Menu Expand

Cite BOOK

Style

Kratzer-Ceylan, I. (2015). Finalität, Widerstand, »Bescholtenheit«. Zur Revision der Schlüsselbegriffe des § 177 StGB. Duncker & Humblot. https://doi.org/10.3790/978-3-428-54262-8
Kratzer-Ceylan, Isabel. Finalität, Widerstand, »Bescholtenheit«: Zur Revision der Schlüsselbegriffe des § 177 StGB. Duncker & Humblot, 2015. Book. https://doi.org/10.3790/978-3-428-54262-8
Kratzer-Ceylan, I (2015): Finalität, Widerstand, »Bescholtenheit«: Zur Revision der Schlüsselbegriffe des § 177 StGB, Duncker & Humblot, [online] https://doi.org/10.3790/978-3-428-54262-8

Format

Finalität, Widerstand, »Bescholtenheit«

Zur Revision der Schlüsselbegriffe des § 177 StGB

Kratzer-Ceylan, Isabel

Schriften zum Strafrecht, Vol. 274

(2015)

Additional Information

Book Details

Pricing

About The Author

Isabel Kratzer-Ceylan ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Augsburg, Rechtsanwältin und Traumaberaterin. Sie studierte Rechtswissenschaften an der Universität Augsburg, wo sie 2004 ihr erstes Staatsexamen absolvierte. 2006 folgte das zweite Staatsexamen. Seit August 2007 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl von Prof. Dr. Wilfried Bottke bzw. Prof. Dr. Johannes Kaspar für Strafrecht, Strafprozessrecht, Kriminologie und Sanktionenrecht. Ihre Dissertation wurde 2014 von der Universität Augsburg mit dem Preis der Albert-Leimer-Stiftung zur Förderung der Geschlechtergerechtigkeit ausgezeichnet.

Abstract

»Finality, Resistance, ›Bad Reputation‹«

The paper deals with sexual assault/rape. The comprehensive analysis highlights the historic development of § 177 StGB (German Criminal Code) and involves interdisciplinary findings (for example from psychology). On this basis the paper critically discusses the current legal situation. It becomes evident that stereotype beliefs lead to a restrictive interpretation neglecting the victim's point of view. Therefore a new understanding of § 177 StGB is necessary and in addition the sanction of all non consensual sexual acts.
Isabel Kratzer-Ceylan widmet sich dem aktuell kontrovers diskutierten Tatbestand der sexuellen Nötigung bzw. Vergewaltigung. Im Rahmen einer umfassenden, im Kern dogmatischen Analyse wird unter Einbeziehung interdisziplinärer Erkenntnisse wie u.a. der Psychologie, die historische Genese von § 177 StGB beleuchtet, um auf dieser Grundlage die aktuelle Rechtslage kritisch zu erörtern. Im Verlauf der Arbeit wird hierdurch deutlich, dass der juristische Umgang mit § 177 StGB in enger Wechselwirkung mit aus heutiger wissenschaftlicher Sicht unhaltbaren Vorverständnissen bzw. Fehlvorstellungen steht. Insbesondere das stereotype Bild der »klassischen« Vergewaltigung, bei der das (unbescholtene) Opfer von einem fremden Gewalttäter überraschend angegriffen wird, führt zu einer restriktiven, die Opfersicht vernachlässigenden Auslegung des Tatbestands. Im Ergebnis legt die Autorin ein neues Verständnis von § 177 StGB nahe, wobei die Finalstruktur des Gewaltbegriffs und der Finalzusammenhang zu verabschieden sind. Darüber hinaus wird zur Schließung von unangemessenen Strafbarkeitslücken die Schaffung eines neuen Tatbestands vorgeschlagen, der alle nicht einverständlichen sexuellen Handlungen sanktioniert.

Die Arbeit wurde von der Universität Augsburg mit dem Preis der Albert-Leimer-Stiftung zur Förderung der Geschlechtergerechtigkeit ausgezeichnet.

Table of Contents

Section Title Page Action Price
Danksagung 5
Inhaltsverzeichnis 7
Abkürzungsverzeichnis 13
Einleitung 15
Erster Teil: Die Vergewaltigung im interdisziplinären Diskurs 19
A. Das Delikt der sexuellen Nötigung/Vergewaltigung aus kriminologischer und psychologischer Sicht des 21. Jahrhunderts 19
I. Statistische Daten 19
II. Vergewaltigungsmythen und -stereotypen 23
III. Täter und Opfer – kriminologische und psychologische Befunde 37
1. Täter 37
2. Opfer 44
B. Gesellschaftliche und geistige Grundlagen der Vergewaltigungsmythen und -stereotypen 52
I. Den Vergewaltigungstatbestand prägende außerrechtliche, sozio-kulturelle Vorstellungen 52
II. Gerichtsmedizin, Psychoanalyse, Sexualwissenschaft und ihr Einfluss auf das Delikt der Notzucht/Vergewaltigung 57
1. Die Lehre von der faktischen Unmöglichkeit der Notzucht 57
2. Schwangerschaft und sexuelle Stimulation im Kontext der Notzucht 62
3. Die Untauglichkeit des weiblichen Belastungszeugen 66
4. Fazit 69
III. Kriminologie und Viktimologie im 20. Jahrhundert und der Prozess der Entmythologisierung 70
IV. Ergebnis 79
Zweiter Teil:Die Entwicklung des Tatbestands der sexuellen Nötigung/Vergewaltigung bis zum 33. StÄG vom 01.07.1997 81
A. Der Tatbestand der Notzucht von der Constitutio Criminalis Carolina bis zum Reichsstrafgesetzbuch von 1871 81
I. Der Verbrechensbegriff der Notzucht 81
II. Das Gemeine Peinliche Recht 82
1. Constitutio Criminalis Carolina von 1532 82
2. Codex Juris Bavarici Criminalis von 1751 84
3. Das Auslegungsverständnis der Notzucht im Gemeinen Peinlichen Recht 85
a) Das Nötigungsmittel der Gewalt 85
b) Mit Gewalt und wider ihren Willen 88
c) Notzucht widerstandsunfähiger Personen? 91
III. Die Territorialgesetzgebungen des 18. und 19. Jahrhunderts 93
1. Allgemeines Preußisches Landrecht von 1794 93
2. Bayerisches Strafgesetzbuch von 1813 94
3. Preußisches Strafgesetzbuch von 1851 96
4. Das Auslegungsverständnis der Notzucht in den Territorialgesetzgebungen des 18. und 19. Jahrhunderts 97
a) Das Nötigungsmittel der Gewalt 97
b) Das Nötigungsmittel der Drohung 98
c) Mit Gewalt und wider ihren Willen – Unterschiede zum Gemeinen Recht? 99
d) Tatbestandliche Erfassung des Missbrauchs widerstandsunfähiger Personen zum Geschlechtsverkehr 102
e) Entwürfe zu einer gemeinsamen Strafgesetzgebung für Deutschland 103
B. Das Reichsstrafgesetzbuch von 1871 105
I. Geschützte Rechtsgüter 107
1. Die Sittlichkeitsordnung 108
2. Das Rechtsgut der weiblichen Geschlechtsehre 109
3. Rechtsgut der „männlichen“ Geschlechtsehre? 116
4. Die geschlechtliche bzw. sexuelle Freiheit 117
5. Ausblick – Das 4. StrRG von 1973 118
II. Die Auslegung der Nötigungsmittel der Gewalt und Drohung in § 177 RStGB 119
1. Gewalt 119
a) Körperliche Kraftentfaltung und Zwangswirkung 119
b) Durch Gewalt nötigen – Ernstlicher Widerstand oder vis haud ingrata? 123
c) Der Zusammenhang zwischen Nötigungsmittel und Nötigungserfolg in § 177 RStGB 130
2. Die „Blankeneser Notzuchtsaffäre“ 135
3. Drohung 136
4. Eigenhändigkeit und Vorsatz 137
5. Kritische Würdigung 138
C. Die Reformdiskussion von 1871 bis 1945 140
I. Die Reformentwürfe bis 1933 140
1. Die vergleichende Darstellung des deutschen und ausländischen Strafrechts 140
2. Der Vorentwurf zu einem Deutschen Strafgesetzbuch von 1909 143
3. Der Gegenentwurf von 1911 146
4. Die Kommissionsentwürfe eines Strafgesetzbuchs von 1913 und 1919 147
5. Die Amtlichen Entwürfe eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuchs von 1922, 1925 und 1927 151
6. Der Gegenentwurf des Kartells für Reform des Sexualstrafrechts 153
7. Der Entwurf Kahl von 1930 157
8. Impulse aus der deutschen Frauenbewegung 160
9. Kritische Würdigung 162
II. Die Zeit des Nationalsozialismus 165
1. Nationalsozialistisches Strafrecht 165
2. Die Reformdiskussion hinsichtlich des Tatbestands der Notzucht und Nötigung zur Unzucht 167
3. Fazit 173
D. Die Entwicklung des Tatbestands der Vergewaltigung im Strafgesetzbuch der Bundesrepublik Deutschland nach 1945 175
I. Die Reformdiskussion und Gesetzgebung ab 1945 175
1. Die Entwürfe von 1959 und 1960 176
2. Der Entwurf von 1962 177
3. Der Alternativ-Entwurf von 1968 178
4. Das Erste Gesetz zur Reform des Strafrechts von 1969 181
5. Fazit 182
II. Das Vierte Gesetz zur Reform des Strafrechts von 1973 182
1. Die Neugestaltung des 13. Abschnitts des Strafgesetzbuchs 182
2. Das Rechtsgut der sexuellen Selbstbestimmung 186
III. Das 33. Strafrechtsänderungsgesetz von 1997 – ein neues Kapitel im Rahmen des § 177 StGB 189
Dritter Teil: Das Auslegungsverständnis des § 177 StGB 195
A. Die Auslegung der Nötigungsmittel der Gewalt und Drohung in § 177 StGB 195
I. Parallelstrang: Der Entnaturalisierungsprozess des Nötigungsmittels der Gewalt in den Tatbeständen der §§ 240, 249 StGB durch die Rechtsprechung 196
1. Das Gleichgewicht verschiebt sich – von der körperlichen Kraftentfaltung hin zur körperlichen Zwangswirkung 196
a) Der Vergeistigungsprozess im Rahmen des § 240 StGB 197
b) Extensive Tendenzen in § 249 StGB 202
c) Zwischenstand – physisch vermittelter Zwang ist unverzichtbar 205
2. Aller guten Dinge sind drei – Gewalt ohne Finalität ist keine Gewalt 207
a) Die Finalstruktur des Gewaltbegriffs 207
b) Der Finalzusammenhang zwischen Nötigungsmittel- und erfolg im Rahmen des § 249 StGB 212
aa) Die Zweckgerichtetheit der Nötigung 213
bb) Der subjektive Finalzusammenhang zwischen Nötigung und Wegnahme 217
c) Ergebnis 224
II. Die Auslegung des Gewaltbegriffs in § 177 I StGB 225
1. Einführung 225
2. Körperliche Kraftentfaltung und körperliche Zwangswirkung 229
a) Gewalt gegen eine Person? 229
b) Verbale Einwirkungen und geringer Kraftaufwand des Täters 231
c) Einsperren, Weg versperren, Verbringen des Opfers an einen anderen Ort 236
d) Gewalt gegen Dritte – Dreiecksnötigung 242
e) Die sogenannte Gewalt gegen Sachen 247
3. Mit Gewalt nötigen – Ernstlicher Widerstand oder vis haud ingrata? 249
III. Die Auslegung des Drohungsbegriffs in § 177 StGB 256
1. Inhalt, Form und Adressat der Drohung 256
2. Der Zusammenhang zwischen Nötigungshandlung und -erfolg 261
3. Die Gegenwärtigkeit der Gefahr 262
4. Anforderungen der Rechtsprechung an konkludente Drohungserklärungen mit Ausnahme wiederholter Tatbegehungen und Serienstraftaten 265
5. Fazit 268
IV. Die Nötigungsmittel der Gewalt und Drohung in der Reformdiskussion bis zum 4. StrRG von 1973 268
V. Kritische Würdigung 270
VI. Zwischenstand 277
B. Das 33. StÄG – Einführung eines neuen Nötigungsmittels 278
I. Der Weg zu § 177 I Nr. 3 StGB n.F. – abweichende Reformvorschläge 279
II. Die Auslegung von § 177 I Nr. 3 StGB n.F. 283
1. Schutzlose Lage 284
2. Der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert 290
3. Furcht vor nicht unmittelbar körperlich wirkenden Nachteilen erfasst? 293
4. Nötigung zu sexuellen Handlungen unter Ausnutzung der schutzlosen Lage 298
5. Anwendungsbereich des § 177 I Nr. 3 StGB n.F. – kritische Würdigung 306
III. Fazit 310
C. Der Zusammenhang zwischen Nötigungsmittel und -erfolg in § 177 StGB 313
I. Einführung 313
II. Final- und Kausalzusammenhang 314
1. Fortwirkende Gewalt in Abgrenzung zur konkludenten Drohung – der (zeitliche) Zusammenhang bei zweiaktigen Delikten 318
a) Vis absoluta und Gewalt durch Unterlassen 318
b) Vis compulsiva 319
c) Zwischenergebnis 322
2. Wiederholte Tatbegehung und Serienstraftaten 323
a) Klima der Gewalt 324
b) Konkludente Drohung infolge von Gewalt in der Vergangenheit sowie auf Grund des Fortwirkens einer Drohung 325
aa) Frühere Gewalt und Drohungen zur Erzwingung sexueller Handlungen 327
bb) Klima der Gewalt bzw. Angst als schlüssige Drohung 331
cc) Anforderungen an die Kundgabe der konkludenten Drohung 333
c) Schließung der Strafbarkeitslücken durch § 177 I Nr. 3 StGB? 334
d) Kritik 335
3. Einsperren 337
4. Sadismus 338
5. Überraschungsangriff 339
6. Ablehnung einer finalen Verknüpfung auf Grund realitätsferner Annahmen 342
a) Drohung zur Erzwingung des Beischlafs oder nur zur aktiven Beteiligung daran? 342
b) Gewaltanwendung zur gewaltlosen Erreichung des Höhepunkts 344
c) Fortwirkung massiver Gewalthandlungen gegen Dritte 346
7. Gewalt durch Einsatz betäubender Stoffe 347
III. Fazit: Abschied von der Lehre der Finalstruktur und des Finalzusammenhangs 350
D. Das Einverständnis des Opfers und der subjektive Tatbestand 356
I. Das Einverständnis 356
II. Subjektiver Tatbestand 358
1. Einführung 358
2. Der Irrtum des Täters über ein Einverständnis des Opfers 361
a) Die Konstruktion der vis haud ingrata als eine Ursache der spezifischen Vorsatzprüfung im Rahmen des § 177 StGB 362
aa) Frühere Rechtsprechung 364
bb) Neuere Rechtsprechung 368
cc) Die Problematik der „geschlechtsspezifischen Situationsverkennung“ 375
b) Valide Maßstäbe im subjektiven Tatbestand 377
c) Fahrlässigkeitsstrafbarkeit de lege lata oder ferenda zur Vermeidung ungerechtfertigter Freisprüche? 380
III. Fazit 383
E. Die „Bescholtenheit“ des Opfers – Strafzumessung und minder schwerer Fall als Plattform antiquierter Schuldzuschreibungen 384
I. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts 384
II. § 177 II StGB a.F. – Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bis zum 33. StÄG 385
1. Triebstau und sexueller Notstand 387
2. Tatprovokation – Vorhergehende (intime) Beziehung 388
3. Vergewaltigung von Prostituierten 390
III. Der minder schwere Fall in der Reformdiskussion und der Gesetzgebung ab 1945 391
1. Die Entwürfe von 1959, 1960, 1962 391
2. Der Alternativentwurf von 1968 392
3. Das Vierte Gesetz zur Reform des Strafrechts von 1973 394
IV. Zwischenergebnis 395
V. Der „minder schwere Fall einer Vergewaltigung“ in § 177 StGB n.F. nach dem 33. StÄG 397
1. Einführung 397
2. Mitverschulden und „Bescholtenheit“ des Opfers 399
a) Tatprovokation 399
b) Vorhergehende intime Beziehungen 405
c) Vergewaltigung von Prostituierten 409
VI. Kritische Würdigung 411
1. „Mitverantwortung“ des Opfers als Strafzumessungskategorie im Rahmen des § 177 StGB? 411
2. Die Relevanz der „Bescholtenheit“ und der Täter-Opfer-Beziehung 419
3. „Zurückwandlung“ des Regelbeispiels des § 177 I, II Nr. 1 StGB und Abschaffung des minder schweren Falls als Konsequenz? 421
Schlussbetrachtung und Ausblick 424
Literaturverzeichnis 433
Stichwortverzeichnis 468