Die Tariffähigkeit von Arbeitnehmervereinigungen
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Die Tariffähigkeit von Arbeitnehmervereinigungen
Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht, Vol. 352
(2018)
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Hanna Olbrich absolvierte ihr Studium der Rechtswissenschaften in Heidelberg mit arbeitsrechtlichem Wahlfach. Während ihres Studiums und nach der ersten juristischen Staatsprüfung Anfang 2007 war sie am Lehrstuhl von Prof. Dr. Thomas Lobinger beschäftigt, der auch ihre Dissertation betreute. Ihr Referendariat in Hamburg und Tel Aviv schloss die Verfasserin 2012 mit der zweiten Staatsprüfung für Juristen ab. Im Anschluss war sie über drei Jahre im arbeitsrechtlichen Dezernat einer amerikanischen Wirtschaftskanzlei in Hamburg als Rechtsanwältin tätig. Seit Anfang 2016 ist sie Richterin am Amtsgericht in Hamburg, wo sie Anfang 2018 auf Lebenszeit ernannt wurde.Abstract
Was ist eine Gewerkschaft? Das ist im Gesetz nicht definiert. Welche Anforderungen an eine tariffähige Arbeitnehmervereinigung zu stellen sind, gilt als eine der zentralen unbeantworteten Fragen des kollektiven Arbeitsrechts. Hoch umstritten ist insbesondere, ob eine tariffähige Arbeitnehmervereinigung sozial mächtig sein, also eine gewisse Durchsetzungsstärke gegenüber der Arbeitgeberseite aufweisen muss. Diese Forderung des Bundesarbeitsgerichts benachteiligt kleinere Verbände ganz erheblich. Interessant ist die Frage vor allem, weil nach herkömmlichem Verständnis jede tariffähige Arbeitnehmervereinigung zur Durchsetzung eines Tarifvertrags auch streiken darf. Diesen Automatismus stellt die Arbeit in Frage und löst ihn im Ergebnis auf. Die Untersuchung befasst sich mit den Systemfragen des Ursprungs der Tarifautonomie und der Rolle des Arbeitskampfes für den tarifvertraglichen Einigungsprozess und analysiert die gängigen Anforderungen an eine tariffähige Arbeitnehmervereinigung.Die Arbeit wurde mit dem Südwestmetall Förderpreis 2018 für Nachwuchswissenschaftler ausgezeichnet.
Table of Contents
Section Title | Page | Action | Price |
---|---|---|---|
Vorwort | 7 | ||
Inhaltsübersicht | 9 | ||
Inhaltsverzeichnis | 11 | ||
Einleitung | 17 | ||
1. Teil: Ursprung und Funktion der Tarifautonomie als Schlüssel zum dogmatischen Verständnis der Tariffähigkeit | 23 | ||
A. Die Uneinigkeit hinsichtlich der Aufgabe der Koalitionen im Tarifvertragssystem und ihre Bedeutung für die Tariffähigkeit | 23 | ||
I. Tariffähige Arbeitnehmervereinigungen als Repräsentanten staatlicher Aufgaben oder mitgliedschaftlich legitimierte Interessenverbände? | 23 | ||
II. Die Systemwidrigkeit eines einheitlichen nGewerkschaftsbegriffs | 27 | ||
B. Die Sicherung der freien vertraglichen Einigung auf dem Gebiet der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen als alleiniger Zweck der Tarifautonomie | 34 | ||
I. Der Vertrag als vorrangiges Ordnungsprinzip unserer Privatrechtsordnung und der funktionale Zusammenhang von Tariffähigkeit und freier vertraglicher Einigung | 34 | ||
II. Die legitimatorische Identität von Privatautonomie und Tarifautonomie | 39 | ||
1. Die Notwendigkeit der dogmatischen Qualifizierung der Tarifautonomie | 39 | ||
2. Die Schwierigkeit der dogmatischen Erfassung der rechtlichen Wirkung von Tarifvertragsnormen als historisch wesentlicher Grund für die Entfernung des Tarifrechts von seinen zivilrechtlichen Wurzeln | 40 | ||
a) Die Kontroverse vor Inkrafttreten der Tarifvertragsverordnung | 41 | ||
b) Die Kontroverse unter Geltung der Tarifvertragsverordnung | 45 | ||
3. Die legitimationstheoretischen Erklärungsmodelle für die tarifvertragliche Normwirkung unter Geltung des Tarifvertragsgesetzes | 46 | ||
a) Die Unhaltbarkeit der Annahme einer originären Autonomie der Koalitionen – die Zweiheit der Träger originärer Rechtsmacht | 47 | ||
b) Die Unhaltbarkeit der Annahme einer konstitutiven Legitimation der Koalitionen durch den Staat – die so genannten Delegationslehren, Anerkennungslehren und die Lehre vom ‚Geltungsbefehl‘ | 53 | ||
aa) Grundsätzliches zur konstitutiv staatlich legitimierten Tarifnormsetzung | 53 | ||
bb)Die Erklärungsmodelle staatlich legitimierter Tarifnormsetzung im Einzelnen | 55 | ||
(1) Staatliche Delegation des Normsetzungsrechts durch §§ 1 Abs. 1, 4 Abs. 1 TVG oder durch Art. 9 Abs. 3 GG | 55 | ||
(2)tDie so genannte Anerkennungslehre und die Lehre nvom staatlichen Geltungsbefehl | 56 | ||
cc) Die Widerlegung einer auf staatliche Legitimation gründenden Tarifnormsetzung | 59 | ||
(1)tDie geringe Aussagekraft des Rechtsnormbegriffs in §§ 1 Abs. 1, n4 Abs. 1 TVG | 59 | ||
(2) Der Widerspruch der Delegationslehren zur historischer Entstehung ndes Kollektivvertragssystems | 60 | ||
(3)tDer Widerspruch von staatlicher Delegation und einer Autonomie der Koalitionen | 63 | ||
(4) Die Schwierigkeit der Delegations- und Anerkennungslehren, die grundsätzliche Beschränkung des Normsetzungsrechts auf die Verbandsmitglieder zu erklären | 67 | ||
c) Die Überzeugungskraft eines privatautonom-mandatarischen Verständnisses der Tarifautonomie | 71 | ||
aa) Der Tarifvertrag als privatrechtliches Instrument und die Maßgeblichkeit ndes Willens der Tarifgebundenen als gemeinsamer Ausgangspunkt der privatrechtlichen Begründungskonzepte | 71 | ||
bb) Die privatrechtlichen Begründungsmodelle der unmittelbaren und zwingenden Tarifnormwirkung für die Verbandsmitglieder im Einzelnen und die Überzeugungskraft einer vertretungsrechtlichen Konzeption | 76 | ||
(1)tDie Begründung der Tarifnormwirkung als Folge einer besonderen nRechtsnatur des Tarifvertrages | 76 | ||
(2)tDer Tarifvertrag als Leistungsbestimmung in Bezug auf das nArbeitsverhältnis durch beide Tarifparteien als Dritte, n§§ 315 ff. BGB nach Bötticher | 77 | ||
(3)tDie so genannte Lehre vom kollektiven Schuldvertrag nach Jacobi | 79 | ||
(4)tDie so genannte „Differenzierungstheorie“ – die Lehre vom Tarifvertrag nals Soziale Vormundschaft nach Ramm | 81 | ||
(5)tDie Begründung der Tarifnormwirkung durch die Kombination einer Regelungsermächtigung mit einer Kollisionsnorm nach Rieble | 83 | ||
(6) Die Vereinbarung tariflicher Arbeitsbedingungen durch die Koalitionen als ‚Stellvertreter‘ | 84 | ||
cc) Die Vorzugswürdigkeit des mandatarischen Verständnisses gegenüber den auf staatliche Legitimation gründenden Lehren | 93 | ||
(1)tDie historische Bestätigung des privatrechtlichen Ursprungs nder Tarifautonomie | 93 | ||
(2) Die Wahrung des Rechtsstaatsprinzips durch Vermeidung ndes Widerspruchs von staatlich delegierter Rechtsetzungsmacht und „Autonomie“ der Koalitionen | 94 | ||
(3)tDie Beschränkung der Rechtsetzungsmacht auf die Verbandsmitglieder als logische Konsequenz des mandatarischen Verständnisses | 95 | ||
(4)tDie Verwirklichung der Autonomie der Verbandsmitglieder durch tarifvertragliche Arbeitsbedingungen | 96 | ||
4. Zwischenfazit | 100 | ||
III. Die Herstellung von Verhandlungsparität als Voraussetzung von Selbstbestimmung und Richtigkeitschance auf dem Gebiet der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen | 100 | ||
1. Das strukturelle Verhandlungsungleichgewicht als Hindernis für die Selbstbestimmung im Arbeitsverhältnis | 100 | ||
2. Die Überwindung des Verhandlungsungleichgewichts im Arbeitsverhältnis und die Ermöglichung ‚kollektiver‘ Selbstbestimmung durch den Tarifvertrag | 104 | ||
C. Die Legitimationswidrigkeit und Unnötigkeit der Beschränkung der Tariffähigkeit aufgrund der ‚Indienstnahme‘ von Tarifverträgen durch den Gesetzgeber | 107 | ||
I. Die hohe Wahrscheinlichkeit der Gemeinwohlverträglichkeit von Tarifverträgen bei bestehender Verhandlungsparität | 107 | ||
II. Der Widerspruch einer Beschränkung der Tariffähigkeit wegen ‚Indienstnahme‘ von Tarifverträgen durch den Gesetzgeber zur mitgliedschaftlichen Legitimation der Gewerkschaften | 113 | ||
III. Die Beschränkung der tarifdispositiven Wirkung als legitimationsgerechte, Missbrauch vermeidende Lösung | 115 | ||
2. Teil: Die Systemgerechtigkeit einer Begrenzung des Kreises der im weiteren Sinne tariffähigen, also zum Arbeitskampf berechtigten Arbeitnehmervereinigungen | 117 | ||
A. Der Bedarf einer Gestaltung des tarifvertraglichen Einigungsprozesses und die freie vertragliche Einigung als ihr anerkannter Ansatzpunkt | 117 | ||
I. Die freie vertragliche Einigung durch die Überwindung der strukturellen Verhandlungsimparität im Arbeitsverhältnis als Regelungsaufgabe | 117 | ||
II. Die Kongruenz des verfassungsrechtlichen nund des privatrechtlichen Maßstabs für die Ausgestaltung des tarifvertraglichen Einigungsprozesses | 119 | ||
B. Möglichkeiten der Ausgestaltung des tarifvertraglichen Einigungsprozesses und ihre kritische Analyse | 123 | ||
I. Die so genannte Mächtigkeitslehre des Bundesarbeitsgerichts | 123 | ||
II. Alternative Konzepte einer Gestaltung des tarifvertraglichen Einigungsprozesses im Schrifttum | 125 | ||
1. Die heteronome Regelung der Arbeitsbedingungen durch zwingende gesetzliche Mindeststandards | 125 | ||
2. Die Einführung einer Inhaltskontrolle von Tarifverträgen | 127 | ||
3. Die Einräumung eines Verhandlungsanspruchs oder einer Schlichtungsobliegenheit | 130 | ||
4. Die Einführung eines Kontrahierungszwangs oder die Rückkehr zur Zwangsschlichtung | 135 | ||
5. Die Einschränkung der Tarifzuständigkeit | 136 | ||
III. Die ‚Marktentscheidung‘ – das ‚freie‘ Spiel der Kräfte | 138 | ||
1. Die Idee einer Selbstregulierung des Marktes | 138 | ||
2. Die Legitimationswidrigkeit einer Einschränkung der Tariffähigkeit zum Schutz einer übergeordneten kollektiven Betätigungsfreiheit der Vereinigungen | 139 | ||
3. Die Vergrößerung der Chance auf Selbstbestimmung durch unmittelbar und zwingend wirkende Kollektivverträge unabhängig von der Durchsetzungsstärke der Vereinigung | 141 | ||
4. Der Bedarf nach einem Korrektiv für normativ wirkende Kollektivarbeitsverträge durchsetzungsschwacher Vereinigungen und die Eignung einer eingeschränkten Inhaltskontrolle | 146 | ||
5. Zwischenergebnis | 151 | ||
C. Die Sicherung des freien Verhandelns durch das Hilfsmittel des Arbeitskampfes als Grund einer systemgerechten Beschränkung der Tariffähigkeit im weiteren Sinne | 152 | ||
I. Die grundsätzliche Notwendigkeit des Arbeitskampfes als Hilfsmittel der Tarifautonomie | 152 | ||
II. Die Verhandlungsbezogenheit des Arbeitskampfes und ihre Bestätigung durch die historische Entwicklung und fortgeltende Anerkennung | 154 | ||
III. Die verhandlungssichernde Wirkung der bloßen Androhung des Arbeitskampfes | 158 | ||
IV. Die Vermeidung einseitig diktierter oder im Kampf erzwungener Bedingungen durch die Forderung der Durchsetzungsfähigkeit einer im weiteren Sinne tariffähigen Arbeitnehmerkoalition | 163 | ||
V. Zwischenfazit | 169 | ||
3. Teil: Anforderungen an die Tariffähigkeit und Arbeitskampfberechtigung neiner Arbeitnehmervereinigung und deren gerichtliche Feststellung | 171 | ||
A. Der Maßstab für die Tariffähigkeit und Arbeitskampfberechtigung einer Arbeitnehmervereinigung und der Gang der weiteren Untersuchung | 171 | ||
I. Die privatrechtliche Legitimation der tarifvertraglichen Rechtsetzung und die Legitimationswidrigkeit einer Einschränkung nder Tariffähigkeit wegen einer staatlichen Ordnungsaufgabe, ndes einheitlichen Gewerkschaftsbegriffs und der ‚Indienstnahme‘ nvo | 171 | ||
II. Die Legitimationswidrigkeit der Beschränkung der Tariffähigkeit im engeren Sinne auf durchsetzungsstarke Vereinigungen | 172 | ||
III. Die Sicherung der freien Tarifverhandlungen durch ndas Hilfsmittel des Arbeitskampfes als Grund der systemgerechten Beschränkung der Tariffähigkeit im weiteren Sinne | 173 | ||
IV. Der weitere Gang der Untersuchung | 175 | ||
B. Funktion und Sinnhaftigkeit der einzelnen in Rechtsprechung und Schrifttum gestellten Anforderungen an eine tariffähige Arbeitnehmervereinigung | 177 | ||
I. Der freiwillige Zusammenschluss auf privatrechtlicher Ebene | 177 | ||
II. Die körperschaftliche Struktur: die Fähigkeit zur Willensbildung, der vom Mitgliederwechsel unabhängige Bestand und die Dauerhaftigkeit des Zusammenschlusses | 180 | ||
1. Die Fähigkeit zu ‚demokratischer‘ Willensbildung | 180 | ||
2. Der Bestand der Vereinigung unabhängig vom Mitgliederwechsel und ihre Anlegung auf gewisse Dauer – die Tariffähigkeit von ad-hoc-Koalitionen | 183 | ||
III. Der Zweck der Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen | 189 | ||
IV. Die Tarifwilligkeit | 192 | ||
V. Die Anerkennung des Tarif-, Schlichtungs- und Arbeitskampfrechts | 199 | ||
VI. Die Organisation auf überbetrieblicher Grundlage | 204 | ||
VII. Die Gegnerunabhängigkeit und -freiheit | 211 | ||
1. Systematische Vorgaben für eine Gegnerunabhängigkeit und -freiheit | 211 | ||
2. Anforderungen an die Gegnerunabhängigkeit und -freiheit im Einzelnen | 216 | ||
VIII. Die Unabhängigkeit von Dritten, insbesondere von Staat, Kirchen, Parteien | 221 | ||
IX. Die Arbeitskampfbereitschaft | 225 | ||
X. Die Soziale Mächtigkeit und organisatorische Leistungsfähigkeit | 229 | ||
1. Die Bedeutung und Entwicklung des Kriteriums | 229 | ||
2. Die Systemwidrigkeit einer Beschränkung des Rechts, Tarifverträge abzuschließen | 233 | ||
3. Die systemlogische Beschränkung des Rechts, Arbeitskämpfe zu führen | 233 | ||
4. Die Rechtsprechung zur sozialen Mächtigkeit und organisatorischen Leistungsfähigkeit im Einzelnen und ihre weitgehende Übertragbarkeit nauf die hier entwickelte Differenzierung | 234 | ||
a) Die weitgehende Übertragbarkeit der in Rechtsprechung und Schrifttum entwickelten Kriterien für die soziale Mächtigkeit | 234 | ||
b) Die nur eingeschränkte Berechtigung der grundsätzlichen Kritik nan der Rechtsprechung zur sozialen Mächtigkeit und die fehlende Übertragbarkeit dieser Kritik auf den hiesigen Ansatz | 236 | ||
c) Die Unterkriterien der sozialen Mächtigkeit und organisatorischen Leistungsfähigkeit nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und ihre Sinnhaftigkeit für die Begrenzung der Tariffähigkeit und Arbeitskampfberechtigung | 243 | ||
aa) Zahl und Position der Mitglieder | 244 | ||
bb) Organisatorische Leistungsfähigkeit | 246 | ||
cc) Bisherige Tarifvertrags- und Arbeitskampfpraxis | 248 | ||
dd) Betätigung und Anerkennung einer Koalition außerhalb des Tarifrechts | 252 | ||
5. Das fehlende Bedürfnis nach einer relativen Bestimmung der Tariffähigkeit | 253 | ||
6. Zwischenfazit | 254 | ||
C. Zur gerichtlichen Feststellung der Tariffähigkeit | 257 | ||
Schlussbetrachtung | 261 | ||
Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse in Thesen | 263 | ||
I. | 263 | ||
II. | 265 | ||
III. | 269 | ||
Literaturverzeichnis | 276 | ||
Stichwortverzeichnis | 292 |