Die Verhaltensnorm des fahrlässigen Erfolgsdelikts
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Die Verhaltensnorm des fahrlässigen Erfolgsdelikts
Schriften zum Strafrecht, Vol. 135
(2002)
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Abstract
Das Fahrlässigkeitsstrafrecht ist in jüngerer Zeit zunehmend mit der Bewertung risikoträchtiger Tätigkeiten konfrontiert. Solche Tätigkeiten sind zur Förderung von Wohlstand und Lebensqualität erlaubt, ja sogar erwünscht, solange die Akteure die spezifischen Risiken im Rahmen akzeptabler Grenzen halten. Solche Grenzen sind aber nur in Ausnahmefällen eindeutig durch Regeln fixiert, im übrigen gibt es nur das allgemeine Gebot der Erfolgsvermeidung. Tritt der Erfolg ein, werden sie $aex post$z konkretisiert. In der Theorie ist man sich hingegen einig, daß die Verhaltenserwartung nur aus der Perspektive der Handlungssituation, also $aex ante,$z definiert werden darf. In diesem Spannungsverhältnis stellt sich die Frage, an welchen Wertungen sich der Handelnde ex ante orientieren muß, und inwieweit seine eigene Wertung gerichtlicher Kontrolle zugänglich sein kann. Eine Lösung ist der Wissenschaft bislang nicht gelungen, es sei denn auf Kosten der Bestimmtheit der Norm. Wenn aber keine bestimmte Norm existiert, wie läßt sich dem Handelnden dann normwidriges Verhalten vorwerfen?Der Verfasser sucht durch einen Blick auf das Verwaltungsrecht den Ausweg aus dem Dilemma zu weisen. Er argumentiert, daß das Institut eines gerichtlich nicht überprüfbaren Beurteilungsspielraums in seinem theoretischen Ansatz ein Vorbild für die Verhaltensnormbestimmung in ungeregelten Lebensbereichen sein kann, und er versucht, diesen Ansatz auf das Strafrecht zu übertragen. Dies führt zu einer Relativierung des Begriffes der Pflichtwidrigkeit und zu einer Beurteilung des Täterverhaltens an Verwerflichkeitskriterien. Rudolf A. Mikus zeigt, daß sich ein solcher "Beurteilungsspielraum des Fahrlässigkeitstäters" in das deutsche Strafrechtssystem einfügen läßt.
Table of Contents
Section Title | Page | Action | Price |
---|---|---|---|
Vorwort | 5 | ||
Inhaltsverzeichnis | 7 | ||
Abkürzungsverzeichnis | 12 | ||
Einleitung | 15 | ||
A. Der Begriff der Verhaltensnorm | 19 | ||
I. Das Strafrecht als normative Verhaltenskontrolle | 19 | ||
1. Die Norm als Orientierungsmuster für sozialen Kontakt | 19 | ||
a) Verhaltensnorm und Sanktionsnorm | 20 | ||
b) Bestimmungs- und Bewertungsfunktion der Norm | 21 | ||
c) Verhaltens- und Erfolgsunwert | 23 | ||
2. Die Struktur der Verhaltensnorm | 25 | ||
a) Verhaltensnorm und Verhaltenspflicht | 25 | ||
b) Gefährdungsverbot oder Erfolgsverursachungsverbot? | 28 | ||
3. Bestimmtheitsgebot und Verhaltensnorm | 32 | ||
a) Die positivistische Hürde des Art. 103 Abs. 2 GG | 32 | ||
b) Die relativ unbestimmte Norm als Orientierungsmuster | 36 | ||
II. Das Verbot mißbilligter Risikoschaffung als Verhaltensnorm | 39 | ||
1. Die Bedeutung des erlaubten Risikos | 39 | ||
a) Tatbestandsrelevanz von erlaubtem Risiko und Sorgfalt | 39 | ||
b) Erlaubtes Risiko und Zurechnungsausschluß | 41 | ||
2. Objektive Erkennbarkeit des erlaubten Risikos? | 42 | ||
a) Hart und Dworkin | 43 | ||
b) Hart und Dworkin unter Orientierungsgesichtspunkten | 44 | ||
c) Armin Kaufmann | 46 | ||
III. Inhaltliche Konturen mißbilligter Risikoschaffung | 48 | ||
1. Der Sorgfaltsbegriff | 48 | ||
a) Die Maßfigur | 48 | ||
b) Die Verkehrskreise | 50 | ||
2. Die Rolle abstrakter Gefährdungsverbote | 53 | ||
a) Die Indizientheorie | 53 | ||
b) Jakobs’ Vertrauensgrundsatz | 55 | ||
c) Der Schutzzweck des fahrlässigen Erfolgsdelikts | 57 | ||
3. Erkenntnis der Erfolgsmöglichkeit als Verhaltenserwartung? | 58 | ||
a) Erkennbarkeit des Erfolges als Kriterium | 58 | ||
b) Die „Innere Sorgfalt“ | 59 | ||
c) Die „Diligenzpflicht“ als Verhaltensnorm? | 61 | ||
d) Erkennbarkeitskriterium als entbehrliche doppelte Wertung | 63 | ||
IV. Zusammenfassung | 64 | ||
B. Die Verhaltensnorm innerhalb geregelter Lebensbereiche | 66 | ||
I. Abstrakte Gefährdungsverbote in Rechtsnormen | 66 | ||
1. Das fahrlässige Erfolgsdelikt als Blankettkonstruktion? | 66 | ||
2. Konkretisierung der Verhaltensnorm durch das typische Grundrisiko? | 68 | ||
3. Bindungswirkung nur des vollständigen Systems? | 70 | ||
4. Der Schutzzweck abstrakter Gefährdungsverbote | 71 | ||
a) Schutzzweck und Regelungsbereich | 71 | ||
b) Abstrakte Gefährdung als notwendige Voraussetzung? | 72 | ||
c) Abstrakte Gefährdung als hinreichende Voraussetzung? | 74 | ||
aa) Begrenzung durch den Regelungsbereich | 74 | ||
bb) Verhältnis zum Vorhersehbarkeitsbegriff der Rechtsprechung | 77 | ||
cc) Frischs Kritik | 80 | ||
5. Abhängigkeit der objektiven Sorgfaltspflicht von individuellen Merkmalen? | 82 | ||
a) Erweiterung des Handlungsspielraums | 82 | ||
b) Erhöhung des Maßstabs bei Sonderfähigkeiten | 84 | ||
II. Einzelfallentscheidungen als Verhaltensleitlinie | 85 | ||
1. Die behördliche Erlaubnis als Verhaltensleitlinie | 85 | ||
2. Verwaltungsrechtakzessorietät und Verwaltungsaktakzessorietät | 86 | ||
a) Der Streitstand | 86 | ||
b) Das Strafrecht als Sekundärrecht? | 89 | ||
3. Grenzen der Genehmigung | 91 | ||
a) Entstehen neuer Tatsachen | 91 | ||
b) Rechtsmißbrauch | 93 | ||
4. Keine Verhaltensleitlinie ohne Genehmigung | 94 | ||
a) Genehmigungsfähigkeit und Schutzzweck der Norm | 94 | ||
b) Die aktive Duldung durch die Behörde | 95 | ||
III. Gesellschaftliche Richtlinien | 97 | ||
1. Verhaltensnormqualität gesellschaftlicher Richtlinien | 98 | ||
a) Die Richtlinie als Verhaltenserwartung und Orientierungsmuster | 98 | ||
b) Verbindlichkeit kraft Gewohnheitsrechts? | 99 | ||
c) Verbindlichkeit durch Vertrauensschutz? | 101 | ||
2. Formelle und materielle Begründung der Verhaltensnormqualität | 104 | ||
a) Die formelle Legitimation der Richtlinie als Voraussetzung? | 104 | ||
b) Ein materieller Beurteilungsspielraum | 107 | ||
c) Der Vorbehalt richterlicher Korrekturkompetenz | 110 | ||
3. Speziell: ärztliche Heileingriffe | 112 | ||
a) Regeln der ärztlichen Heilkunst | 112 | ||
b) Ärztliche Aufklärungspflicht – Richterrechtliche Normierungen | 113 | ||
4. Speziell: zivilrechtliche Verkehrssicherungspflichten | 116 | ||
5. Grenzen der Verbindlichkeit | 119 | ||
a) Objektiver Mißstand und der Verweis auf das Zivilrecht | 119 | ||
b) Subjektiver Mißstand und Mißtrauensaspekte | 120 | ||
IV. Richterliche Rechtsfortbildung | 121 | ||
1. Ex post Beurteilung und Verhaltensnorm | 121 | ||
2. Zulässigkeit richterlicher Rechtsfortbildung | 122 | ||
3. Berücksichtigung der Normgemäßheit in der Handlungssituation | 124 | ||
a) Irrtumsprivilegierung? | 124 | ||
b) Rechtsfortbildung durch obiter dictum | 126 | ||
c) Die Trennung von Verhaltensnorm und Verhaltensunrecht | 128 | ||
aa) Normaussage als Anliegen der positiven Generalprävention | 128 | ||
bb) Strafrechtswidrigkeit oder rechtsfreier Raum? | 131 | ||
V. Zusammenfassung | 132 | ||
C. Das Fehlen einer Verhaltensleitlinie | 134 | ||
I. Ungeregelte Lebensbereiche | 134 | ||
1. Das Fehlen einer Handlungsleitlinie | 134 | ||
a) Völlig ungeregelte Lebensbereiche und Regelungslücken | 134 | ||
b) Durch Dritte oder das Opfer selbst vermittelte Gefahrschaffung | 136 | ||
c) Verteidigungssituationen | 137 | ||
2. Beispiele aus der Rechtsprechung | 138 | ||
a) Der Osnabrücker Sozialarbeiterinfall | 138 | ||
aa) Garantenstellung | 138 | ||
bb) Verhaltensnorm und Garantenpflicht | 139 | ||
cc) Der Parallelfall des OLG Stuttgart | 141 | ||
b) Der Skipistenfall | 143 | ||
c) Der Falisanfall | 145 | ||
3. Bildung abstrakter Fallgruppen | 146 | ||
a) Schünemann | 146 | ||
b) Frisch | 148 | ||
aa) Die Grundlinien tatbestandlichen Verhaltens | 148 | ||
bb) Die Anwendung im Sozialarbeiterin- und Falisanfall | 150 | ||
4. Ungeregelte Lebensbereiche im Verkehrskreiskonzept | 152 | ||
a) Verhaltenserwartung im allgemeinen Verkehrskreis | 152 | ||
b) Die Verhaltenserwartung des normalen Menschen | 155 | ||
II. Ein Verbot finaler Erfolgsherbeiführung? | 156 | ||
1. Individuelle Normfindung und finale Handlungslehre | 156 | ||
2. Potentielle Finalität und finale Basishandlung | 160 | ||
3. Kenntnis des Risikosyndroms | 162 | ||
4. Individuelle Vermeidbarkeit der Tatbestandsverwirklichung | 164 | ||
a) Jakobs Vermeidbarkeitskonzept | 164 | ||
b) Objektive Bestimmung der Verhaltensnorm | 167 | ||
III. Zusammenfassung | 169 | ||
D. Ein Spielraum bei der Normfindung | 171 | ||
I. Konturierung eines strafrechtlichen Beurteilungsspielraums | 171 | ||
1. Verwaltungsrecht | 171 | ||
2. Ein Beurteilungsspielraum im Strafrecht | 174 | ||
a) Übertragbarkeit der verwaltungsrechtlichen Kriterien auf das Strafrecht? | 174 | ||
b) Ein Individualspielraum in der strafrechtlichen Literatur | 175 | ||
3. Vertretbarkeit des Täterverhaltens | 176 | ||
4. Ein individueller Beurteilungsspielraum? | 178 | ||
a) Das Systemargument: Konfundierung von Unrecht und Schuld | 178 | ||
b) Individualisierung in der Sache nicht gerechtfertigt | 181 | ||
II. Zusammenfassung | 182 | ||
Literaturverzeichnis | 184 | ||
Sachwortverzeichnis | 193 |