Die Macht der Perzeptionen und Perzeptionen von Mächten
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Die Macht der Perzeptionen und Perzeptionen von Mächten
Beiträge zur Politischen Wissenschaft, Vol. 118
(2000)
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Trotz zahlreicher Studien zur wilhelminischen Außenpolitik und zur Julikrise 1914 bleibt die Frage, welchen konkreten Einfluß »kriegerische« Mentalitäten und nationalistische Wertevorstellungen auf den Weltkriegsausbruch hatten. Die Ausblendung oder Ignorierung dieses »kulturellen« Aspektes unter dem Schlagwort »Manipulationsideologie« führt dazu, den deutschen Anteil am Weltkriegsausbruch lediglich mit »Strukturmerkmalen« zu erklären. Machten aber »Mittellage«, zunehmende machtpolitische Schwächung des Dreibundes oder der »Widerspruch« einer industriellen Gesellschaft mit der politischen Dominanz von traditionellen Eliten (Junkern) den Krieg wirklich notwendig? Diese Studie wendet sich gegen einen solchen »Struktur-Determinismus« und hebt stärker hervor, wie die Realität von den außenpolitischen Akteuren perzipiert wurde, ein Ansatz, der in der Disziplin der Internationalen Beziehungen schon länger verfochten wird und durch diese Fallstudie empirische Bestätigung findet. Nicht allein »objektive Zwänge« verleiteten in dieser Perspektive die deutschen Verantwortlichen zu einem riskanten und fast schon verzweifelten Pokerspiel in der Julikrise, sondern vor allem ihre völkisch-darwinistische Fehlinterpretation der »objektiven Strukturen«. Diese »Weltanschauung« verstellte ihnen einen angemesseneren Blick auf die innen- und außenpolitische Realität und nährte vor allem subjektive Bedrohungskomplexe, die ihrerseits zu einem objektiven Faktor der deutschen Kriegsbereitschaft wurden. Rußland wurde so als unversöhnlich feindliche Macht angesehen und diese Feindschaft wurde hauptsächlich auf den »elementaren« und »rassischen« Gegensatz von Slawen und Germanen zurückgeführt. Auch andere völkische Axiome wie der Glaubenssatz von der unbedingten »germanischen« Solidarität zur Donaumonarchie oder die Befürchtung eines »eisernen Slawenring« verstärkten das perzeptuelle Sicherheitsdilemma. Schlimmer noch: Rußland wurde nicht nur als unerbittlich feindliche, sondern auch als extrem dynamische Macht angesehen. Dieses Urteil über Rußlands unaufhaltsamen Machtanstieg speiste sich aus der Überschätzung »quantitativer« Faktoren. Der Kanzler, ein Bewunderer Darwins, machte aus dem demographischen Wachstum ein entscheidendes Kriterium für die Vitalität einer Nation getreu dem Motto: »Die Fähigen vermehren sich am meisten«. Die deutschen Verantwortlichen nahmen die internationale Politik - wie ein großer Teil der deutschen gar der europäischen Bevölkerung auch - durch die verzerrende Linse eines »rassisch« gefärbten Darwinismus wahr, und es waren in letzter Instanz diese Perzeptionen und nicht irgendwelche anonymen Strukturen, die den Weltkriegsausbruch ermöglichten.
Table of Contents
Section Title | Page | Action | Price |
---|---|---|---|
Geleitwort | 5 | ||
Vorwort | 9 | ||
Inhaltsverzeichnis | 11 | ||
Einleitung | 15 | ||
A. Der völkische und darwinistische Nationalismus | 31 | ||
I. Kontext und Definition des völkisch-darwinistischen Nationalismus | 31 | ||
1. Der deutsche und europäische Kontext | 31 | ||
a) Der europäische Kontext: die Modernität | 31 | ||
b) Der deutsche Kontext: die Machtvermehrung | 42 | ||
2. Definition des völkischen Nationalismus | 45 | ||
a) Die Definition des völkischen Darwinismus | 47 | ||
b) Der völkische Darwinismus der Doktrinäre | 48 | ||
aa) Paul de Lagarde | 48 | ||
bb) Ernst Hasse | 50 | ||
cc) Heinrich Class | 52 | ||
dd) Die Alldeutschen Blätter | 53 | ||
ee) Friedrich von Bernhardi | 55 | ||
II. Völkisch-darwinistische Kriegslehren und außenpolitische Wahrnehmungen | 57 | ||
1. Der Krieg als Integrationsfaktor | 57 | ||
a) Die Enttäuschung der völkischen Denker über die deutsche Einheit | 57 | ||
b) Die Quellen nationaler Unzufriedenheit | 59 | ||
c) Der Krieg als Katharsis nationaler „Fehlentwicklungen“ | 63 | ||
d) Die Alldeutschen: Hasse, Class | 65 | ||
e) Bernhardi | 68 | ||
2. Der Krieg als Auslese | 69 | ||
a) Lagarde | 69 | ||
b) Hasse | 70 | ||
c) Class | 71 | ||
d) Alldeutsche Blätter | 72 | ||
e) Bernhardi | 73 | ||
3. Präventiv- und Rassenkrieg | 74 | ||
a) Paul de Lagarde | 74 | ||
b) Ernst Hasse | 78 | ||
c) Heinrich Class | 81 | ||
d) Die Alldeutschen Blätter | 86 | ||
e) Friedrich von Bernhardi | 92 | ||
4. Eroberungskrieg und Angst vor dem Niedergang | 95 | ||
a) Paul de Lagarde | 95 | ||
b) Ernst Hasse | 99 | ||
c) Heinrich Class | 102 | ||
d) Die Alldeutschen Blätter | 105 | ||
e) Friedrich von Bernhardi | 108 | ||
III. Die Vulgarisierung des völkischen Nationalismus in der wilhelminischen Presse | 111 | ||
1. Der Krieg als Integrationsmittel und Katharsis | 111 | ||
2. Der Krieg als Auslese | 118 | ||
3. Die Unvermeidbarkeit des Krieges und völkisch-darwinistische Feindbilder | 120 | ||
4. Der völkisch-darwinistische Imperialismus und die Unvermeidbarkeit des Krieges | 127 | ||
B. Der völkische Darwinismus und die Julikrise | 136 | ||
I. Die deutsche Verantwortung am Weltkriegsausbruch | 140 | ||
1. Die kurzfristigen Zielsetzungen | 141 | ||
a) Die Option der Lokalisierung | 141 | ||
b) Die Option des Kontinentalkrieges | 147 | ||
2. Die Politik des „brinkmanship“ der deutschen Verantwortlichen | 149 | ||
3. Die Beurteilung der möglichen Folgen eines Weltkrieges | 155 | ||
II. Der Krieg als Auslese- und Integrationsmittel | 159 | ||
1. Die Hoffnung auf deutsche Einigkeit | 159 | ||
a) Die Konflikte des Kanzlers mit den Konservativen | 160 | ||
b) Bethmann und seine anfängliche Angst vor „inneren Umwälzungen“ | 163 | ||
c) Bethmann und seine Hoffnung, den Widerstand der Konservativen durch einen Krieg zu überwinden | 163 | ||
d) Bethmann und seine zweideutige Einstellung gegenüber der wilhelminischen Monarchie | 164 | ||
e) Bethmann und seine Bewertung des Verhaltens der Sozialdemokratie im Kriegsfalle | 165 | ||
f) Die Versöhnung der Klassenantagonismen | 169 | ||
g) Die Prekarität der Kanzlerstellung | 171 | ||
h) Die Überwindung regionaler, parteilicher und religiöser Spannungen | 173 | ||
i) Das kulturelle Unbehagen | 175 | ||
2. Bethmanns darwinistischer Kriegsfatalismus | 183 | ||
a) Bethmann und sein darwinistischer Fatalismus vor 1914 | 183 | ||
b) Die Julikrise und der darwinistische Kriegsfatalismus | 186 | ||
c) Kurt Riezler als Vordenker des Kriegsfatalismus vom Juli 1914 | 189 | ||
d) Der kriegerische Fatalismus der anderen europäischen Mächte | 194 | ||
e) Der Fatalismus als Quelle internationaler Konflikte | 196 | ||
III. Völkische Ideologie und verfehlte Bedrohungsperzeptionen | 199 | ||
1. Das „slawische“ Rußland wird Deutschland naturnotwendig angreifen | 199 | ||
a) Der germanisch-slawische Antagonismus und die Julikrise | 201 | ||
aa) Bethmann Hollweg | 201 | ||
bb) Jagow | 205 | ||
cc) Wilhelm II. | 206 | ||
b) Der germanisch-slawische Antagonismus vor der Julikrise | 210 | ||
aa) Wilhelm II. | 210 | ||
bb) Bethmann | 217 | ||
cc) Jagow | 221 | ||
2. Die ethnischen Fehlperzeptionen der Machtverhältnisse | 224 | ||
a) Die Angst vor der slawischen Einkreisung | 225 | ||
b) Die „Dekadenz“ des österreichischen Verbündeten und das „Völkerchaos“ | 227 | ||
3. Die russische Bedrohung und das Dogma vom „Lebensraum“ | 231 | ||
a) Die Theorie des Lebensraums | 231 | ||
b) Die aus der Lebensraumdoktrin hervorgehenden Bedrohungsperzeptionen | 233 | ||
c) Bethmann Hollweg und das „russische Wachstum“ | 234 | ||
d) Die russische Aggressivität und der „demographische Druck“ | 235 | ||
e) Die Überschätzung quantitativer Faktoren | 237 | ||
f) Die malthusianisch-darwinistische Doktrin und die Überschätzung des Raumes | 240 | ||
g) Die „darwinistische“ Überschätzung des demographischen Faktors | 247 | ||
h) Die Fehlbewertungen der Machtverhältnisse als Quelle internationaler Konflikte | 250 | ||
IV. Von der Notwendigkeit zu „wachsen“, um nicht unterzugehen | 252 | ||
1. Andere mit dem „Wachstumscredo“ verwandte Ideologien („Marxismus“, „Kapitalismus“, „Nationalismen“) | 253 | ||
2. Die Spezifizität des „darwinistischen“ Wachstumscredos im Vergleich zum klassischen Imperialismus | 258 | ||
3. Die Julikrise und die Befürchtung nicht zu „wachsen“ | 259 | ||
4. Die Vorstellung von der Notwendigkeit zu „wachsen“ in den Vorkriegsjahren | 264 | ||
5. Riezler und die Weltherrschaft | 268 | ||
6. Wilhelm II., der „darwinistische Mahanismus“ und die deutsche Weltherrschaft | 275 | ||
Schlußbemerkung | 282 | ||
Literaturverzeichnis | 309 |