Erinnerungsstrafrecht
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Erinnerungsstrafrecht
Eine Neubegründung des Verbots der Holocaustleugnung auf rechtsvergleichender und sozialphilosophischer Grundlage
Schriften zum Strafrecht, Vol. 231
(2012)
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About The Author
Milosz Matuschek wurde 1980 in Bytom/Polen geboren. Studium der Rechts- und Sozialwissenschaften in München, Paris und Regensburg. 2007 Erste juristischen Prüfung und Erwerb der »Maîtrise en droit« (Université Panthéon-Assas). Von 2007 bis 2011 Promotion mit Stipendium der »Fondation pour la Mémoire de la Shoah« (Paris). Forschungsaufenthalte am MPI für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg/Breisgau sowie in Krakau, Paris und Berlin. Seit 2010 Rechtsreferendar am Kammergericht Berlin.Abstract
Das Verbot der Holocaustleugnung besteht seit Jahren in vielen europäischen Ländern und sollte 2008 durch einen Rahmenbeschluss auf alle EU-Mitgliedstaaten ausgeweitet werden. Trotz ihrer Verbreitung steht diese Vorschrift seit jeher in der Kritik. Rechtlich wurden insbesondere das wenig griffige Schutzgut sowie der Eingriff in die Meinungs- und Forschungsfreiheit moniert. Die Regelung historischer Vorgänge durch Gesetze legt zudem den Schluss auf ein Sonder- und Feindstrafrecht nahe. In dieser Studie werden die Argumente gegen die Vorschrift auf ihre Tragfähigkeit untersucht und ein neues Begründungsmuster vorgestellt. Unter Vergleichung der Rechtslage in Deutschland, Frankreich, Polen und England/USA wird der Schutz der Erinnerung als Zweck der Vorschrift ausgemacht. Ausgehend von den sozialwissenschaftlichen Erinnerungskonzeptionen Maurice Halbwachs' und Jan Assmanns werden die Konturen eines neuen Rechtsguts der »kollektiven Erinnerung« vorgestellt. Eine Analyse sozialphilosophischer Denkmuster von Hobbes über Durkheim bis zu den Kommunitaristen zeigt, dass der Schutz kollektiver Überzeugungen durch das Strafrecht kein Fremdkörper in modernen Strafrechtsordnungen sein muss und zudem vor dem Hintergrund des Schutzes der Meinungsfreiheit gerechtfertigt sein kann.
Table of Contents
Section Title | Page | Action | Price |
---|---|---|---|
Vorwort | 9 | ||
Inhaltsübersicht | 11 | ||
Inhaltsverzeichnis | 13 | ||
Abkürzungsverzeichnis | 21 | ||
Einführung | 29 | ||
I. Zielsetzung und thematische Einbettung | 29 | ||
II. Der Gang der Untersuchung | 30 | ||
III. Zitierweise | 32 | ||
Erster Teil: Was schützt das Verbot der Holocaustleugnung? | 33 | ||
1. Kapitel: Negationismus als Straftat | 33 | ||
A. Was ist Negationismus? | 33 | ||
B. Geschichtliche und methodische Aspekte des Negationismus | 36 | ||
I. Der Ursprung des Negationismus | 36 | ||
II. Die Methoden der Negationisten | 39 | ||
C. Der Begriff lois mémorielles – Erinnerungsgesetze | 41 | ||
I. Was sind Erinnerungsgesetze? | 41 | ||
II. Klassifizierung | 43 | ||
III. Eingrenzung des Begriffs Erinnerungsgesetz | 44 | ||
2. Kapitel: Das Verbot der Holocaustleugnung in der rechtspolitischen Diskussion | 46 | ||
A. Deutschland: § 130 Abs. 3 StGB | 46 | ||
I. Gesellschaftlicher Kontext | 46 | ||
II. Initiative | 47 | ||
III. Verlauf der parlamentarischen Debatte | 48 | ||
1. Pro-Argumente | 48 | ||
2. Contra-Argumente | 50 | ||
IV. Rechtspolitische Stellungnahmen | 51 | ||
1. Stellungnahmen aus der Gesellschaft | 51 | ||
a) Positive Kommentare | 51 | ||
b) Kritische Kommentare | 52 | ||
2. Stellungnahmen aus der Rechtswissenschaft | 53 | ||
a) Positive Kommentare | 53 | ||
b) Kritische Kommentare | 54 | ||
B. Frankreich: Art. 24bis frz. PresseG | 55 | ||
I. Gesellschaftlicher Kontext | 55 | ||
II. Initiative | 56 | ||
III. Verlauf der Debatte in der Assemblée Nationale und im Senat | 57 | ||
1. Pro-Argumente | 57 | ||
2. Contra-Argumente | 60 | ||
IV. Rechtspolitische Stellungnahmen | 61 | ||
1. Stellungnahmen aus der Gesellschaft | 62 | ||
a) Positive Kommentare | 62 | ||
b) Kritische Kommentare | 63 | ||
2. Stellungnahmen aus der Rechtswissenschaft | 65 | ||
a) Positive Kommentare | 65 | ||
b) Kritische Kommentare | 67 | ||
C. Polen: Art. 55 i.V.m. Art. 1 IPN-G | 68 | ||
I. Gesellschaftlicher Hintergrund | 68 | ||
II. Initiative | 70 | ||
III. Verlauf der Debatte im Sejm und im Senat | 71 | ||
1. Pro-Argumente | 71 | ||
2. Contra-Argumente | 72 | ||
IV. Rechtspolitische Stellungnahmen zu Art. 55 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 IPN-G | 73 | ||
1. Stellungnahmen aus der Gesellschaft | 73 | ||
a) Positive Kommentare | 73 | ||
b) Kritische Kommentare | 74 | ||
2. Stellungnahmen aus der Rechtswissenschaft | 75 | ||
a) Positive Kommentare | 75 | ||
b) Kritische Kommentare | 76 | ||
D. England | 77 | ||
I. Gesellschaftlicher Kontext und Initiative | 77 | ||
II. Pro- und Contra-Argumente in Gesellschaft und Rechtswissenschaft | 78 | ||
E. Kritische Stellungnahme zur rechtspolitischen Diskussion | 79 | ||
I. Deontologische Argumente | 79 | ||
1. Das Totalitarismusargument | 79 | ||
2. Das Übermaßargument | 81 | ||
3. Das Ausnahmegesetzargument | 82 | ||
II. Konsequentialistische Argumente | 83 | ||
1. Das Märtyrerargument | 83 | ||
2. Das Aufmerksamkeitsargument | 84 | ||
3. Das Dammbruchargument | 85 | ||
3. Kapitel: Das Schutzgut des Verbots der Holocaustleugnung | 86 | ||
A. Deutschland | 86 | ||
I. Der öffentliche Friede | 87 | ||
1. Definitionsansätze des öffentlichen Friedens | 87 | ||
2. Die Anwendung auf das Verbot der Holocaustleugnung | 89 | ||
II. Individualschützende Rechtsgüter jenseits des öffentlichen Friedens | 91 | ||
1. Die Menschenwürde | 91 | ||
2. Die Ehre | 92 | ||
III. Strafgründe jenseits etablierter Rechtsgutskategorien | 93 | ||
B. Frankreich | 94 | ||
I. Die kollektive Erinnerung | 95 | ||
II. Der ordre public | 98 | ||
III. Die Menschenwürde | 99 | ||
IV. Das demokratische Gemeinwesen | 100 | ||
C. Polen | 100 | ||
I. Die Erinnerung und die historische Wahrheit | 101 | ||
II. Die Ehre und die Menschenwürde | 102 | ||
Ergebnis | 102 | ||
Zweiter Teil: Das Verbot der Holocaustleugnung als Erinnerungsgesetz | 105 | ||
4. Kapitel: Die Erinnerung an den Holocaust als sozialer Zustand | 105 | ||
A. Soziale Bindung im modernen Staat | 105 | ||
I. Keine Gemeinschaft ohne Identität | 105 | ||
II. Überholte staatliche Bindungselemente: Religion, Rasse und Abstammung | 107 | ||
III. Die moderne Nation als politische Glaubensgemeinschaft | 109 | ||
IV. Die moderne Nation als Erinnerungsgemeinschaft | 111 | ||
B. Die Erinnerungskultur an den Holocaust als Identifikationselement | 113 | ||
I. Die Entwicklung der Erinnerungskultur an den Holocaust | 113 | ||
II. Die Offizialisierung der Erinnerungskultur an den Holocaust | 115 | ||
III. Die Erinnerung als soziale Tatsache (Durkheim) | 117 | ||
5. Kapitel: Die Erinnerung an den Holocaust als rechtliches Postulat | 118 | ||
A. Soziale Integration durch Recht | 118 | ||
B. Erinnerung und Öffentliches Recht | 120 | ||
I. Die Präambel zum Grundgesetz | 120 | ||
II. Die Übergangsvorschrift des Art. 139 GG | 121 | ||
III. Die wehrhafte Demokratie | 122 | ||
IV. Der Begriff der öffentlichen Ordnung | 124 | ||
C. Erinnerung und Strafrecht | 126 | ||
I. Der Vergangenheitsbezug in den Straftheorien | 126 | ||
II. Kollektive Erinnerung durch Strafverfahren | 127 | ||
III. Materielle Grundentscheidungen für die Erinnerung | 128 | ||
6. Kapitel: Die kollektive Erinnerung als strafrechtliches Schutzgut | 130 | ||
A. Der Begriff der kollektiven Erinnerung | 130 | ||
B. Konzeptionen der kollektiven Erinnerung | 131 | ||
I. Die kollektive Erinnerung bei Halbwachs | 131 | ||
II. Die kollektive Erinnerung bei J. Assmann | 132 | ||
C. Das Rechtsgut der kollektiven Erinnerung | 133 | ||
I. Die Erinnerung als werthafter Bewusstseinszustand | 133 | ||
II. Die kollektive Erinnerung als Gemeinrechtsgut | 135 | ||
D. Die Schutzbedürftigkeit der kollektiven Erinnerung | 137 | ||
I. Der Einsatz des Strafrechts als Ultima ratio | 137 | ||
II. Die Notwendigkeit des Verbots der Holocaustleugnung | 138 | ||
1. Die natürliche Erosionsanfälligkeit der kollektiven Erinnerung | 138 | ||
2. Das personale Defizit in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung | 139 | ||
3. Das strukturelle Defizit in der kommunikativen Auseinandersetzung | 140 | ||
E. Erinnerungsstrafrecht als Identitätsstrafrecht | 143 | ||
I. Was ist Identitätsstrafrecht? | 143 | ||
II. Die drei Ebenen des Identitätsstrafrechts | 144 | ||
III. Die hybride Struktur des modernen Strafrechts | 145 | ||
Ergebnis | 146 | ||
Dritter Teil: Sind Erinnerungsgesetze ideengeschichtlich vertretbar? | 149 | ||
7. Kapitel: Gemeinschaftliche Elemente in der neuzeitlichen Sozialphilosophie | 149 | ||
A. Welcher Staat? Eine sozialphilosophische Gefühlslage | 149 | ||
B. Der Holismus in der Staatsphilosophie | 152 | ||
I. Die Staatsgründung aus atomistischer Sicht | 152 | ||
II. Die Staatsgründung aus holistischer Sicht | 153 | ||
C. Der Kollektivismus in der Staatsphilosophie | 157 | ||
I. Der Gesellschaftsvertrag als individualistisches Paradigma | 157 | ||
II. Die Entdeckung der Gemeinschaft | 159 | ||
8. Kapitel: Gemeinschaftliche Elemente in der neuzeitlichen Strafrechtsphilosophie | 164 | ||
A. Hobbes: Strafrecht zum Schutz der Gemeinschaft | 164 | ||
B. Locke: Strafrecht als Individual- und Kollektivschutz | 166 | ||
C. Montesquieu: Das Strafrecht als Ausdruck eines esprit de nation | 167 | ||
D. Rousseau: Das Verbrechen als Bruch des Gesellschaftsvertrages | 169 | ||
E. Beccaria: Gesellschaftsschutz vor Individualschutz | 170 | ||
F. Kant: Die Lüge als Verbrechen gegen den Urvertrag | 173 | ||
G. Hegel: Die Strafe als Mittel zur Bewahrung des Allgemeinen | 176 | ||
H. Durkheim: Verbrechen als Verletzung eines Kollektivbewusstseins | 178 | ||
Ergebnis | 181 | ||
Vierter Teil: Sind Erinnerungsgesetze strafrechtsdogmatisch integrierbar? | 183 | ||
9. Kapitel: Verbrechensbegriff und Gemeinschaftsinteressen | 183 | ||
A. Der materielle Verbrechensbegriff in Deutschland | 183 | ||
I. Der Begriff des Rechtsguts | 183 | ||
II. Die Funktion des Rechtsguts | 186 | ||
1. Das Rechtsgut als Begrenzungskriterium des Strafrechts | 186 | ||
2. Das Rechtsgut als Auffangform für alle legitimen Interessen | 187 | ||
3. Stellungnahme | 188 | ||
III. Gemeinschaftsbelange in der Strafrechtsdogmatik | 189 | ||
B. Der materielle Verbrechensbegriff in Frankreich | 190 | ||
I. Die Definition des Verbrechens | 190 | ||
II. Die Funktion der Verbrechensdefinition | 192 | ||
III. Die Rolle des intérêt protégé oder bien juridique | 193 | ||
C. Der materielle Verbrechensbegriff in Polen | 195 | ||
I. Von der Gesellschaftsgefährlichkeit zur Gesellschaftsschädlichkeit | 195 | ||
II. Der Begriff der Gesellschaftsschädlichkeit in Art. 1 § 2 poln. StGB von 1997 | 198 | ||
1. Die Ausklammerung aus der materiellen Verbrechensdefinition | 199 | ||
2. Die Integration in die materielle Verbrechensdefinition | 200 | ||
III. Die Verbrechensdefinition | 201 | ||
IV. Die Funktion des Rechtsguts (dobro prawne) | 203 | ||
D. Der materielle Verbrechensbegriff in England | 205 | ||
I. Begriff und Funktion des Harm Principle | 205 | ||
II. Der Stellenwert von Gemeinschaftsinteressen und Wertvorstellungen | 207 | ||
1. Die Disintegration Thesis (Devlin) | 207 | ||
2. Der Störungsgrundsatz und das schadlose Unrecht (Feinberg) | 210 | ||
3. Die Verhinderung des Allgemeinwohls als Schaden (Raz) | 212 | ||
4. Ideelle Schäden (MacKinnon, Delgado, Tsesis) | 213 | ||
10. Kapitel: Die Integration der kollektiven Erinnerung in die Strafrechtsdogmatik | 214 | ||
A. Deutschland: Die Erinnerung als abstrakt-ideelles Gemeinrechtsgut | 214 | ||
B. Frankreich: Die Erinnerung als valeur sociale | 216 | ||
C. Polen: Die Erinnerung als geschützter gesellschaftlicher Wert | 216 | ||
D. England: Die Verletzung der Erinnerung als harm? | 217 | ||
Ergebnis | 218 | ||
Fünfter Teil: Sind Erinnerungsgesetze verfassungsrechtlich rechtfertigbar? | 220 | ||
11. Kapitel: Grund und Grenzen der Meinungsfreiheit | 220 | ||
A. Die Begründungsarten der Meinungsfreiheit | 220 | ||
B. Das Truth Principle und die Holocaustleugnung | 223 | ||
I. Das Truth Principle (Milton, Mill) | 223 | ||
II. Der Marketplace of Ideas (Wendell-Holmes) | 225 | ||
III. Wahrheitssuche und Holocaustleugnung | 226 | ||
1. Das Wissensargument | 226 | ||
2. Das Unfehlbarkeitsargument | 228 | ||
3. Das Vitalitätsargument | 229 | ||
12. Kapitel: Das Verbot der Holocaustleugnung in der Verfassungsrechtsprechung | 230 | ||
A. Die Holocaustleugnung und das Grundrecht der Meinungsfreiheit | 230 | ||
I. Die kontinentaleuropäische Verfassungsrechtsprechung | 230 | ||
II. Die Verfassungsrechtsprechung im angelsächsischen Rechtskreis | 233 | ||
B. Die kollektive Erinnerung als abwägungsrelevante Größe | 235 | ||
Ergebnis | 237 | ||
Sechster Teil: Europas Erinnerungsgesetz? | 238 | ||
13. Kapitel: Der EU-Rahmenbeschluss (2008/913/JI) v. 28.11.2008 | 238 | ||
A. Der Inhalt des Rahmenbeschlusses | 238 | ||
I. Die Genese | 238 | ||
II. Die Straftatbestände des Rahmenbeschlusses | 239 | ||
B. Die Konsequenzen für den deutschen Gesetzgeber | 240 | ||
I. Die Pflicht zur Umsetzung | 240 | ||
II. Die Art der Umsetzung | 241 | ||
III. Der Umfang der Umsetzung | 242 | ||
IV. Problemfelder bei der Umsetzung des Rahmenbeschlusses | 242 | ||
1. Der Umfang des Art. 1 Abs. 1 Buchstabe c) | 243 | ||
2. Die Wahrscheinlichkeit der Aufstachelung zu Gewalt und Hass | 244 | ||
3. Der Konflikt zwischen Justiz und Geschichtswissenschaft | 245 | ||
V. Die Lösung des deutschen Gesetzgebers | 246 | ||
C. Stellungnahme | 246 | ||
Ergebnis | 247 | ||
Schluss | 249 | ||
Literaturverzeichnis | 252 | ||
Sachwortregister | 290 |