Der Einsatz von Vomitivmitteln zur Beweissicherung im Strafverfahren
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Der Einsatz von Vomitivmitteln zur Beweissicherung im Strafverfahren
Zur Diskussion um die Zulässigkeit unter besonderer Berücksichtigung des Grundsatzes »nemo tenetur se ipsum accusare«
Schriften zum Prozessrecht, Vol. 192
(2005)
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Abstract
Auf den Einsatz von Brechmitteln, der als körperlich wirkender Eingriff zur beweismäßigen Sicherung von verschluckten Drogenpäckchen an den Anforderungen von § 81a StPO zu messen ist, wird insbesondere in Großstädten und Ballungsgebieten der Bundesrepublik als Mittel im Kampf gegen den Straßenhandel mit Betäubungsmitteln zurückgegriffen. Der Autor befasst sich mit der Zulässigkeit der Vergabe von Brechmitteln im strafprozessualen Ermittlungsverfahren.Ausgangspunkt der Diskussion ist eine Entscheidung des OLG Frankfurt a. M. aus dem Jahre 1996. Das OLG sah in der in Rede stehenden Maßnahme u. a. einen Verstoß gegen den verfassungsrechtlich verbürgten Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit. In zwei gegenläufigen Entscheidungen aus den Jahren 2000 und 2001 befand das Berliner Kammergericht die Brechmitteleinsätze dagegen für rechtlich unbedenklich. Die Analyse der Urteile beider Gerichte führt den Verfasser unter Berücksichtigung tatsächlicher Problemstellungen bei der Brechmittelvergabe zu einer vertieften Auseinandersetzung mit dem Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit im Strafverfahren und der von der herrschenden Meinung hierzu vertretenen Auffassung. Danach habe die Abgrenzung zulässiger von unzulässigen Zwangsmaßnahmen anhand der Frage zu erfolgen, ob dem Betroffenen ein passives Erdulden oder aber eine aktive Mitwirkung an der eigenen Überführung abverlangt wird.Obgleich berechtigte Zweifel an der Leistungsfähigkeit dieses Abgrenzungskriteriums bestehen, sind die Kritiker bislang einen überzeugenden alternativen Lösungsansatz schuldig geblieben. Hackethal kommt daher zu dem Ergebnis, dass die Frage der Zulässigkeit der Brechmitteleinsätze auf dem Boden der von der herrschenden Meinung vertretenen Auffassung zu beantworten und zu verneinen ist. Dabei erweist sich als maßgebend die Erwägung, dass bei der in letzter Konsequenz notwendig werdenden gewaltsamen Durchsetzung des Zwangsmittels gesundheitliche Nachteile für den Betroffenen nicht auszuschließen sind. Das aber verlangt § 81a StPO den Ermittlungsbehörden ab.
Table of Contents
Section Title | Page | Action | Price |
---|---|---|---|
Danksagung | 5 | ||
Inhaltsverzeichnis | 7 | ||
Einleitung | 11 | ||
Kapitel 1: Verfassungsrechtlicher Hintergrund | 14 | ||
I. Beweisgewinnung im verfassungsrechtlichen Spannungsfeld | 14 | ||
1. Körperliche Eingriffe als Mittel staatlicher Informationsbeschafüing | 16 | ||
2. Körperliche Integrität und „effektive" Strafverfolgung im Lichte der Verfassung | 17 | ||
a) Schutzbereich von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG | 17 | ||
b) Eingriffszweck „effektive" Strafverfolgung | 20 | ||
aa) Problemstellung | 20 | ||
bb) Die gesellschaftliche Bedeutung der Strafrechtspflege | 22 | ||
(1) Vom Zweck des Strafens und der Aufgabe des (materiellen) Strafrechts | 22 | ||
(2) Strafrecht und Rechtsstaatlichkeit | 24 | ||
(3) Erhaltung von Rechtsfrieden | 26 | ||
3. Kriterien der Verhältnismäßigkeitsabwägung | 28 | ||
4. Zusammenfassung und Würdigung | 30 | ||
5. Kompetenzerweiterungen als Reaktion auf eine gestiegene Gefährdungslage | 31 | ||
II. Weitere verfassungsrechtliche Probleme im Zusammenhang mit § 81a StPO | 34 | ||
1. Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot? | 35 | ||
2. Verstoß gegen die Unschuldsvermutung? | 37 | ||
III. Zur Entstehungsgeschichte der Norm | 38 | ||
Kapitel 2: Materielle Voraussetzungen | 41 | ||
I. Körperliche Eingriffe auf Grundlage von § 81a Abs. 1 S. 2 | 41 | ||
1. Anwendungsbereich von § 81a Abs. 1 S. 2 StPO | 41 | ||
a) Der persönliche Anwendungsbereich: Der Begriff des Beschuldigten | 42 | ||
aa) Die Ambivalenz des Beschuldigtenstatus | 42 | ||
bb) Beschuldigter und Tatverdacht | 44 | ||
cc) Kriterien der Verdachtsbegründung | 46 | ||
(1) Allgemeines | 47 | ||
(2) Definitionsbemühungen | 48 | ||
(3) Einflussfaktoren | 50 | ||
dd) Zusammenfassung | 52 | ||
b) Definition des körperlichen Eingriffs | 52 | ||
aa) Begriffskriterien | 53 | ||
bb) Fazit | 54 | ||
2. Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen | 55 | ||
a) Zuständigkeiten | 55 | ||
aa) Anordnung | 55 | ||
(1) Gesetzlicher Regelfall § 81 a Abs. 2 Hs. 1 StPO | 56 | ||
(2) Gesetzlicher Ausnahmefall § 81a Abs. 2 Hs. 2 StPO | 56 | ||
bb) Vollstreckung | 60 | ||
b) Beschränkung auf verfahrensbedeutsame Tatsachen | 61 | ||
aa) Durchsuchen nach Fremdkörpern | 61 | ||
(1) Verstoß gegen des Subjektstatus des Beschuldigten? | 61 | ||
(2) Feststellung contra Sicherstellung? | 64 | ||
bb) Verfahrenserheblichkeit | 65 | ||
c) Durchführung und Vollziehung des Eingriffs | 66 | ||
aa) Arztvorbehalt | 66 | ||
bb) Ausschluss von Gesundheitsnachteilen | 67 | ||
cc) Grenzen zwangsweiser Durchsetzung | 68 | ||
(1) Methoden unmittelbaren Zwangs | 69 | ||
(2) Beschränkung der Freiheit i.S.v. Art. 104 Abs. 1 GG? | 69 | ||
(3) Vorbereitende Unterbringung? | 71 | ||
3. (Normbereichsüberschreitende) Einwilligung, Freiwilligkeit und Belehrung | 72 | ||
II. Rechtsschutz | 77 | ||
1. Angriffe im Ermittlungsverfahren | 77 | ||
a) Richterliche Anordnung | 77 | ||
b) Nichtrichterliche Anordnung | 77 | ||
2. Revision | 78 | ||
a) Unverwertbarkeit von Ermittlungsergebnissen | 78 | ||
b) Unverwertbarkeit nach Eingriffen gemäß § 81 a StPO | 79 | ||
3. Probleme der Verteidigung | 82 | ||
Kapitel 3: Die Praxis der Brechmittelvergabe | 84 | ||
I. Arten und Wirkungsweise von Vomitivmitteln | 84 | ||
1. Sirup Ipecacuanha | 85 | ||
a) Herkunft und Wirkungsweise | 85 | ||
b) Anwendung, Nebenwirkungen, Risiken | 86 | ||
2. Apomorphin | 89 | ||
3. Alternative Methoden zum Nachweis inkorporierter Drogen | 91 | ||
4. Ergebnis: Medizinische Rahmenbedingungen | 94 | ||
II. Die Praxis in den Bundesländern | 95 | ||
1. Hamburg | 96 | ||
a) Allgemeines | 96 | ||
b) Konkretisierende Weisungen | 97 | ||
c) Vergabehäufigkeit und Ablauf | 98 | ||
2. Bremen | 101 | ||
3. Berlin | 104 | ||
4. Andere | 105 | ||
Kapitel 4: Zur Dogmatik der Brechmittelvergabe | 108 | ||
I. Die Brechmitteleinsätze in der obergerichtlichen Rechtsprechung | 108 | ||
1. OLG Frankfurt v. 11.10.1996 - lSs 28/96 | 109 | ||
2. Die gegenläufigen Entscheidungen des Kammergerichts | 111 | ||
a) Das Urteil vom 28.3.2000 | 113 | ||
b) Das Urteil vom 8.5.2001 | 115 | ||
II. Die Relevanz der Selbstbelastungsfreiheit | 117 | ||
1. „Nemo tenetur se ipsum accusare" | 119 | ||
a) Kerninhalt des Grundsatzes | 119 | ||
b) Herkunft des Grundsatzes | 121 | ||
c) Konsequenzen | 124 | ||
2. Das Verhältnis von nemo tenetur und Art. 1 GG | 125 | ||
a) Plausibilität der Schutzbereichsbestimmung von nemo tenetur auf Grundlage der Objektformel | 127 | ||
b) Ungeeignetheit des „objekttheoretischen" Argumentes fur nemo tentur | 129 | ||
III. Duldungspflichten des Beschuldigten - Der Meinungsstand zu den Brechmitteleinsätzen in der Literatur | 131 | ||
1. Erbrechen als Form der Selbstbelastung | 132 | ||
a) Äußeres Erscheinungsbild | 132 | ||
b) Einwände | 135 | ||
2. Die (Un-)Willkürlichkeit der Mitwirkung | 136 | ||
a) These | 136 | ||
b) Einwände | 137 | ||
3. Der Beschuldigte als Wissensträger und die Beschränkung auf vertretbare Handlungen | 140 | ||
4. Der Beschuldigte als Gegenstand des objektiven Personalbeweises | 141 | ||
5. Forderung nach Unberührtheit der Subjektstellung des Beschuldigten | 143 | ||
6. Zusammenfassung | 146 | ||
IV. Folgerungen | 147 | ||
1. Gefahren gewaltsamer Durchsetzung | 147 | ||
2. Das Recht des Beschuldigten, sich zu wehren | 148 | ||
3. Beschränkung der Duldungspflichten durch die „Gesundheitsklausel" des § 81a StPO | 150 | ||
a) Verbot der Verpflichtung zur Passivität bei der Brechmittel vergäbe | 151 | ||
b) Verbot der Verwertung verbotswidrig erlangter Drogenpäckchen | 153 | ||
V. Alternative Vorschläge einer Schutzbereichsbeschränkung von nemo tenetur | 156 | ||
1. Möglichkeiten der mittelbaren Durchsetzung von Mitwirkungs- bzw. „Stillhaltepflichten" | 156 | ||
a) Erlass eines Untersuchungshaftbefehls? | 157 | ||
b) Verwertbarkeit des prozessordnungswidrigen Verhaltens? | 158 | ||
2. Ausgewählte Konzepte einer Pflichtenerweiterung | 159 | ||
a) Der rechtsphilosophische Ansatz (Pawlik, Lesch) | 160 | ||
b) Schutz des Beschuldigten als Wissensträger in Kombination mit einem beschränkten Methodenverbot (Verrel) | 165 | ||
VI. Ergebnis | 167 | ||
Literaturverzeichnis | 169 | ||
Sachwortverzeichnis | 180 |