Staatshaftung für Tumultschäden
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Staatshaftung für Tumultschäden
Historische Entwicklung, Zustand und Reformperspektiven einer staatlichen Einstandspflicht für Tumultschäden in Deutschland unter vergleichender Berücksichtigung der französischen Rechtslage
Schriften zum Öffentlichen Recht, Vol. 935
(2003)
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Abstract
Kommt es - wie etwa alljährlich anläßlich der »Revolutionären 1.-Mai-Demonstration« in Berlin - durch das unfriedliche Verhalten einer Menschenmenge in der Öffentlichkeit zu Schädigungen fremder Rechtsgüter, so wird damit stets auch die Frage nach einer Einstandspflicht des Staates für Tumultschäden aktuell. Sie stellt sich für die Geschädigten um so drängender, als die Leistungspflicht der Versicherer durch Ausschlußklauseln in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen regelmäßig ausgeschlossen ist und sich ein konkreter Schädiger, den man deliktisch haftbar machen könnte, nur selten identifizieren läßt. Indessen kommt nach der geltenden Rechtslage auch eine Haftung des Staates für Tumultschäden kaum in Betracht.Eine Haftung nach den allgemeinen staatshaftungsrechtlichen Anspruchsinstituten scheidet im Regelfall aus, da es an einem pflichtwidrigen Verhalten der Polizei fehlt. Aufgrund der Eigengesetzlichkeiten kollektiven Handelns ist es der Polizei aus tatsächlichen Gründen nicht möglich, rechtzeitig gegen die Gewalttäter einzuschreiten und ein Übergreifen der Gewaltbereitschaft zu verhindern. Die nur noch in einigen Bundesländern als Landesrecht fortgeltenden Regelungen des Reichstumultschädengesetzes aus dem Jahre 1920 helfen den Geschädigten ebenfalls nicht weiter, weil unfriedlich verlaufende Demonstrationen im Normalfall noch nicht als "innere Unruhen" anzusehen sind und eine Entschädigung für Sachschäden überdies nur bei Existenzgefährdung in Betracht kommt.Da der Staat im Falle von Tumultschäden jedoch in seiner Grundaufgabe und Verpflichtung, die Sicherheit seiner Bürger zu gewährleisten, versagt hat, ist der Gesetzgeber zu einer Neuregelung des Tumultschädenrechts auf rechtsstaatlicher Grundlage verpflichtet. Die Verfasserin entwickelt deshalb einen Gesetzesvorschlag, der die Tumultschädenhaftung nicht als sozialstaatliche Billigkeitshaftung, sondern - ebenso wie der französische Gesetzgeber - als rechtsstaatliche Garantiehaftung ausgestaltet.
Table of Contents
Section Title | Page | Action | Price |
---|---|---|---|
Vorwort | 5 | ||
Inhaltsverzeichnis | 7 | ||
Abkürzungsverzeichnis | 12 | ||
Einführung | 13 | ||
I. Die Entstehung von Tumultschäden | 13 | ||
II. Die zivilrechtliche Haftung für Tumultschäden | 15 | ||
1. Die Problematik | 15 | ||
2. Die Haftung der passiven Demonstrationsteilnehmer | 15 | ||
a) Die Haftung als Mittäter bzw. Gehilfe gemäß § 830 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 BGB | 15 | ||
b) Die Haftung wegen Mißachtung der verkehrsüblichen Sorgfalt (Fahrlässigkeitshaftung) gemäß § 823 Abs. 1 BGB | 18 | ||
c) Die Beweiserleichterung des § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB | 19 | ||
3. Die Haftung der aktiv an Gewalttaten beteiligten Demonstranten | 19 | ||
III. Versicherungsleistungen bei Tumultschäden | 21 | ||
1. Die Problematik | 21 | ||
2. Personenschäden | 23 | ||
3. Sachschäden | 23 | ||
4. Der Begriff der „inneren Unruhen" in den Ausschlußklauseln der Allgemeinen Versicherungsbedingungen | 24 | ||
IV. Staatshaftung für Tumultschäden? | 26 | ||
1. Legitimation einer Staatshaftung für Tumultschäden | 26 | ||
a) Die Nichtverhinderung von Tumultschäden als pflichtwidriges Unterlassen des Staates | 27 | ||
b) Die Nichtverhinderung von Tumultschäden als rechtmäßige Entscheidung zum Schutz anderer Rechtsgüter | 27 | ||
c) Die Nichtverhinderung von Tumultschäden als Folge der notwendigen Unvollkommenheit staatlichen Schutzes | 28 | ||
aa) Der Schutz von Leben, Gesundheit, Freiheit und Eigentum seiner Bürger als elementare Staatsaufgabe | 28 | ||
bb) Die spezialgesetzliche Begründung einer finanziellen Einstandspflicht des Staates für Tumultschäden | 29 | ||
2. Gegenstand und Gang der Untersuchung | 31 | ||
1. Kapitel: Der Ersatz von Tumultschäden nach den allgemeinen staatshaftungsrechtlichen Anspruchsinstituten | 33 | ||
A. Amtshaftung für Tumultschäden | 33 | ||
I. Die Verletzung einer drittschützenden Amtspflicht durch das Nichtverhindern der Tumultschäden seitens der zuständigen Behörden | 34 | ||
1. Die Bestimmung der einschlägigen Ermächtigungsgrundlage(n) | 35 | ||
a) Die Verhinderung von Tumulten durch präventiv-polizeiliche Maßnahmen im Vorfeld der Versammlung | 37 | ||
aa) Das präventive Verbot der gesamten Versammlung gemäß § 15 Abs. 1 VersG | 37 | ||
bb) Vorfeldmaßnahmen gegen Einzelpersonen | 40 | ||
cc) Resümee | 43 | ||
b) Die Verhinderung von Tumulten durch präventiv-polizeiliche Maßnahmen im Verlauf der Versammlung | 44 | ||
aa) Die Auflösung der Versammlung gemäß § 15 Abs. 2 VersG | 44 | ||
bb) Der Ausschluß störender Versammlungsteilnehmer gemäß §§18 Abs. 3, 19 Abs. 4 VersG | 47 | ||
cc) Resümee | 48 | ||
2. Die Untätigkeit der Polizei in Gefahrensituationen als Verletzung einer drittschützenden Amtspflicht | 49 | ||
a) Der personelle Schutzbereich der Eingriffsermächtigungen | 49 | ||
b) Die Problematik der Amtshaftung bei Ermessensentscheidungen | 52 | ||
aa) Das Opportunitätsprinzip als Grundprinzip des Gefahrenabwehrrechts | 53 | ||
bb) Die Entwicklung der Rechtsprechung zur Amtshaftung bei Ermessensentscheidungen | 54 | ||
cc) Die besondere Problematik der Amtspflichtverletzung bei der Betätigung des polizeilichen (Entschließungs-)Ermessens | 56 | ||
II. Der Kausalitätszusammenhang zwischen Amtspflichtverletzung und Schaden | 59 | ||
1. Die doppelte Problematik im Falle einer Amtspflichtverletzung durch ermessensfehlerhaftes Unterlassen | 59 | ||
2. Die Reduzierung des polizeilichen Entschließungsermessens auf Null als Voraussetzung für einen Kausalitätszusammenhang zwischen Ermessensfehler und Schaden | 60 | ||
a) Die Anerkennung der Möglichkeit einer Ermessensreduzierung auf Null in der Rechtsprechung der Zivil- und Verwaltungsgerichte | 60 | ||
b) Die Voraussetzungen für eine Reduzierung des polizeilichen Entschließungsermessens auf Null | 61 | ||
aa) Die Wertigkeit der bedrohten Rechtsgüter | 62 | ||
bb) Die tatsächliche Unmöglichkeit als Grenze der Ermessensschrumpfung | 64 | ||
cc) Resümee | 65 | ||
III. Das Erfordernis des Verschuldens | 66 | ||
B. Entschädigung für Tumultschäden aus enteignungs- und aufopferungsgleichem Eingriff | 67 | ||
C. Entschädigung für Tumultschäden aus enteignendem Eingriff und Aufopferung | 71 | ||
I. Enteignender Eingriff und Aufopferung durch Unterlassen? | 72 | ||
1. Die haftungsrechtliche Relevanz hoheitlichen Unterlassens | 72 | ||
2. Die Abgrenzung zwischen Tun und Unterlassen | 73 | ||
3. Die Gestattung von Demonstrationen als Anknüpfungspunkt eines Aufopferungsanspruchs? | 74 | ||
II. Allgemeiner Aufopferungsanspruch und spezielle Tumultschädengesetze | 76 | ||
D. Zusammenfassung | 76 | ||
2. Kapitel: Der Ersatz von Tumultschäden kraft spezialgesetzlicher Anordnung | 78 | ||
A. Die Entwicklungsgeschichte der Tumultschädenhaftung in Deutschland | 79 | ||
I. Die genossenschaftliche Gesamthaftung als Ursprung der Tumultschädenhaftung | 81 | ||
II. Das französische Revolutionsgesetz vom 10. Vendémiaire des Jahres IV (2. Oktober 1795) | 82 | ||
1. Der wesentliche Inhalt des Gesetzes | 82 | ||
2. Das Prinzip der genossenschaftlichen Gesamthaftung als Rechtsgrund der Haftungsanordnung | 84 | ||
a) Der Gedanke der Prävention | 84 | ||
b) Der Gedanke der Schadensrepartition | 85 | ||
c) Die Tumultschädenhaftung der Gemeinden als Haftung wegen eines Versagens der „staatlichen Ordnungsmacht"? | 86 | ||
III. Die Tumultschädengesetzgebung in Preußen (und anderen deutschen Staaten) nach der Revolution von 1848 | 87 | ||
1. Der wesentliche Inhalt des preußischen Tumultschädengesetzes vom 11. März 1850 | 88 | ||
2. Das Prinzip der genossenschaftlichen Gesamthaftung als Rechtsgrund der Haftungsanordnung | 89 | ||
3. Der Umfang der Haftung nach dem preußischen Tumultschädengesetz | 92 | ||
4. Resümee | 96 | ||
IV. Das Reichstumultschädengesetz vom 12. Mai 1920 | 96 | ||
1. Inhaltliche Neuerungen gegenüber dem preußischen Tumultschädengesetz | 96 | ||
a) Die Ersatzverpflichteten | 96 | ||
b) Der Entschädigungstatbestand | 98 | ||
aa) Das Tatbestandsmerkmal der inneren Unruhen | 98 | ||
bb) Die (weiteren) gesetzlichen Vorkehrungen zur Beschränkung der Ersatzpflicht | 101 | ||
(1) Die Begrenzung des Ersatzanspruchs auf den unmittelbaren Schaden | 101 | ||
(2) Die Fortkommensklausel des § 2 RTSchG | 103 | ||
(3) Die Begrenzung des Ersatzanspruchs auf 75% des Schadens durch die Verordnung vom 8. Januar 1924 | 105 | ||
cc) Resümee | 105 | ||
2. Die Auswechslung des Rechtsgrundes der Haftungsanordnung | 106 | ||
a) Der Legitimationsverlust der genossenschaftlichen Gesamthaftung als Grundlage der Anordnung einer Gemeindehaftung für Tumultschäden | 106 | ||
b) Der Rechtsgrund der Haftungsanordnung nach dem Reichstumultschädengesetz | 109 | ||
aa) Das Versagen des Staates als Garant der Sicherheit und Ordnung als causa der Haftungszuweisung? | 109 | ||
bb) Staatshaftung für Tumultschäden als sozial motivierte Entschädigung | 110 | ||
B. Die Staatshaftung für Tumultschäden nach der geltenden Rechtslage | 112 | ||
I. Die Fortgeltung des Reichstumultschädengesetzes und des Kriegspersonenschädengesetzes nach 1945 | 112 | ||
1. Die Fortgeltung in der bundesrepublikanischen Rechtsordnung (alte Bundesländer) | 112 | ||
2. Die Fortgeltung im Beitrittsgebiet (neue Bundesländer) | 116 | ||
3. Resümee | 117 | ||
II. Auslegung und Anwendung des Reichstumult- und des Kriegspersonenschädengesetzes in der bundesrepublikanischen Rechtsordnung | 118 | ||
1. Die Schwierigkeiten bei der Subsumtion heutiger Erscheinungsformen von Tumulten unter das Tatbestandsmerkmal der „inneren Unruhen" | 118 | ||
2. Verfahrensrechtliche Probleme | 122 | ||
III. Ergebnis | 124 | ||
C. Exkurs: Die Entwicklung des Tumultschädenrechts in Frankreich seit dem Gesetz vom 10. Vendémiaire des Jahres IV | 125 | ||
I. Das Gesetz vom 5. April 1884 | 126 | ||
II. Das Gesetz vom 16. April 1914 | 127 | ||
III. Das Gesetz vom 7. Januar 1983 | 131 | ||
IV. Das geltende französische und deutsche Tumultschädenrecht im Vergleich | 133 | ||
3. Kapitel: Staatshaftung für Tumultschäden de lege ferenda | 135 | ||
A. Die Verpflichtung des Gesetzgebers zur Neuregelung des Tumultschädenrechts | 139 | ||
I. Die Besonderheiten der Entstehung von Tumultschäden | 139 | ||
II. Die Pflicht des Staates zur Gewährleistung von Sicherheit und Ordnung | 141 | ||
1. Die Gewährleistung von Sicherheit als konstituierende Grundaufgabe des (modernen) Staates | 141 | ||
2. Die verfassungsrechtliche Schutzpflicht des Staates aus den Grundrechten | 142 | ||
3. Die Erfüllung der staatlichen Schutzpflicht durch Gesetzgebung und Verwaltung | 143 | ||
III. Die Verpflichtung des Staates zur Übernahme des Tbmultschädenrisikos als Folge der Nichterfüllung der staatlichen Schutzpflicht im Falle von Tumultschäden | 145 | ||
1. Die Unzulänglichkeit der gesetzlichen Schutzvorkehrungen im Falle von Tumultschäden | 145 | ||
2. Die Verpflichtung des Staates zur Übernahme des Tumultschädenrisikos | 146 | ||
3. Die Begrenzung der Pflicht zur staatlichen Risikoübernahme auf Tumultschäden | 148 | ||
4. Resümee | 150 | ||
B. Die inhaltliche Ausgestaltung einer staatlichen Tumultschädenhaftung durch den Gesetzgeber | 150 | ||
I. Staatlicher Ausgleich für Tumultschäden als soziale Entschädigung oder als rechtsstaatliche Garantiehaftung? | 151 | ||
II. Die Ausgestaltung einer reformierten Tumultschädenhaftung des Staates im einzelnen | 153 | ||
1. Der haftungsbegründende Tatbestand | 153 | ||
2. Die Bestimmung des Ersatzverpflichteten | 155 | ||
3. Der Umfang des Ersatzanspruchs | 156 | ||
a) Die Bemessung der staatlichen Einstandspflicht am Umfang des entstandenen Schadens | 156 | ||
b) Der Einfluß von Leistungen Dritter an den Geschädigten auf den Umfang seines Ersatzanspruchs gegen den Staat | 157 | ||
c) Der Einfluß des Mitverschuldens des Geschädigten auf den Umfang des Ersatzanspruchs | 159 | ||
4. Die Gesetzgebungskompetenz | 160 | ||
a) Der Begriff der Staatshaftung in Art. 74 Abs. 1 Nr. 25 GG | 161 | ||
b) Die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG für die Inanspruchnahme der konkurrierenden Bundeskompetenz | 161 | ||
5. Verfahrensrechtliche Regelungen | 162 | ||
a) Gerichtliche Zuständigkeit | 162 | ||
b) Behördliches Vorverfahren | 163 | ||
C. Resümee: Entwurf eines Tumultschädengesetzes | 163 | ||
Literaturverzeichnis | 165 | ||
Personen- und Sachregister | 175 |