Strafrechtliche Verantwortlichkeit bei Gremienentscheidungen in Unternehmen
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Strafrechtliche Verantwortlichkeit bei Gremienentscheidungen in Unternehmen
Strafrechtliche Abhandlungen. Neue Folge, Vol. 134
(2001)
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Abstract
Der Bundesgerichtshof hatte sich in der Lederspray-Entscheidung - BGHSt 37, 106 ff. -, die zu Recht als Leitentscheidung zur strafrechtlichen Produkthaftung angesehen wird, unter anderem mit der Frage der Erfolgszurechnung in dem Geschäftsleitungsgremium eines Unternehmens auseinanderzusetzen, das durch eine auf dem Mehrheitsprinzip beruhende Entscheidung die Endkunden des Unternehmens gesundheitlich geschädigt hatte. Die Folgen des Geschäftsleitungsbeschlusses wurden jedem dafür stimmenden Gremiumsmitglied zugerechnet. Trotz der Evidenz des Ergebnisses ergeben sich bei näherer Betrachtung erhebliche Probleme bei dessen Begründung auf der Basis herkömmlicher Dogmatik. Ein Umstand, der Anlaß zu weitergehenden Untersuchungen gab, weil nicht nur in Unternehmen strafrechtlich relevante Entscheidungen nach dem Mehrheitsprinzip gebildet werden, sondern beispielsweise auch in Gemeinderäten, Redakteurskollektiven und Vereinen.Die Feststellung der Kausalität eines einzelnen Gremiumsmitglieds ist nach der conditio-sine-qua-non-Formel nicht möglich, wenn die Mehrheit für einen fehlerhaften Beschluß größer als erforderlich ist und man somit jede Stimme isoliert wegdenken kann, ohne daß die Mehrheit und damit der Beschluß an sich sowie dessen Folgen für den Verbraucher tangiert werden. Dieses "Versagen" der conditio-Formel kann im Bereich vorsätzlichen Handelns der Gremiumsmitglieder durch Annahme mittäterschaftlicher Tatbegehung ausgeglichen werden. Bei fahrlässigem Verhalten ist dies nach herrschender Ansicht nicht möglich, weil hier mittäterschaftliche Zurechnung ausgeschlossen ist.Die Lösung des Problems findet sich nicht, wie zuerst vermutet, auf der Ebene der Kausalität, sondern stellt eine Frage wechselseitiger Zurechnung von Tatbeiträgen bei mittäterschaftlichem Verhalten dar. Mittäterschaft ist entgegen der herrschenden Lehre auch in Fällen fahrlässiger Tatbegehung möglich. Das Dogma von der Ablehnung fahrlässiger Mittäterschaft erweist sich als nicht haltbar. Die Mitglieder eines Gremiums haften für die gemeinsam gefaßten Beschlüsse nicht deshalb, weil jeder von ihnen mit seiner Stimme kausal wird, sondern weil die gemeinsame Beschlußfassung die wechselseitige Zurechnung der Tatbeiträge bewirkt und jeder Beteiligte an der Mehrheitsentscheidung für den Beschluß und seine Folgen aus dem Gesichtspunkt mittäterschaftlicher Tatbegehung haftet. Dies gilt für vorsätzliches und fahrlässiges Handeln gleichermaßen.
Table of Contents
Section Title | Page | Action | Price |
---|---|---|---|
Vorwort | 7 | ||
Inhaltsverzeichnis | 9 | ||
Einführung | 15 | ||
Teil A: Die Kausalitätsproblematik bei der Gremienentscheidung | 22 | ||
I. Ursächlichkeit des Einzelverhaltens eines Gremiumsmitglieds bei aktivem Tun | 22 | ||
1. Lösung nach der Äquivalenztheorie in Verbindung mit der conditio-sine-qua-non-Formel | 22 | ||
a) Der Erfolg in seiner konkreten Gestalt als Bezugspunkt der Kausalitätsprüfung | 24 | ||
b) Die conditio-sine-qua-non-Formel und das Problem der Reserveursachen | 30 | ||
c) Das Vorliegen von Doppelkausalität/alternativer Kausalität | 31 | ||
aa) Lösung der „Standardfälle“ alternativer Kausalität | 33 | ||
(1) Ansatz von Traeger | 33 | ||
(2) Ansatz von Tarnowski | 35 | ||
(3) Der Ansatz von Traeger und Tarnowski und die Lehre vom Erfolg in seiner konkreten Gestalt | 37 | ||
(4) Die differenzierende Lösung der Alternativfälle von Spendel | 39 | ||
bb) Übertragung der bisherigen Überlegungen auf die Gremiumskonstellation | 42 | ||
(1) Ansatz von Spendel | 42 | ||
(2) Ansatz von Traeger und Tarnowski | 44 | ||
2. Lösung nach der Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung | 46 | ||
a) Die Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung. Der Versuch, die Unzulänglichkeiten der conditio-sine-qua-non-Formel zu beheben | 46 | ||
aa) Die Kritik an der conditio-sine-qua-non-Formel | 46 | ||
bb) Die Feststellung der Kausalität nach der Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung | 49 | ||
b) Anwendung der Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung auf die Gremiumsproblematik | 52 | ||
aa) Ansatz von Engisch | 53 | ||
bb) Die Konzeption von Puppe | 54 | ||
3. Zusammenfassung der bisherigen Ergebnisse | 60 | ||
4. Die Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung als zutreffende Beschreibung des strafrechtlichen Kausalzusammenhangs? | 63 | ||
a) Anwendbarkeit der Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung in Bereichen, in denen detaillierte deterministische Gesetzmäßigkeiten bekannt sind | 63 | ||
b) Anwendbarkeit der Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung in Bereichen, in denen ausformulierte allgemeine Gesetze noch nicht bekannt sind | 66 | ||
c) Anwendbarkeit der Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung in Bereichen, in denen nur probabilistische Gesetzmäßigkeiten formuliert werden können | 69 | ||
d) Die Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung und psychische Kausalität | 73 | ||
e) Die Lösung von Beweisproblemen nach der Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung und der conditio-sine-qua-non-Formel | 77 | ||
aa) Die Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung | 78 | ||
bb) Die conditio-sine-qua-non-Formel | 81 | ||
f) Zusammenfassung | 86 | ||
5. Auswirkung der bisher gefundenen Ergebnisse auf die Lösung des Gremiumsproblems | 91 | ||
a) Alternativfälle, bei denen zwei oder mehrere Personen unabhängig voneinander Bedingungen setzen, die geeignet sind, den Erfolg herbeizuführen | 92 | ||
b) Übertragung des Ergebnisses auf die Gremiumssituation | 96 | ||
II. Ursächlichkeit des Einzelverhaltens eines Gremiumsmitglieds bei Unterlassen | 99 | ||
1. Die Kausalität des Unterlassens | 102 | ||
2. Anwendung der abgewandelten conditio-sine-qua-non-Formel auf das Unterlassen im Gremium – Darstellung der Problematik | 105 | ||
3. Die Lösung des Bundesgerichtshofes in der Lederspray-Entscheidung | 107 | ||
a) Der zugrundeliegende Sachverhalt | 107 | ||
b) Die Argumentation des Bundesgerichtshofes | 108 | ||
c) Kritik | 109 | ||
aa) Kumulative Kausalität des Unterlassens? | 110 | ||
bb) Mehrfachkausalität (alternative Kausalität) des Unterlassens? | 114 | ||
4. Lösung nach der Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung (ohne Rückgriff auf die modifizierte conditio-sine-qua-non-Formel) | 118 | ||
a) Unterlassenskausalität wegen Verantwortlichkeit für das Fehlen einer „negativen Bedingung“ des Erfolges? | 119 | ||
b) Kritik | 121 | ||
aa) Kausalität bei hinreichenden Bedingungen? | 121 | ||
bb) Anwendung der Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung auf das Unterlassen | 122 | ||
5. Die Sonderbehandlung von Rettungsgeschehen unter Beteiligung Dritter | 125 | ||
a) Der Zusammenhang zwischen kumulativer Kausalität von Unterlassungen und drittvermitteltem Rettungsgeschehen | 125 | ||
b) Die Ansicht von Puppe | 127 | ||
c) Der von Kahlo vorgeschlagene Lösungsweg | 128 | ||
d) Kritik | 129 | ||
6. Unterlassenskausalität und Garantenpflicht | 133 | ||
7. Die Risikoerhöhungslehre als Zurechnungsgrundlage beim unechten Unterlassungsdelikt | 137 | ||
a) Die Entwicklung der Risikoerhöhungslehre im Zusammenhang mit dem sogenannten Pflichtwidrigkeitszusammenhang beim fahrlässigen (Begehungs-)Erfolgsdelikt | 138 | ||
b) Die Übertragung des Risikoerhöhungsgedankens auf das Unterlassungsdelikt | 140 | ||
c) Die Anwendung der Risikoerhöhungslehre auf die Gremiumskonstellation Ex ante- und ex post-Betrachtung | 143 | ||
aa) Die Bestimmung der Risikoerhöhung ex ante | 145 | ||
bb) Die Bestimmung der Risikoerhöhung ex post | 146 | ||
d) Die Integration der Risikoerhöhungslehre in das wissenschaftstheoretische Kausalitätsmodell – Risikoerhöhung als Subsumption unter probabilistische Gesetzmäßigkeiten | 148 | ||
aa) Anwendungsbereich der Risikoerhöhungslehre beim Unterlassungsdelikt | 150 | ||
(1) Wahrscheinlichkeitsaussagen bei lückenhaften Sachverhaltsfeststellungen | 150 | ||
(2) Wahrscheinlichkeitsaussagen bei Vorgängen, über die deterministische Zusammenhänge nicht bekannt sind | 151 | ||
bb) Abgrenzbarkeit von Bereichen, in denen prinzipiell nur Wahrscheinlichkeitsaussagen möglich sind | 152 | ||
cc) Der Risikoerhöhungsgedanke als adäquate Lösung von Zurechnungsfragen | 155 | ||
(1) Das Arbeiten mit probabilistischen Zusammenhängen beim Begehungsdelikt | 156 | ||
(2) Die Anwendung probabilistischer Gesetzmäßigkeiten beim Unterlassensdelikt | 158 | ||
dd) Folgerungen aus den bisher gefundenen Erkenntnissen: Die Ablehnung der Risikoerhöhungslehre | 159 | ||
8. Zusammenfassung und Ergebnis | 161 | ||
Teil B: Mittäterschaftliche Zurechnung des Einzelverhaltens im Gremium | 164 | ||
I. Problemstellung: Mittäterschaftliche Zurechnung zur Lösung der Schwierigkeiten bei der Einzelverantwortlichkeit der Gremiumsmitglieder für die Folgen ihres Verhaltens im Gremium | 164 | ||
1. Die strafrechtliche Verantwortlichkeit des einzelnen Gremiumsmitglieds für sein Verhalten im Gremium – Zusammenfassung der bisherigen Ergebnisse | 164 | ||
2. Begründung weitergehender strafrechtlicher Verantwortlichkeit durch mittäterschaftliche Zurechnung | 167 | ||
3. Differenzierte Behandlung der Mittäterschaftsfragen nach Vorsatz / Fahrlässigkeit sowie Begehungsdelikt / Unterlassungsdelikt | 167 | ||
II. Mittäterschaftliches Zusammenwirken bei vorsätzlichem Verhalten der Gremiumsmitglieder | 169 | ||
1. Mittäterschaft bei aktivem Tun | 169 | ||
a) Problemdarstellung | 169 | ||
b) Ist Kausalität des einzelnen Beteiligten Voraussetzung für das Vorliegen von Mittäterschaft? | 173 | ||
aa) Die Ausführungshandlung des Mittäters als Anknüpfungspunkt seiner Ursächlichkeit für den Erfolg | 174 | ||
(1) Die Fälle additiver Mittäterschaft | 175 | ||
(2) Die Fälle alternativer Mittäterschaft | 177 | ||
(3) Arbeitsteilige Verwirklichung zusammengesetzter Delikte | 177 | ||
bb) Die psychische Kausalität des Mittäters für die Mitwirkung des Tatgenossen als Anknüpfungspunkt des Kausalerfordernisses bei mittäterschaftlichem Handeln | 178 | ||
(1) Fälle fraglicher psychischer Kausalität bei additiver Mittäterschaft | 180 | ||
(2) Die sukzessive Mittäterschaft | 180 | ||
(3) Die sogenannte „parallele Mittäterschaft“ | 182 | ||
(4) Dogmatische Einwände gegen das Erfordernis psychischer Kausalität des Mittäters für das Verhalten seiner Komplizen | 184 | ||
c) Lösungsansätze zur Begründung der additiven Mittäterschaft | 186 | ||
aa) Die Ansicht Herzbergs | 186 | ||
bb) Der Ansatz Roxins | 188 | ||
cc) Der Ansatz Gössels | 189 | ||
dd) Der Ansatz Denckers | 190 | ||
ee) Zusammenfassung | 191 | ||
d) Die Lösung der Gremiumssachverhalte | 192 | ||
aa) Fälle abgesprochenen Abstimmungsverhaltens | 192 | ||
bb) Fälle nicht im Vorfeld abgesprochenen Abstimmungsverhaltens | 193 | ||
e) Die Bewältigung der Mehrheitsentscheidung durch den Bundesgerichtshof in der Lederspray-Entscheidung | 196 | ||
2. Mittäterschaft bei Unterlassen | 201 | ||
a) Die beiden Grundkonstellationen der Mittäterschaft beim Unterlassungsdelikt | 201 | ||
aa) Mittäterschaft von mehreren Garanten, die alleine zur Erfolgsabwendung in der Lage wären | 201 | ||
bb) Mittäterschaft von Garanten, die nur durch gemeinschaftliches Handeln zur Erfolgsabwendung in der Lage sind | 202 | ||
(1) Die Begründung des BGH | 203 | ||
(2) Pflichtdeliktslehre | 204 | ||
(3) Tatherrschaftsgesichtspunkte | 206 | ||
b) Kausalität als Voraussetzung der Mittäterschaft? | 207 | ||
III. Mittäterschaftliches Zusammenwirken bei fahrlässigem Verhalten der Gremiumsmitglieder | 209 | ||
1. Mittäterschaft bei fahrlässigem aktiven Tun | 210 | ||
a) Die Ablehnung der Mittäterschaft durch die h.M. | 210 | ||
aa) Das Argument, fahrlässige Mittäterschaft sei im Fahrlässigkeitsbereich wegen des Einheitstäterprinzips überflüssig | 210 | ||
bb) Das Argument, Mittäterschaft erfordere einen gemeinsamen Tatplan und damit Vorsatz | 211 | ||
b) Die Möglichkeiten Mittäterschaft im Fahrlässigkeitsbereich konstruktiv zu begründen | 213 | ||
aa) Die Zurechnung durch das Prinzip „Gesamttat“ – Die Ansicht Denckers | 213 | ||
bb) Der von Struensee vertretene subjektive Tatbestand des Fahrlässigkeitdelikts als Anknüpfungspunkt für die Begründung von Mittäterschaft | 215 | ||
cc) Die von Otto vertretene Ansicht zur Begründung fahrlässiger Mittäterschaft | 218 | ||
dd) Die Begründung fahrlässiger Mittäterschaft mit der Pflichtdeliktslehre – Die Ansicht Roxins | 220 | ||
c) Die sachliche Berechtigung mittäterschaftlicher Zurechnung im Fahrlässigkeitsbereich | 221 | ||
aa) Mittäterschaft nur bei auf den Erfolg gerichtetem Verhalten? | 221 | ||
bb) Das Problem der uferlosen Haftungsausdehnung durch fahrlässige Mittäterschaft | 223 | ||
cc) Die Gremiumskonstellation im besonderen | 228 | ||
d) Gesetzliche Anhaltspunkte einer mittäterschaftlichen Verantwortlichkeit für einen fahrlässig herbeigeführten Erfolg | 229 | ||
aa) Mittäterschaft beim erfolgsqualifizierten Delikt | 229 | ||
bb) Mittäterschaft bei den „eigentlichen“ Vorsatz-Fahrlässigkeitskombinationen | 236 | ||
cc) Die Übertragbarkeit der beim erfolgsqualifizierten Delikt und bei der Vorsatz-Fahrlässigkeitskombination vorgefundenen Grundsätze auf das fahrlässige Erfolgsdelikt | 239 | ||
e) Die Lösung der Gremiumsproblematik mit der Figur der fahrlässigen Mittäterschaft | 242 | ||
aa) Anwendung der herausgearbeiteten Lösungsmöglichkeiten auf die Gremiumskonstellation | 242 | ||
bb) Argumente für fahrlässige Mittäterschaft in der Lederspray-Entscheidung des Bundesgerichtshofs | 244 | ||
2. Mittäterschaft bei fahrlässigem Unterlassen | 248 | ||
a) Die gemeinsame Untätigkeit aufgrund eines Unterlassungsbeschlusses | 248 | ||
b) Untätigkeit der Mitglieder eines Gremiums, ohne daß es zu einem Gremiumsbeschluß kommt | 250 | ||
aa) Die praktische Relevanz der nicht ausdrücklich abgesprochenen Untätigkeit von Gremiumsmitgliedern | 252 | ||
bb) Begründung mittäterschaftlicher Haftung, die nicht von der Absprache der Gremiumsmitglieder abhängt | 253 | ||
(1) Die rein „normative Begründung“ der Mittäterschaft | 253 | ||
(2) Begründung mittäterschaftlicher Zurechnung durch die Annahme einer besonderen gemeinschaftlichen Garantenpflicht | 255 | ||
(3) Begründung der Gemeinschaftlichkeit durch die Besonderheiten der Aufgabenwahrnehmung in Gremien | 256 | ||
Zusammenfassung und Ergebnis | 259 | ||
Literaturverzeichnis | 264 | ||
Sachwortverzeichnis | 273 |