Unterlassungsstrafbarkeit in sog. Weiterungsfällen
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Unterlassungsstrafbarkeit in sog. Weiterungsfällen
Zugleich ein Beitrag zu Legitimität und Grenzen der Garantenstellung aus Ingerenz
Schriften zum Strafrecht, Vol. 281
(2015)
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Alexander Paradissis studierte an der Universität Trier Rechtswissenschaften. Nach seinem 1. Staatsexamen war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Professuren von Prof. Dr. Brigitte Kelker und Prof. Dr. Bernd Hecker tätig. Im Jahr 2014 begann er das Referendariat am Landgericht Düsseldorf. Seitdem war er u.a. als Lehrbeauftragter der Universität Düsseldorf sowie in einer auf Wirtschaftsstrafrecht spezialisierten Sozietät tätig und wurde im April 2015 von der Juristischen Fakultät der Universität Trier zum Dr. iur. promoviert.Abstract
Die Arbeit befasst sich mit der Unterlassungsstrafbarkeit in sog. Weiterungsfällen. Es handelt sich hierbei um Sachverhalte, in denen zwei oder mehrere Beteiligte gemeinsam ein Opfer misshandeln und einer der Beteiligten im Anschluss ohne Rücksprache mit dem bzw. den Vortatbeteiligten dazu übergeht, dem Opfer noch weitere, teils schwerere Misshandlungen zuzufügen oder es gar zu töten. Es stellt sich die Frage, ob und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen der Vortatbeteiligte strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden kann. Die Rechtsprechung nimmt in den Weiterungsfällen häufig eine Unterlassungsstrafbarkeit des Vortatbeteiligten an, indem sie an die vorhergehenden Misshandlungen zur Begründung einer Garantenstellung aus Ingerenz anknüpft. Bei genauerem Hinsehen kommen aber erhebliche Zweifel an der Rechtsprechungspraxis auf, da in mehreren Bereichen dogmatische Friktionen drohen. Dies liegt zum einen daran, dass die hier zu behandelnde Fallkonstellation parallel zu den klassischen Regressverbotsfällen verläuft, so dass ein Zurechnungsausschluss zur Vorhandlung in Betracht kommt. Zum anderen droht eine Kollision mit den Beteiligungsvorschriften, da der Vortatbeteiligte hinsichtlich der Weiterungstat letztlich über den Umweg eines Unterlassungsdelikts bestraft wird, obwohl die Situation eines straflosen Mittäterexzesses vorliegt. Daher widmet sich die Arbeit der Aufgabe, die Weiterungsfälle einer dogmatisch tragfähigen aber auch praxistauglichen Lösung zuzuführen. Zu diesem Zweck werden Legitimität und Grenzen der Garantenstellung aus Ingerenz einer eingehenden Untersuchung unterzogen. In diesem Zusammenhang wird ausführlich auf die Frage eingegangen, ob sich die Lehre von der objektiven Zurechnung dazu eignet, für die Eingrenzung der Garantenstellung aus Ingerenz herangezogen zu werden.
Table of Contents
Section Title | Page | Action | Price |
---|---|---|---|
Vorwort | 7 | ||
Inhaltsübersicht | 9 | ||
Inhaltsverzeichnis | 11 | ||
Einleitung | 17 | ||
Kapitel 1: Eingrenzung der Problematik | 21 | ||
A. Der klassische Regressverbotsfall | 21 | ||
B. Regressverbot und Hinzutreten der vorsätzlichen Nichtabwendung des Erfolges | 23 | ||
C. Die vorsätzliche Nichtabwendung fahrlässig verursachter Erfolge und die Problematik mehrerer Beteiligter (sog. Weiterungsfälle) | 25 | ||
I. Die Rechtsprechung des BGH in Weiterungsfällen | 26 | ||
1. BGH, Beschluss vom 22.12.1981 – 1 StR 729/81 = StV 1982, 218 | 26 | ||
2. BGH, Urteil vom 12.09.1984 – 3 StR 245/84 = NStZ 1985, 24 | 27 | ||
3. BGH, Urteil vom 23.10.1985 – 3 StR 300/85 = StV 1986, 59 | 28 | ||
4. BGH, Urteil vom 25.09.1991 – 3 StR 95/91 = NStZ 1992, 31 | 29 | ||
5. BGH, Urteil vom 23.09.1997 – 1 StR 430/97 = NStZ 1998, 83 | 31 | ||
6. BGH, Beschluss vom 23.05.2000 – 4 StR 157/00 = NStZ 2000, 583 | 32 | ||
7. BGH, Urteil vom 12.02.2009 – 4 StR 488/08 = NStZ 2009, 321 | 34 | ||
8. Weitere Entscheidungen des BGH | 35 | ||
a) BGH, Beschluss vom 14.02.2012 – 3 StR 446/11 = NStZ 2012, 379 | 35 | ||
b) BGH, Urteil vom 13.12.2012 – 4 StR 271/12 = BeckRS 2013, 01253 | 35 | ||
9. Zusammenfassende Beurteilung der Rechtsprechung des BGH | 35 | ||
II. Strafbarkeitsmöglichkeiten in den Weiterungsfällen | 36 | ||
1. Mittäterschaft hinsichtlich der Weiterungstat | 37 | ||
2. Teilnahme an der Weiterungstat | 38 | ||
a) Anstiftung zur Weiterungstat | 38 | ||
b) Beihilfe zur Weiterungstat | 39 | ||
3. Strafbarkeit aus erfolgsqualifizierten Delikten | 40 | ||
4. Strafbarkeit aus einem unechten Unterlassungsdelikt | 42 | ||
a) Garantenstellung zur Abwendung der Weiterungstat | 43 | ||
b) Täterschaft oder Teilnahme beim Unterlassungsdelikt | 44 | ||
III. Kritik der Literatur an der Rechtsprechungspraxis | 44 | ||
1. Die Stellungnahme von Kurt Seelmann | 44 | ||
2. Die Stellungnahme von Ulfrid Neumann | 45 | ||
3. Die Stellungnahme von Günther Jakobs | 47 | ||
4. Die Stellungnahme von Walter Stree | 48 | ||
5. Die Stellungnahme von Harro Otto | 50 | ||
IV. Kritische Auseinandersetzung mit den Literaturauffassungen | 51 | ||
1. Kritik an der Stellungnahme von Kurt Seelmann | 51 | ||
2. Kritik an der Stellungnahme von Ulfrid Neumann | 52 | ||
3. Kritik an der Stellungnahme von Günther Jakobs | 52 | ||
4. Kritik an der Stellungnahme von Walter Stree | 53 | ||
5. Kritik an der Stellungnahme von Harro Otto | 54 | ||
V. Zwischenfazit zur Rechtsprechung des BGH in den Weiterungsfällen und der Kritik aus der Literatur | 55 | ||
Kapitel 2: Legitimation der Garantenstellung aus Ingerenz | 58 | ||
A. Entwicklung der Ingerenz in der Literatur | 60 | ||
I. Vom römischen Recht bis Stübel | 60 | ||
II. Kausallehren des 20. Jahrhunderts | 61 | ||
III. Interferenztheorien | 63 | ||
IV. Rechtskausalitätstheorien | 64 | ||
V. Von den formellen und den materiellen Rechtspflichttheorien zu der Garantenlehre Naglers | 65 | ||
VI. Abschließende Stellungnahme zum dogmengeschichtlichen Überblick | 69 | ||
B. Materielle Ansätze zur Begründung von Garantenstellungen | 69 | ||
I. Garantenstellung auf Grund Vertrauens | 70 | ||
II. Garantenstellung auf Grund Gefahrschaffung | 73 | ||
III. Garantenstellungen auf Grund Verhaltenserwartungen | 75 | ||
IV. Garantenstellung auf Grund Herrschaft | 79 | ||
V. Garantenstellung aus Organisationszuständigkeit und institutioneller Zuständigkeit | 82 | ||
VI. Abschließende Stellungnahme zur Begründung der Ingerenz unter Heranziehung der klassischen materiellen Garantenlehren | 84 | ||
C. Strafgrund der Ingerenz unter Berücksichtigung des § 13 StGB | 84 | ||
I. Anforderungen durch § 13 StGB im Lichte des Art. 103 Abs. 2 GG | 85 | ||
II. Die Entstehung des § 13 StGB | 86 | ||
III. § 13 StGB und der Bestimmtheitsgrundsatz | 89 | ||
IV. Auslegungsfähigkeit des § 13 StGB | 91 | ||
V. Die Auswirkungen des Bestimmtheitsgebots auf die Auslegung des § 13 StGB durch Rechtsprechung und Lehre | 93 | ||
VI. Die Gleichwertigkeit von Tun und Unterlassen im Kontext der Entsprechensklausel sowie der fakultativen Strafmilderungsmöglichkeit in § 13 Abs. 2 StGB | 98 | ||
1. Die Entsprechensklausel gem. § 13 Abs. 1 StGB | 98 | ||
2. Die fakultative Strafmilderungsmöglichkeit gem. § 13 Abs. 2 StGB | 102 | ||
VII. Überprüfung der Legitimität der Ingerenzgarantenstellung im Lichte des § 13 StGB | 104 | ||
1. Gewohnheitsrechtlich anerkannte Garantenstellung aus Ingerenz | 105 | ||
2. Ableitung von Erfolgsabwendungspflichten aus anerkannten rechtlichen Verbotsnormen | 108 | ||
3. Rechtliche Erfolgsabwendungspflicht als Folge von Freiheitsentfaltung | 111 | ||
a) Grundsätzliche Voraussetzungen einer rechtlichen Pflicht i. S. d. § 13 StGB | 111 | ||
b) Erfolgsabwendungspflicht als Folge von Freiheitsentfaltung | 116 | ||
D. Abschließende Stellungnahme zur Legitimität der Ingerenz in der Gegenwart | 119 | ||
Kapitel 3: Zuordnung der Garantenstellung aus Ingerenz im Sinne der Funktionenlehre | 121 | ||
A. Ingerenz als Beschützergarantenstellung | 123 | ||
I. Garantenpflichten auf Grund enger familiärer Verbundenheit | 123 | ||
II. Garantenstellungen aus engen Gemeinschaftsverhältnissen bzw. Gefahrengemeinschaften | 124 | ||
III. Garantenstellung aus freiwilliger Übernahme | 125 | ||
IV. Garantenstellung aus Organschaft und Amtsträgereigenschaft | 127 | ||
B. Ingerenz als Überwachergarantenstellung | 127 | ||
I. Garantenstellung aus der Herrschaft über Sachen | 127 | ||
II. Garantenstellung aus der Verantwortung für Personen | 129 | ||
III. Garantenstellung aus Übernahme einer Überwachungsfunktion | 130 | ||
C. Abschließende Stellungnahme zur Zuordnung der Ingerenz | 130 | ||
Kapitel 4: Eingrenzung der Garantenstellung aus Ingerenz | 135 | ||
A. Kausalität als notwendige Bedingung | 135 | ||
B. Einschränkung anhand des normativen Zusammenhangs zwischen Vorhandlung und Erfolg | 138 | ||
I. Die pflichtwidrige Schaffung einer nahen Gefahr des Erfolgseintritts | 138 | ||
1. Gerechtfertigtes Vorverhalten | 138 | ||
2. Pflichtgemäße Vorhandlungen | 140 | ||
3. Zweifelhafte Ingerenzkonstellationen trotz pflichtwidriger Vorhandlung | 141 | ||
II. Kritik am Merkmal der Formel von der pflichtwidrigen Schaffung einer nahen Gefahr | 142 | ||
III. Einschränkung der Ingerenz durch Kriterien der objektiven Zurechnung | 143 | ||
1. Entstehung der Lehre von der objektiven Zurechnung | 145 | ||
2. Streit um die Lehre von der objektiven Zurechnung | 147 | ||
3. Objektive Zurechnung beim unechten Unterlassungsdelikt als anerkanntes Tatbestandsmerkmal | 150 | ||
4. Der Zweck der Lehre von der objektiven Zurechnung | 151 | ||
a) Das Wesen strafrechtlicher Normen | 152 | ||
b) Der Zweck strafrechtlicher Verhaltens- und Sanktionsnormen | 155 | ||
c) Objektive Zurechnung als notwendige Voraussetzung zur Zweckerreichung der Verhaltens- und Sanktionsnormen | 158 | ||
5. Übertragbarkeit der Lehre von der objektiven Zurechnung auf die Ingerenz | 162 | ||
6. Ergänzende Hinweise zur Anwendung der Lehre von der objektiven Zurechnung bei der Ingerenz | 166 | ||
Kapitel 5: Lösung der Weiterungsfälle unter Zugrundelegung der Lehre von der objektiven Zurechnung | 168 | ||
A. Zurechnungsausschluss bei über einen fremden Willen vermittelten Kausalverläufen | 168 | ||
I. Autonomie als Grund für einen Zurechnungsausschluss | 169 | ||
1. Die Ansicht von Jürgen Welp | 169 | ||
2. Die Ansicht von Katja Diel | 170 | ||
3. Die Ansicht von Jörg Eisele | 171 | ||
4. Die Ansicht von Joachim Renzikowski | 172 | ||
II. Differenzierende Ansichten | 173 | ||
1. Die Ansicht von Harro Otto | 173 | ||
2. Die Ansicht von Walter Stree und Nikolaus Bosch | 174 | ||
3. Die Ansicht von Claus Roxin | 175 | ||
4. Die Ansicht von Hans-Joachim Rudolphi | 175 | ||
III. Kritik an den vorgestellten Ansichten | 176 | ||
B. Legitimität und Konkretisierung der Voraussetzungen der Lehre von der objektiven Zurechnung im Hinblick auf die Lösung der Weiterungsfälle | 183 | ||
I. Schaffung einer rechtlich relevanten Gefahr durch die Vorhandlung | 184 | ||
1. Schaffung einer Gefahr | 184 | ||
2. Rechtliche Relevanz der Gefahrschaffung | 185 | ||
II. Gefahrrealisierung, Schutzzweckzusammenhang und Vorhersehbarkeit | 188 | ||
1. Das Verhältnis von Gefahrrealisierung, Vorhersehbarkeit und Schutzzweckzusammenhang | 188 | ||
2. Die Lehre vom Schutzzweck der Norm | 189 | ||
a) Der Schutzzweck der Norm als Aspekt der Gefahrrealisierung | 189 | ||
b) Kritik am Schutzzweck der Norm | 193 | ||
3. Das Merkmal der Vorhersehbarkeit | 195 | ||
a) Das Merkmal der Vorhersehbarkeit im Verhältnis zur Gefahrrealisierung | 195 | ||
b) Kritik am Merkmal der Vorhersehbarkeit und dessen Konkretisierung in den Weiterungsfällen | 197 | ||
III. Übertragung der Ergebnisse auf ausgewählte Delikte als Vorhandlung | 201 | ||
1. Körperverletzung gem. § 223 StGB als Vortat | 202 | ||
2. Gefährliche Körperverletzung gem. §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB als Vortat bei mehreren Beteiligten | 207 | ||
3. Beleidigung gem. § 185 StGB als Vortat | 209 | ||
4. Ergänzende Hinweise bei Anstiftung und Beihilfe zur Ersthandlung als Vortat | 210 | ||
C. Zusammengefasste Voraussetzungen für die Entstehung einer Garantenstellung aus Ingerenz in Weiterungsfällen | 211 | ||
D. Die Bestimmung der Beteiligungsform in den Weiterungsfällen | 212 | ||
E. Abschließende Stellungnahme zu der Strafbarkeit aus erfolgsqualifizierten Delikten in den Weiterungsfällen | 217 | ||
F. Lösung der Entscheidungen BGH 4 StR 488/08 und BGH 3 StR 95/91 anhand der hier gefundenen Ergebnisse | 217 | ||
I. BGH 4 StR 488/08 = NStZ 2009, 321 | 217 | ||
II. BGH 3 StR 95/91 = NStZ 1992, 31 | 218 | ||
Zusammenfassung der Ergebnisse | 220 | ||
Literaturverzeichnis | 227 | ||
Sachwortverzeichnis | 241 |