Der mündige Bürger
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Der mündige Bürger
Leitbild der Privatrechtsordnung?
Schriften zum Bürgerlichen Recht, Vol. 471
(2017)
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Nach dem Studium in Freiburg, Genf und Berlin absolvierte Matthias Rüping 2012 die Erste Juristische Prüfung. Zwischen 2010 und 2013 arbeitete er im Deutschen Bundestag, zuletzt als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Büroleiter der Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. 2016 erfolgte die von der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit mit einem Stipendium geförderte Promotion zum Dr. iur. an der Humboldt-Universität zu Berlin. Nach dem Referendariat u.a. in der außen- und sicherheitspolitischen Abteilung des Bundeskanzleramts legte er 2017 die Zweite Juristische Prüfung ab. Seit April 2017 ist er als Rechtsanwalt bei der Kanzlei BMH Bräutigam & Partner in Berlin tätig.Abstract
Das ursprüngliche BGB war vom Leitbild des mündigen Bürgers geprägt, der eigenverantwortliche Entscheidungen trifft und deren Konsequenzen trägt. Die Abhandlung zeigt unter anderem am Beispiel des Verbraucherprivatrechts und des Wohnraummietrechts, wie jahrzehntelange rechtspolitisch motivierte Einflussnahme diese Mündigkeitsvermutung sukzessive relativiert hat. Das zeitgenössische Privatrecht basiert auf der Annahme eines schutzbedürftigen und als Verbraucher, Mieter oder Arbeitnehmer strukturell unterlegenen Bürgers. An die Stelle von dispositivem Gesetzesrecht sind zunehmend unabdingbare und durch Umgehungsverbote flankierte zwingende Inhaltsvorgaben getreten. Diese Abkehr vom Leitbild des mündigen Bürgers gerät nicht nur in Konflikt mit der politischen Projektion eines souveränen und autonomen Wahlbürgers, sondern begegnet auch gravierenden verfassungsrechtlichen und ökonomischen Bedenken.»The Responsible Citizen Model of German Private Law?«German private law used to be governed by the idea of a responsible and independent citizen who is able to make informed decisions and must carry their consequences. Over the past decades, this traditional approach to individual responsibility has essentially been replaced by the assumption of structural disparity in contractual relations and a citizen in need of constant protection. This departure from the »responsible citizen« gives rise to severe constitutional, economic and ethical concerns.
Table of Contents
Section Title | Page | Action | Price |
---|---|---|---|
Vorwort | 5 | ||
Inhaltsverzeichnis | 7 | ||
Einleitung | 13 | ||
1. Teil: Das Leitbild des mündigen Bürgers und sein Stellenwert im deutschen Privatrecht | 15 | ||
A. Leitbilder im Recht | 15 | ||
I. Bestandsaufnahme und Definitio | 16 | ||
II. Funktionen rechtlicher Leitbilder: Orientierung, Rechtssicherheit, Positionierung | 21 | ||
III. Zusammenfassung | 23 | ||
B. Privatautonomie und Mündigkeit: Begriffe und Bezüge | 24 | ||
I. Privatautonomie | 24 | ||
1. Bedeutung und Gewährleistungselemente | 25 | ||
2. Privatautonomie und Grundgesetz: Kollision von Grundrechtsdimensione | 27 | ||
3. Formale und materiale Privatautonomie | 28 | ||
a) Formales Verständnis der Privatautonomie | 30 | ||
b) Materiales Verständnis der Privatautonomie | 33 | ||
c) Exkurs: Schmidt-Rimplers „Richtigkeitsgewähr des Vertragsmechanismus“ | 36 | ||
4. „Materialisierung des Privatrechts“ | 38 | ||
II. Mündigkeit und das Leitbild vom mündigen Bürge | 42 | ||
1. Rechtstechnische und anthropologische Mündigkeit | 43 | ||
2. Mündigkeit und Privatautonomie | 45 | ||
3. Der mündige Bürger als Leitbild | 49 | ||
a) Qualifizierung des Leitbildes vom mündigen Bürge | 49 | ||
b) Charakteristika einer vom Leitbild des mündigen Bürgers geprägten Rechtsordnung | 50 | ||
aa) Die Befolgung der abstrakten Gleichheitsvermutung und der Verzicht auf systematischen Schwächerenschutz | 50 | ||
bb) Die Anerkennung gesetzlicher Dispositivität | 51 | ||
cc) Die Beachtung des Vertragstreue-Grundsatzes und die Abwesenheit gerichtlicher Inhaltskontrolle | 53 | ||
c) Der mündige Bürger und die „Privatrechtsgesellschaft“ | 54 | ||
d) Leitbild vom mündigen Bürger als sozialempirische Zustandsbeschreibung? | 56 | ||
III. Zusammenfassung | 56 | ||
C. Das Leitbild des mündigen Bürgers im ursprünglichen Bürgerlichen Gesetzbuch | 57 | ||
I. Historische Rahmenbedingungen – Das Bürgerliche Gesetzbuch als Kind eines „liberalen Zeitgeistes“ und der „Tropfen sozialistischen Öls“ | 58 | ||
II. Mündigkeit im ursprünglichen Bürgerlichen Gesetzbuch | 63 | ||
1. Mündigkeit als „Primärstatus“ | 64 | ||
2. Ausnahmen von der Mündigkeit als „Sekundärstatus“ | 71 | ||
III. Zusammenfassung | 74 | ||
D. Das Leitbild des mündigen Bürgers im heutigen Privatrecht | 75 | ||
I. Verbraucherprivatrecht und wettbewerbsrechtliches Verbraucherleitbild | 77 | ||
1. Die historische Herausbildung des Verbraucherprivatrechts | 77 | ||
2. Verbraucherprivatrecht als gesetzliches Regelwerk | 81 | ||
a) Fernabsatzverträge | 81 | ||
b) Außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge | 83 | ||
c) Verbrauchsgüterkauf | 85 | ||
d) Sonstige Bereiche | 85 | ||
e) Zwischenergebnis: Mündigkeit im gesetzlichen Verbraucherprivatrecht | 86 | ||
3. Das wettbewerbsrechtliche Verbraucherleitbild | 86 | ||
4. Zusammenfassung: Verbraucherprivatrecht, Verbraucherleitbild und das Mündigkeitsprinzip | 90 | ||
II. Wohnraummietrecht | 93 | ||
1. Die rechtspolitische Dynamik des Wohnraummietrechts: Vom liberalen über das regulierte zum sozialen Mietrecht | 94 | ||
2. Instrumente des Mieterschutzes | 96 | ||
a) Vertragsbeendigung: Kündigungsschutz und Widerspruchsrecht | 97 | ||
b) Vertragsgestaltung: Mietpreisregulierung | 99 | ||
c) Zwangsvollstreckung: Räumungsschutz | 102 | ||
d) Weitere Schutzinstrumente | 104 | ||
3. Zusammenfassung: Mündigkeit im Wohnraummietrecht | 104 | ||
III. Sittenwidrige Rechtsgeschäfte | 105 | ||
1. Sittenwidrigkeit in den Gesetzesmaterialien des Bürgerlichen Gesetzbuchs | 107 | ||
2. Der Funktionswandel des Sittenwidrigkeitsbegriffs | 109 | ||
a) Angehörigenbürgschafte | 109 | ||
aa) Rechtsprechung des BGH bis 1993 | 110 | ||
bb) Bürgschafts-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 1993 | 112 | ||
cc) Reaktionen auf die Bürgschafts-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts | 115 | ||
dd) Ausweitung der Verfassungsgerichts-Rechtsprechung | 116 | ||
ee) Zwischenergebnis | 118 | ||
b) Sexualbezogene Leistunge | 118 | ||
c) Ausweitung des Wucherschutzes über § 138 I, II BGB | 120 | ||
aa) Wucherschutz über § 138 II BGB | 121 | ||
bb) Wucherschutz über § 138 I BGB | 122 | ||
d) Der Funktionswandel des Sittenwidrigkeitsbegriffs: Ausgleich von wirtschaftlicher Unterlegenheit als zentrales Regulierungsmotiv | 123 | ||
3. Zusammenfassung: Sittenwidrigkeit als Gradmesser für die Mündigkeitsvermutung | 124 | ||
IV. Zwingendes Privatrecht – die Teilaufgabe der Dispositivität | 125 | ||
1. Gesetzliche Dispositivität und das Mündigkeitsprinzip | 126 | ||
2. Einschränkungen der Dispositivität durch zwingendes Recht | 128 | ||
a) Mietrecht | 129 | ||
b) Verbraucherprivatrecht | 131 | ||
c) Allgemeine Geschäftsbedingungen: Die Abweichung von „wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung“ als Unwirksamkeitsgrund | 132 | ||
d) Sonstige zwingende Vorschrifte | 132 | ||
3. Zusammenfassung: Zwingendes Recht als Aufweichung des Mündigkeitsprinzips | 133 | ||
V. Ehe- und Minderjährigenrecht: Quantitative Ausweitung der Mündigkeitsvermutung | 134 | ||
1. Eherecht: Die Rechtsstellung der (verheirateten) Frau | 135 | ||
2. Minderjährigenrecht: Das Volljährigkeitsalte | 140 | ||
3. Zusammenfassung: Quantitative Ausweitung der Mündigkeitsvermutung | 141 | ||
VI. Weitere Rechtsgebiete | 141 | ||
1. Arbeitsrecht | 141 | ||
2. Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingunge | 144 | ||
3. Inhaltskontrolle von Eheverträge | 146 | ||
VII. Ergebnis: Qualitative Einschränkung und quantitative Ausweitung der Mündigkeitsvermutung | 147 | ||
1. Die Befolgung der abstrakten Gleichheitsvermutung und der Verzicht auf systematischen Schwächerenschutz | 148 | ||
2. Die Anerkennung gesetzlicher Dispositivität | 148 | ||
3. Die Beachtung des Vertragstreue-Grundsatzes und die Abwesenheit gerichtlicher Inhaltskontrolle | 149 | ||
4. Quantitative Ausweitung der Mündigkeitsvermutung | 149 | ||
5. Gesamtschau | 149 | ||
E. Zusammenfassung | 151 | ||
2. Teil: Normative Grundlagen des Leitbildes vom mündigen Bürger: Verfassungsrecht, Ökonomie, Rechtspolitik | 153 | ||
A. Verfassungsrechtliche Vorgaben – Das „Menschenbild des Grundgesetzes“ | 153 | ||
I. Grundgesetz und Bürgerliches Gesetzbuch: Die Bedeutung verfassungsrechtlicher Wertungen für das Privatrecht | 154 | ||
II. Das Konzept eines grundgesetzlichen Menschenbilds | 157 | ||
III. Analyse des Verfassungstextes | 158 | ||
1. Das freiheitlich-individuelle Element | 158 | ||
2. Das sozialverpflichtet-gemeinwohlorientierte Element | 160 | ||
3. Abwägung zwischen den Elemente | 162 | ||
4. Zwischenergebnis | 166 | ||
IV. Das Menschenbild des Grundgesetzes und das privatrechtliche Leitbild vom mündigen Bürge | 166 | ||
V. Ergebnis | 168 | ||
B. Ökonomische Analyse – Mündigkeit und Marktversage | 170 | ||
I. Theorie des Marktversagens als Methode der ökonomischen Analyse | 171 | ||
II. Die Befolgung der abstrakten Gleichheitsvermutung und der Verzicht auf systematischen Schwächerenschutz | 173 | ||
1. Vorliegen eines Marktversagens | 174 | ||
a) Marktversagen aufgrund von externen Effekte | 174 | ||
b) Marktversagen aufgrund von Marktmacht | 175 | ||
c) Marktversagen aufgrund von Informationsasymmetrie | 176 | ||
d) Ergebnis | 179 | ||
2. Überlegenheit einer hoheitlichen Regulierung | 180 | ||
3. Ergebnis | 184 | ||
III. Die Anerkennung gesetzlicher Dispositivität | 185 | ||
1. Vorliegen eines Marktversagens: externe Effekte, Marktmacht, Informationsasymmetrie | 185 | ||
2. Überlegenheit einer hoheitlichen Regulierung | 187 | ||
3. Ergebnis | 190 | ||
IV. Die Beachtung des Vertragstreue-Grundsatzes und die Abwesenheit gerichtlicher Inhaltskontrolle | 191 | ||
1. Vorliegen eines Marktversagens | 191 | ||
2. Überlegenheit einer hoheitlichen Regulierung | 193 | ||
3. Ergebnis | 195 | ||
V. Verhaltensökonomische Erkenntnisse | 195 | ||
VI. Ergebnis | 200 | ||
C. Rechtspolitische Implikationen – Der mündige Bürger als Postulat | 201 | ||
I. Das Verhältnis der Privatrechtsordnung zum Individuum oder: Das Paternalismus-Problem | 202 | ||
1. Mündigkeit als Element personaler Würde | 202 | ||
2. Der schutzbedürftige Bürger als politischer Souverän: ein Wertungswiderspruch | 205 | ||
3. Mündigkeit als gradueller Gewährleistungsmaßstab | 207 | ||
4. Ergebnis | 207 | ||
II. Mündigkeit als Förderung der Rechtssicherheit | 207 | ||
III. Mündigkeit als Bedingung individueller Lerneffekte | 208 | ||
IV. Sozialpolitische Intentionen: „Schutz des Schwächeren“ durch das Privatrecht? | 210 | ||
V. Systematische Rationalitätsdefizite als empirische Falsifizierung der Mündigkeitsvermutung? | 212 | ||
1. Die Existenz systematischer Rationalitätsdefizite | 213 | ||
2. Konsequenz für die Mündigkeitsvermutung | 214 | ||
3. Zunehmende rechtsgeschäftliche Komplexität und steigender individueller Informationsbedarf als Erschütterungen der Mündigkeitsvermutung? | 216 | ||
4. Exkurs: Der mündige Bürger als homo oeconomicus? | 218 | ||
5. Ergebnis | 219 | ||
VI. Ergebnis | 220 | ||
D. Ergebnis: Die Bedeutung der Mündigkeitsvermutung aus verfassungsrechtlicher, ökonomischer und rechtspolitischer Perspektive | 221 | ||
E. Zusammenfassung | 222 | ||
Schluss: Die Rückkehr des mündigen Bürgers? | 224 | ||
A. Öffentliche Subventionen als Alternative zu privatrechtlichen Inhaltsverbote | 224 | ||
B. Regulierung mit Augenmaß: Wahl des „mildesten“ Mittels | 226 | ||
I. Inhalt: Informationspflichten, Formvorschriften, Inhaltsverbote | 227 | ||
II. Geltungsmodus: Dispositivität, Flexibilität, Unabdingbarkeit | 230 | ||
III. Schutzobjekt: Individualisierung und Typisierung | 231 | ||
C. Ergebnis | 231 | ||
Literaturverzeichnis | 233 | ||
Sachverzeichnis | 282 |