Die Europäische Union im Lichte der Reichsverfassung von 1871
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Die Europäische Union im Lichte der Reichsverfassung von 1871
Vom dualistischen zum transnationalen Föderalismus
Veröffentlichungen des Walther-Schücking-Instituts für Internationales Recht an der Universität Kiel, Vol. 127
(1999)
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Abstract
Die gängige Doktrin der Staatenverbindungslehre tut sich mit der Erfassung des föderalen Systems der EU deswegen so schwer, weil sie ein bestimmtes Verständnis föderaler Systeme zugrundelegt, welches im ersten Teil der Arbeit unter dem Begriff des »dualistischen Föderalismusverständnisses« entwickelt wird. Hiermit ist ein durchgängiger Ansatz in der Staats- und Europarechtslehre zu bezeichnen, der föderale Organisation zwischenstaatlich nur als lose Verbindung - etwa in Form des Staatenbundes - und innerstaatlich (staatsrechtlich) nur als souveräne Bundesstaatlichkeit zu begreifen versucht. Die Betrachtung erfolgt dabei deswegen »im Lichte der Reichsverfassung von 1871«, weil am Reich von 1871 zentrale rechtsdogmatische Kategorien dieses dualistischen Föderalismusverständnisses entwickelt worden sind. Unter Aufarbeitung der Organisationsstruktur des Reiches von 1871 bzw. seiner dogmatischen Erfassung in der zeitgenössischen Staatslehre und deren Vergleich mit Organisation und Beschreibung der EG als dem am stärksten integrierten Pfeiler der EU sind erste Antworten auf die Frage zu suchen, ob ausgehend von einem solchen Föderalismusverständnis eine Beschreibung des föderalen Systems der EU überhaupt gelingen kann. Insbesondere am Begriff der Kompetenz-Kompetenz läßt sich verdeutlichen, wie speziell für bestimmte föderale Systeme in der Vergangenheit von der Staatslehre entwickelte dogmatische Kategorien des staatsrechtlichen Föderalismus nicht geeignet sind, modernere transnationale föderale Systeme zu beschreiben. Auch die Einordnung der EU mit Hilfe von Begriffen des zwischenstaatlichen Föderalismus wie internationale Organisation, Staatenbund oder Staatenverbund vermag die ihr eigenen Wesensmerkmale nicht zu erfassen. Im zweiten Teil der Arbeit soll daher diesem klassischen dualistischen ein »transnationales Föderalismusverständnis« entgegengesetzt werden, welches nicht nur an einer dualen, auf Kompetenzbewahrung und -abgrenzung bedachten, bundesstaatlichen Funktions- und Aufgabenteilung ausgerichtet ist, sondern die Einheitlichkeit und Verklammerung der Rechtsordnungen der EU und der Mitgliedstaaten zu ihrem Ausgangspunkt wählt. Als konkretes Beispiel einer solchen Verklammerung der Rechtsordnungen wird auf das Kartellrecht im einheitlich verstandenen föderalen System der EU eingegangen. Die Arbeit endet mit einem Ausblick auf die hiervon ausgehenden Veränderungen für die Souveränität und das staatliche Selbstverständnis des Mitgliedstaates der EU.
Table of Contents
Section Title | Page | Action | Price |
---|---|---|---|
Vorwort | 5 | ||
Inhaltsverzeichnis | 7 | ||
Abkürzungsverzeichnis | 11 | ||
Einleitung | 15 | ||
Teil I: Der dualistische Föderalismus – Die EU zwischen Bundesstaat, Staatenbund, Staatenverbund und internationaler Organisation | 20 | ||
A. Die Herausbildung des dualistischen Föderalismus | 21 | ||
I. Die Entstehung des modernen Staates durch die Ausbildung der Souveränität | 23 | ||
II. Föderalismus und Souveränität in der deutschen Bundesstaatslehre | 25 | ||
1. Begriffsgeschichte des Föderalismus | 26 | ||
2. Föderalismus in Deutschland | 27 | ||
III. Der zwischenstaatliche Föderalismus | 32 | ||
B. Die EG im Vergleich mit dem staatsrechtlichen Föderalismus der Reichsverfassung von 1871 | 35 | ||
I. Vorbemerkungen zur Problematik eines Vergleichs | 36 | ||
II. Die Grundlagen der Reichsverfassung von 1871 und der EG – Zwischen Vertrag und Verfassung | 39 | ||
1. Entstehungsgrundlage der Verfassung des Deutschen Reiches vom 16.4.1871 | 39 | ||
2. Die Grundlagen der EG – Verfassung oder Vertrag? | 42 | ||
a) Die Trennung der Rechtsordnungen | 45 | ||
(1) Trennungsthese 1 – Autonomes Verfassungsrecht | 45 | ||
(2) Trennungsthese 2 – Gemeinschaftsrecht als Völkerrecht | 47 | ||
b) Weitere Einwände gegen die Übertragung des Verfassungsbegriffs auf die EG | 49 | ||
(1) Staat und Verfassung | 49 | ||
(2) Demokratiedefizit | 51 | ||
3. Komplementäre Verfassung der EG/EU | 52 | ||
III. Die Kompetenzstrukturen und Institutionen der Europäischen Gemeinschaft im Vergleich mit der Reichsverfassung von 1871 | 55 | ||
1. Die föderalen Kompetenzstrukturen | 56 | ||
a) Materielle Kompetenzen | 57 | ||
b) Legislativkompetenzen | 60 | ||
c) Exekutivbefugnisse | 67 | ||
d) Judikative | 69 | ||
e) Zwischenergebnis | 72 | ||
2. Die föderalen und unitarischen Institutionen der EG und der RV 1871 | 73 | ||
a) Das unechte Zweikammersystem der RV 1871 und der EG | 73 | ||
(1) Bundesrat und Reichstag | 74 | ||
(2) Rat und Parlament der EG | 76 | ||
b) Die unitarischen Exekutivorgane der RV 1871 und der EG | 81 | ||
(1) Deutscher Kaiser, Reichskanzler | 82 | ||
(2) Die Kommission der EG | 83 | ||
3. Die Finanzverfassung im föderalen System | 85 | ||
4. Das rechtliche Band zwischen dem einzelnen und dem föderalen System | 88 | ||
a) Doppeltes Bürgerrecht | 89 | ||
b) Die Unionsbürgerschaft | 90 | ||
5. Völkerrechtssubjektivität und auswärtige Gewalt | 91 | ||
IV. Föderalismus und Unitarismus in beiden föderalen Systemen | 94 | ||
C. Die deutsche Theorie des staatsrechtlichen Föderalismus | 98 | ||
I. Das Reich als Bundesstaat | 98 | ||
1. Georg Waitz’ Bundesstaatstheorie | 100 | ||
2. Waitz und die RV 1871 | 103 | ||
II. Der Inhalt der „deutschen Bundesstaatstheorie“ – Entwickelt in der Auseinandersetzung mit der RV 1871 | 105 | ||
1. Staatlichkeit des Bundes und der Glieder | 106 | ||
a) Staatlichkeit nach Jellinek | 106 | ||
b) Souveränität im föderalen System | 107 | ||
(1) Souveränität als Element der Bundesstaatlichkeit? | 107 | ||
(2) Das Problem der Kompetenz-Kompetenz | 110 | ||
2. (Bundes-)Reichsstaatsangehörigkeit | 111 | ||
3. Bundestreue | 112 | ||
III. Zur Übertragung der Bundesstaatstheorie auf die Europäische Union | 113 | ||
1. Zur Staatlichkeit der EU nach den Jellinekschen Kriterien | 114 | ||
2. Die „Bundes“-Struktur der EU erörtert am Begriff der „Kompetenz-Kompetenz“ | 115 | ||
a) Staatlichkeit und Kompetenz-Kompetenz | 116 | ||
b) Die „Herrschaft über die Verträge“ | 117 | ||
(1) Kompetenz-Kompetenz der EU zu Lasten der mitgliedstaatlichen Hoheitsgewalt? | 118 | ||
(2) Kompetenz-Kompetenz der Mitgliedstaaten zu Lasten der EU-Hoheitsgewalt? | 119 | ||
c) Zur Untauglichkeit des Kriteriums der Kompetenz-Kompetenz | 123 | ||
D. Die EU nach dem zwischenstaatlichen Föderalismus | 125 | ||
I. Die EU als Staatenbund | 126 | ||
II. Die EU als internationale Organisation mit Rechtspersönlichkeit? | 127 | ||
1. Ableitung der Rechtspersönlichkeit aus den Gemeinschaften? | 131 | ||
2. Ableitung der Rechtspersönlichkeit aus der Struktur der EU selbst? | 136 | ||
III. Die EU als Staatenverbund | 140 | ||
E. Zur Relativität staatsrechtlicher Kategorien | 142 | ||
Teil II: Der transnationale Föderalismus – Das föderale System der EU als einheitliche Rechtsordnung | 144 | ||
A. Föderalismus als transnationales Ordnungsprinzip | 144 | ||
I. Das föderale System der EU als materiell einheitliche Rechtsordnung | 147 | ||
1. Geltungsbehauptung und Geltungsgrundlage | 148 | ||
2. Materielle Einheit trotz formeller Trennung der Teilrechtsordnungen | 152 | ||
II. Die Verklammerung der EU mit den mitgliedstaatlichen Verfassungen | 154 | ||
1. Grundlagen der Verklammerungswirkung | 154 | ||
2. Kompetenzen und Kollisionsregeln | 157 | ||
B. Konkurrenzen und Kollisionen im einheitlichen Kartellrecht des föderalen Systems der EU | 160 | ||
I. Die kartellrechtlichen Kompetenzen der Gemeinschaft | 161 | ||
II. Das Urteil des EuGH im Falle Walt Wilhelm | 164 | ||
1. ‚One-shop stop‘ oder Doppelkontrolle? | 164 | ||
2. Kompetenzabgrenzung oder einheitliche Rechtsordnung? | 166 | ||
III. Die Konfliktfälle | 168 | ||
1. Das Kriterium der „positiven Gestaltungsmaßnahmen“ | 169 | ||
2. Die Nichtanwendbarkeit der Art. 85, 86 EGV (Art. 81, 82 EGV Amsterdam) | 171 | ||
3. Einzelfreistellung nach Art. 85 Abs. 3 EGV (Art. 81 Abs. 3 EGV Amsterdam) | 174 | ||
4. Gruppenfreistellungen | 175 | ||
IV. Die Kollisionsregeln in der einheitlichen Rechtsordnung | 177 | ||
V. Die Relativierung der Vorrangfrage in der einheitlichen Rechtsordnung | 179 | ||
C. Der Staat im einheitlichen föderalen System der EU | 180 | ||
I. Souveränität | 182 | ||
1. Souveränität als formeller oder materieller Begriff? | 182 | ||
2. Die Souveränität nach innen und außen | 187 | ||
3. Der Träger der Souveränität im transnationalen Föderalismus | 188 | ||
II. Der klassische Staatsbegriff und der Mitgliedstaat der EU | 194 | ||
1. Staatszwecklehre – Staatsaufgabenlehre | 195 | ||
2. Die „überstaatliche Bedingtheit“ des Staates als Legitimitätsvoraussetzung | 200 | ||
D. Schlußbetrachtung | 201 | ||
Ergebnisse | 203 | ||
Literaturverzeichnis | 211 | ||
Sachregister | 230 |