Modernes Welttheater
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Modernes Welttheater
Untersuchungen zum Welttheatermotiv zwischen Katastrophenerfahrung und Welt-Anschauungssuche bei Walter Benjamin, Karl Kraus, Hugo von Hofmannsthal und Else Lasker-Schüler
Schriften zur Literaturwissenschaft, Vol. 13
(2000)
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Abstract
Angesichts der Katastrophenerfahrungen des 20. Jahrhunderts machen bedeutende Autoren und Autorinnen der Moderne von der vielschichtigen Welttheatermetapher Gebrauch, um die Frage nach Sinn und Gestalt der Wirklichkeit zu bearbeiten. Diesem erklärungsbedürftigen Rückgriff auf eine Tradition, die in der europäischen Literatur vor allem mit einem jüdisch-christlichen Verständnis der Geschichte als Heilsdrama verbunden zu sein scheint, widmet sich die Autorin in der vorliegenden Untersuchung.Schon in der Antike beginnt ein jahrtausendelanger, spannungsreicher und in unterschiedlichen Diskursen bezeugter Rezeptionsprozeß, der über Kontinuitäten und Diskontinuitäten im jeweiligen Menschen- und Geschichtsbild Auskunft gibt und von der reizvollen Dynamik zeugt, die der Metapher eignet. Als vielstelliges Strukturmodell verleiht das Welttheater keinem festgefügten Geschichtsbild Ausdruck. Vielmehr erweist sich die Metapher gerade dort als aussagekräftig, wo ein solches fehlt, erarbeitet wird, erschüttert oder zur Diskussion gestellt ist. Angesichts dieser Situation wird die Arbeit am Welttheater als Sinn- und Ausdruckssuche deutlich: Walter Benjamin artikuliert vor allem in seiner Abhandlung »Ursprung des deutschen Trauerspiels« ein Verständnis der neuzeitlichen Geschichte als Trauer-Spiel, das in der Moderne als Rolle seine Radikalisierung findet. Eine messianische Konstruktion tritt an die Stelle des jüdisch-christlichen Heilsdramas. Karl Kraus leugnet in seiner maßlosen »Tragödie« »Die letzten Tage der Menschheit« die Sinnhaftigkeit einer Welt, deren Geschichte in der Weltkriegskatastrophe an ihr apokalyptisches Ende gekommen ist. Gleichwohl bleibt die Frage nach der höchsten Spielleitung und einem Sinn, der diese Wirklichkeit übersteigt, präsent. Hugo von Hofmannsthal knüpft in seinem Festspiel »Das Salzburger Große Welttheater« nur vordergründig am mittelalterlichen Heilsverständnis an, um das liturgische Spiel in das epiphane Erleben des Gesamtkunstwerks zu transformieren. In besonderer Weise zeugt Else Lasker-Schülers irritierendes Nachlaßdrama »IchundIch« von einer Geschichtserfahrung, der Ausdruck zu verleihen eine kaum zu bewältigende Aufgabe der Kunst ist. Wohl am konsequentesten wird hier der zerstörerische Charakter der Wirklichkeit in die ästhetische Gestalt überführt, das Welttheater auf der »Herzensbühne« einer verzweifelten Dichterin zum Erprobungsraum, der Spielenden und Zuschauenden immer neue Standortbestimmungen zumutet und jeglicher Suggestion von Ganzheit entgegenläuft.Irene Pieper verdeutlicht die Arbeit am Welttheater als den Versuch, angesichts einer übermächtigen, katastrophal erfahrenen geschichtlichen Wirklichkeit verstellte oder verlorene Spiel- und Erfahrungsräume neu zugänglich zu machen, dies mit den Mitteln der Kunst.
Table of Contents
Section Title | Page | Action | Price |
---|---|---|---|
Vorwort | 7 | ||
Inhalt | 9 | ||
A. Einleitung | 11 | ||
I. Das Welttheatermotiv zwischen Katastrophenerfahrung und Welt-Anschauungssuche | 11 | ||
II. Die Welttheatermetapher | 19 | ||
III. Die Arbeit am Welttheater | 21 | ||
1. Ins Spiel gebracht: Raum der Welt | 23 | ||
2. Durch Spiel bestimmt: Performativität des Seins | 25 | ||
3. Aufs Spiel gesetzt: Sicht der Welt | 27 | ||
IV. Die frühe Neuzeit: Die Welt ist ein Theater | 31 | ||
1. Die Schauspielmetaphorik bei William Shakespeare | 32 | ||
a) Der Mensch als persona | 33 | ||
b) Theatrum mundi | 35 | ||
2. Pedro Calderón de la Barcas Fronleichnamsspiel El gran teatro del mundo | 38 | ||
3. Ergebnis: Wirklichkeitsverstehen im Welttheater | 41 | ||
B. Der „Aufbruch“ der Weltordnung in der Literatur | 43 | ||
I. Walter Benjamin: Welttheater als Trauerspiel | 43 | ||
1. Zur Wahrheit der Kunstform: der geschichtsphilosophische Zusammenhang | 45 | ||
2. Auf der horizontlosen Bühne der Welt: das Trauerspiel | 50 | ||
a) Das melancholische Spiel des Barock | 50 | ||
b) Die traurige „Rolle“ der Moderne | 56 | ||
3. Im Zeichen des Abbruchs: die Allegorie | 58 | ||
a) Die barocke Allegorie zwischen Rettung und Zerstörung | 59 | ||
b) Von der Allegorie zum Allegoriker | 64 | ||
c) Messianität im Allegorischen | 67 | ||
4. Ergebnis: Vom allegorischen Trauerspiel zur Moderne als „Rolle“ | 71 | ||
II. Karl Kraus: Die letzten Tage der Menschheit – Welttheater als Weltgericht | 75 | ||
1. Die Tragödie des Menschheitsuntergangs: Tragischer Karneval | 79 | ||
2. Die heldenlose Menschheit: Zwischen Schicksal und Verantwortung | 82 | ||
3. Das zweifache Weltgericht | 87 | ||
a) Der Nörgler am Schreibtisch: prophetischer Richter, parodierender Dichter | 89 | ||
b) Die letzte Nacht: Mythisch-groteskes Weltgericht | 95 | ||
4. Theatrale Kritik des Theaters | 100 | ||
5. Ergebnis: Das Weltgericht diesseits der Grenze zum Schweigen | 103 | ||
III. Hugo von Hofmannsthal: Das Salzburger Große Welttheater – Festspiel der einen Welt | 107 | ||
1. Weltverdichtung: Der Mythos des Mittelalters | 108 | ||
2. Weltgesicht: Die Wirklichkeit des Fortschritts | 115 | ||
3. Weltordnung: Das göttliche Walten | 118 | ||
4. Weltgedicht: Die neue Wirklichkeit der Kunst | 120 | ||
5. Weltspiel: Die Inszenierung des Gesamtkunstwerks | 124 | ||
6. Weltentgrenzung: Epiphanes Erleben | 128 | ||
7. Ergebnis: Ein ästhetisch-politisches Therapieprogramm | 129 | ||
IV. Else Lasker-Schüler: Ichundlch – Welttheater auf der „Herzensbühne“ | 131 | ||
1. Die theatralische Tragödie: zwischen Gattungserwartung und Parodie | 137 | ||
2. Die Tragödie der Dichterin: zwischen Bühnenkonstitution und Verlust des Spielraums | 143 | ||
3. Der Zwiespalt der Figur: zwischen Tod und Erlösung | 148 | ||
4. Weltherrschaft: zwischen himmlischer Gottesnähe und höllischer Thronfolge | 154 | ||
a) Spielleiter im Welttheater | 157 | ||
b) Die Welt zwischen Illusion und Wahrheit | 160 | ||
5. Die Historie: zwischen Urzeit und Endzeit | 163 | ||
6. Ergebnis: Das ver-spielte Gesamtkunstwerk: zwischen Monumentaltheater und Herzensbühne | 166 | ||
C. Schluß | 169 | ||
Literaturverzeichnis | 178 |