Der Notstand in den letzten Jahren von Weimar
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Der Notstand in den letzten Jahren von Weimar
Die Bedeutung von Recht, Lehre und Praxis der Notstandsgewalt für den Untergang der Weimarer Republik und die Machtübernahme durch die Nationalsozialisten. Eine Studie zum Verhältnis von Macht und Recht
Schriften zur Verfassungsgeschichte, Vol. 57
(1999)
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Abstract
Trotz aller Anstrengungen konnte bisher kein Konsens darüber hergestellt werden, wie der Einsatz der Notstandsgewalt 1930 bis 1933 - das wichtigste Rechts- und Machtinstrument in der entscheidenden Schlußphase vor dem düstersten Kapitel der deutschen Geschichte - zu bewerten ist. Der Gegenstand selbst scheint sich einer objektiven Bewertung zu entziehen. Im Notstand setzt sich der Handelnde über das Recht hinweg, um das Recht zu retten. Ein unheilvolles Dilemma: Wer das Recht bricht, vernichtet es und rettet es nicht. Aber: Wer es weiter anwendet, fiat iustitia, pereat mundus, beschleunigt den Untergang, vor dem er doch bewahren will.Peter Blomeyers anzuzeigende Arbeit rückt, rechts- und geschichtswissenschaftliche Betrachtung verbindend, diesem Dilemma zuleibe, indem sie ein überpositives Notstandsrecht als einheitlichen rechtstheoretischen Maßstab entwickelt, an dem Recht, Lehre und Praxis des Notstands in den Jahren 1930 bis 1933 neu vermessen werden. Dabei stellt sich heraus, daß es nicht das Recht, nicht der vielgescholtene Artikel 48 der Weimarer Reichsverfassung war, der den Weg in den Untergang gewiesen hat.Erst die herrschende Staatsrechtslehre, in ihren Absichten verfassungstreu, im echten Notstand aber hilflos, erlaubte in der Verfassung- und ihrer eigenen Not - die Verformung durch die Staatspraxis Brünings, welche nicht einmal zuvörderst der Rettung der Verfassung galt. Paradox ist, daß eine andere, weitaus kraftvollere Lehre der Zeit entgegen den Absichten ihres Begründers Carl Schmitt die Verfassung womöglich hätte retten können; nur gab es nach Brüning keinen mehr, der sie zu diesem Zwecke hätte nutzen mögen. Ungeschützt verfiel der Verfassungsstaat seinem Todfeind.
Table of Contents
Section Title | Page | Action | Price |
---|---|---|---|
Inhaltsverzeichnis | 7 | ||
Fragestellung – Vorgehensweise – Gang der Untersuchung | 13 | ||
Erster Hauptteil: Notstandspraxis und Verfassungsnotstand im Spiegel der Weimarer Staatsrechtslehre | 24 | ||
Teil A. Grundlagenstreit in der Weimarer Staatsrechtslehre | 24 | ||
Kapitel 1: Die positivistische Lehre | 27 | ||
I. Der staatstheoretische Positivismus | 27 | ||
1. Georg Jellinek und die herrschende Weimarer Staatslehre | 27 | ||
2. Die Lehre Hans Kelsens | 30 | ||
a) Identität von Staat und Recht | 30 | ||
b) Folgerung | 35 | ||
3. Gustav Radbruch: Rechtsphilosophische Begründung der Geltung des positiven Rechts | 36 | ||
a) Die Elemente der Rechtsidee und ihr Verhältnis zueinander | 37 | ||
b) Die Anerkennung der positiven Rechtsordnung als ethische Pflicht des Einzelmenschen | 39 | ||
II. Der staatsrechtliche Positivismus | 42 | ||
1. Die Laband-Kelsensche Lehre | 42 | ||
2. Fortentwicklung des staatsrechtlichen Positivismus | 43 | ||
Kapitel 2: Die Dezisions- und Diktaturlehre Carl Schmitts | 47 | ||
I. Zur Methode Carl Schmitts | 47 | ||
II. Der Dezisionismus | 50 | ||
III. Kommissarische und souveräne Diktatur | 54 | ||
Teil B. Die konstitutionelle Notstandspraxis und ihre Beurteilung durch die Staatsrechtslehre | 62 | ||
Kapitel 3: Die Stellung des Art. 48 II in der WRV | 62 | ||
I. Die Entstehungsgeschichte des Art. 48 II WRV | 62 | ||
1. Art. 68 BRV und das preußische Belagerungszustandsgesetz | 62 | ||
2. Die Behandlung der Ausnahmegewalt in der Nationalversammlung | 64 | ||
II. Gesetzgebung, Ermächtigungsgesetz und Notverordnung | 70 | ||
III. Der gemäßigte Dualismus der Weimarer Reichsverfassung | 75 | ||
1. Die Stellung des Reichspräsidenten im Organisationsgefüge der WRV | 75 | ||
2. Entstehungsgeschichte des gemäßigten Dualismus | 77 | ||
Kapitel 4: Der „Wirtschaftsnotstand“ unter Ebert | 81 | ||
Kapitel 5: Art. 48 II WRV in der Staatsrechtslehre vor 1930 | 85 | ||
I. Ausnahmegewalt und „Wirtschaftsnotstand“ | 85 | ||
II. Der „Wirtschaftsnotstand“ in der Unantastbarkeitslehre | 88 | ||
1. Die Lehre von der staatspolizeirechtlichen Auslegung des Art. 48 II WRV | 89 | ||
2. Die positivistische Lehre | 91 | ||
3. Die Grenzen der Ausnahmegewalt nach Art. 48 II WRV | 92 | ||
a) Die Unantastbarkeit der Verfassung | 92 | ||
b) Der Streit um die Reichweite des Vorbehalts des formellen Gesetzes | 94 | ||
c) Der Streit um die Grundrechtssuspension | 98 | ||
III. „Unantastbarkeitslehre“ contra „Durchbrechungslehre“ | 100 | ||
1. Die Vorträge von Schmitt und Jacobi auf der Staatsrechtslehrertagung 1924 | 100 | ||
a) Schmitts Bericht über die Diktatur des Reichspräsidenten | 100 | ||
b) Jacobis Bericht über die Diktatur des Reichspräsidenten | 106 | ||
c) Kritik an der Unantastbarkeitslehre | 109 | ||
2. Die Antwort der Unantastbarkeitslehre | 112 | ||
a) Antikritik | 112 | ||
b) Kritik der Schmitt-Jacobischen Lehre | 117 | ||
Kapitel 6: Die Staatspraxis nach 1930 | 121 | ||
I. Zur Vorgeschichte des Präsidialregimes Brüning | 121 | ||
1. Fehlschlag einer Eingrenzung von Art. 48 II WRV | 121 | ||
2. Der Übergang zum ersten Präsidialkabinett Brüning | 123 | ||
II. Das politische Programm Brünings | 132 | ||
III. Die Regierung Brüning in der politischen Praxis | 136 | ||
1. Der veränderte Handlungsspielraum der Präsidialregierung | 136 | ||
2. Präsidialregierung und Reichstag: Staatsstreich oder Tolerierung | 138 | ||
a) Das Scheitern der Regierung Bruning im Reichstag (April bis Juli 1930) | 138 | ||
b) Die Veränderung der Verfassungslage durch die Septemberwahlen 1930 | 140 | ||
c) Die Tolerierung der Regierung Brüning im Reichstag (Oktober 1930 bis Mai 1932) | 143 | ||
3. Präsidialregierung und Nationalsozialismus: Versuchungen und Illusionen | 155 | ||
4. Präsidialregierung und Kamarilla: Macht ohne Verantwortung | 169 | ||
a) Der Zugang zum Machthaber: Reichspräsident von Hindenburg | 169 | ||
b) Schleicher und der Sturz Brünings | 174 | ||
IV. Die Notverordnungspraxis unter Brüning | 181 | ||
1. Die Notverordnungspraxis auf wirtschaftlich-finanziell-sozialem Gebiet | 181 | ||
a) Die Verdrängung des Gesetzes: Sanierung durch Notverordnung (Übersicht) | 181 | ||
b) Der verfassungsrechtlich relevante Inhalt der Notverordnungspraxis | 183 | ||
aa) Budgetrechtlich relevante Verordnungen | 185 | ||
bb) Grundrechtsrelevante Verordnungen | 186 | ||
cc) Die landesrechtliche Zuständigkeit berührende Verordnungen | 188 | ||
2. Die Notverordnungen gegen politische Ausschreitungen | 189 | ||
Kapitel 7: Die Notverordnungspraxis in der Staatsrechtslehre | 191 | ||
I. Funktionsstörung eines Verfassungsorgans | 192 | ||
1. Das Problem: Die auf die „Untätigkeit“ des Reichstags gestützte Übernahme der legislativen Aufgaben durch die Exekutive | 192 | ||
2. Die herrschende Lehre | 193 | ||
3. Carl Schmitt: Der Reichspräsident als „Hüter der Verfassung“ | 199 | ||
a) Staats- und verfassungstheoretischer Hintergrund der Lehre Schmitts | 199 | ||
b) Die Kritik am Liberalismus | 205 | ||
c) Der Reichspräsident als Hüter der Verfassung | 212 | ||
4. Die Möglichkeit anderer Rechtsgrundlagen für die Funktionsverlagerung der Gesetzgebung auf den Reichspräsidenten | 216 | ||
a) Friedrich Glum | 217 | ||
b) Johannes Heckel | 218 | ||
5. Die „legalistische Richtung“ | 222 | ||
Exkurs: Diktaturverordnungen nach Reichstagsauflösung | 225 | ||
II. Der wirtschaftlich-finanzielle Ausnahmezustand | 227 | ||
1. Diktaturgewalt und Haushaltsgesetz, Kreditennächtigung, Sicherheitsleistungen | 227 | ||
a) Carl Schmitt | 228 | ||
b) Die herrschende Lehre | 230 | ||
aa) Diktatur und Haushaltsgesetz | 230 | ||
bb) Diktatur und Anleiheermächtigung, Kreditbürgschaft | 232 | ||
c) Die Diktaturgewalt im gesamten Budgetrecht ablehnende Stimmen | 236 | ||
2. Diktaturgewalt und Grundrechte | 240 | ||
a) Art. 129 I 3 Weimarer Reichsverfassung | 240 | ||
b) Art. 134 Weimarer Reichsverfassung | 242 | ||
c) Art. 153 Weimarer Reichsverfassung | 243 | ||
d) Art. 105 Satz 2 Weimarer Reichsverfassung | 244 | ||
e) Art. 109 I Weimarer Reichsverfassung | 244 | ||
f) Art. 165 I Weimarer Reichsverfassung | 245 | ||
3. Diktaturgewalt und Landesrecht | 245 | ||
Teil C. Der Verfassungsnotstand 1932 und seine Diskussion in der Staatsrechtslehre | 248 | ||
Kapitel 8: Die endgültige Abkehr der Staatspraxis von der WRV | 248 | ||
I. Verfassungsnotstand und Verfassungsreformpläne unter Papen | 248 | ||
1. Die Entwicklung bis zum 13. August 1932 | 248 | ||
2. Die Planung des Staatsnotstands und seine Vertagung | 253 | ||
3. Die Notverordnungspraxis des Kabinetts Papen (Übersicht) | 257 | ||
4. Die Verfassungsreformpläne des Kabinetts Papen | 259 | ||
II. Der Verfassungsnotstand unter Schleicher | 263 | ||
Kapitel 9: Die Verfassungslähmung in der Staatsrechtslehre | 275 | ||
I. Die herrschende Lehre zum überpositiven Notstandsrecht | 277 | ||
II. Johannes Heckels Lehre vom Verfassungsnotstand | 281 | ||
III. Carl Schmitt: „Legalität und Legitimität“ | 282 | ||
Exkurs: Die Staatsrechtslehre zur Verfassungsreformplanung | 288 | ||
Zweiter Hauptteil: Funktion und Reichweite des konstitutionellen und des überpositiven Notstandsrechts im gewaltenteilenden Rechtsstaat | 298 | ||
Kapitel 10: Das überpositive Notstandsrecht | 302 | ||
I. Das Verhältnis von Macht und Recht | 304 | ||
II. Zur Existenz des überpositiven Notstandsrechts | 311 | ||
1. Einführung in die Problemstellung | 311 | ||
2. Zur Existenz des überpositiven Notstandsrechts in der Verfassungslähmung | 317 | ||
a) Ableitung und Definition des überpositiven Notstandsrechts | 317 | ||
b) Zur Vereinbarkeit eines gewaltenüberschreitenden überpositiven Notstandsrechts mit den Prinzipien des gewaltenteilenden Verfassungsstaats | 319 | ||
3. Zur Existenz eines überpositiven Notstandsrechts in der Verfassungsstörung | 321 | ||
4. Zur Vereinbarkeit des überpositiven Notstandsrechts mit den Begriffen von Recht und Rechtsgeltung | 323 | ||
a) Zur Aporie eines allgemeinen Rechtsbegriffs | 323 | ||
b) Positives und richtiges Recht | 329 | ||
c) Zum Problem der Verbindlichkeit von Recht | 337 | ||
III. Das überpositive Notstandsrecht bei der Verfassungslähmung | 344 | ||
IV. Das überpositive Notstandsrechts bei der Verfassungsstörung | 349 | ||
Kapitel 11: Überpositives und konstitutionelles Notstandsrecht | 353 | ||
Dritter Hauptteil: Das Verhältnis von Macht und Recht in den Jahren 1930 bis 1933 | 359 | ||
Teil A. Die Bedeutung der dualistischen Verfassungskonstruktion und des Art. 48 II WRV für den Übergang zum Notverordnungsregiment unter Brüning | 359 | ||
Kapitel 12: Grenzen der Notstandsgewalt und der Wirtschaftsnotstand | 364 | ||
I. Die objektiven Grenzen des Art. 48 II WRV | 364 | ||
II. Notverordnungsrecht nach Gewohnheitsrecht? | 367 | ||
Kapitel 13: Der Anteil der WRV an der Verfassungsauflösung | 374 | ||
Teil B. Kritik der Staatsrechtslehre im Verfassungsnotstand | 382 | ||
Kapitel 14: Kritik der Staatsrechtslehre bis 1932 | 382 | ||
I. Die Reaktion auf den „Wirtschaftsnotstand“ unter Ebert | 382 | ||
1. Die staatspolizeirechtliche (teleologische) Lehre | 383 | ||
2. Die positivistische Lehre | 384 | ||
3. Die Lehre Carl Schmitts | 387 | ||
II. Die Reaktion auf das Notverordnungsregiment Brünings | 394 | ||
1. Die legalistische Lehre | 395 | ||
2. Die herrschende Lehre | 397 | ||
a) Die Preisgabe des Verfassungsrechts an die Staatspraxis | 397 | ||
b) Die Unklarheit des positivistischen Standorts zwischen Sein und Sollen | 399 | ||
3. Die Lehre Johannes Heckels | 402 | ||
4. Die Lehre Carl Schmitts | 404 | ||
Kapitel 15: Kritik der Staatsrechtslehre 1932/33 | 416 | ||
I. Die herrschende Lehre | 416 | ||
II. Johannes Heckel | 422 | ||
III. Carl Schmitt | 423 | ||
Teil C. Kritik der Brüningschen Notstandsregierung | 428 | ||
Kapitel 16: Die Übernahme der Notstandsregierung | 431 | ||
I. Die Ursachen | 431 | ||
1. Krise der Verfassung: Das Verhalten der Parteien | 431 | ||
2. Störung der Verfassung: Das Verhalten des Reichspräsidenten und seiner Umgebung | 438 | ||
II. Brünings Entscheidung | 440 | ||
Kapitel 17: Der Einsatz der Notstandsgewalt | 445 | ||
I. Die Gefahrenlage des Weimarer Verfassungsstaats | 446 | ||
II. Die versäumte Rettung der Demokratie | 450 | ||
1. Das Problem einer Alternative zum Notverordnungsregiment Brünings | 450 | ||
2. Falsche Frontstellung: Brüning und der Reichstag | 457 | ||
3. Vorauseilende Resignation: Brüning und der Reichspräsident | 466 | ||
Kapitel 18: Die Zielsetzung der Notstandsregierung | 472 | ||
Kapitel 19: Die Folgen (1): Das Ende von Weimar – Kalter Bürgerkrieg | 478 | ||
I. Das Notstandsrecht 1932: Ein Recht ohne Inhaber | 478 | ||
1. Der Verfassungsnotstand unter Papen | 479 | ||
2. Der Verfassungsnotstand unter Schleicher | 483 | ||
II. Das Ende der Weimarer Republik | 486 | ||
III. Kalter Bürgerkrieg | 489 | ||
IV. Die Notstandspraxis und der Untergang der Weimarer Republik | 495 | ||
Kapitel 20: Die Folgen (2): Die Machtübernahme durch die NSDAP | 500 | ||
I. Die Bekämpfung des NS mit dem Notstandsrecht | 501 | ||
II. Die Begünstigung des NS durch die Logik der Tolerierung | 508 | ||
III. Der Sturz Brünings: „Point of no return“? | 510 | ||
IV. Die Schwäche des autoritären Präsidialstaats | 518 | ||
Schlußwort | 520 | ||
Anhang | 522 | ||
Quellen- und Literaturverzeichnis | 524 | ||
Sachverzeichnis | 545 |