Möglichkeit und Inhalt eines Notstandsrechts
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Möglichkeit und Inhalt eines Notstandsrechts
Eine grundlegende Untersuchung. Zugleich ein Beitrag zur kantischen Rechtsphilosophie
Schriften zum Strafrecht, Vol. 301
(2016)
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Gunnar Helmers war nach Abschluss eines rechtswissenschaftlichen Studiums an der Universität Hamburg als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Strafrecht und Rechtsphilosophie von Prof. Dr. Reinhard Merkel (Hamburg) tätig. In den Jahren 2012 und 2013 arbeitete er als Staatsanwalt (Staatsanwaltschaft Hamburg); seit September 2013 ist er als Richter am Landgericht in Hamburg tätig.Abstract
Notstand als Rechtfertigungsgrund setzt weder voraus, dass der von einer zur Notbeseitigung erforderlichen Notstandstat Betroffene in den Zugriff einwilligt, noch dass er sich diesen durch rechtswidriges Verhalten selbst zuzieht (in Abgrenzung zum Notwehrrecht). Ausgehend von den philosophischen bzw. logischen Grundlagen rechtlichen Urteilens wird ein Notrechtsbegriff entwickelt, der Umfang und Grenzen der einseitigen, rechtlichen Verfügbarkeit von an sich einem anderen zustehender Materie als Mittel zur Notabwendung definiert. Notstandsrechtlich nicht möglich sind Zugriffe auf die Person selbst (auf »angeborene« Materie); demgegenüber stehen erwerbliche Sachgüter einem erforderlichen Notstandszugriff zur Verfügung. Der entwickelte Begriff basiert auf der im Ansatz von Immanuel Kant erarbeiteten Rechts- und Privatrechtsbegründung. Kritisiert werden empiristisch-materiale Konzepte, wonach weitgehende Inanspruchnahmen des Menschen zu Zwecken anderer vertretbar erscheinen. In einem abschließenden, kasuistischen Teil wird die Leistungsfähigkeit des dargelegten Notrechtsbegriffs durch Bezug auf Sachverhalte des praktischen Lebens oder Lehrbuchfälle aufgezeigt und der Begriff dabei konkretisiert.Die Arbeit wurde 2015 mit dem Promotionspreis der Fakultät für Rechtswissenschaft der Universität Hamburg zur Förderung herausragenden wissenschaftlichen Nachwuchses ausgezeichnet (erster Preis).
Table of Contents
Section Title | Page | Action | Price |
---|---|---|---|
Danksagung | 1 | ||
Inhaltsübersicht | 3 | ||
Inhaltsverzeichnis | 5 | ||
Einleitung | 11 | ||
I. Problemdarstellung und Formulierung der Aufgabe | 11 | ||
II. Status quo und Überblick über den Aufbau der Arbeit | 19 | ||
A. Unterschiedliche Versuche der Moral- und Rechtsbegriffsbildung | 23 | ||
I. Unmittelbar-materialer Ansatz (Übergang vom Sein zum Sein-Sollen unmittelbar über begehrte Materie) | 28 | ||
1. Thomas Hobbes | 30 | ||
a) Ausgangspunkt (Erkenntnistheorie) | 30 | ||
b) Begriff von Gut und Böse | 31 | ||
c) Begriffe von Recht und Pflicht | 33 | ||
d) Übergang zum Staat (Notwendigkeit der Staatserrichtung) | 35 | ||
e) Rechtsbegrifflich möglicher Inhalt staatlicher Gesetze und Rückbindung des Staates an Ausgangsprinzip bzw. -zweck | 37 | ||
f) Konsequenz für Möglichkeit und Inhalt von Notstandsrechten | 40 | ||
g) Zusammenfassung | 42 | ||
2. John Stuart Mill | 43 | ||
a) Ausgangspunkt | 43 | ||
b) Das moralisch Richtige bzw. Falsche (Übergang zu Sollensbehauptungen) | 45 | ||
c) Mills Folgerungen aus dem „Nützlichkeitsprinzip“ | 50 | ||
d) Abgrenzung der Ethik im engeren Sinne vom Recht und möglicher Inhalt staatlicher Gesetze | 53 | ||
e) Konsequenz für Möglichkeit und Inhalt von Notstandsrechten | 55 | ||
f) Zusammenfassung | 56 | ||
3. Zusammenfassung (unmittelbar-materialer Ansatz und Konsequenz für Möglichkeit und Inhalt von Notstandsrechten) | 58 | ||
II. Nicht-unmittelbar-materialer Ansatz nach der Ausarbeitung Immanuels Kants | 60 | ||
1. Ausgangspunkt (Erkenntnistheorie) | 60 | ||
2. Übergang zum (Sein)Sollen (Kategorischer Imperativ / Begriff von Gut und Böse) | 80 | ||
3. Abgrenzung der Ethik im engen Sinne vom Recht (Begriff von Recht und Unrecht) | 101 | ||
4. Vorpositive Rechtsinhalte: „Angeborene“ und erworbene Güter | 114 | ||
a) Ursprüngliche („angeborene“) Güter | 114 | ||
b) Erworbene Güter (Privatrecht) | 117 | ||
c) Zusammenfassung und Konsequenz | 125 | ||
5. Übergang zum Staat: Notwendigkeit der Staatserrichtung | 126 | ||
6. Rechtsbegrifflich möglicher Inhalt staatlicher Gesetze (Rückbindung des Staates an Ausgangsprinzip bzw. -zweck) | 133 | ||
7. Konsequenzen betreffend die Möglichkeit und den etwaigen Inhalt von Notstandsrechten | 137 | ||
a) Kants Verneinung bestimmter Güter als einem Notstandszugriff zugänglich | 138 | ||
b) Die Bejahung bestimmter Notstandsrechte durch Kant | 142 | ||
8. Zusammenfassung (Notrechtskonsequenz des nicht unmittelbar-materialen Ansatzes) | 148 | ||
III. Zusammenfassung der Ergebnisse (Notstandsrechte nach unmittelbar-materialem und nach formalem Ansatz) | 154 | ||
B. Auflösung der Aufgabe | 165 | ||
I. Die Verfehltheit eines unmittelbar-materialen Ansatzes der Generierung von Sollensbehauptungen | 166 | ||
II. Verdeutlichung des nicht unmittelbar-materialen Ansatzes als alleiniger Alternative, v. a. betreffend die sich ergebenden Rechtsinhalte | 178 | ||
1. Der Einwand der Inhaltsleere der kantischen Konzeption, u. a. erhoben von Hegel | 179 | ||
2. Die von Hegel angebotene (vermeintliche) Alternative | 181 | ||
a) Hegels Gedankengang in der Interpretation Michael Pawliks (grobe Skizze) | 181 | ||
b) Kritische Betrachtung des hegelschen Denkens | 183 | ||
3. Eine das Missverständnis der Inhaltsleere ausschließende Darstellung des bedürfnis-/materieunabhängigen Ansatzes | 191 | ||
a) Nicht-sinnlich-bedingtes Verhaltensprinzip als Bedingung der Möglichkeit (Denkbarkeit) eines (überhaupt-)richtigen Verhaltens bzw. von „Pflicht“ | 191 | ||
b) Formulierbarkeit eines solchen als Erkenntnisgrund der Wirklichkeit eines allgemeinen Verhaltensmaßstabs (und damit des Sollens überhaupt) | 194 | ||
c) Implikation für das Menschenbild bzw. Selbstbild | 200 | ||
d) Verdeutlichung: Zuordnungen von Etwas (Materie) zu Jemandem (immaterielles Subjekt) als Zustehensbeziehungen | 207 | ||
e) Primäre (ursprüngliche) Zuordnungsmaterie (reale Person überhaupt) | 210 | ||
f) Sekundäre Zuordnungsmaterien (sonstige Materie als erwerbliche Güter) | 223 | ||
g) Möglichkeit kontinuierlicher Durchsetzung der Zustehensverhältnisse | 228 | ||
4. Einordnende Anmerkungen | 229 | ||
a) Zur sogen. „Metaethik“ | 229 | ||
b) Neuere Kritik am vorgestellten Ansatz (in Aufnahme von Erkenntnissen der Hirnforschung) | 232 | ||
5. Fazit | 243 | ||
III. Konsequenzen für Möglichkeit und Inhalt von Notstandsrechten | 245 | ||
1. Zum interpersonalen Grundverhältnis: Möglichkeit oder gar Notwendigkeit der Bedingung des Zustehens von Etwas zur Person auf der Person externe Umstände? | 248 | ||
a) Das der Person ursprünglich Zustehende | 249 | ||
b) Erworbene Güter (erst nach willentlichem Akt der Person zustehende Objekte) | 251 | ||
2. Weitergehende Notstands-Zugriffsbefugnisse und korrespondierende rechtliche Duldungs- oder gar Handlungspflichten der Bürger aufgrund des notwendigen (ideellen) Staatsbegründungsaktes? | 270 | ||
a) Bürgerpflichten zur Rechtsdurchsetzung: Zusätzliche Notstandshilfepflichten im Rechtsstaat? | 272 | ||
aa) Bürgerliche Pflichten im Zusammenhang mit der staatlichen Aufgabe der Gefahrenabwehr, insbesondere Inanspruchnahmen von Nicht-Gefahrverantwortlichen (Nichtstörern) | 275 | ||
bb) Zur Verdeutlichung / Abgrenzung: Potentielle bürgerliche Pflichten zu aktiver Partizipation bei der staatlichen Rechtsdurchsetzung | 282 | ||
(1) Allgemeine Wehrpflicht der Bürger? | 283 | ||
(2) Bürgerliche Pflichten im Zusammenhang mit der staatlichen Justizgewährungsaufgabe | 283 | ||
(3) Sonstige aktive Mitwirkung der Bürger bei der Staatsverwaltung? | 288 | ||
cc) Weitergehende soziale Gerechtigkeit (und diesbezügliche bürgerliche Pflichten) im Rechtsstaat? | 289 | ||
b) Fazit | 291 | ||
3. Zusammenfassung der Ergebnisse | 292 | ||
IV. Kritische Betrachtung der positiven deutschen Notstandsregelungen und einiger Notrechtsbegründungen aus der juristischen Literatur | 297 | ||
1. Notstandsrechtsbehauptende Normen des positiven deutschen Rechts und deren Auslegungen | 298 | ||
a) Zur näheren Auslegung des § 34 StGB | 301 | ||
aa) Zum Erhaltungsgut | 301 | ||
bb) Zum Gefahrbegriff | 303 | ||
cc) Zur Eingriffsseite | 308 | ||
b) Zu § 228 BGB | 318 | ||
c) Zu § 904 BGB | 321 | ||
aa) Rechtmäßige („Aggressiv“-)Notstandszugriffe auch bei Gefahr des Verlustes bloßer Sachgüter? | 322 | ||
bb) Zur Wertersatzfolge, § 904 S. 2 BGB | 326 | ||
d) Einordnendes Fazit | 327 | ||
2. Notstandsrechtsthesen und -begründungsversuche aus der Rechtswissenschaft (Kritik gemäß dem dargelegten Standpunkt) | 330 | ||
a) Zu (Interessen-)Abwägungsargumentationen (am Beispiel der Ausführungen Roxins) | 331 | ||
b) Zur Argumentation mit einem „Solidaritätsprinzip“ | 334 | ||
aa) Kristian Kühl und Wilfried Küper | 335 | ||
bb) Reinhard Merkel | 336 | ||
cc) Michael Köhler | 341 | ||
dd) Michael Pawlik | 345 | ||
ee) Fazit | 351 | ||
V. Konkretisierungen und Verdeutlichungen durch Fallbeurteilungen | 352 | ||
1. Zur Erhaltungsseite | 352 | ||
2. Zur Eingriffsseite | 355 | ||
a) Feste Grenze: Keine ohne Willen des Inhabers erfolgende Körperverletzung, keine Nötigung zu aktiven Hilfeleistungen | 356 | ||
b) Notstandszugriffe auf erworbene Sachgüter: Konkretisierungen | 358 | ||
aa) Zerstörung einer gefahrträchtigen Sache unter § 228 S. 1 BGB | 359 | ||
bb) Zerstörung einer ggf. wertvollen, ungefährlichen Sache zur Abwendung von Körpergefahren | 361 | ||
cc) Beschädigung einer fremden Sache nach pflichtwidriger Mitverursachung der Notstandslage (vorangegangene rechtswidrige Provokation eines anderen und actio illicita in causa) | 363 | ||
dd) Sonstige notbedingte Gebrauchsanmaßungen und notstandsrechtlicher Sachnutzungserwerb (Verdeutlichungsfälle) | 379 | ||
c) Zur Rechtfertigung von Ordnungsnormverstößen bzw. Körpergefährdungen (über Sachnutzungserwerb) | 388 | ||
d) Zum Verhältnis mehrerer Notbetroffener zueinander | 396 | ||
e) Rechtsgüter der Allgemeinheit (im eigentlichen Sinne) als potentielle Eingriffsgüter? | 401 | ||
3. Anmerkungen zum Begriff eines „Defensivnotstands“ (Zurechnung einer Gefahrentstehung zu einer Person) | 404 | ||
a) Zur ersten Konstellation: Auf (begangenem und / oder) drohendem rechtswidrigen Verhalten gründendes Gefahrurteil („präventive Notwehr“) | 405 | ||
aa) Insoweit keine „Analogie“ zur Regelung des § 228 BGB | 405 | ||
bb) Vereinbarkeit eines in zeitlicher Hinsicht erweiterten Rechtfertigungsgrundes aus Unrechtsverantwortung mit der Notwehrregelung (§§ 32 StGB, 227 BGB)? | 407 | ||
(1) Fehlannahmen von Defensivnotstandskonstellationen aus der Rechtsliteratur bzw. Rechtsprechung („Landstreicher“-Fall, „Haustyrannen“-Fall, „Spanner“-Fall) | 410 | ||
(2) Eher diskutable (Defensivnotstands-)Fallkonstellationen („präventive Notwehr“?) | 425 | ||
b) Zweite Defensivnotstands-Konstellation: „Zurechnung“ einer Gefahr zu einer Person unabhängig von einer rechtswidrigen Handlung (sogar bei Nicht-Verhalten)? | 432 | ||
4. Anmerkung zum Nötigungsnotstand | 447 | ||
Gesamtzusammenfassung | 465 | ||
Literaturverzeichnis | 492 | ||
Stichwortverzeichnis | 503 |