Artikel 146 Grundgesetz zwischen offener Staatlichkeit und Identitätsbewahrung
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Artikel 146 Grundgesetz zwischen offener Staatlichkeit und Identitätsbewahrung
Perspektiven des Schlussartikels des Grundgesetzes für die zukünftige europäische Integration
Schriften zum Öffentlichen Recht, Vol. 1257
(2014)
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About The Author
Philipp Cramer studierte Rechtswissenschaften an den Universitäten Münster, Bielefeld und Helsinki. Zudem absolvierte er die Fachspezifische Fremdsprachenausbildung im Common Law. Nach der Ersten Juristischen Prüfung im Jahr 2009 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand am Institut für Öffentliches Recht und Politik der Universität Münster (Prof. Dr. Fabian Wittreck). Im Anschluss an die Promotion im Jahr 2012 absolvierte er das Rechtsreferendariat am OLG Düsseldorf mit Stationen u.a. an der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei der EU in Brüssel, im Düsseldorfer Büro der Sozietät Taylor Wessing und am Deutschen Generalkonsulat in Los Angeles. Nach Abschluss der Zweiten Juristischen Prüfung im Jahr 2014 war Philipp Cramer als Rechtsanwalt für Öffentliches Wirtschaftsrecht im Düsseldorfer Büro der Sozietät Hengeler Mueller tätig. Seit Ende 2017 ist er Syndikusrechtsanwalt bei einem multinationalen Unternehmen der Spezialchemie in Essen.Abstract
Selbst nach Verkündung der Lissabon-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bleibt unklar, welches Maß an Hoheitsrechtsübertragungen auf die Europäische Union das derzeitige Grundgesetz zulässt. Insbesondere ist fraglich, wann genau die änderungsfesten Integrationsgrenzen des Grundgesetzes überschritten sind und es zur Fortführung der europäischen Idee einer Nachfolgeverfassung des Grundgesetzes bedarf. Im Kontext der europäischen Integration stellt sich daher die Frage nach der Notwendigkeit und der Zulässigkeit einer in Art. 146 GG genannten und im Lissabon-Urteil in Aussicht gestellten Verfassungneugebung durch das deutsche Volk.Philipp Cramer beleuchtet den Widerspruch zwischen dem Integrationsauftrag des Grundgesetzes und dem gleichzeitig bestehenden Verbot der Staatswerdung der Europäischen Union. Als eine künftige Entwicklungsmöglichkeit des Integrationsprozesses zeigt der Autor den Weg einer Verfassungneugebung durch das deutsche Volk gemäß Art. 146 GG auf und diskutiert diesen. Unter Berücksichtigung des geschichtlichen Hintergrunds von Art. 146 GG und dessen Vorgängervorschrift Art. 146 GG a.F. gibt Cramer neben der Betrachtung des grundsätzlichen »Ob« der Anwendung des Schlussartikels auch einen kurzen Ausblick auf die konkrete Prozedur einer vom Volk ausgehenden Verfassungneugebung. Die Untersuchung ergibt, dass eine Anwendung von Art. 146 GG zur Intensivierung der europäischen Einigung möglicherweise politisch nicht gewollt, rechtlich jedoch zulässig ist.
Table of Contents
Section Title | Page | Action | Price |
---|---|---|---|
Vorwort | 7 | ||
Inhaltsverzeichnis | 9 | ||
Abkürzungsverzeichnis | 15 | ||
Einführung: Anliegen der Arbeit und Gang der Untersuchung | 19 | ||
I. Anliegen der Arbeit | 19 | ||
II. Gang der Untersuchung | 21 | ||
Kapitel 1: Eine Bestandsaufnahme: Die grundgesetzlichen Bedingungen für die europäische Integration seit der „Lissabon-Entscheidung“ des Bundesverfassungsgerichts | 22 | ||
I. Kernaussagen des Richterspruchs | 23 | ||
II. Politisches und wissenschaftliches Echo („post Lissabon“-Debatte) | 27 | ||
III. Die grundsätzliche „Europarechtsfreundlichkeit“ des Grundgesetzes | 35 | ||
1. Verfassungsrechtliche Öffnungsklauseln in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union | 39 | ||
2. Europafreundliche Ausrichtung von Grundgesetz und verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung | 42 | ||
3. Die relevantesten europabezogenen Bestimmungen des Grundgesetzes | 45 | ||
a) Die Präambel | 46 | ||
b) Art. 24 Abs. 1 GG | 48 | ||
c) Art. 23 GG n.F. | 53 | ||
d) Art. 28 Abs. 1 S. 3 GG: Kommunalwahlrecht für Unionsbürger, das Europawahlgesetz und die Europawahlordnung | 59 | ||
e) Die Einrichtung einer Europäischen Zentralbank gemäß Art. 88 S. 2 GG | 62 | ||
f) Die Regelung supranationaler Haftung gemäß Art. 104a Abs. 6 und Art. 109 Abs. 5 GG | 67 | ||
aa) Art. 104a Abs. 6 GG | 68 | ||
bb) Art. 109 Abs. 5 GG | 71 | ||
g) Die abgabenbezogenen Regelungen der Art. 106 Abs. 1 Nr. 7 und Art. 108 Abs. 1 GG | 73 | ||
aa) Art. 106 Abs. 1 Nr. 7 GG | 74 | ||
bb) Art. 108 Abs. 1 GG | 75 | ||
4. Zwischenfazit | 76 | ||
5. Grundgesetz und europäisches Unionsrecht | 78 | ||
a) Das Verhältnis von Grundgesetz und europäischem Primärrecht | 78 | ||
b) Das Verhältnis von Grundgesetz und europäischem Sekundärrecht | 82 | ||
c) Anwendungsvorrang des Unionsrechts | 84 | ||
d) Unterschiedliche Ansichten bezüglich des innerstaatlichen Geltungsgrunds des Unionsrechts | 86 | ||
aa) Die Rechtsansicht des Bundesverfassungsgerichts | 86 | ||
bb) Die autonom-unionsrechtliche Herleitung des Gerichtshofs der Europäischen Union | 88 | ||
cc) Fazit | 90 | ||
6. Mitgliedstaatliche Haftung für die Verletzung von Unionsrecht | 91 | ||
a) Richterrechtliche Haftungsgrundsätze | 93 | ||
b) Staatshaftung für die Nichtumsetzung europäischer Richtlinien und judikatives Unrecht | 94 | ||
c) Haftung für Gesetzgebung und Exekutivhandeln | 98 | ||
7. Die Bedeutung des Grundgesetzes im europäischen Verfassungsverbund | 99 | ||
8. Fazit | 101 | ||
IV. Die aktualisierten Integrationsgrenzen des Grundgesetzes im Detail | 103 | ||
1. Inhaltliche Anforderungen der „Struktursicherungsklausel“ | 103 | ||
a) Anforderungen an die Struktur der Europäischen Union | 103 | ||
b) Anforderungen struktureller Kongruenz im Einzelnen | 106 | ||
aa) Demokratische Grundsätze | 106 | ||
bb) Rechtsstaatliche Grundsätze | 112 | ||
cc) Sozialstaatliche Grundsätze | 113 | ||
dd) Föderative Grundsätze | 115 | ||
ee) Ein dem Grundgesetz im Wesentlichen vergleichbarer Grundrechtsschutz | 116 | ||
(1) Entstehungsgeschichte und Gewährleistungsgehalt der Vorgabe | 116 | ||
(2) Verfassungsauftrag zur Fortentwicklung der Grundrechte auf europäischer Ebene | 118 | ||
ff) Grundsatz der Subsidiarität | 119 | ||
(1) Inhalt des Verfassungsauftrags | 120 | ||
(2) Perspektiven der Subsidiaritätsrüge und -klage | 122 | ||
2. Art. 79 Abs. 3 GG als Grenze der Hoheitsrechtsübertragung | 125 | ||
a) Unterschiedliche Anknüpfungspunkte von Struktursicherungs- und Verfassungsbestandsklausel | 126 | ||
b) Gewährleistungsgehalte der Verfassungsbestandsklausel gemäß Art. 23 Abs. 1 S. 3 i.V. m. Art. 79 Abs. 3 GG | 128 | ||
aa) Die Garantie souveräner Staatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland | 130 | ||
(1) Etablierung der Souveränitätsgarantie im Lissabon-Urteil | 130 | ||
(2) Kritik an der Aufladung von Art. 79 Abs. 3 GG | 131 | ||
(3) Fazit | 133 | ||
bb) Das Demokratieprinzip in der Bundesrepublik Deutschland | 135 | ||
cc) Die Bundesstaatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland | 140 | ||
dd) Zur „Identität“ des Grundgesetzes | 141 | ||
(1) Adäquanz des Begriffs | 142 | ||
(2) Identitätsmerkmale des Grundgesetzes | 143 | ||
c) Aufgehen der Bundesrepublik Deutschland in einem Europäischen Bundesstaat | 147 | ||
aa) Vorhergehende Entwicklung der Streitfrage | 148 | ||
bb) Beitritt als unzulässige Überschreitung der Integrationsgrenzen aus Art. 23 Abs. 1 S. 3 i.V.m. Art. 79 Abs. 3 GG | 149 | ||
cc) Beitritt als im Rahmen der Integrationsgrenzen zulässiger Schritt | 152 | ||
dd) Erklärung des Bundesverfassungsgerichts im Urteil zum Vertrag von Lissabon | 154 | ||
ee) Fazit | 157 | ||
3. Zwischenfazit | 159 | ||
V. Möglichkeiten der Überwindung der Integrationsgrenzen | 161 | ||
1. Keine Überwindung: Stillstand der Integration in der Bundesrepublik Deutschland | 161 | ||
2. Anpassung der Verfassungsinterpretation an politische Vorgaben | 162 | ||
3. Verfassungneugebung | 162 | ||
4. Abschließendes Fazit | 163 | ||
Kapitel 2: Art. 146 GG als Wegbereiter zukünftiger Integrationsschritte | 165 | ||
I. Art. 146 GG zwischen Re- und Denationalisierung: der kontroverse Charakter der Schlussbestimmung | 169 | ||
II. Rechtstheoretische Einordnung von Art. 146 GG a.F. | 171 | ||
1. Geschichtlicher Hintergrund zu Art. 146 GG a.F.: das Grundgesetz als intendierte Übergangsverfassung | 172 | ||
a) Scheinbarer Widerspruch zwischen Provisorium und Ewigkeitsbekenntnis des Art. 79 Abs. 3 GG | 174 | ||
b) Verschiedene Ansichten zur Auflösung des Widerspruchs | 175 | ||
aa) Das Grundgesetz als bedingt vorläufige, „treuhänderisch-vorsorgliche Ordnung“ | 175 | ||
bb) Ewigkeitsklausel unter dem Vorbehalt von Art. 146 GG a.F. | 177 | ||
c) Art. 146 GG a.F. als Ausdruck fehlender freier Selbstbestimmung | 178 | ||
2. Keine Anwendung des Art. 146 GG a.F. zum Zweck der Wiedervereinigung | 180 | ||
a) Politische Gründe für die Wahl des „Beitritts gemäß Art. 23 S. 2 GG a.F.“ | 183 | ||
b) Wiedervereinigung durch völkerrechtlichen Einigungsvertrag | 185 | ||
aa) Wiedervereinigung zweier kontrastierender Staaten | 186 | ||
bb) Trotz Beitrittserklärung der Volkskammer: kein Beitritt „der DDR“ zum Grundgesetz | 187 | ||
c) Diskussion und Ablehnung der sukzessiven Anwendung von Art. 23 S. 2 GG a.F. und Art. 146 GG | 189 | ||
3. Zwischenfazit: Gebot der Trennung von Ideologie und Recht | 191 | ||
III. Gegenläufige Deutungen des Art. 146 GG | 192 | ||
1. Wurzeln der Debatte im Umfeld der Wiedervereinigung | 193 | ||
2. These der Verfassungswidrigkeit des Art. 146 GG n.F. | 195 | ||
3. Art. 146 GG n.F. als obsolete Verfassungsnorm | 197 | ||
a) These der Bindung des Art. 146 GG n.F. an Art. 79 GG | 201 | ||
b) These von der Identität des Grundgesetzes und der in Art. 146 GG n.F. genannten „Verfassung“ | 201 | ||
c) Fazit: herrschende Ansicht der Obsoleszenz und Gegenargumente | 202 | ||
4. Die „dritte Kategorie“ | 204 | ||
a) Art. 146 GG n.F. als Nachfolgevorschrift des Art. 146 GG a.F. | 204 | ||
b) Art. 146 GG n.F. als Verfassungsänderungsvorschrift sui generis | 204 | ||
5. Fortbestehende Möglichkeit zur Verfassunggebung durch Art. 146 GG n.F. | 206 | ||
a) Trennung von Wiedervereinigungs- und Verfassungsfrage | 207 | ||
b) Fazit: Art. 146 GG a.F. als Antwort auf die Wiedervereinigungs- und auf die Verfassungsfrage | 209 | ||
6. Die Auslegung des Art. 146 GG n.F. | 210 | ||
a) Auslegungsmethodik | 211 | ||
b) Grammatikalische Auslegung des Art. 146 GG | 212 | ||
c) Systematische Auslegung des Art. 146 GG | 215 | ||
d) Genetische Auslegung des Art. 146 GG | 217 | ||
e) Teleologische Auslegung des Art. 146 GG | 218 | ||
7. Fazit: Art. 146 GG als verfassungsrechtlicher Gegenpol zu Art. 79 Abs. 3 GG | 220 | ||
IV. Obiter dictum des Lissabon-Urteils: Art. 146 GG als notwendige Bedingung für künftige Integrationsschritte | 225 | ||
1. Reichweite der Wahlrechtsgewährleistungen gemäß Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG | 228 | ||
a) Die ursprüngliche Etablierung der abwehrrechtlichen Dimension von Art. 38 Abs. 1 GG durch die Maastricht-Rechtsprechung | 229 | ||
b) Die Weiterentwicklung durch die Lissabon-Rechtsprechung | 232 | ||
c) Kritik an der weitreichenden materiellen Aufladung von Art. 38 Abs. 1 S. 1 GG | 234 | ||
d) Fazit | 235 | ||
2. Anspruch auf demokratische Teilhabe aus Art. 1 Abs. 1 GG | 236 | ||
3. Teilhabe an der verfassunggebenden Gewalt gemäß Art. 146 GG als kombiniertes Individualrecht | 238 | ||
4. Kritik an der Subjektivierung des Art. 146 GG | 239 | ||
5. Abschließendes Fazit | 240 | ||
V. Zeitliche Perspektiven der Verfassungneugebung | 242 | ||
1. Keine Befristung auf einen zeitlichen Zusammenhang mit der Wiedervereinigung | 242 | ||
2. Maßgeblicher Zeitpunkt | 244 | ||
Kapitel 3: Szenarium einer Verfassungneugebung durch das Volk | 246 | ||
I. Einleitung: Verfassungsvoraussetzungen und -aporie | 246 | ||
1. Die außerrechtliche Bedingtheit des Verfassungsstaats | 246 | ||
2. Historische Skizze der Frage nach Verfassungsvoraussetzungen | 248 | ||
3. Fazit in Bezug auf Art. 146 GG | 251 | ||
II. Prozedurale Ausgestaltung der Verfassunggebung | 252 | ||
1. Offener Wortlaut von Art. 146 GG | 253 | ||
2. Fragen im Zusammenhang mit der Aktivierung des pouvoir constituant | 254 | ||
a) Inhaber des Rechts zur Aktivierung des pouvoir constituant | 254 | ||
b) Ausübung des Aktivierungsrechts | 255 | ||
3. Das Verfahren der eigentlichen Ablösung des Grundgesetzes | 258 | ||
4. Anforderungen an die Durchführung der Verfassunggebung | 259 | ||
a) Das Erfordernis einer „freien“ Entscheidung | 259 | ||
b) Das Erfordernis einer Entscheidung „des deutschen Volks“ | 261 | ||
c) Ausgestaltung der erforderlichen Abstimmungsmehrheiten | 261 | ||
d) Keine zeitliche Befristung des Verfassungneugebungsprozesses | 262 | ||
5. Inhaltliche Ausgestaltung der Neuverfassung | 263 | ||
6. Abschließendes Fazit | 265 | ||
Epilog: Ausblick auf eine Neuverfassung und „Vereinigte Staaten von Europa“ | 267 | ||
I. Begriffsklärung | 269 | ||
II. Schaffung eines Europäischen Staats als verbindliches Ziel des Grundgesetzes? | 270 | ||
III. Alternative Szenarien zukünftiger europäischer Integration | 272 | ||
IV. Das Verhältnis von nationalem und europäischem Bundesstaat: „Multilevel Constitutionalism“ | 272 | ||
V. Zusammenfassung | 274 | ||
Literaturverzeichnis | 277 | ||
Sachwortverzeichnis | 315 |