Krise des Gesetzes
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Krise des Gesetzes
Die Auflösung des Normenstaates
(2001)
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Abstract
Das Gesetz ist die zentrale Kategorie unseres rechtlichen Denkens. Seine geistigen Wurzeln kommen aus den Tiefenschichten des Religiösen und wirken bis heute in naturwissenschaftlichen und ökonomischen Gesetzmäßigkeiten. In der freiheitlichen Demokratie ist die Norm des Rechts Grundlage, wenn nicht Wesen des Staates: Nicht Menschen herrschen - Gesetze gelten.Doch dieses Gesetz läuft in eine tiefe Krise. Sie bedroht die Gewaltenteilung und den Rechtsstaat: Einerseits geht den staatlichen Gesetzen ihre alte Majestät der unverbrüchlichen Geltung verloren, in Normfluten, Überkomplikation, Experimentiernormierungen - zum anderen erscheinen sie dennoch immer weniger geeignet, eine rasch sich wandelnde Wirklichkeit abzubilden. Zwischen der Kritik schwächelnder Bestreitbarkeit und fortschrittshemmender Überstarre werden nicht die Gesetze, es wird »das Gesetz« zum Problem.Der Verfasser will die Gründe dieser Entwicklung aufzeigen und ihre vielfachen Erscheinungsformen zusammenordnen. Sie reichen von der Grundsätzlichkeit einer Freiheit, die sich auch der Gesetzesbindung nicht unterwerfen will, bis zu einer »Normvervielfältigung« in immer weniger übersichtlicher Auslegung; mit ihr schieben sich Verwaltung und Gerichtsbarkeit als »Gesetzgebungs-Fortsetzer« zwischen Parlament und Bürger. Vor allem schwächt sich die Gesetzesunterworfenheit einer regierungsgebundenen Verwaltung ab, welche Parlamentsgesetze vorbereitet, sich mit den Verordnungen ihre eigenen Gesetze gibt und im Verwaltungsakt das oft so entscheidende »erste Wort« spricht; darin wandelt sich der Rechtsstaat.Viele Gesetze sind eine Verfassungsnotwendigkeit in der Demokratie. Eine Chance hat diese, wenn sich ihre ausufernde Regelungsmacht zurücknimmt; nur dann kann das (übrig-)bleibende Gesetz seine Ordnungskraft bewahren. Andernfalls führt der Weg in ein neues Gewaltsystem von disparaten Einzelbefehlen in Gesetzesform bis zum Ordre de Mufti.
Table of Contents
Section Title | Page | Action | Price |
---|---|---|---|
Vorwort | 5 | ||
Inhaltsverzeichnis | 7 | ||
A. Fragestellungen – Dimension des Problems: Bedeutung und Gefährdung des Gesetzes | 13 | ||
I. Vom Recht zum Gesetz | 13 | ||
1. Das Gesetz – Grundbegriff allen Rechts | 13 | ||
2. Der Niedergang des ungeschriebenen Rechts | 14 | ||
3. „Gesetz“ – das regimeübergreifende „gute“ Wort | 19 | ||
a) Das Gesetz – ein „gutes Wort“ für skeptische Juristen | 19 | ||
b) Und ein „gutes Wort“ für die Gesetzesunterworfenen | 20 | ||
c) Ein staatsformübergreifender Begriff | 22 | ||
4. Die Wurzeln der „Güte des Gesetzes“ | 23 | ||
a) Die historische Gewöhnung ans Gesetz | 24 | ||
b) Die religiösen Wurzeln des „Gesetzes als guter Begriff“ | 28 | ||
c) Von den wissenschaftlichen Wurzeln der Güte des Gesetzesbegriffs | 32 | ||
5. „Gesetz“ – ein „guter Begriff“ aus politischer Entscheidung in der Demokratie | 34 | ||
a) Die gesetzgebende Gewalt als die Erste im Staat | 34 | ||
b) Alle Gewalt unter dem Gesetz | 35 | ||
c) Gesetzgebung – durch höchstes Gesetz geregelt | 36 | ||
d) Gesetz – Ausdruck der Mehrheit, Mittelpunkt der Demokratie | 37 | ||
e) Die Verfestigung des Gesetzes in der Staatsgrundnorm der Rechtsstaatlichkeit | 38 | ||
II. Und gerade ein höchster Rechtsbegriff in der Krise | 40 | ||
1. Die Problemdimension: Einheit des Gesetzesbegriffes – Bedrohung durch jede Gesetzeskrise | 40 | ||
2. „Das Gesetz“ – vielfach gefährdet | 41 | ||
3. Gesetzeskrise – Majestätsverletzung | 42 | ||
B. Die inneren Schwächen des Gesetzes – dogmengeschichtliche Betrachtungen | 44 | ||
I. Relativierende Entwicklungen im Bereich der Gesetzgebung selbst | 44 | ||
1. Verfassung als Gesetz – Beginn der Gesetzeskrise | 45 | ||
2. Das Öffentliche Recht: Hoheitsrecht als Verlust der Gesetzeshoheit | 50 | ||
3. Der Vorbehalt des Gesetzes: das Gesetz als kleine Münze | 54 | ||
II. Verwaltung: Vom Gesetz als Schranke zum Gesetz als Instrument | 58 | ||
1. Vom Gesetz als Einschränkung zum Gesetz als Grundlage der Verwaltungstätigkeit | 59 | ||
2. Herrschaft der Verwaltung über das Gesetz | 61 | ||
3. Verordnung gegen Gesetz | 65 | ||
4. Das Privileg der Verwaltungsakte: vorläufige Selbstbefreiung von der Gesetzesbindung | 73 | ||
5. Das Gesetz als Verwaltungsinstrument: Notwendige Relativierung durch Planungsgesetze | 78 | ||
6. Gesetz nach Verwaltungsinterpretation | 84 | ||
III. Die Richter gegen das Gesetz | 88 | ||
1. Der Richter – von jeher Gegenpol des Gesetzes | 89 | ||
2. Konstitutionalismus: „Richterliche Unabhängigkeit gegen Gesetz“ | 91 | ||
3. Die Entwicklung der Aktionsformen von „Judikative gegen Gesetz“ | 95 | ||
4. Die Richter – „wesentlich Verfassungsrichter“ – gegen das Gesetz im Namen höheren Rechts | 101 | ||
IV. Die Freiheit – Ursprung und Verstärkung der Gesetzeskrise | 107 | ||
1. Das Gesetz – „freiheitsimmanent“? | 107 | ||
a) „Freiheit nur durch Gesetz“? | 108 | ||
2. Freiheitsdynamik sprengt Gesetzesbindung | 111 | ||
a) Die Geschichte der Freiheit – eine Historie von Dynamik | 111 | ||
b) Freiheit – eine Dogmatik verschiebbarer Grenzen | 113 | ||
c) Die Unmöglichkeit „gesetzesförmiger Freiheit“ | 115 | ||
3. Freiheit: immer mehr, bis zum „Ende der Gesetze“ | 117 | ||
a) Gesetz: Tendenz nach Null | 117 | ||
b) Gesetze: notwendiges Übel ohne Legitimationskraft | 117 | ||
c) Vom nicht-notwendigen Gesetz | 118 | ||
d) Die lex imperfecta – eine Auflösungserscheinung des Gesetzes – Zusammenleben in Selbstbindung | 119 | ||
e) Anarchie – vom unnötigen zum bösen Gesetz | 122 | ||
C. Die Unbeständigkeit des Gesetzes | 123 | ||
I. Die Gesetzesinflation | 123 | ||
1. Die Normenmasse: Abwertung des Gesetzes | 123 | ||
a) „Das Gesetz“ – relativiert durch „Die Gesetze“ | 123 | ||
b) Unendliche Normflut | 124 | ||
c) Majestätsverlust – Majestätssturz in der lex posterior | 125 | ||
2. Die Un(er)kennbarkeit der Normen – der Gesetzesstaat als Arkanstaat | 126 | ||
a) Unübersichtlichkeit – Verlust der Zentralfunktion des Gesetzes | 126 | ||
b) „Das Gesetz“ in den Händen neuer Priester: Juristen, Spezialisten | 126 | ||
c) Bürgernähe? – Von der Kenntnisfiktion zur Gesetzeserkundung | 127 | ||
d) Das unfassbare Gesetz – Entlegitimierung der Demokratie | 129 | ||
3. Die Gesetzesvervielfältigung – Ende des für alle geltenden Gesetzes | 130 | ||
a) Keine Bedeutung mehr für „alle Bürger“ | 130 | ||
b) Vom „gleichen Gesetz“ zum „Gesetz als realitätsnahem Ausnahmenkatalog“ | 131 | ||
II. Beständigkeitsverlust – das Gesetz als Opfer der Zeit | 132 | ||
1. Änderungsnotwendigkeit: Folge der Norminflation | 132 | ||
a) Normenzahl – Änderungsbedarf in Potenz | 132 | ||
b) Änderungsleichtigkeit – in unbekümmerter Zunahme | 133 | ||
c) Änderung mal Änderung: Klarstellungen, Systematisierungen, Vernetzungen | 134 | ||
2. Periodische Gesetzesänderung – Folge oder Ziel? | 135 | ||
a) Gesetz – das wesentlich Unperiodische | 135 | ||
b) Novellierung als Fortschritt | 136 | ||
c) Von der Gesetzgebungsperiode zum „periodischen Gesetz“ – Haushaltsgesetze, Tarifverträge | 137 | ||
d) Das Jahressteuergesetz – nur eine notwendige Etappe | 139 | ||
e) Bezifferung und Geldentwertung – Versuchung und Zwang zur „Anpassung“ | 140 | ||
f) Periodisierung des Gesetzes: eine neues Staatsverständnis | 141 | ||
3. „Gesetz mit Verfallsdatum“ | 143 | ||
a) Das Gesetz auf Zeit – im Zuge der Zeit | 143 | ||
b) Das Zeitgesetz – ein Gebot der Rechtsstaatlichkeit? | 144 | ||
c) Zeitgesetz gegen Rechtsstaat | 145 | ||
4. Experimentiergesetze | 148 | ||
a) Experimentierklauseln als Zeitgesetze – Zeitgesetze als Experimente | 148 | ||
b) Experiment: Ausdruck des Gesetzes als Wille und als Erkenntnis | 148 | ||
c) Experiment: optimierende Staatsunternehmens-Strategie | 149 | ||
d) Der Geltungsverlust des Gesetzes im Versuch | 150 | ||
5. Zeitnormen: dann nurmehr Verfassung als Gesetz? | 152 | ||
III. Gesetzeskomplikation als Unbeständigkeit der Gesetze | 154 | ||
1. Die „komplizierten Gesetze“ als Krisenerscheinung des Gesetzes – Allgemeines | 154 | ||
a) Gesetzeskomplexität – eine Gefahr für Normgehorsam, Normgeltung | 154 | ||
b) Tiefere Gründe der Komplexitätskritik | 154 | ||
2. Komplizierte Gesetze – beständig und unbeständig zugleich | 155 | ||
a) Komplizierte Gesetze – konservativ-beständiges Recht | 155 | ||
b) Schwierige Gesetze: Raum und Anstoß für Neues | 156 | ||
3. Erklärungs-, Auslegungs-, Veränderungsbedarf | 157 | ||
a) Von der Erklärung zur Änderung | 157 | ||
b) Interpretationsbedarf des Schwierigen – Änderungsgelegenheit | 158 | ||
4. Das komplizierte Gesetz – Ruf nach neuen Normen | 159 | ||
a) Die „gesetzliche Klarstellung“ – das Ausufern der authentischen Interpretation | 159 | ||
b) Die Illusion des „Vereinfachungsgesetzes“ | 160 | ||
c) Spätere Gesetzgebungszustände – noch komplizierter | 161 | ||
5. Bewältigung der Gesetzeskomplexität – zweifelhafte Verfahren | 161 | ||
a) Das Gesetz der zunehmenden Komplikation | 162 | ||
b) Die Bewältigung des „schwierigen Gesetzes“ durch Auflösung der Einheit des Gesetzgebers | 163 | ||
c) Schwierigkeitsbewältigung durch intellektuelles Bemühen – oder Schwierigkeitsverstärkung? | 164 | ||
IV. Unbeständigkeit des Gesetzes – ein Schicksal des demokratischen sozialen Rechtsstaats | 165 | ||
1. Zunehmende Komplexität der Realität | 165 | ||
2. Unbeständigkeit des Gesetzes – im Namen der Rechtsstaatlichkeit | 167 | ||
3. Sozialstaatlichkeit – wichtigster Grund für die Unbeständigkeit der Gesetzeslagen | 168 | ||
a) Schwächerenschutz – Zwang zu dauernder Normänderung | 168 | ||
b) Schwächerenschutz – Aufgabe der Gesetzgebung? | 169 | ||
c) Sozialstaatlicher Schwächerenschutz – eine unverrückbare politische Vorgabe | 170 | ||
4. Demokratie – Staatsform des unbeständigen Gesetzes | 171 | ||
V. Fazit: Verlust der „Gesetzeskraft“ | 173 | ||
D. Die Überstarrheit des Gesetzes – die Norm als Störungsfaktor realitätsgerechter Entwicklung | 175 | ||
I. Flexibilität – ein neues Kulturideal des Rechts | 175 | ||
1. Das Gesetz zwischen traditionalistischer und progressiver Kritik – Flexibilitätsmangel: die Zweite Front der Gesetzeskritik | 177 | ||
2. Das Gesetz: ein Aufstau in der Zeit | 178 | ||
3. Das Gesetz – stets zu spät | 179 | ||
4. Keine Synthese von Schwäche und Starrheit des Gesetzes | 181 | ||
5. Die Verfassung – Synthese von Starrheit und Flexibilität der Normen? | 182 | ||
II. Wirtschaftlich-technologische Entwicklung und Gesetzesstarrheit | 184 | ||
1. Wettbewerb – „im Werden“ ein Gegenbegriff zur Gesetzesstatik | 184 | ||
2. Naturwissenschaftlich-technischer Fortschritt: gegen das Gesetz oder an ihm vorbei | 189 | ||
3. Die Überlegenheit der gesetzesfreien über die Gesetzeswirtschaft | 194 | ||
III. Bürokratie: Folge und Personifizierung des überstarren Gesetzes | 196 | ||
1. Bürokratiekritik – eine Basisbewegung gegen Vergesetzlichung | 196 | ||
2. Bürokratiekritik als Gesetzeskritik | 197 | ||
3. Parkinsons Gesetz – Folge der Gesetze | 201 | ||
4. Das „Selbstüberdauern des Gesetzes“ – in Bürokratie | 202 | ||
IV. Planungen in Gesetzesform – nicht Flexibilisierung, sondern Erstarrung | 203 | ||
1. Planung durch Gesetz: Ein Sündenfall der Normendogmatik | 203 | ||
2. Das Planungsgesetz als Form der Betonierung | 206 | ||
3. Das Planungsgesetz als Superstatik | 208 | ||
V. Das Haushaltsgesetz: Finanzstarre in Kameralistik | 209 | ||
1. Gesetzesform als Gesetzespervertierung | 209 | ||
2. Das Haushaltsgesetz als Erstarrung der Staatsfinanzen | 211 | ||
a) Das Haushaltsgesetz als zeitlicher Machtaufstau | 211 | ||
b) Der Weg vom Haushaltsgesetz in die wirtschaftsverstarrende Kameralistik | 213 | ||
3. Bürokratie und Haushaltsgesetz – Spirale normativer Verstarrung | 215 | ||
E. Ausblick: Dauerkrise des Gesetzes oder Übergang zu neuen Formen der Machtausübung | 217 | ||
I. Die Krise des Gesetzes – eine Verfassungsnotwendigkeit in der Demokratie | 217 | ||
1. Die Krisenphänomene Schwäche und Starrheit des Gesetzes – gegenseitig bedingt | 217 | ||
2. Die Staatsgrundentscheidung der Demokratie – Grundlage des Gesetzes und seiner Krise | 218 | ||
II. Mehr Gesetze – mehr Krise | 220 | ||
1. Das Fortlaufen der Gesetze | 220 | ||
2. Das Gesetz – Beruhigung der steigenden Machtängste der Demokratie: Machtmissbrauch und Machtkorruption | 221 | ||
3. Der Zug in die Schwäche | 222 | ||
III. Ausweichen in gesetzesfreie Staatstätigkeit – Verwaltung als Bewältigung der Gesetzeskrise? | 222 | ||
IV. Vom Gesetzesstaat zum Richterstaat – Judikative als Heilmittel gegen Gesetzeskrise? | 224 | ||
1. Verfassungsgerichtsbarkeit: Korrektur von Gesetzen, nicht der Gesetzgebung | 225 | ||
2. Gesetzesöffnungen zur Gerichtsbarkeit: Generalklauseln, Beurteilungskontrollen | 226 | ||
3. Case Law gegen Gesetzeskrise | 229 | ||
4. Exkurs: Ausweichen in „andere Gesetze“, der Entwicklung, der Wissenschaft? | 229 | ||
V. Eine Chance der Gesetzeskrise: mehr Bürgerfreiheit? | 232 | ||
1. Keine Bürgerfreiheit im Gesetzesdickicht | 232 | ||
2. ... es sei denn, in Freiheit zur Gesetzesumgehung | 234 | ||
3. Ende der „Freiheit durch Gesetz“ | 235 | ||
VI. Am Ende der „gesetzgebenden Gewalt“ | 236 | ||
VII. Auf dem Weg in ein neues Gewaltsystem – vom Gesetz zum Ordre de Mufti | 238 | ||
1. Die „Befehlswerdung“ der Macht | 238 | ||
2. Vom Gesetz zum „System punktueller Befehle“ | 240 | ||
3. Eine historische Rückwendung – zum „Naturzustand“? | 240 | ||
Sach- und Personenverzeichnis | 243 |