Religiöse Paralleljustiz
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Religiöse Paralleljustiz
Zulässigkeit und Grenzen informeller Streitschlichtung und Streitentscheidung unter Muslimen in Deutschland
Schriften zum Öffentlichen Recht, Vol. 1332
(2016)
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About The Author
Kathrin Bauwens ist als Rechtsanwältin in einer internationalen Wirtschaftskanzlei in Frankfurt am Main tätig. Von 2005 bis 2010 studierte sie Rechtswissenschaften in Münster und Barcelona. Von 2011 bis 2014 war sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht sowie deutsches und internationales Unternehmens-, Wirtschafts- und Kartellrecht von Prof. Dr. Christian Kersting, LL.M (Yale), an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf tätig. Ihr Referendariat absolvierte sie am Oberlandesgericht Düsseldorf.Abstract
Unlängst häuften sich Meldungen über eine sogenannte »islamische Paralleljustiz« in Deutschland. Die Arbeit untersucht das damit angesprochene Phänomen der Generierung von Subkulturen unter Migranten, die sich auch in Deutschland an ihrem traditionellen oder religiösen Recht orientieren und vor allem familien- und strafrechtliche Streitigkeiten eigenständig bzw. durch milieunahe Personen schlichten oder entscheiden lassen, während die staatliche Justiz nicht einbezogen wird. Die Autorin analysiert die bisher vorliegenden Befunde und prüft systematisch Zulässigkeit und Grenzen religiöser bzw. traditionell motivierter Streitschlichtung- und entscheidung. Nach einer Abgrenzung zu Erscheinungen religiöser Gerichtsbarkeiten in Großbritannien und Kanada und der Einordnung des Phänomens in das Konzept des Rechtspluralismus, wird der verfassungsrechtliche Schutz genuin religiös motivierter Streitschlichtung aufgezeigt. Anhand einer Analyse potentieller Gegenrechte - wie zum Beispiel dem Rechtsprechungsmonopol des Staates, der funktionstüchtigen Strafrechtspflege, des Gleichheitssatzes, der öffentlichen Ordnung, aber auch etwa dem Rechtsdienstleistungsgesetz - werden präventive und repressive Handlungsmöglichkeiten des Staates dargelegt.»Religious Informal Justice«The book focuses on the current debate on inofficial mediation and settlement of conflicts between muslim immigrants in Germany. Generated subcultures potentially rather prefer to settle conflicts privately and in accordance with Sharia law, instead of making use of the official justice system. The author systematically assesses the admissibility and limits of this social phenomenon under German law.
Table of Contents
Section Title | Page | Action | Price |
---|---|---|---|
Vorwort | 7 | ||
Inhaltsverzeichnis | 9 | ||
Einleitung | 17 | ||
Erster Teil: Eine Abgrenzung – Staatlich anerkannte religiöse Schiedsgerichte und informelle Paralleljustiz – Einführung und Begriffserklärung, Stand der Forschung | 21 | ||
A. Informelle religiöse Streitschlichtung und -entscheidung in Migrantenmilieus | 21 | ||
B. Informelle und formelle Scharia-Gerichte in Großbritannien | 27 | ||
I. Öffentliche Schattengerichte – Die Sharia-Councils in Großbritannien | 27 | ||
II. Muslim Arbitration Tribunal – islamisches Schiedsgericht? | 31 | ||
III. Die umstrittene Rede des Erzbischofs von Canterbury | 33 | ||
IV. Zwischenergebnis | 35 | ||
C. Die Scharia-Debatte in Kanada | 35 | ||
I. One Law for all Canadians? | 36 | ||
II. Darstellung der vorgebrachten Argumente – Relevanz für die Bewertung informeller Verfahren | 40 | ||
D. Scharia im Westen – Rechtspluralismus als wünschenswertes Ziel einer religionspluralistischen Gesellschaft? | 43 | ||
I. Eine heterogene Mehrheit von Rechten im selben sozialen Feld | 43 | ||
II. Religiöse Rechtsspaltung oder religiöse Schiedsverfahren als Antwort auf religiösen Pluralismus? | 48 | ||
1. Religiöse Rechtsspaltung | 48 | ||
2. Religiöse islamische Schiedsverfahren | 54 | ||
Zweiter Teil: Religiöse Paralleljustiz im Familien- und Erbrecht | 56 | ||
A. Das islamische Recht: Entstehung, Rechtsquellen und Grundzüge des materiellen Familien- und Erbrechts | 56 | ||
I. Entstehung und frühe Geschichte des islamischen Rechts | 57 | ||
1. Muhammads Zeit in Medina | 57 | ||
2. Die Zeit der Kalifen | 59 | ||
3. Die Entstehung der Rechtsschulen | 61 | ||
II. Die Quellen des islamischen Rechts | 62 | ||
1. Der Koran | 63 | ||
2. Die Sunna | 64 | ||
3. Der Konsens | 65 | ||
4. Der Analogieschluss und andere juristische Auslegungsmethoden | 65 | ||
5. Idschtihad und die Schließung des Tores der selbstständigen Rechtsfindung | 66 | ||
III. Islamisches Familien- und Erbrecht | 67 | ||
1. Ehefähigkeit | 67 | ||
2. Eheschließung | 69 | ||
3. Ehehindernisse | 69 | ||
a) Anzahl der geschlossenen Ehen | 69 | ||
b) Konfession des Ehepartners | 70 | ||
c) Verwandtschaft | 71 | ||
d) Wartefrist nach Scheidung oder Tod (iddat) | 72 | ||
e) Statusgleichheit | 73 | ||
f) Dreimalig ausgesprochener talāq | 73 | ||
g) Pilgerfahrt | 73 | ||
4. Allgemeine Wirkungen der Ehe | 73 | ||
5. Güterrecht | 74 | ||
6. Die Brautgabe | 76 | ||
7. Unterhalt nach der Scheidung | 77 | ||
8. Eheverträge (taqliq) | 78 | ||
9. Beendigung der Ehe | 79 | ||
a) Einseitige Scheidungsmöglichkeiten durch den Mann | 79 | ||
aa) Verstoßung (ṭalāq) | 79 | ||
bb) Schwur der Enthaltsamkeit (īlā) | 82 | ||
cc) Vergleich mit einer Frau, zu der ein verwandtschaftliches Eheverbot besteht (ẓihār) | 82 | ||
b) Scheidungsvollmacht der Frau (ṭalāq-e tafwīḍ) | 82 | ||
c) Einvernehmliche Scheidung durch Vereinbarung der Ehepartner | 83 | ||
d) Richterliche Auflösung der Ehe | 83 | ||
e) Eheauflösung durch Religionswechsel | 84 | ||
f) Beendigung durch Tod | 85 | ||
10. Sorgerecht | 85 | ||
11. Erbrecht | 86 | ||
a) Festgelegte Erbfolge | 86 | ||
b) Gewillkürte Erbfolge | 88 | ||
c) Kognatische Erbfolge der Schiiten | 89 | ||
12. Der Zeugenbeweis | 89 | ||
B. Grundrechtlicher Schutz traditioneller bzw. religiöser Schlichtungen | 90 | ||
I. Religionsfreiheit, Art. 4 GG | 90 | ||
1. Bestimmung des Schutzbereichs der Religionsfreiheit | 91 | ||
2. Anwendung der festgestellten Grundsätze auf religiöse Paralleljustiz | 96 | ||
3. Eingriff | 99 | ||
4. Schranken des Art. 4 GG | 99 | ||
II. Allgemeine Handlungsfreiheit | 102 | ||
III. Zwischenergebnis | 103 | ||
C. Rechtsprechungsmonopol des Staates oder existierender Gerichtspluralismus? Garantie und Grenzen privater Rechtsprechung | 104 | ||
I. Staatliche Rechtsprechung und private Gerichtsbarkeiten – Begriffsklärung | 104 | ||
II. Grenzen privater Gerichtsbarkeiten – Das staatliche Rechtsprechungsmonopol als irreführende Begrifflichkeit | 110 | ||
1. Rechtsprechungsmonopol: Vom Wortlaut ausgehende Eingangsüberlegung | 110 | ||
2. Art. 92 GG als verfassungsrechtliche Grundlage eines staatlichen Rechtsprechungsmonopols? | 111 | ||
a) Absolutes Rechtsprechungsmonopol | 111 | ||
b) Eigene Stellungnahme zu einem absoluten Rechtsprechungsmonopol | 114 | ||
aa) Die Privatautonomie als zwingender Garant privater Gerichte | 115 | ||
bb) Rückschluss aus den Gesetzgebungsmaterialien | 116 | ||
cc) Kritsche Würdigung der für ein absolutes Rechtsprechungsmonopol vorgebrachten Argumentation | 116 | ||
(1) Die geschichtliche Entwicklung des Justizwesens | 117 | ||
(2) Der Topos der Einheit der Rechtsordnung | 117 | ||
(3) Extensive Auslegung der Vorschriften des organisatorischen Teils | 120 | ||
c) Zwischenergebnis | 120 | ||
d) Quasi-absolutes Rechtsprechungsmonopol | 121 | ||
e) Eigene Stellungnahme zu einem quasi-absoluten Rechtsprechungsmonopol | 121 | ||
f) Relativ-formales und relativ-modales Rechtsprechungsmonopol | 122 | ||
g) Eigene Stellungnahme zu den formalen Interpretationsansätzen | 123 | ||
3. Herleitung eines quasi-absoluten Rechtsprechungsmonopols aus grundrechtlichen Schutzpflichten und dem allgemeinen Justizgewährungsanspruch | 125 | ||
a) Grundrechtliche Grenzen privater Gerichtsbarkeit | 125 | ||
b) Justizgewährungsanspruch | 126 | ||
c) Keine Begrenzung durch Art. 101 Abs. 1 S. 1 GG | 128 | ||
III. Zwischenergebnis | 128 | ||
IV. Die praktische Umsetzung des quasi-absoluten Rechtsprechungsmonopols im deutschen Gerichtspluralismus | 129 | ||
1. Schiedsgerichte | 129 | ||
2. Vereins- und Verbandsgerichte | 134 | ||
3. Betriebsjustiz | 136 | ||
4. Parteischiedsgerichte | 138 | ||
5. Kirchengerichte | 139 | ||
V. Rückschlüsse für den Untersuchungsgegenstand und Ergebnis | 141 | ||
D. Eingriff aufgrund der Verletzung des Gleichheitssatzes | 143 | ||
I. Die Sittenwidrigkeit von auf islamischem Recht beruhenden Rechtsgeschäften | 144 | ||
1. Ehevereinbarungen | 146 | ||
2. Erbrecht | 147 | ||
3. Scheidungsrecht | 149 | ||
4. Sorgerecht | 150 | ||
5. Gewichtung männlicher und weiblicher Zeugenaussagen | 151 | ||
II. Zwischenergebnis | 151 | ||
III. Eingriffsmöglichkeiten der Exekutive zur Durchsetzung der Gleichberechtigung | 152 | ||
1. Keine Eingriffsbefugnis aus der ordnungsrechtlichen Generalklausel in Verbindung mit Art. 3 Abs. 2 GG | 152 | ||
2. Keine Eingriffsbefugnis aus der Schutzpflicht des Art. 3 Abs. 2 GG | 153 | ||
a) Das Gentechnik-Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs | 155 | ||
b) Das Schleyer-Urteil des Bundesverfassungsgerichts | 156 | ||
c) Kritik an grundrechtlichen Schutzpflichten als unmittelbarer Eingriffsgrundlage | 157 | ||
d) Keine Eingriffsbefugnis aus der ordnungsrechtlichen Generalklausel in Verbindung mit einer staatlichen Schutzpflicht aus Art. 3 Abs. 2 GG | 160 | ||
e) Mögliche Maßnahmen zur Erfüllung der Schutzpflicht ohne Eingriffe in Rechte Dritter | 161 | ||
3. Einordnung des Gleichheitssatzes unter das Teilschutzgut der Unverletzlichkeit der subjektiven Rechte und Rechtsgüter des Einzelnen – Problematik der Subsidiaritätsklausel | 163 | ||
4. Ergebnis | 165 | ||
E. Eingriff aufgrund einer Verletzung der öffentlichen Ordnung | 165 | ||
I. Verfassungs- und rechtspolitische Kritik am Begriff der öffentlichen Ordnung | 166 | ||
II. Verletzung der öffentlichen Ordnung durch informelle religiöse Verfahren? | 168 | ||
F. Unzulässige Rechtsdienstleistung nach dem Rechtsdienstleistungsgesetz | 173 | ||
I. Entwicklung der Reglementierung des Rechtsberatungsmarktes in Deutschland | 174 | ||
II. Komplementärfunktion des Rechtsdienstleistungsgesetzes | 175 | ||
III. Das Rechtsdienstleistungsgesetz als Eingriffsgrundlage | 176 | ||
IV. Schutzzwecke des Rechtsdienstleistungsgesetzes als vorrangiges Auslegungskriterium | 177 | ||
1. Schutz der Rechtssuchenden | 178 | ||
2. Schutz des Rechtsverkehrs | 179 | ||
3. Schutz der Rechtsordnung | 179 | ||
4. Schutz der Anwaltschaft als ungeschriebenes Schutzgut? | 179 | ||
V. Informelle religiöse Rechtsberatung als erlaubnispflichtige Rechtsdienstleistung? | 180 | ||
1. Außergerichtlichkeit, § 1 Abs. 1 S. 1 RDG | 180 | ||
2. Rechtsdienstleistung, § 2 Abs. 1 RDG | 181 | ||
a) Konkrete Angelegenheit | 181 | ||
b) Fremde Angelegenheit | 181 | ||
c) Rechtliche Prüfung | 181 | ||
aa) Konstellation 1 | 182 | ||
bb) Konstellation 2 | 182 | ||
cc) Konstellation 3 | 186 | ||
3. Ausschlusstatbestände | 187 | ||
a) Ausschluss des Vorliegens einer Rechtsdienstleistung nach § 2 Abs. 3 Nr. 2 RDG: Schiedsrichter | 187 | ||
b) Ausschluss des Vorliegens einer Rechtsdienstleistung nach § 2 Abs. 3 Nr. 4 RDG: Mediation | 188 | ||
4. Erlaubnisfreiheit aufgrund eines Ausnahmetatbestandes? | 190 | ||
a) Rechtsdienstleistung aufgrund besonderer Sachkunde in einem ausländischen Recht, §§ 10 Abs. 1 Nr. 3, 12 RDG | 191 | ||
b) Unentgeltlichkeit, § 6 RDG | 192 | ||
VI. Ergebnis | 194 | ||
G. Eingriffe bei strafrechtlich relevantem Verhalten im Rahmen der religiösen Paralleljustiz im familienrechtlichen Bereich | 194 | ||
Dritter Teil: Religiöse Paralleljustiz in strafrechtlich relevanten Sachverhalten | 197 | ||
A. Religiös-kulturelle Motive der Beteiligten – Das islamische Strafrechtsverständnis | 198 | ||
I. Kategorisierung der Straftatbestände | 198 | ||
1. Grenzvergehen (hadd) | 199 | ||
2. Talionsdelikte (qiṣāṣ) | 200 | ||
B. Islamisches Strafrechtsverständnis und Offizialprinzip | 201 | ||
I. Verankerung des Offizialprinzips im deutschen Recht | 202 | ||
II. Durchbrechungen des Offizialprinzips | 202 | ||
1. Antragsdelikte | 203 | ||
2. Privatklage | 204 | ||
3. Täter-Opferausgleich | 205 | ||
III. Ergebnis | 206 | ||
C. Friedensstiftende Funktion der Schlichter? | 206 | ||
I. Präventivwirkung | 207 | ||
II. Behinderung repressiver Polizeiarbeit | 208 | ||
D. Das Spannungsverhältnis zwischen Freiheitsrechten und Wahrheitsermittlungspflicht – Möglichkeiten der Unterbindung von Schlichtungen im strafrechtlich relevanten Bereich | 209 | ||
I. Repressive Maßnahmen – Strafrechtliche Konsequenzen | 209 | ||
1. Nichtanzeige geplanter Straftaten (§ 138 StGB) | 209 | ||
2. Strafvereitelung (§ 258 StGB) | 211 | ||
3. Aussagedelikte (§§ 153–162 StGB) | 214 | ||
II. Präventive Maßnahmen | 216 | ||
1. Allgemeine Maßnahmen zur Vertrauensbildung und Sensibilisierung der Justiz | 216 | ||
III. Vorfeldmaßnahmen | 217 | ||
1. Untersagungsverfügung, Gefährderansprache und Gefährderanschreiben | 219 | ||
2. Kontaktverbot | 222 | ||
3. Eingriffsvoraussetzungen | 223 | ||
a) Schutzgut: Strafrechtliche Vorschriften | 223 | ||
b) Schutzgut: Die Pflicht des Staates zum Erhalt einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege | 223 | ||
c) Schutzgut: Das Strafmonopol des Staates | 226 | ||
d) Vorliegen einer konkreten Gefahr | 227 | ||
e) Beschränkung durch das Übermaßverbot | 228 | ||
f) Bestimmtheitsgrundsatz | 230 | ||
E. Ergebnis | 230 | ||
Ergebnisse der Arbeit in Thesen | 231 | ||
Anhang: Interview mit Frau Rechtsanwältin Nazan Simsek aus Augsburg vom 3. Dezember 2013 über ihre Erfahrungen mit religiöser Paralleljustiz | 240 | ||
Literaturverzeichnis | 242 | ||
Sachverzeichnis | 272 |