Sekundäre Viktimisierung als Legitimationsformel
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Sekundäre Viktimisierung als Legitimationsformel
Schriften zum Strafrecht, Vol. 230
(2012)
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Prof. Dr. Ralf Kölbel ist – nach Dissertation und Habilitation in Jena sowie weiteren akademischen Stationen in Dresden, München und Münster – Professor für Kriminologie, Straf- und Strafverfahrensrecht an der Universität Bielefeld. Seine derzeitigen Arbeitsschwerpunkte liegen im Bereich der Wirtschaftskriminologie und im Strafprozessrecht. Lena Bork ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am selben Lehrstuhl und arbeitet an einer Dissertation zu sog. Ehrverbrechen.Abstract
Spätestens seit Garlands »Culture of Control« wird die Frage gestellt, ob und wie die Kriminalpolitik »das Opfer« benutzt, um dem Strafrecht punitive Züge zu geben. Der Verdacht, dass das Opfer als Vehikel des »Penal Populism« diene, besteht auch mit Blick auf den expandierenden strafprozessualen Opferschutz in Deutschland. Ralf Kölbel und Lena Bork zeigen nach der bisher umfassendsten Sekundäranalyse auf, dass die »Gefahr sekundärer Viktimisierung« im rechtspolitischen Diskurs seit 30 Jahren als eine Legitimationsfigur fungiert, die keine wissenschaftliche Grundlage hat. Dennoch ergibt eine Rekonstruktion der wesentlichen Gesetzgebungsvorgänge nur wenig Hinweise auf eine Opferinstrumentalisierung. Die viktimologische Wende im Strafprozess erscheint eher als sozialstaatliches Projekt, das sich aber von seiner empirischen Basis verselbstständigt hat und deshalb gleichermaßen untersuchungs- und hinterfragungsbedürftig ist. Hierfür entwickeln die Autoren abschließend einen konzeptionellen Rahmen.
Table of Contents
Section Title | Page | Action | Price |
---|---|---|---|
Inhaltsverzeichnis | 5 | ||
A. Einleitung | 9 | ||
B. Die „Schutz vor sekundärer Viktimisierung“ als Legitimationsfigur | 13 | ||
I. Sekundärviktimisierungsgefahren als Motiv der Opferschutzgesetzgebung | 13 | ||
1. Grundlinien der bisherigen Opferschutzgesetzgebung | 13 | ||
2. Sekundäre Viktimisierung als Gesetzgebungsaspekt | 18 | ||
a) Einschlägige Erwägungen beim Opferschutzgesetz von 1986 | 18 | ||
b) Einschlägige Erwägungen beim Zeugenschutzgesetz von 1998 | 21 | ||
c) Einschlägige Erwägungen bei neueren Opferschutzgesetzen | 24 | ||
II. Erwägungen zur prozessbedingten sekundären Viktimisierung in aktuellen Debatten | 26 | ||
1. Sekundäre Viktimisierung als Gesichtspunkt derzeitiger Gesetzgebung | 26 | ||
a) Vorbemerkung | 26 | ||
b) Einschlägige Erwägungen beim sog. StORMG | 28 | ||
c) Einschlägige Erwägungen bei der Herausbildung Europäischer Mindeststandards | 30 | ||
2. Gefahr sekundärer Viktimisierung als Aspekt der Normkonkretisierung | 32 | ||
III. Am Rande: Sekundäre Viktimisierung in der öffentliche Diskussion | 34 | ||
IV. Fazit | 35 | ||
C. Empirische Forschung zu den „Gefahren sekundärer Viktimisierung“ | 38 | ||
I. „Sekundäre Viktimisierung“ als kriminologisches Konzept | 38 | ||
1. Das gängige Begriffsverständnis | 38 | ||
2. Unschärfe und konzeptionelle Unterbestimmtheit | 40 | ||
3. Ungreifbarkeit durch methodische Tücken | 42 | ||
4. Das Stichprobenproblem | 44 | ||
5. Konzeptionelle Konkretisierung und methodische Minimalanforderungen | 45 | ||
II. Rekonstruktion des derzeitigen Forschungstandes | 48 | ||
1. Zur Abgrenzung: Enttäuschte Opferbedürfnisse | 48 | ||
2. Spezielle Forschung zur „sekundären Viktimisierung“ | 49 | ||
a) Opfer sexuellen Missbrauchs | 49 | ||
aa) Erste und „klassische“ US-amerikanische Studien | 49 | ||
bb) Neuere US-amerikanische Studien | 51 | ||
cc) Deutsche Studien | 53 | ||
dd) Zusammenfassung | 56 | ||
b) Erwachsene Opfer von Sexualdelikten | 57 | ||
aa) Prozess- vs. Einstellungsforschung | 57 | ||
bb) Internationale Untersuchungen | 60 | ||
cc) Deutsche Untersuchungen | 62 | ||
dd) Zusammenfassung | 63 | ||
c) Opfer sonstiger Delikte | 64 | ||
d) Befunde zu „therapeutischen“ Verfahrenseffekten | 67 | ||
e) Studien zu opferprotektiven Effekten reformierter Strafprozessgestaltungen | 68 | ||
aa) Vorüberlegung | 68 | ||
bb) Deutsche Implementationsstudien | 69 | ||
cc) Zusammenfassung | 73 | ||
III. Fazit | 73 | ||
D. Prozessualer Schutz vor sekundärer Viktimisierung als Element moderner Kontrollkultur | 75 | ||
I. Vorüberlegung | 75 | ||
II. Kriminalpolitik in der Spätmoderne | 76 | ||
1. Der Herausbildung einer neuen Kultur der Kontrolle | 76 | ||
2. Insbesondere: Die Opferfigur als Element dieser Entwicklung | 83 | ||
a) Das Opfer als Instrument | 83 | ||
b) Das Opfer als Konstruktion | 85 | ||
c) Das Opfer als Alltagskonzept | 87 | ||
d) Fazit | 88 | ||
III. Einzug einer post-wohlfahrtsstaatlichen Strafrechtskultur in Deutschland? | 89 | ||
1. Divergente Grundannahmen | 89 | ||
2. Disparate Anhaltspunkte | 90 | ||
a) Stimmungsindikatoren | 90 | ||
b) Praxisindikatoren | 92 | ||
c) Institutionelle Unterschiede | 94 | ||
3. Konzeptionelle Korrekturen | 95 | ||
IV. Opferfigur und Sekundärviktimisierung | 96 | ||
1. Thesen zur Logik von Opferschutz und Prozessrechtsumbau | 96 | ||
2. Instrumentalisierung der Sekundärviktimisierungsgefahr? | 98 | ||
a) Vorbehalte | 99 | ||
b) Das Zustandekommen des Opferschutzgesetzes | 100 | ||
c) Eingeschränkte Verallgemeinerbarkeit | 101 | ||
d) Zwischeneindruck | 103 | ||
3. Sekundärviktimisierungsgefahr als diskursive Konstruktion? | 104 | ||
V. Ein Analysemodell | 106 | ||
VI. Prozessualer Opferschutz und die Folgen | 109 | ||
1. Die (nicht) intendierten Gefahren | 109 | ||
2. Beispiele für Rechtseinbußen auf Angeklagtenseite | 110 | ||
3. Rück- und Ausblick | 113 | ||
Anhang I: Tabellarische Übersicht über empirische Studien zu Fragen der prozessbedingten sekundären Viktimisierung | 115 | ||
Anhang II: Kontrollregimes – ein heuristisches Begriffs- und Kategoriengerüst | 135 | ||
Literaturverzeichnis | 137 | ||
Personen- und Sachverzeichnis | 159 |