Die Duldung als Verfassungsproblem
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Die Duldung als Verfassungsproblem
Unrechtmäßiger, nicht sanktionierter Aufenthalt von Ausländern in der Bundesrepublik Deutschland
Schriften zum Öffentlichen Recht, Vol. 1036
(2006)
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Abstract
Noch immer befinden sich in Deutschland 180.000 ausländische Personen im Status der "Duldung" - mehr als ein Drittel davon seit über zehn Jahren. Sie leben in einem ausländerrechtlichen Schwebezustand jenseits des illegalen und des legalen Aufenthalts. Die gesetzliche Einordnung geduldeten Aufenthalts als "unrechtmäßig" wirft die Frage nach der grundrechtlichen Rechtsstellung dieser Bevölkerungsgruppe auf. Augenscheinlich widerspricht die menschenrechtliche Fassung der ersten drei Verfassungsbestimmungen - Menschenwürde, Freiheit, Gleichheit - jeder qualitativen Unterscheidung in der grundrechtlichen Stellung von Ausländern mit/ohne Aufenthaltsrecht. Ziel der Arbeit ist es, die vermeintliche Inkongruenz zwischen einfachgesetzlichem und grundrechtlichem Status aufzulösen.Im Zentrum des ersten Teils steht die These, dass sich der grundrechtliche Status von Ausländern im Bundesgebiet durch eine Teilhabe am Verfassungsprinzip der gleichen Freiheit aller Menschen realisiert. Mit dem Nationalstaatsprinzip ist zudem ein zweites, gegenläufiges fundamentales Verfassungsprinzip auszumachen, welches die Entscheidungsbefugnis über die grundsätzliche Aufnahme von Ausländern dem Staat belässt. Vor dem theoretischen Hintergrund dieser Prinzipien erklärt sich das Phänomen eines relativ rechtswidrigen Aufenthaltes: Ungeachtet der aufenthaltsrechtlichen Wertung des Aufenthalts als "unrechtmäßig" erlangen geduldete Ausländer einen übergeordneten verfassungsrechtlichen Rechtsstatus, in dessen Perspektive der Aufenthalt rechtmäßig bleibt. Die Verfassung legt damit eine Obergrenze für den Zeitraum der Duldungserteilung fest. Den Aufenthalt aus humanitären oder politischen Interessen auf die Grundlage der Duldung zu stellen ist zudem mit dem Prinzip der Freiheit unvereinbar. In Anwendung der gewonnenen Ergebnisse auf die bundesdeutschen Ausländergesetze bis hin zum Zuwanderungsgesetz 2005 zeigt sich im zweiten Teil, dass diese klaren verfassungsrechtlichen Grenzen sowohl bei der gesetzlichen Ausgestaltung der Duldung, als auch bei ihrer Anwendung in der Praxis bis heute nicht ausreichend berücksichtigt werden.
Table of Contents
Section Title | Page | Action | Price |
---|---|---|---|
Vorwort | 5 | ||
Inhaltsübersicht | 7 | ||
Inhaltsverzeichnis | 9 | ||
Einleitung | 15 | ||
1. Kapitel: Problemstellung und Themenabgrenzung: Aufenthalt zwischen Sanktion und Genehmigung | 18 | ||
A. Ausgangsproblem | 18 | ||
I. Aufenthalt als Rechtsproblem | 18 | ||
1. Aufenthalt und Ausländerrecht | 18 | ||
2. Grundrechtlicher Status: Begründung durch schlichten Aufenthalt | 22 | ||
II. Grundrechtsschutz nach Maßgabe der Aufenthaltstatbestände? | 24 | ||
1. Grundrechte der nach einfachem Recht „statuslosen" geduldeten Ausländer | 25 | ||
2. Gleichstellung mit außerhalb Deutschlands weilenden Ausländern? | 27 | ||
B. Methodische Vorüberlegungen und Definitionen | 29 | ||
I. Methodik und nähere Eingrenzung des Themas | 29 | ||
II. Definitionen | 33 | ||
1. Facetten des Aufenthaltsbegriffes nach geltendem Ausländerrecht und schlichter Aufenthalt | 33 | ||
2. Rechtmäßig - Unrechtmäßig - Rechtswidrig | 37 | ||
a) Formeller Begriff der Rechtswidrigkeit (Kirchhof) | 40 | ||
b) Relative Rechtswidrigkeit als Ausdruck von Unterscheidungen (Bumke) | 42 | ||
3. Statusbegriff | 45 | ||
III. Aufbau und Ziel der weiteren Untersuchung | 50 | ||
2. Kapitel: Aufenthalt und Verfassungsrecht - Grundrechtlicher Status im Falle unrechtmäßigen, nicht sanktionierten Aufenthalts von Ausländern in Deutschland | 52 | ||
A. Ausgangsbedingungen für die Begründung eines grundrechtlichen Status geduldeter Ausländer | 52 | ||
I. Die verfassungsdogmatische Kategorie der Grundrechtsvoraussetzungen | 52 | ||
II. Der Verfassungsstaat als notwendiger Bezugspunkt grundrechtlicher Freiheit | 55 | ||
III. Die Rahmenordnung des Völkerrechts - Einbindung des deutschen Staates in die internationale Staatengemeinschaft | 60 | ||
IV. Aufenthalt und Aufenthaltsrecht als Grundrechtsvoraussetzungen | 63 | ||
1. Aufenthalt als Grundrechtsvoraussetzung | 63 | ||
2. Räumliche und personale Reichweite der Grundrechtsbestimmungen | 64 | ||
3. Kollisionsrechtliches Kriterium: Statusprinzip | 65 | ||
4. Keine Grundrechtsvoraussetzung Aufenthaltsrecht | 68 | ||
B. Inhalt des grundrechtlichen Status: Verfassungsprinzip der Freiheit | 68 | ||
I. Anforderungen an den Inhalt des grundrechtlichen Status | 68 | ||
II. Verfassungsprinzip der gleichen Freiheit Aller | 70 | ||
1. Dimensionen des verfassungsrechtlichen Freiheitsverständnisses | 73 | ||
a) Prinzip der Freiheit und Grundrechtstheorie(n) | 74 | ||
b) Grundrechte und negativer Freiheitsbegriff | 76 | ||
2. Freiheit des Einzelnen und Menschenwürde | 78 | ||
3. Prinzip der Freiheit im Grundgesetz | 80 | ||
a) Verfassungsrechtliche Verortung | 81 | ||
b) Prima-facie-Struktur der Freiheitsrechte | 84 | ||
c) Rechtsstaatliches Verteilungsprinzip | 85 | ||
d) Rechtscharakter des Verfassungsprinzips der Freiheit | 88 | ||
III. Zwischenergebnis und Konsequenzen für den unrechtmäßigen, nicht sanktionierten Aufenthalt von Ausländern | 91 | ||
C. Verfassungsimmanente Einschränkung grundrechtlicher Freiheit von Ausländern durch das Verfassungsprinzip des Nationalstaats | 97 | ||
I. Nationalstaat und Konzept der Nation in Deutschland | 99 | ||
1. Bundesrepublik Deutschland als Nationalstaat | 101 | ||
a) Der „offene" Nationalstaat | 101 | ||
b) Die Verankerung des Nationalstaats im Grundgesetz | 106 | ||
aa) Präambel | 106 | ||
bb) Weitere Bestimmungen | 110 | ||
c) Nationalstaat im europäischen Rahmen: „Nationale Identität" der Mitgliedstaaten | 113 | ||
aa) Nationale und europäische Identität | 114 | ||
bb) Identitätsbegriff in der deutschen Staatsrechtslehre | 116 | ||
cc) Europäischer Verfassungsvertrag | 118 | ||
2. Nationalitätskonzept in der Bundesrepublik Deutschland | 121 | ||
a) Zwei Modelle der Natiogenese: Politisch und ethnisch-kulturell begründetes Verständnis der Nation | 124 | ||
b) Grundgesetz und Nationalitätskonzept | 127 | ||
aa) Anknüpfung an die Regelung der „Statusdeutschen" in Art. 116 Abs. 1 2. Alt. GG | 128 | ||
bb) Staatsangehörigkeit im Grundgesetz | 132 | ||
(1) Ius sanguinis als tradierte Form des Staatsangehörigkeitserwerbs | 132 | ||
(2) Grundgesetz und die Reform des Staatsangehörigkeitsrechtes des Jahres 1999 | 135 | ||
(3) Mehrfache Staatsangehörigkeit | 136 | ||
(4) Zwischenergebnis: Grundsätzlich konzeptionelle Offenheit der verfassungsrechtlichen Bestimmungen zur Staatsangehörigkeit | 141 | ||
cc) Verfassungsidentität als Nucleus einer verfassungsrechtlichen Nationalitätskonzeption | 142 | ||
II. Das Nationalstaatsprinzip des Grundgesetzes als Grundlage aufenthaltsrechtlicher Einschränkung der Ausländergrundrechte | 148 | ||
1. Die Deutschenvorbehalte der Freiheitsgrundrechte als Ausdruck des Nationalstaatsprinzips des Grundgesetzes | 148 | ||
a) Das Nationalstaatsprinzip im weiteren Sinne (Bleckmann) | 150 | ||
b) Das auf das angehörigkeitsrechtliche Grundverhältnis gegründete Nationalstaatsprinzip im engeren Sinne (Siehr) | 152 | ||
c) Zusammenfassung und Bewertung | 154 | ||
2. Nationalstaatsprinzip und Aufenthaltsbegründung | 155 | ||
3. Nationalstaatsprinzip als Grundlage für ein abgestuftes System aufenthaltsbedingter Freiheitseinschränkungen | 158 | ||
D. Unrechtmäßiger, nicht sanktionierter Aufenthalt nach Maßgabe der Verfassungsprinzipien | 159 | ||
I. Maßstabsfunktion der Verfassungsprinzipien | 159 | ||
II. Verfassungsrechtliche Anforderungen an die gesetzliche Ausgestaltung unrechtmäßigen, nicht sanktionierten Aufenthalts | 162 | ||
1. Verfassungsprinzip der Freiheit | 162 | ||
2. Nationalstaatsprinzip | 164 | ||
3. Relative Rechtswidrigkeit des geduldeten Aufenthalts | 164 | ||
4. Grenzen und Maßstäbe des Verfassungsrechls | 166 | ||
a) Perpetuierungsverbot und zunehmende Rechtfertigungsbedürftigkeit von Grundrechtseingriffen im Zeitablauf | 166 | ||
b) Kein geduldeter Aufenthalt nach grundsätzlicher Aufnahmeentscheidung des Staates | 167 | ||
3. Kapitel: Unrechtmäßiger, nicht sanktionierter Aufenthalt im Gefüge der einfachgesetzlichen Bestimmungen des Ausländerrechts | 170 | ||
A. Entwicklung des Aufenthaltsrechts in der Bundesrepublik Deutschland unter dem Focus unrechtmäßigen, nicht sanktionierten Aufenthalts bis 1990 | 170 | ||
I. Über die Aufenthaltsdauer zum Aufenthaltsrecht - Entwicklung des geduldeten Aufenthalts bis 1990 | 170 | ||
1. Von der Ausländerpolizei Verordnung zum Ausländergesetz 1965 | 172 | ||
2. Aufenthalt nach dem Ausländergesetz 1965 | 173 | ||
3. Die Duldung als aufenthaltsrechtliche Neuerung | 177 | ||
4. Duldung und Daueraufenthalt | 178 | ||
a) Anwendungsbeispiel: De-facto-Flüchtlinge | 180 | ||
b) Ostblockflüchtlinge | 183 | ||
c) Abgelehnte Asylbewerber aus Bürgerkriegsgebieten - Beispiel der Tamilen | 186 | ||
d) Bewertung in der Literatur | 190 | ||
B. Unrechtmäßiger, nicht sanktionierter Aufenthalt nach der Reform des Ausländerrechts von 1990 | 192 | ||
I. Die Neuregelung aus dem Jahr 1990 | 192 | ||
1. Die Zielstellungen der Reform und ihre Umsetzung | 192 | ||
2. Duldung nach dem Ausländergesetz 1990 - Rückführung auf ihre vollstreckungsrechtliche Funktion? | 195 | ||
a) Der Rechtsanspruch auf die Duldungserteilung | 196 | ||
b) Ermessensentscheidung über die Duldung, § 55 Abs. 3 | 198 | ||
c) Abschiebung oder Duldung: Ausschluss ungeregelten Aufenthaltes durch die Rechtsprechung | 199 | ||
II. Die Anwendung der Duldungsbestimmungen des Ausländergesetzes von 1990 | 202 | ||
1. Keine Anwendung des § 32a AuslG auf Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge | 204 | ||
2. Duldung und humanitäre Aufenthaltsbegründung - Beispiel der Bürgerkriegsflüchtlinge aus Bosnien und Herzegowina | 205 | ||
a) Zur Kriegsentwicklung in Bosnien | 206 | ||
b) Rechtliche Stellung der Flüchtlinge in Deutschland | 209 | ||
aa) Aufenthalt auf asylrechtlicher Grundlage? | 209 | ||
bb) Humanitäre Soforthilfe - Aufenthaltsbefugnisse gem. §§ 30, 32, Verpflichtungserklärungen nach § 84 AuslG | 212 | ||
cc) Duldung auf der Basis von Aussetzungsanordnungen und Abschiebungshindernissen (§§ 53, 54 AuslG) | 213 | ||
c) Auswirkungen der Traumatisierung von Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlingen | 216 | ||
III. Zusammenfassung und Ergebnis | 219 | ||
C. Die Neuregelung des Ausländerrechts 2005 | 222 | ||
I. Die Entstehung des Zuwanderungsgesetzes - Abschaffung der Duldung? | 222 | ||
1. Die Vorarbeiten der Kommissionen | 223 | ||
2. Entwicklung bis zum Zuwanderungskompromiss im Sommer 2004 | 225 | ||
a) Das Zuwanderungsgesetz vom 20. Juni 2002 | 225 | ||
b) Europarechtliche Implikationen | 229 | ||
c) Scheitern des Zuwanderungsgesetzes 2002 und neuer Anlauf bis zur Verabschiedung im Jahr 2004 | 233 | ||
d) Zuwanderungsgesetz und Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung | 234 | ||
II. Wesentliche Neuerungen | 236 | ||
1. Systematik des Aufenthaltsgesetzes | 236 | ||
2. Aufenthalt aus völkerrechtlichen, humanitären oder politischen Gründen | 237 | ||
a) Aufenthalt aus humanitären Gründen, § 25 AufenthG | 239 | ||
aa) Aufenthaltsrecht bei zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernissen | 239 | ||
bb) Aufenthaltsrecht bei tatsächlicher und rechtlicher Unmöglichkeit der Ausreise | 241 | ||
cc) Aufenthaltserlaubnis bei vorübergehendem Aufenthalt | 243 | ||
b) Härtefallregelung | 244 | ||
3. Die Duldung im Gefüge des Aufenthaltsgesetzes | 246 | ||
a) Duldungstatbestände | 246 | ||
b) Rechtsfolgen | 248 | ||
c) Verteilung unerlaubt eingereister Ausländer nach § 15a AufenthG | 249 | ||
III. Bewertung | 250 | ||
1. Bewertung mit Blick auf das Ziel der Verhinderung dauerhafter Duldung | 250 | ||
2. Verfassungsrechtliche Anforderungen | 251 | ||
4. Kapitel: Schlussbetrachtung | 253 | ||
Literaturverzeichnis | 259 | ||
Personenverzeichnis | 276 | ||
Sachwortverzeichnis | 278 |