Die Strafbarkeit des Auschwitz-Leugnens
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Die Strafbarkeit des Auschwitz-Leugnens
Strafrechtliche Abhandlungen. Neue Folge, Vol. 129
(2000)
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Deutschland mehr als ein halbes Jahrhundert nach Hitler: Rechtsextremisten marschieren auf, Nazi-Symbole werden gezeigt, Parolen skandiert. Noch mehr erschrecken die Gewalt- und Haßausbrüche, die sich gegen Ausländer und andere Minderheiten richten. Da scheinen sich die Aktivitäten der Auschwitz-Leugner, die sich selbst "Revisionisten" nennen, bruchlos einzufügen. Hierzulande hat man mit § 130 Abs. 3 StGB reagiert. Der Bestrafung revisionistischer Äußerungen als Beleidigung wird die Bestrafung als Volksverhetzung zur Seite gestellt. Der Autor widmet sich der Frage, ob die Strafbarkeit des Auschwitz-Leugnens mit straf- und verfassungsrechtlichen Grundprinzipien vereinbar ist.Es wird erläutert, warum die Erkenntnisse der etablierten Zeitgeschichtsforschung der richtige Maßstab dafür sind, ob jemand im Bereich der Geschichte etwas leugnet. Der Stand der Zeitgeschichtsforschung zum Holocaust wird dargestellt, wobei der Schwerpunkt auf den umstrittenen Positionen liegt, den Streitpunkten. Thomas Wandres ergänzt die Erkenntnisse der Zeitgeschichtsforschung durch die Feststellungen, die bundesdeutsche Gerichte in den wenigen Strafverfahren gegen NS-Verbrecher getroffen haben. Der Autor liefert eine umfassende Darstellung des Auschwitz-Leugnens einschließlich der internationalen Verflechtung der "Szene". Danach lassen sich die Erscheinungsformen präzise abgrenzen, was eine praxisgerechte rechtliche Würdigung erleichtert. Eine Darstellung der Rechtslage in zwölf ausländischen Staaten schließt sich an.Die bloße Geschichtsrevision ist, was ausführlich begründet wird, keine Ehrverletzung. Auch hat sie mangels agitatorischen Gruppenbezugs nicht das Potential, eine Pogromstimmung hervorzurufen. Daher kommt Wandres zu dem Ergebnis, daß keine Bestrafung als Beleidigung oder Volksverhetzung in Frage kommt. Hingegen stellt sich die "Auschwitz-Lüge" - verstanden als Behauptung, "die Juden" hätten die Geschichte verfälscht oder profitierten davon ungerechtfertigt - regelmäßig als Sammelbeleidigung dar und erfüllt zugleich den Volksverhetzungstatbestand. Das gilt erst recht, wenn an die NS-Rassenlehre (wieder-)angeknüpft oder eine aktuelle Pogromstimmung geschürt wird.Dieses Konzept besteht die verfassungsrechtliche Prüfung. Auch hält es den Vorgaben der personalen Rechtsgutslehre stand, die im Gegenzug eine Bestätigung erfährt. Hingegen würde eine Bestrafung der bloßen Geschichtsrevision vor allem mit der Meinungsfreiheit über Kreuz geraten. Der Autor warnt davor, das Versagen der Strafjustiz bei der Ahndung der NS-Verbrechen durch blinden Eifer bei der Bestrafung der Auschwitz-Leugner wettzumachen, deren Umtriebe durch die Versäumnisse begünstigt wurden, wenn nicht sogar erst möglich geworden sind.
Table of Contents
Section Title | Page | Action | Price |
---|---|---|---|
Vorwort | 5 | ||
Inhaltsverzeichnis | 7 | ||
Abkürzungsverzeichnis | 14 | ||
Einleitung | 19 | ||
Erster Teil: Auschwitz-Leugnen als gesellschaftliches Phänomen | 21 | ||
A. Einführung | 21 | ||
I. Auschwitz und die Zeitgeschichtsforschung | 24 | ||
1. Historisierung des Nationalsozialismus | 25 | ||
2. Intentionalismus und Strukturalismus | 28 | ||
3. Externe Verantwortungszuschreibung | 32 | ||
4. Singularität des Holocaust | 35 | ||
5. Unsicherheit der Quellenlage | 39 | ||
6. Opferzahlen | 43 | ||
7. Auschwitz-Erklärungen | 46 | ||
II. Auschwitz und die bundesdeutsche Justiz | 50 | ||
III. Geschichte als Identifikationsfaktor | 54 | ||
1. „Bewältigung" der Vergangenheit | 55 | ||
2. Vergangenheitspolitik und Volkspädagogik | 62 | ||
IV. Auschwitz-Leugnen als internationales Phänomen | 66 | ||
B. Erscheinungsformen | 70 | ||
I. Eine kurze Geschichte des Auschwitz-Leugnens | 71 | ||
II. Systematisierung der Erscheinungsformen | 79 | ||
1. Bloßes Auschwitz-Leugnen | 80 | ||
a) Geschichtskritik oder Geschichtsklitterung? | 80 | ||
aa) Die Selbstetikettierung ernstgenommen | 81 | ||
bb) Klare Fälle | 82 | ||
cc) Weiteres Vorgehen | 83 | ||
b) Methoden des radikalen Revisionismus | 83 | ||
aa) Vom Detail aufs Ganze | 84 | ||
bb) Hochrechnen, Herunterrechnen, Aufrechnen | 85 | ||
cc) „Untaugliche", „fehlende" und „überlegene" Beweise | 86 | ||
dd) Pauschale Fälschungsvorwürfe | 90 | ||
c) Zusammenfassung und Systematisierung | 91 | ||
2. „Auschwitz-Lüge" | 93 | ||
3. Ableitung aktueller Konsequenzen aus dem radikal-revisionistischen Geschichtsbild | 94 | ||
a) Anknüpfen an die nationalsozialistische Rassenideologie | 94 | ||
b) Hervorrufen aktueller Pogromstimmung | 95 | ||
C. Terminologie | 96 | ||
I. Bisherige Bezeichnung der Erscheinungsformen | 96 | ||
1. „Einfache Auschwitz-Lüge" | 96 | ||
2. „Qualifizierte Auschwitz-Lüge" | 97 | ||
II. Neue Bezeichnung der Erscheinungsformen | 97 | ||
1. Bloße radikale Geschichtsrevision | 98 | ||
2. Radikale Geschichtsrevision als Instrument persönlichkeitsbezogener Angriffe | 98 | ||
3. Radikale Geschichtsrevision als Instrument schwerer Rechtsgutsgefährdungen | 98 | ||
Zweiter Teil: Bisherige strafrechtliche Erfassung des Auschwitz-Leugnens | 100 | ||
A. Einführung | 100 | ||
I. Beschränkung des Untersuchungsgegenstandes | 100 | ||
1. Beleidigungsunrecht | 102 | ||
a) Individualbeleidigung | 102 | ||
b) Beleidigung mehrerer | 103 | ||
aa) Kollektivbeleidigung | 103 | ||
bb) Sammelbeleidigung | 104 | ||
2. Volksverhetzungsunrecht | 104 | ||
3. Strafprozessuale Besonderheiten | 105 | ||
II. Gesetzgebungsgeschichte bis zum Verbrechensbekämpfungsgesetz 1994 | 105 | ||
1. 1960 - Der Volksverhetzungstatbestand entsteht | 106 | ||
2. 1985 - Das Antragsrecht der Beleidigungstatbestände wird modifiziert | 110 | ||
3. 1994 - Die Spezialvorschrift § 130 Abs. 3 StGB wird geschaffen | 113 | ||
B. Stand der strafrechtlichen Erfassung des Auschwitz-Leugnens | 123 | ||
I. Die Rechtslage vor dem Verbrechensbekämpfungsgesetz 1994 | 123 | ||
1. Rechtsprechung | 123 | ||
a) Beleidigung (§§ 185 ff. StGB) | 123 | ||
b) Volksverhetzung (§ 130 a.F. StGB) | 128 | ||
2. Literatur | 129 | ||
a) Beleidigung (§§ 185 ff. StGB) | 130 | ||
b) Volksverhetzung (§ 130 a.F. StGB) | 132 | ||
II. Das Verbrechensbekämpfungsgesetz 1994 | 134 | ||
1. Der Regelungsgehalt des neuen § 130 StGB | 134 | ||
2. Die Reaktion auf den neuen § 130 StGB | 139 | ||
C. Strafrechtliche Erfassung des Auschwitz-Leugnens im Ausland | 142 | ||
I. Die Rechtslage in ausgewählten Staaten | 142 | ||
1. Belgien | 143 | ||
2. Dänemark | 144 | ||
3. Frankreich | 145 | ||
4. Großbritannien | 148 | ||
5. Kanada | 149 | ||
6. Luxemburg | 150 | ||
7. Niederlande | 151 | ||
8. Österreich | 152 | ||
9. Schweden | 153 | ||
10. Schweiz | 154 | ||
11. Tschechien | 155 | ||
12. USA | 156 | ||
II. Unterschiede und Gemeinsamkeiten | 157 | ||
Dritter Teil: Neukonzeption der strafrechtlichen Erfassung des Auschwitz-Leugnens | 160 | ||
A. Die Rechtsgutslehre als „strafrechtliches Verfassungsrecht" | 161 | ||
I. Überblick über den Stand der Rechtsgutslehre | 163 | ||
II. Die personale Rechtsgutslehre als Maßstab „richtiger" Strafgesetze | 167 | ||
1. Individualrechtsgüter | 169 | ||
2. Universalrechtsgüter | 170 | ||
3. Sonderfälle | 172 | ||
III. Zusammenfassung und Stellungnahme | 174 | ||
B. Strafbarkeit des Auschwitz-Leugnens | 177 | ||
I. Beleidigung (§§ 185 ff. StGB) | 177 | ||
1. Geschütztes Rechtsgut | 177 | ||
a) Handlungs-und Verletzungsobjekt | 179 | ||
b) Inhaltsbestimmung | 180 | ||
aa) Schwerpunkt im Faktischen | 181 | ||
bb) Schwerpunkt im Normativen | 182 | ||
cc) Integration der beiden Aspekte des Ehrbegriffs | 184 | ||
2. Tatbestandsmäßige Handlung | 184 | ||
a) § 185 StGB (Beleidigung i.e.S.) | 186 | ||
aa) Bloße radikale Geschichtsrevision | 186 | ||
(1) Absprechen des Opferschicksals | 188 | ||
(2) Inzidenter Lügenvorwurf | 190 | ||
(3) Korrektur durch § 194 Abs. 1 StGB? | 191 | ||
(4) Nachgeborene als Beleidigungsopfer? | 192 | ||
(5) (Zwischen-)Ergebnis | 194 | ||
bb) Radikale Geschichtsrevision als Instrument persönlichkeitsbezogener Angriffe | 195 | ||
cc) Radikale Geschichtsrevision als Instrument schwerer Rechtsgutsgefährdungen | 196 | ||
b) §§ 186 f. StGB (Üble Nachrede, Verleumdung) | 196 | ||
aa) Historische Wahrheit | 198 | ||
bb) „Geschichtsfälschung" | 198 | ||
c) (Zwischen-)Ergebnis | 200 | ||
3. Beleidigung von Personenmehrheiten | 201 | ||
a) Kollektivbeleidigung | 202 | ||
b) Sammelbeleidigung | 203 | ||
aa) „Große" Gruppen | 204 | ||
bb) Gesellschaftliche Minderheiten | 204 | ||
4. Wahrnehmung berechtigter Interessen (§ 193 StGB) | 207 | ||
5. Strafantrag (§ 194 StGB) | 208 | ||
6. Ergebnis | 209 | ||
II. Volksverhetzung (§ 130 StGB) | 210 | ||
1. Geschütztes Rechtsgut | 211 | ||
a) Originäre statt abgeleitete Inhaltsbestimmung | 212 | ||
b) Öffentlicher Friede | 213 | ||
aa) Gesellschaftsorientierter Friedensbegriff | 214 | ||
bb) Gefahrorientierter Friedensbegriff | 216 | ||
(1) Hypothetischer Polizeibeamter | 218 | ||
(2) Doppelter Gefahrbegriff | 221 | ||
c) Andere Rechtsgüter | 222 | ||
d) Vorverlegung von Rechtsgüterschutz | 224 | ||
aa) Konkretes Gefährdungsdelikt | 224 | ||
bb) Abstraktes Gefährdungsdelikt | 225 | ||
2. Tatbestandsmäßige Handlung | 228 | ||
a) § 130 Abs. 3 StGB | 228 | ||
aa) Abstrakter Gefährdungstatbestand | 229 | ||
(1) Gesetzeswortlaut: „Leugnen" oder „Verharmlosen" nationalsozialistischer Völkermordhandlungen | 229 | ||
(2) Einschränkende Auslegung bereits des Gefährdungstatbestandes | 231 | ||
(3) Gesetzessystematik | 233 | ||
(4) Genetische und historische Aspekte | 234 | ||
(5) Teleologische Aspekte | 235 | ||
(6) Korrektur durch weitergehende Ziele des Gesetzgebers? | 237 | ||
(a) Sonderfall der Sammelbeleidigung | 238 | ||
(b) Schutz der historischen Wahrheit | 239 | ||
(c) Tabuschutz | 242 | ||
(d) Resümee | 244 | ||
(7) Reichweite der Tatbestandsalternative „Verharmlosen" | 245 | ||
(8) (Zwischen-)Ergebnis | 246 | ||
bb) Geeignetheit zur Friedensstörung | 247 | ||
(1) Erscheinungsformen 2 und 3 | 249 | ||
(2) Erscheinungsform 1 | 251 | ||
(a) Totalleugnung des Holocaust | 251 | ||
(b) Leugnung der Gaskammertötungen | 253 | ||
(3) (Zwischen-)Ergebnis | 255 | ||
b) § 130 Abs. 1 StGB | 256 | ||
aa) Erscheinungsformen 1 und 3 | 256 | ||
bb) Erscheinungsform 2 | 257 | ||
cc) (Zwischen-)Ergebnis | 259 | ||
3. Besonderheiten des Verbreitens von Schriften | 260 | ||
4. Anwendung des § 86 Abs. 3 StGB | 262 | ||
a) Mündliche Äußerungen und identifizierende schriftliche Darlegungen | 262 | ||
b) Verbreiten von Schriften etc. | 263 | ||
c) Resümee | 263 | ||
III. Sonderproblem: Der Überzeugungstäter | 264 | ||
1. Maßgeblicher Personenkreis | 265 | ||
2. Juristische Konsequenzen | 266 | ||
a) Tatbestands-, Rechtfertigungs- oder Schuldlösung | 266 | ||
b) Strafzumessung | 268 | ||
IV. Zusammenfassung und Konkurrenzen | 269 | ||
C. Strafprozeß: Allgemeinkundigkeit des Holocaust | 270 | ||
Vierter Teil: Verfassungsmäßigkeit des Strafrechts gegen das Auschwitz-Leugnen | 275 | ||
A. Bestimmtheitsgebot, Art. 103 Abs. 2 GG | 275 | ||
B. Meinungsfreiheit, Art 5 Abs. 1 GG | 276 | ||
I. Schutzbereichsbestimmung | 277 | ||
1. Werturteile | 277 | ||
2. Tatsachenbehauptungen | 278 | ||
a) Grundsatz der Nichteinbeziehung bewußt oder erwiesen unwahrer Tatsachenbehauptungen | 278 | ||
b) Historische „Tatsachen"-Behauptungen | 280 | ||
3. Resümee | 284 | ||
II. Eingriff | 285 | ||
III. Schranken | 286 | ||
1. Art. 5 Abs. 2 GG | 286 | ||
a) „Allgemeine Gesetze" | 287 | ||
aa) Überblick | 287 | ||
(1) Formale Kriterien | 287 | ||
(2) Materiale Kriterien | 288 | ||
(3) Kombination von formalen und materialen Kriterien | 289 | ||
bb) Eigene Lösung | 290 | ||
cc) Resümee | 292 | ||
(1) Hier vertretene Lösung (Strafbarkeit der Erscheinungsformen 2 u. 3) | 292 | ||
(2) Abzulehnende erweiterte Auslegung (Strafbarkeit der Erscheinungsform 1) | 293 | ||
b) Recht der persönlichen Ehre | 294 | ||
aa) Hier vertretene Lösung (Strafbarkeit der Erscheinungsformen 2 u. 3) | 294 | ||
bb) Abzulehnende erweiterte Auslegung (Strafbarkeit der Erscheinungsform 1) | 294 | ||
(1) Übliche Schrankenanwendung | 294 | ||
(2) Spezifisch verfassungsrechtlicher Ehrbegriff? | 295 | ||
2. Verfassungsimmanente Schranken | 296 | ||
a) Staatssymbol „Auschwitz" | 297 | ||
b) „Wehrhafte Demokratie" | 298 | ||
c) Resümee | 300 | ||
C. Wissenschaftsfreiheit, Art. 5 Abs. 3 GG | 300 | ||
I. Schutzbereich und Eingriff | 300 | ||
II. Resümee | 302 | ||
D. Ergebnis der verfassungsrechtlichen Betrachtung | 303 | ||
Zusammenfassung und Ausblick | 304 | ||
Literaturverzeichnis | 308 | ||
Sachwortregister | 332 |