eine Erweiterung des § 52 StPO aus.
Table of Contents
Section Title | Page | Action | Price |
---|---|---|---|
Vorwort | 7 | ||
Inhaltsverzeichnis | 9 | ||
Einleitung | 15 | ||
A. Das strafprozessuale Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen und sein Normkontext | 18 | ||
I. Zeugnisverweigerungsrecht und Zeugnispflicht | 18 | ||
II. Einbettung des § 52 StPO in das Regelungsgefüge der strafprozessualen Zeugnis- und Auskunftsverweigerungsrechte | 20 | ||
1. Der Regelungsbereich des § 52 StPO | 22 | ||
a) Verlöbnis, § 52 Abs. 1 Nr. 1 StPO | 23 | ||
b) Ehe, § 52 Abs. 1 Nr. 2 StPO | 25 | ||
c) Lebenspartnerschaft, § 52 Abs. 1 Nr. 2 a StPO | 25 | ||
d) Verwandtschaft und Schwägerschaft, § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO | 26 | ||
aa) Verwandte | 26 | ||
bb) Verschwägerte | 27 | ||
2. Weitere strafprozessuale Zeugnis- und Auskunftsverweigerungsrechte | 27 | ||
a) § 55 StPO, Auskunftsverweigerungsrecht zum Schutz vor Selbst- und Angehörigenbelastung | 27 | ||
b) §§ 53, 53 a StPO, Zeugnisverweigerungsrechte bestimmter Berufsgruppen und ihrer Helfer | 28 | ||
aa) Berufsgeheimnisträger, § 53 StPO | 28 | ||
bb) Berufshelfer, § 53 a StPO | 30 | ||
c) § 54 StPO, Zeugnisverweigerungsrecht öffentlicher Bediensteter | 31 | ||
3. Die Glaubhaftmachung nach § 56 StPO | 32 | ||
4. Flankierende Vorschriften der StPO | 37 | ||
B. Geschichte des Zeugenbeweises und der Zeugnisverweigerungsrechte der Vertrauenspersonen von Beschuldigten | 38 | ||
I. Das römische Recht bis Justinian | 38 | ||
1. Das römische Rechtssystem, insbesondere der Strafprozess im römischen Recht | 38 | ||
2. Die Regelungen des Zeugenbeweises im römischen Recht | 43 | ||
II. Zeugenbeweis vom germanisch-frühmittelalterlichen Recht bis zur Aufklärung | 50 | ||
1. „Germanenrechte“ | 50 | ||
2. Volksrechte und Frankenzeit, mittelalterlicher Anklageprozess und Inquisition | 51 | ||
III. Das Beweisrecht des neuzeitlichen reformierten Strafprozesses und die Entstehung der §§ 52 ff. StPO | 59 | ||
1. Beginnende Aufklärung und reformierter Strafprozess | 60 | ||
2. Die Entstehung der StPO und ihrer Regelungen zum Zeugenbeweis | 64 | ||
C. Zur Validität des Zeugenbeweises | 70 | ||
I. „Wahre“ und „falsche“ Aussagen | 73 | ||
II. Ungewollt unrichtige Aussagen | 76 | ||
1. Wahrnehmungsfehler | 77 | ||
a) Allgemeine Grenzen menschlicher Aufnahmefähigkeit | 77 | ||
b) Individuelle körperliche Inkapazitäten mit Auswirkungen auf die Wahrnehmungsfähigkeit | 78 | ||
c) Einfluss äußerer Gegebenheiten auf die Wahrnehmung | 79 | ||
d) Fehlwahrnehmungen aufgrund selektiver Aufmerksamkeitsspannen | 79 | ||
2. Verarbeitungsfehler | 82 | ||
a) Vergessen | 82 | ||
b) Verdrängung | 83 | ||
c) Auffüllen der lückenhaften Wahrnehmung | 83 | ||
d) Überlagerung zutreffender Wahrnehmungen | 84 | ||
3. Übermittlungsfehler | 88 | ||
III. Intentional unrichtige Aussagen | 88 | ||
IV. Fehler der Vernehmungspersonen und ihre Auswirkungen auf die Zuverlässigkeit des Personalbeweises | 93 | ||
1. Mängel in der Vernehmungstechnik | 93 | ||
2. Übermittlungsfehler bei der Entgegennahme und Aufzeichnung einer Zeugenaussage | 96 | ||
3. Beweiswürdigungs- beziehungsweise Bewertungsfehler | 97 | ||
V. Ansätze zur Nivellierung der Schwächen des Zeugenbeweises | 98 | ||
1. Ungewollt unrichtige Aussagen | 98 | ||
2. Intentional unrichtige Aussagen | 102 | ||
a) Motivationsanalyse | 103 | ||
aa) Inhalt der „Methode“ | 103 | ||
bb) Zuverlässigkeit und Aussagekraft des motivationsanalytischen Ansatzes | 104 | ||
b) Verhaltensorientierte Glaubhaftigkeitsbeurteilung | 105 | ||
aa) Inhalt der „Methode“ | 105 | ||
bb) Zuverlässigkeit und Aussagekraft des verhaltensanalytischen Ansatzes | 107 | ||
c) Merkmalsorientierte Analyse des Aussageinhalts | 112 | ||
aa) Entstehung und Inhalt der Methode | 112 | ||
bb) Anwendbarkeitsvoraussetzungen der Methode | 116 | ||
cc) Zuverlässigkeit und Aussagekraft des inhaltsanalytischen Ansatzes | 119 | ||
VI. Fazit | 126 | ||
D. Ratio des Zeugnisverweigerungsrechts aus persönlichen Gründen, § 52 StPO | 130 | ||
I. Hintergründe der Einräumung des Zeugnisverweigerungsrechts | 130 | ||
II. Normzwecke | 132 | ||
1. Individualinteressen | 132 | ||
a) Schutz der Zeugen im originär eigenen Interesse | 132 | ||
b) Schutz und Erhalt persönlicher Nähe- und Beistandsverhältnisse | 140 | ||
c) Schutz wichtiger Vertrauensverhältnisse | 144 | ||
d) Nemo tenetur | 151 | ||
2. Allgemeininteressen | 152 | ||
a) Schutz wichtiger persönlicher Nähe- und Vertrauensverhältnisse als Basis sozialen Zusammenlebens | 152 | ||
b) Freiwilligkeit von Zeugenaussagen gegen Angehörige | 153 | ||
c) Schutz der Wahrheitsfindung | 153 | ||
3. Rangverhältnis der Normzwecke | 159 | ||
III. Zusammenfassung | 159 | ||
E. Einbeziehung „besonderer persönlicher Nähe- oder Vertrauensverhältnisse“ in die zeugenprivilegierende Regelung des § 52 StPO | 161 | ||
I. Persönliche Nähe- und Vertrauensverhältnisse – Konventionelle und nichtkonventionelle Lebensformen | 162 | ||
1. Modelle konventioneller und nichtkonventioneller Lebensformen | 162 | ||
2. Verbindlichkeit, Vertrauens- und Nähebeziehungen innerhalb konventioneller und nichtkonventioneller Lebensformen | 166 | ||
3. Akzeptanz „abweichender“ Lebensformen | 173 | ||
4. Fazit | 175 | ||
II. Vergleichbarkeit der Lebenssachverhalte | 177 | ||
1. Kriterien der Vergleichbarkeit personaler Beziehungen in Hinblick auf § 52 Abs. 1 StPO | 177 | ||
a) Normkonzept des § 52 Abs. 1 StPO | 177 | ||
b) Anforderungen an Personalbeziehungen vor dem Hintergrund des Normkonzeptes des § 52 Abs. 1 StPO | 181 | ||
2. Vergleichbarkeit institutionalisierter mit nicht institutionalisierten Bindungen in Hinblick auf das Konzept des § 52 Abs. 1 StPO | 183 | ||
a) Informelle gemischt- und gleichgeschlechtliche Partnerschaften | 185 | ||
b) Enge Freundschaften | 187 | ||
c) Verlöbnisähnliche Vorformen „Eingetragener Lebenspartnerschaften“ | 188 | ||
3. Fazit | 189 | ||
III. „Postulat der Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege“ als begrenzender Faktor einer Ergänzung bestehender Zeugenbefreiungen? | 189 | ||
1. Herleitung und Inhalt des Funktionstüchtigkeitspostulats | 190 | ||
2. Geltungsanspruch des Funktionstüchtigkeitspostulats | 194 | ||
a) Dogmatische Vorbehalte | 195 | ||
b) Tatsächliche Vorbehalte | 198 | ||
3. Fazit | 199 | ||
IV. Integration „besonderer persönlicher Nähe- oder Vertrauensverhältnisse“ durch einfachgesetzliche erweiternde Auslegung des § 52 Abs. 1 StPO | 200 | ||
1. Rechtliche und rechtstatsächliche Vergleichbarkeit, teleologische und historische Aspekte | 201 | ||
2. Wortsinn als Auslegungsgrenze | 202 | ||
a) Subsumtion nichtinstitutionalisierter Näheverhältnisse unter die in § 52 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 StPO explizit aufgeführten Zeugengruppen | 203 | ||
aa) Nichtinstitutionalisierte Paarbindungen | 203 | ||
bb) Enge Freundschaften | 206 | ||
b) Subsumtion unter einen in § 52 Abs. 1 StPO enthaltenen ungeschriebenen Oberbegriff des „besonderen persönlichen Nähe- oder Vertrauensverhältnisses“ | 206 | ||
3. Fazit | 208 | ||
V. Grundrechtskonforme Auslegung des § 52 StPO – Ableitung von Zeugnisverweigerungsrechten „im Lichte der Verfassung“ | 208 | ||
1. Informelle Paarbindungen als Prototypen „besonderer persönlicher Nähe- oder Vertrauensverhältnisse“ | 209 | ||
a) Verfassungsrechtliche Vorgaben | 210 | ||
aa) Betroffenheit spezieller kommunikativer Freiheitsrechte | 210 | ||
bb) Art. 2 Abs. 1 i.V. mit Art. 1 Abs. 1 GG als Basis berechtigter Aussageverweigerung | 211 | ||
(1) Schutz der Privat- und Intimsphäre – Begrenzung des Zeugniszwangs „unmittelbar“ aus der Verfassung | 211 | ||
(2) Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und private Lebensgestaltung | 213 | ||
cc) Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes, Art. 3 Abs. 1 GG | 213 | ||
(1) Vergleichbare Personenkreise und Differenzierungskriterium | 214 | ||
(2) Ungleichbehandlung als Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes | 216 | ||
b) Möglichkeit verfassungskonformer Auslegung | 224 | ||
2. Enge Freundschaften | 225 | ||
3. Verlöbnisähnliche Vorformen Eingetragener Lebenspartnerschaften | 225 | ||
a) Verletzung von Art. 3 GG | 225 | ||
aa) Art. 3 Abs. 3 GG – Verletzung des speziellen Gleichheitssatzes? | 225 | ||
bb) Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes, Art. 3 Abs. 1 GG | 226 | ||
(1) Vergleichbare Personenkreise, Differenzierungskriterium | 226 | ||
(2) Rechtfertigung der Ungleichbehandlung oder Verletzung des Gleichheitssatzes? | 227 | ||
b) Verfassungskonforme Auslegung des § 52 Abs. 1 StPO | 230 | ||
4. Fazit | 232 | ||
VI. Analogiebildung | 232 | ||
1. Zulässigkeit der Analogiebildung | 233 | ||
2. Planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes oder „beredtes Schweigen“? | 234 | ||
a) Informelle Paarbeziehungen | 236 | ||
aa) Institutionalisierte und nichtinstitutionalisierte Lebensformen in vorindustrieller Zeit | 236 | ||
bb) Nichteheliche Lebensformen in frühindustrieller Zeit bis zum Ende des 19. Jahrhunderts | 240 | ||
cc) Zwischenergebnis | 245 | ||
b) Enge Freundschaften | 245 | ||
c) Rechtsetzungsakte seit Schaffung der StPO | 246 | ||
3. Fazit | 246 | ||
VII. Abwendung der Sanktionsmittel des § 70 StPO unter Berufung auf Notstandsregelungen | 247 | ||
VIII. Perspektiven für eine Umgestaltung des Zeugnisverweigerungsrechts aus persönlichen Gründen de lege ferenda | 249 | ||
1. Kurze Zusammenfassung der Ergebnisse der vorangegangenen Abschnitte | 249 | ||
2. Umsetzung der Ergebnisse der Untersuchung – Überlegungen zur Einbeziehung nicht-institutionalisierter intensiver Nähe- und Vertrauensbeziehungen in den Regelungsbereich eines Zeugnisverweigerungsrechts aus persönlichen Gründen | 251 | ||
a) Alternative Regelungsmöglichkeiten | 251 | ||
b) Modifikation des § 52 StPO | 254 | ||
Literaturverzeichnis | 263 | ||
Sachwortverzeichnis | 284 |