Rechtsphilosophische Aspekte der »Mauerschützen«-Prozesse
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Rechtsphilosophische Aspekte der »Mauerschützen«-Prozesse
Schriften zur Rechtstheorie, Vol. 189
(1999)
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Die Prozesse gegen DDR-Grenzsoldaten, ihre Befehlshaber sowie gegen Richter und Staatsanwälte der DDR haben eine Kontroverse ausgelöst. Gestritten wird darüber, ob Handlungen bestraft werden können, die in der DDR gerichtlich nicht belangt wurden.Zu dieser Diskussion leistet die Arbeit einen Beitrag aus rechtsphilosophischer Sicht. Radbruch, Hart und Dworkin bilden die Grundlage der Erörterungen. 1946 formulierte Radbruch anhand der "Radbruchschen Formel" seine Überzeugung, daß die Gesetzmäßigkeit von Handlungen nicht automatisch deren Rechtmäßigkeit begründet. Die "Radbruchsche Formel" ermöglichte die Annahme, die Bestrafung der Gewalttaten des Dritten Reichs sei ohne Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot zu verwirklichen gewesen. In der "Mauerschützen"-Debatte ist diese Annahme gleichfalls weit verbreitet. Theoretisch überzeugt die Radbruchsche Formel nicht. Anhand einer Analyse von Radbruchs Gesamtwerk wird die Frage "Umbruch oder Entwicklung in Radbruchs Rechtsphilosophie?" neu beantwortet.Einen Radbruch entgegengesetzten Ansatz vertritt Hart. Hier wird gezeigt, daß Hart eine Radbruchs Lösung funktionell gleichwertige Möglichkeit anbietet, gesetzlich legitimierte Taten eines Unrechtsstaats im nachhinein zu ahnden. Wie bei der Beschäftigung mit Radbruch wird auch bei der Vorstellung der Konzeption von Hart deren Konsequenz auf die Rückwirkungsproblematik aufgezeigt.Dworkin setzt mit Hart unter anderen Vorzeichen die Diskussion fort, die Hart mit Radbruch begonnen hat. Es wird deutlich, daß Dworkin zwar eine differenziertere, aber im Ergebnis keine andere Antwort auf die Frage nach der Rechtsgeltung gibt als Hart. Aus Dworkins Rechtsphilosophie folgt keine eigenständige Bestätigung der Ergebnisse von Radbruchs Nachkriegsrechtsphilosophie. Am Schluß erweist sich, daß für die strafrechtliche Bewältigung des DDR-Systemunrechts der Gesetzgeber hätte handeln müssen, wie Hart es vorschlägt.
Table of Contents
Section Title | Page | Action | Price |
---|---|---|---|
Vorwort | 5 | ||
Inhaltsverzeichnis | 7 | ||
Einleitung | 11 | ||
Erstes Kapitel: § 27 DDR-GrenzG | 17 | ||
I. Der Ausgangspunkt | 17 | ||
II. Die gegenwärtige Diskussion | 21 | ||
1. Positivrechtliche Grundlagen | 21 | ||
a) Die Anwendbarkeit des DDR-Rechts | 21 | ||
b) Geltung des DDR-Rechts nach innerstaatlichen Grundsätzen | 23 | ||
2. Tatbestandliche Voraussetzungen von § 27 DDR-GrenzG im einzelnen | 27 | ||
a) Die Handlungseröffnung für die Grenzsoldaten | 27 | ||
b) Formal-legale Handhabung des § 27 DDR-GrenzG | 29 | ||
c) Anknüpfung an Wortlaut und „Staatspraxis" der DDR | 35 | ||
d) Staatspraxis der DDR und Radbruchsche Formel | 37 | ||
e) Staatspraxis der DDR und „menschenrechtsfreundliche" Interpretation | 49 | ||
f) Die Frage der Erforderlichkeit von Strafe | 52 | ||
3. Die empiristische Handhabung des DDR-Rechtssystems | 52 | ||
a) Wirkliches Staatswesen | 52 | ||
b) Verhältnis zum übergesetzlichen Recht | 56 | ||
c) Strafbedürfnis nach dieser Ansicht | 60 | ||
Zweites Kapitel: Radbruchs Rechtsidee unter dem Einfluß der dualistischen Weltsicht | 61 | ||
I. Die dualistische Weltsicht | 61 | ||
1. Radbruchs „bleibende Grundlage" | 61 | ||
2. Lasks Rechtsphilosophie und der Neukantianismus | 65 | ||
a) Der Wertbegriff | 65 | ||
b) Rechtswissenschaft als Kulturwissenschaft | 67 | ||
3. Radbruchs Rechtsphilosophie als Kulturphilosophie des Rechts | 69 | ||
a) Radbruchs „vier Haltungen" | 69 | ||
b) Rechtsphilosophie als Wertphilosophie | 74 | ||
II. Radbruchs Rechtsidee | 74 | ||
1. Die Funktion der Rechtsidee | 74 | ||
2. Das erste Element der Rechtsidee: Gerechtigkeit | 75 | ||
a) Gerechtigkeit als Gleichheit | 75 | ||
b) Gerechtigkeit und Rechtsbegriff | 79 | ||
3. Das zweite Element der Rechtsidee: Zweckmäßigkeit | 80 | ||
a) Die Wertbegründung des Rechts | 80 | ||
b) Radbruchs Wertrelativismus | 88 | ||
4. Das dritte Element der Rechtsidee: Rechtssicherheit | 97 | ||
5. Antinomien und Einheit der Rechtsidee | 99 | ||
a) Radbruchs Antinomienlehre | 99 | ||
b) Die Einheit der Rechtsidee | 103 | ||
Drittes Kapitel: Rechtspositivismus und Naturrecht, Verpflichtung durch das Recht und Rechtsgeltung | 107 | ||
I. Rechtspositivismus und Naturrecht im Werk Radbruchs | 107 | ||
1. Radbruchs Wandel | 107 | ||
a) Radbruchs eigene Stellungnahme | 107 | ||
b) Radbruch im Urteil seiner Interpreten | 112 | ||
2. Trennungsthese und Verbindungsthese | 115 | ||
II. Rechtsgeltung und die Idee rechtlicher Verpflichtung | 118 | ||
1. Radbruchs Rechtsgeltungslehre | 118 | ||
a) Die juristische Geltungslehre | 118 | ||
b) Die historisch-soziologische Geltungslehre | 126 | ||
c) Die philosophische Geltungslehre | 127 | ||
2. Die Rechtsidee als Bewertungsschema | 138 | ||
III. Rechtsphilosophie Radbruchs und „Mauerschützen"-Debatte | 140 | ||
1. Eignung der Radbruchschen Rechtsphilosophie zur Bewertung der Diskussion | 140 | ||
2. Normerfordernisse und das hermeneutische Problem | 142 | ||
a) Rechtsbegriff und Rechtsstaat | 142 | ||
b) Rechtswissenschaft und Fremdrechtsordnung | 146 | ||
Viertes Kapitel: Radbruchs Nachkriegsrechtsphilosophie | 153 | ||
I. Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht | 153 | ||
1. Die Radbruchsche Formel in ihrer Zeit | 153 | ||
a) Andere Entwürfe | 153 | ||
b) Erfolgsgründe | 156 | ||
2. Umbruch oder Entwicklung in Radbruchs Werk? | 159 | ||
a) Von der Trennungsthese zur Verbindungsthese | 159 | ||
b) Akzentverschiebung und Fortentwicklung | 162 | ||
3. Die Radbruchsche Formel | 165 | ||
a) Die Mehrdeutigkeit des Formelbegriffs | 165 | ||
b) Gesetzliches Unrecht der ersten und der zweiten Kategorie | 167 | ||
c) Formelverständnis in Lehre und Rechtsprechung | 169 | ||
d) Argumente gegen die zweite Kategorie des gesetzlichen Unrechts | 174 | ||
e) Argumente gegen die erste Kategorie des gesetzlichen Unrechts | 176 | ||
II. Theoretische Fragen | 179 | ||
1. Das übergesetzliche Recht: Naturrechtssystem oder Geltungsgrenze? | 179 | ||
a) Radbruchs Widersprüche | 179 | ||
b) Die Umkehrung der Geltungsvermutung | 184 | ||
2. Die Funktionsneubestimmung der Rechtsidee | 186 | ||
3. Die Materialisierung der Rechtsidee und deren Grenzen | 190 | ||
a) Zweckmäßigkeit | 190 | ||
b) Gerechtigkeit | 193 | ||
III. Praktische Probleme | 196 | ||
1. Das gesetzliche Unrecht und seine Folgen | 196 | ||
a) Die Wehrlosigkeitsthese | 196 | ||
b) Übergesetzliches Recht nach dem Ende des Unrechtsstaats | 199 | ||
2. Übergesetzliches Recht und § 27 DDR-GrenzG | 205 | ||
Fünftes Kapitel: Das Regelmodell der Rechtsordnung und das Prinzipienargument | 209 | ||
I. Hart | 209 | ||
1. Das Rechtssystem als Einheit von primären und sekundären Regeln | 209 | ||
a) „Weiteres Rechtskonzept" versus „engeres Rechtskonzept" | 209 | ||
b) Der Regelbegriff | 211 | ||
c) Primäre und sekundäre Regeln | 213 | ||
2. Rechtsgeltung bei Hart | 216 | ||
a) Status und Inhalt der Erkenntnisregel | 216 | ||
b) Regelmäßiges und regelgemäßes Handeln | 218 | ||
c) Die Weite der Erkenntnisregel | 221 | ||
d) Minimalinhalt des Naturrechts als Korrektiv der Erkenntnisregel? | 222 | ||
3. Konsequenzen des weiteren Rechtsbegriffs | 225 | ||
a) Die Idee der Verpflichtung bei Hart | 225 | ||
b) Harts Einwände gegen den engeren Rechtsbegriff | 226 | ||
II. Dworkin | 231 | ||
1. Nutzen und Herkunft des Prinzipienarguments | 231 | ||
a) Die Ergänzung des Unrechtsarguments durch das Prinzipienargument | 231 | ||
b) Dworkins Rechtsphilosophie und der Rechtspositivismus | 232 | ||
2. Dworkins Positivismuskritik in „Taking Rights Seriously" | 235 | ||
a) Das „Gerüst des Positivismus" nach Dworkin | 235 | ||
b) Dworkins Gegenentwurf | 238 | ||
3. Die Idee der Verpflichtung und der Rechtsgeltung bei Dworkin | 245 | ||
a) Dworkins Kritik an Hart | 245 | ||
b) Die Idee der Verpflichtung bei Dworkin | 246 | ||
c) Die Lösung von der Verpflichtung und die Frage der Rechtsgeltung | 249 | ||
d) Die Rechtsgeltung im Rahmen der interpretativen Theorie des Rechts | 253 | ||
4. Dworkins Rechtsphilosophie und die „Mauerschützen"-Debatte | 256 | ||
III. Weiterer Rechtsbegriff und Strafbarkeit | 257 | ||
1. Konstitutiv-rückwirkende Strafbarkeitsbegründung | 257 | ||
2. Gesetzgeber und weiterer Rechtsbegriff | 262 | ||
Ergebnis | 265 | ||
Literaturverzeichnis | 279 | ||
Sachwortverzeichnis | 309 |