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Selbstbelastungsfreiheiten

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Kölbel, R. (2006). Selbstbelastungsfreiheiten. Der nemo-tenetur-Satz im materiellen Strafrecht. Duncker & Humblot. https://doi.org/10.3790/978-3-428-52039-8
Kölbel, Ralf. Selbstbelastungsfreiheiten: Der nemo-tenetur-Satz im materiellen Strafrecht. Duncker & Humblot, 2006. Book. https://doi.org/10.3790/978-3-428-52039-8
Kölbel, R (2006): Selbstbelastungsfreiheiten: Der nemo-tenetur-Satz im materiellen Strafrecht, Duncker & Humblot, [online] https://doi.org/10.3790/978-3-428-52039-8

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Selbstbelastungsfreiheiten

Der nemo-tenetur-Satz im materiellen Strafrecht

Kölbel, Ralf

Strafrechtliche Abhandlungen. Neue Folge, Vol. 176

(2006)

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Abstract

Für das Strafrecht der westlichen Moderne steht fest: "Nemo tenetur se ipsum accusare". Auch das deutsche Strafverfahren sieht hierin eine elementare Größe, die das eigene Selbstverständnis prägt. Doch zugleich gibt jener "nemo-tenetur-Satz" immer wieder Anlass zum Streit. Über seine positiv-rechtlichen Geltungsgrundlagen und seine theoretische Erklärbarkeit ist man sich ebenso uneins geblieben wie über die Details seiner Gewährleistungsstruktur. Angesichts dieses Widerspruchs zwischen ungeklärter Dogmatik und selbstverständlicher Dignität der Selbstbelastungsfreiheit wendet sich Ralf Kölbel in seiner Jenaer Habilitationsschrift einigen ihrer offenen Grundfragen zu. Im Anschluss an seine rechtsmethodischen Vorüberlegungen stellt er die sachstrukturellen Hintergründe, die rechtsgeschichtliche Entwicklung und die verfassungsrechtliche Basis des "nemo-tenetur-Satzes" dar.

Im Verlauf der Untersuchung erweist sich die "nemo-tenetur-Formel" als Bezeichnung für einen Gewährleistungskomplex, der von der Zurückhaltung verfänglichen Wissens handelt und von einem Ensemble verschiedener Grundrechte getragen wird. Um diese Konzeption sodann exemplarisch zu vertiefen, widmet sich der Autor den bislang kaum thematisierten materiell-strafrechtlichen Bezügen der Selbstbelastungsfreiheit. Besondere Aufmerksamkeit erfahren dabei die Wechselwirkungen zwischen den einschlägigen Straf- und Verfassungsnormen. Bei deren Analyse zeigt sich die Notwendigkeit, "praktische Konkordanz" zwischen dem "nemo-tenetur-Interesse" und kollidierenden Belangen herzustellen. Unter den Möglichkeiten, die das geltende Recht hierfür zur Verfügung stellt, findet der Autor in einem abgestimmten System aus einschränkender Straftatbestandsauslegung und Beweisverwertungsverbot die überzeugendste Lösung.

Table of Contents

Section Title Page Action Price
Vorwort 5
Inhaltsverzeichnis 7
Einleitung 17
Teil 1: Bestandsaufnahme 21
1. Kapitel: Facetten und Strukturen des nemo-tenetur-Satzes 21
I. Vorbemerkung: Zugang zu einer unübersichtlichen Diskussion 21
II. Elemente des Schweigerechts in der Vernehmung 23
1. Gewährleistete Schweigethemen 23
2. Recht auf Lüge? 25
3. Die Zeitdimension 27
4. Das Zwangsmittelverbot 29
a) Beweismethodenverbote: § 136a StPO 29
b) Keine Benachteiligung des schweigenden Beschuldigten 31
aa) Strafzumessungsentscheidung 31
bb) Kostenentscheidung 35
cc) Beweiswürdigung 36
5. Schutz der Aussagefreiheit durch Verfahrensrechte 39
III. Mitwirkungsfreiheit im Ermittlungsverfahren 43
1. Handlungs- und Duldungspflichten 44
2. Heimliche Ermittlungen und der Schutz vor Täuschung 50
a) Die Hörfallen-Debatte 50
b) Sonstige Formen der verdeckten Ermittlung 54
IV. Selbstbelastungsfreiheit außerhalb der Beschuldigtenrolle 57
1. Die strafprozessuale Indienstnahme des Dritten 57
a) Das Schweigerecht des Zeugen 57
b) Schweigerecht bei ungeklärter Prozessrolle 62
c) Strafprozessuale Inanspruchnahme Unverdächtiger 67
2. Selbstbelastungsschutz im außerstrafprozessualen Kontext 69
a) Auskunftspflichten 69
b) Mitwirkungslasten 72
c) Dokumentations- und Vorlagepflichten 74
d) Insbesondere: Besteuerungsverfahren 76
V. Strukturerweiterungen 80
1. Drohende nichtstrafrechtliche Sanktion 80
2. Angehörigenschutz durch nemo tenetur? 81
3. Adressaten des nemo-tenetur-Satzes 82
VI. Insonderheit: Straftatbestandliche Selbstbelastung? 84
1. Selbstanzeigepflichten 85
2. Selbstbegünstigungsprivilegien 87
3. Straftatbestandliche Selbstbelastungspflichten 89
VII. Fazit: Rekonstruktion des vorherrschenden nemo-tenetur-Konzeptes 92
1. Gehalt der Selbstbelastungsfreiheit 93
2. Normstruktur der Selbstbelastungsfreiheit 98
3. Am Rande: Zum Vokabular 100
2. Kapitel: Das Untersuchungsprogramm 102
I. Über die Stoßrichtung des anschließenden Vorgehens 102
II. Beispiele einer methodisch fragwürdigen Praxis 103
III. Fazit: Die erforderlichen Arbeitsschritte 105
Teil 2: Anforderungen an die nemo-tenetur-Konkretisierung 109
3. Kapitel: Das Rechtsgewinnungsverfahren 109
I. Abriss zur Strukturierenden Rechtslehre 110
1. Das Normkonkretisierungsmodell (Ablauf der Normkonstruktion) 110
2. Fachexterne Bestätigung der theoretischen Grundannahmen 114
3. Besonderheiten wissenschaftlich-dogmatischer Normkonkretisierung 118
a) Vorüberlegungen 118
b) Sozialwissenschaft in der derzeitigen Straf- und Strafprozessrechtsdogmatik 119
c) Wissenschaftlich-dogmatische Arbeitsweise aus Sicht der Strukturierenden Rechtslehre 122
II. Methoden der straf- und strafprozessrechtswissenschaftlichen Dogmatik 125
1. Grundlagen 125
2. Analyse straf- und strafprozessrechtlicher Normprogramme 127
a) Normtextbezogene Konkretisierungselemente 127
b) Insbesondere: Das teleologische Argument 129
aa) Strafrechtsgut 130
bb) Strafprozessuale Regelungszwecke 133
c) Nichtnormtextbezogene Konkretisierungselemente 134
d) Wortlautgrenze 136
3. Analyse straf- und strafprozessrechtlicher Normbereiche 139
III. Konsequenzen für die rechtswissenschaftliche Arbeit an nemo tenetur 140
4. Kapitel: Systematische Rahmenstruktur von nemo tenetur 142
I. Vielstimmigkeit der nemo-tenetur-Rechtsquellen 142
II. Selbstbelastungsfreiheit im hierarchischen Teil des Normnetzwerks 145
1. Das Verhältnis von Grundrechten und Gesetz 145
a) Nachrang und Grundrechtsorientierung einfachen Rechts 145
b) Grundrechtsausgestaltung durch einfaches Recht 147
2. Nemo tenetur zwischen Grundrecht und Gesetz 150
a) Grundrechtsprägung 150
b) Gesetzesprägung 153
III. Selbstbelastungsfreiheit im horizontalen Teil des Normnetzwerks 154
1. Einheit der Rechtsordnung als nutzlose Fiktion 155
2. Die fragmentwahrende Strafrechtsauslegung 156
a) Wechselwirkungen von Straf- und Strafverfahrensrecht 157
b) Kollision von impliziten und expliziten Verhaltensnormen 159
c) Strafrecht und fragmentwahrende Auslegung 162
IV. Fazit 165
Teil 3: Grundfragen des nemo-tenetur-Satzes 167
5. Kapitel: Sachbezug der Selbstbelastungsfreiheit 167
I. Das Beschuldigtengeheimnis und sein rechtlicher Schutz 167
1. Geheimnisorientierung als soziales Handlungsmuster 169
a) Soziale Relevanz des Geheimnisses 169
b) Geheimnisinhalte 172
2. Geständnisorientierung als soziales Handlungsmuster 174
a) Die Ausbreitung des Geständnisses 174
b) Kultureller Nachrang des Geständnisses 177
3. Geheimhaltung im Strafrechtssystem 179
a) Die „Rezeption“ des Geheimnismusters durch das Recht 179
b) Geheimnis und Geständnis in der Prozesswelt 180
aa) Verteidigung und Geheimhaltung 181
bb) Geständnis als Handlungsziel 183
cc) Die kommunikative Produktion des Geständnisses 184
dd) Geständnis per Interaktionsdeutung 187
ee) Exkurs: Verdecktes Enthüllen 189
4. Zwischenbilanz 191
II. Notwendigkeit des Geheimnisschutzes? 192
1. Nemo tenetur und individuelle Belange 192
a) Ein nüchterner Vorschlag 192
b) Der grundsätzliche Einwand 194
2. Legitimation des Verfahrens 197
3. Akkusatorische Beweisstruktur 202
4. Kompensatorische Prozessrollengestaltung 205
5. Schlussbemerkung: Begrenzte Rationalität der Freiheitsrechte 211
6. Kapitel: Geschichte des nemo-tenetur-Satzes 214
I. Die Phase des Selbstbezichtigungszwangs 214
1. Das mittelalterliche Anklageverfahren 214
2. Das frühe Inquisitionsverfahren 217
3. Die Carolina (CCC) 220
4. Fortschreibung des Inquisitionsverfahrens 226
5. Zwischenergebnis 231
II. Die Genese positivierter Mitwirkungsfreiheiten 232
1. Auflösung alter Prozessstrukturen 233
2. Die Grundlage für den Wegfall des Aussagezwangs 235
3. Der Reformdiskurs zur Mitwirkungsfreiheit 238
4. Die reichseinheitliche Einführung der Geständnisfreiheit 246
5. Die Selbstbelastungsfreiheit unter dem Reichsstrafprozessrecht 248
6. Weimarer Zeit und Nationalsozialismus 253
7. Strafprozessgesetzgebung nach 1945 257
8. Rechtsdogmatischer Ertrag 259
7. Kapitel: Verfassungsrechtliches Fundament 262
I. Rechtsgrundlagenbestimmung: „Vorverständnis und Methodenwahl“ 262
1. Kritik des herkömmlichen Vorgehens 262
a) Die Suche nach einem Geltungs-Alibi 262
b) Die Mängel der „Steckbriefmethode“ 265
2. Transparente Hermeneutik 269
II. Verfassungsrechtliche Strafvereitelungsfreiheiten 273
1. Die Devise vom „weiten“ Grundrechtstatbestand 273
2. Einzelgrundrechtliche Strafvereitelungsfreiheiten 275
a) Die allgemeinen Abwehrrechte 275
aa) Schutz vor staatlicher Ermittlung 275
bb) Insonderheit: Persönlichkeitsrechte 277
cc) Abwehrrechte aus der Menschenwürde? 284
b) Schutzeffekt von Handlungsrechten 287
aa) Allgemeine Handlungsfreiheit 287
bb) Meinungsäußerungsfreiheit 288
cc) Gewissensausübungsfreiheit 290
c) Spezifische prozessuale Verbürgungen 293
aa) Verfahrensgrundrechte 293
bb) Fairnessprinzip 298
cc) Unschuldsvermutung 301
3. Fazit 304
8. Kapitel: Nemo tenetur als Grundrechtsausschnitt 306
I. Der zu nemo tenetur gehörende Grundrechtskomplex 306
1. Stellenwert der nemo-tenetur-Formel 306
2. Auswahl des zu nemo tenetur gehörenden Grundrechtskomplexes 308
a) Merkmale des Schutzgegenstands 308
b) Die Rechtsgrundlagen-Familie 312
II. Gewährleistungsstrukturen 313
1. Produktionskontext 314
2. Personelle Gewährleistungen 315
3. Eingriffsresistenz 317
Teil 4: Selbstbelastungsfreiheit und Strafrecht 321
9. Kapitel: Strafrechtliche Einwirkung auf nemo tenetur 321
I. Unterschiede strafgesetzlicher Grundrechtsrelevanz 321
II. Strafgesetzliche Eingriffe in nemo-tenetur-Grundrechte 323
1. Tatbestandsimplizite Verhaltensnormen 323
a) Eingriff durch finale Selbstbelastungspflichten 323
b) Eingriff durch finales Verbot aktiver Verheimlichung 327
c) Geheimhaltungserschwernis als mittelbarer Eingriff 332
aa) Nicht-imperative Geheimhaltungshindernisse 332
bb) Eingriffswert nicht-imperativer Erschwernisse 334
2. Sanktionsnormen 338
3. Nemo-tenetur-Eingriff durch Sanktionsakte 340
a) Strafschärfung wegen Nachtatverhaltens 340
b) Eingriff durch materiell-strafrechtliche Angebote? 342
aa) Das dogmatische Problem 342
bb) Die unproblematischen Angebotsfälle 345
cc) Die eingriffswertigen Angebotsfälle 348
III. Fortbildung der nemo-tenetur-Grundrechte durch Eingriffsverzicht 351
1. Straftatbestandliche Privilegierungen 353
2. Unvollkommene Privilegierungen 355
3. Klarstellend: Rest-Eingriffe durch Privilegierungsgrenzen 356
IV. Strafrechtsschutz der nemo-tenetur-Grundrechte 359
V. Fazit 361
10. Kapitel: Verfassungsmäßigkeit des nemo-tenetur-Strafrechts 364
I. Verfassungsmäßigkeit des Verhaltensregimes 364
1. Ziele strafrechtlicher Verhaltensnormen 365
2. Eignung strafrechtlicher Verhaltensnormen 371
3. Erforderlichkeit strafrechtlicher Verhaltensnormen 372
a) Zweckverfolgung durch nicht-imperative Alternativen 373
b) Zweckverfolgung durch alternative Strafnormen 374
c) Zweckverfolgung durch anderweitige Strafnormen 375
4. Angemessenheit der strafrechtlichen Verhaltensnormen 377
a) Praktische Konkordanz 377
b) Verfügbare Abwägungsposten 382
aa) Bemakelung des Geheimhaltungsinteresses? 382
bb) Aufwertung der kollidierenden Güter? 384
cc) Selbstbelastungszwang zur Strafverfolgung? 388
II. Verfassungsmäßigkeit des Sanktionsregimes 393
1. Strafbewehrung und Strafprivilegien 393
2. Strafschärfungsfälle 397
III. Nemo-tenetur-schützendes Strafrecht 398
IV. Fazit 399
11. Kapitel: Prozessrechtsbindungen des nemo-tenetur-Strafrechts 401
I. Zur Erinnerung: Das Verfahren der fragmentwahrenden Auslegung 401
II. Fragmentwahrende Auslegung des Selbstbelastungs-Strafrechts 402
1. Prozessverhalten des Angeklagten 402
a) Drittbeeinträchtigende Verfahrenseinlassung 402
b) Beweislagentrübung mittels Beweisantrags 404
aa) Problemstruktur 404
bb) Reichweite des Beweisantragsrechts 407
cc) Einwände 409
dd) Präzisierungen 410
c) Strafbarkeit und Non-Aktivität 413
aa) Schweigen als Unterlassensbeihilfe? 413
bb) Aktivbeihilfe durch schweigeadäquates Verhalten? 415
cc) Prozessrechtliche Schweigeerlaubnis 418
2. Prozessuale Aktionsformen des Verteidigers 420
a) Strafvereitelung per Anwaltsratschlag? 422
b) Strafbarkeit der Informationsweitergabe? 425
3. Geheimniswahrung in der Zeugenrolle 427
a) Zeugenstatus trotz Beteiligungsverdachts? 428
b) Verfahrensfehler und Falschaussage 433
aa) Prozesspflicht zum wahren Zeugnis 433
bb) Beispiel: Falschaussage nach Belehrungsdefizit 436
III. Fazit 439
12. Kapitel: Praktische Konkordanz im Selbstbelastungs-Strafrecht 440
I. Vorauswahl der Konkordanzmodelle 441
1. Lösungen im Produktionskontext 443
a) Suspendierung der strafrechtlichen Verhaltensnorm 443
b) Sekundärrechtliche Konzession 445
c) Insbesondere: Der Zumutbarkeitsvorbehalt 447
d) Konfliktmindernde Tatbestandsauslegung 451
2. Lösungen im Verwendungskontext 452
a) Entschärfung des Wissens 452
aa) Durch nachtatliche Normtreue konditionierter Sanktionsverzicht 452
bb) Durch nachtatliche Normtreue konditionierte Sanktionsmilderung 456
b) Schranken der Wissensverwendung 458
II. Rechtsmethodische Zulässigkeit der Konkordanzmodelle 460
1. Begründung des Beweisverwertungsverbots 461
a) Die konstitutionelle Rechtsgrundlage 461
b) Zur Ausgestaltung des Verwertungsverbots 465
c) Ausnahmen vom Verwertungsverbot durch einfaches Recht? 468
2. Begründung des Strafmilderungsmodells 470
3. Verhältnis von beweis- und strafzumessungsrechtlicher Lösung 473
III. Das Programm der konfliktmindernden Tatbestandsauslegung 474
1. Tatbestandslosigkeit bagatellschädigender Geheimhaltung 475
2. Vorbehalte? 478
3. Beispieltatbestände 479
a) § 142 I – III StGB 479
b) § 153 StGB 482
4. Vorrang der materiell-strafrechtlichen vor der prozessualen Lösung 485
5. Exemplarische Konsequenzen 487
IV. Fazit 489
Gesamtbilanz 491
Literaturverzeichnis 495
Sachregister 575