Tatsachenaussagen und Werturteile im Strafrecht
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Tatsachenaussagen und Werturteile im Strafrecht
entwickelt am Beispiel des Betruges und der Beleidigung
Schriften zum Strafrecht, Vol. 116
(1998)
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Abstract
Die Abgrenzung von Tatsachenaussagen und Werturteilen ist ein Grundlagenproblem der Rechtswissenschaft. Gleichzeitig hängen davon außerordentlich wichtige praktische Fragen ab, man denke etwa an die presserechtlichen Gegendarstellungsansprüche oder Schadensersatzansprüche wegen "Anschwärzung" im Geschäftsverkehr. Im Strafrecht taucht das Abgrenzungsproblem insbesondere bei § 263 StGB und bei den §§ 186, 187 StGB auf, im Bürgerlichen Recht wird es etwa im Rahmen von § 123 BGB und § 824 BGB und im öffentlichen Recht vor allem bei der Auslegung von Artikel 5 Abs. 1 GG relevant. Auch für die Rechtstheorie und Rechtsphilosophie ist die Abgrenzung zwischen Tatsachenaussagen und Werturteilen von großer Bedeutung. Umso bemerkenswerter ist die Tatsache, daß bis heute keine umfassende monographische Aufarbeitung des Themas existiert. Hilgendorfs Arbeit soll diese Lücke schließen.Ausgehend von der in der Rechtsdogmatik herrschenden Definition des Ausdrucks "Tatsache" und einer eingehenden Analyse der Rechtsprechung wird eine verbesserte Definition von "Tatsachenaussage" erarbeitet. Tatsachenaussagen sind danach Aussagen, die grundsätzlich sinnlich (empirisch) prüfbar sind. Folgt man dem, so sind etwa Prognosen, entgegen der bislang ganz h. M., Tatsachenaussagen. Dagegen sind Werturteile persönliche Stellungnahmen, in denen ein Sachverhalt positiv oder negativ ausgezeichnet wird. Sie dienen dazu, Lob oder Tadel auszusprechen und sind deshalb, im Gegensatz zu den Tatsachenaussagen, nicht empirisch prüfbar. Es ist daher fehlerhaft, unsichere Tatsachenaussagen als Werturteile zu bezeichnen, wie dies ganz überwiegend vertreten wird, denn die Unsicherheit von Aussagen impliziert keineswegs ohne weiteres einen wertenden Gehalt. Auch Rechtsbehauptungen, also Behauptungen über eine bestimmte Rechtslage, sind keine Werturteile.Hilgendorf schlägt vor, $ainnerhalb der Tatsachenaussagen$z zwischen einfachen Tatsachen$aaussagen$z und mit gesteigertem Geltungsanspruch auftretenden Tatsachenbehauptungen zu unterscheiden. Tatsachen$abehauptungen$z zeichnen sich dadurch aus, daß ihr Urheber für ihre Zuverlässigkeit in gewissem Grade bürgt. Nur sie sind betrugsrelevant. Wie der Autor darlegt, hat sich die Rechtsprechung seit jeher an dieser Unterscheidung orientiert, die relevanten Weichenstellungen jedoch durch eine ungeeignete Begrifflichkeit verdunkelt. Abschließend stellt Hilgendorf die These auf, daß sich die Unterscheidung von einfachen Tatsachenaussagen und Tatsachenbehauptungen nicht nur im Strafrecht, sondern in der gesamten Rechtsordnung fruchtbar anwenden läßt.
Table of Contents
Section Title | Page | Action | Price |
---|---|---|---|
Vorwort | 5 | ||
Inhaltsverzeichnis | 7 | ||
Kapitel 1: Einleitung | 13 | ||
I. Die Abgrenzung von Tatsachenaussagen und Werturteilen als Thema der Strafrechtsdogmatik | 13 | ||
II. Gliederung der Arbeit | 14 | ||
III. Tatsachenaussagen und Werturteile als zwei Grundformen der Sprache | 20 | ||
Teil 1: Die überkommenen Abgrenzungsvorschläge | 24 | ||
Kapitel 2: Die Herausbildung des Erfordernisses einer „Täuschung über Tatsachen“ im Betrugsstrafrecht | 24 | ||
I. Betrugsbegriff und Industrielle Revolution | 24 | ||
II. Die Diskussion über die Schaffung eines allgemeinen Betrugstatbestandes | 26 | ||
III. Insbesondere: der Tatsachenbegriff | 29 | ||
IV. Die Entwicklung von Gesetzgebung und Dogmatik im 19. Jahrhundert | 32 | ||
V. Zusammenfassung | 36 | ||
Kapitel 3: Die Herausbildung des Merkmals „ Tatsache“ im Tatbestand der Verleumdung | 37 | ||
I. Die Entwicklung bis zum Ende des 18. Jahrhunderts | 37 | ||
II. Die Herausbildung der Unterscheidung zwischen Beleidigung und Verleumdung | 39 | ||
III. Das Preußische Strafgesetzbuch von 1851 | 42 | ||
IV. Zusammenfassung | 42 | ||
Kapitel 4: Exkurs: „ Tatsachen“ und „Urteile“, „Sein“ und „Sollen“. Einige Anmerkungen zu den geistesgeschichtlichen Hintergründen der Unterscheidung von Tatsachenaussagen und Werturteilen | 43 | ||
I. „Über das Wörtlein ‚Tatsache‘“ | 43 | ||
II. Anmerkungen zur Begriffsgeschichte von „Urteil“ | 47 | ||
III. Die Unterscheidung von „Sein“ und „Sollen“ | 49 | ||
IV. Zusammenfassung | 54 | ||
Kapitel 5: Der Begriff der Tatsachenbehauptung in Rechtsprechung und Lehre seit 1871 | 55 | ||
I. Der Begriff der Tatsachenbehauptung in der Rechtsprechung | 55 | ||
1. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts | 55 | ||
2. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes und der Oberlandesgerichte | 58 | ||
II. Die Diskussion in der Lehre bis zur Jahrhundertwende | 61 | ||
III. Der Meinungsstand nach 1900 | 65 | ||
IV. Konkludente Tatsachenbehauptungen und Tatsachenbehauptungen durch Unterlassen | 66 | ||
1. Die konkludente Täuschung | 66 | ||
2. Täuschung durch Unterlassen | 68 | ||
V. Zusammenfassung | 71 | ||
Kapitel 6: Der Tatsachenbegriff im Zivilrecht, im Öffentlichen Recht und im Recht des Strafprozesses – ein Überblick | 72 | ||
I. Der Tatsachenbegriff im Zivilrecht | 72 | ||
1. Der Tatbestand der Kreditgefährdung, § 824 BGB | 72 | ||
2. Der Tatbestand der Anfechtung wegen Täuschung oder Drohung, § 123 BGB | 75 | ||
3. Bedingungen als Tatsachenaussagen? | 76 | ||
4. Der Begriff „Tatsache“ nach dem UWG | 77 | ||
II. Der Tatsachenbegriff im Öffentlichen Recht | 79 | ||
III. Die Abgrenzung von Tatsachenaussagen und Werturteilen im Strafprozeßrecht | 83 | ||
1. „Neue Tatsachen“ i. S. v. § 359 Nr. 5 StPO | 83 | ||
2. Die Abgrenzung von Rechts- und Tatfrage | 85 | ||
Kapitel 7: Die Abgrenzung von Tatsachenaussagen und Meinungsäußerungen im Medienrecht | 88 | ||
I. Einleitung | 88 | ||
II. Die Übernahme der strafrechtlichen Rechtsprechung | 89 | ||
III. Sachverhaltsprinzip versus Bewertungsprinzip | 90 | ||
1. Grundlagen der Unterscheidung | 90 | ||
2. Offene Fragen | 93 | ||
IV. Tatsachenmitteilungen und Tatsachenbehauptungen | 95 | ||
V. Exakte Begriffsbestimmung versus „funktionale Sicht“ | 99 | ||
VI. Ein Dreistufenmodell zur Abgrenzung von Tatsachenaussagen und Werturteilen | 100 | ||
VII. Zusammenfassung | 102 | ||
Kapitel 8: Tatsachenbegriff und Opfermitverantwortung | 103 | ||
I. Die Thesen Nauckes | 103 | ||
II. Opfermitverantwortung und Täuschungshandlung – einige neuere Vorschläge | 106 | ||
1. Die Kritik an der herrschenden Meinung | 106 | ||
2. Der Topos der Opfermitverantwortung als Instrument der dogmatischen Feinsteuerung | 107 | ||
3. Die „Täuschungslösung“ Ellmers | 108 | ||
III. Der Topos „Opfermitverantwortung“ und der Begriff der Tatsachenbehauptung | 110 | ||
IV. Zusammenfassung der Kapitel 2–8 | 111 | ||
Teil 2: Ein neuer Abgrenzungsvorschlag | 113 | ||
Kapitel 9: Tatsachen und Tatsachenaussagen im Strafrecht | 113 | ||
I. Begriffliche Vorfragen | 113 | ||
II. Juristischer und philosophischer Tatsachenbegriff | 114 | ||
III. Die einzelnen Elemente des juristischen Sprachgebrauchs | 116 | ||
1. Vorgänge oder Zustände | 116 | ||
2. Die „Konkretheit“ des behaupteten Vorganges oder Zustandes | 118 | ||
3. Die Wirklichkeit des behaupteten Vorganges oder Zustandes | 120 | ||
4. Die sinnliche Wahrnehmbarkeit | 122 | ||
5. Die Beweisbarkeit | 123 | ||
6. Tatsache oder Tatsachenaussage? | 126 | ||
Kapitel 10: Das Problem der inneren Tatsachen | 128 | ||
I. Der Meinungsstand | 128 | ||
II. Probleme der herrschenden Meinung | 128 | ||
III. Lösungsmöglichkeiten | 130 | ||
1. Der Lösungsvorschlag Seiers | 130 | ||
2. Die Verständigung über Fremdseelisches | 132 | ||
3. Die Seinsweise von Fremdseelischem | 135 | ||
IV. Die Thesen Hruschkas zur Beweisbarkeit des Vorsatzes | 136 | ||
1. Das Wissens- und das Wollenselement des Vorsatzes | 137 | ||
2. Dolus ex re und praesumtio doli | 138 | ||
V. Parasitäre Tatsachenaussagen | 141 | ||
VI. Zusammenfassung | 142 | ||
Kapitel 11: Prognosen und prognostizierte Tatsachen | 143 | ||
I. Der Meinungsstand | 143 | ||
II. Probleme der herrschenden Meinung | 144 | ||
III. Eigener Lösungsvorschlag | 147 | ||
Kapitel 12: Die grammatikalische Form von Tatsachenaussagen | 150 | ||
I. Fragen als Tatsachenaussagen? | 150 | ||
1. Der Begründungsansatz des Bundesverfassungsgerichts | 150 | ||
2. Eigener Lösungsvorschlag | 152 | ||
II. Verdeckte Tatsachenaussagen | 155 | ||
1. Tatsachenaussagen und grammatikalische Form | 155 | ||
2. Nichtverbale Tatsachenaussagen | 156 | ||
III. Zusammenfassung | 159 | ||
Kapitel 13: Die Analyse von Werturteilen | 160 | ||
I. Phänomenologie von Werturteilen | 160 | ||
II. Die Interpretation von Werturteilen | 162 | ||
1. Der Wertobjektivismus | 162 | ||
2. Der radikale Wertsubjektivismus | 166 | ||
III. Die Wertanalyse Victor Krafts | 169 | ||
IV. Zusammenfassung | 172 | ||
Kapitel 14: Wertbegriffe und Werturteile im Strafrecht | 173 | ||
I. Begriffsbestimmungen | 173 | ||
1. Werten, Entscheiden und Schätzen | 173 | ||
2. Insbesondere: normative und deskriptive Merkmale | 176 | ||
II. Tatsachenaussagen und Werturteile in der juristischen Praxis | 179 | ||
1. Typische Abgrenzungsprobleme | 179 | ||
2. Insbesondere: das Problem des Abgrenzungshorizontes | 183 | ||
Kapitel 15: Meinungsäußerungen | 185 | ||
I. Die Kategorie „Meinungsäußerung“ in der Strafrechtsdogmatik | 185 | ||
II. „Meinungsäußerungen“ als Äußerungen mit vermindertem Geltungsanspruch | 188 | ||
1. Meinungsäußerungen im Beleidigungsstrafrecht | 188 | ||
2. Meinungsäußerungen im Betrugsstrafrecht | 192 | ||
3. Sachverständigengutachten und medizinische Diagnosen | 197 | ||
III. Die Maßfigur des „Durchschnittsbürgers“ und das Problem der besonderen Schutzbedürftigkeit bestimmter Personenkreise | 199 | ||
IV. Zusammenfassung | 203 | ||
Kapitel 16: Die Qualifizierung von Rechtsbehauptungen | 205 | ||
I. Diskussionsstand | 205 | ||
II. Der Leitfall: BGH JR 1958, 106 | 205 | ||
III. Rechtsbehauptungen als Tatsachenaussagen | 208 | ||
1. Rechtsbehauptungen als Behauptungen über eine bestimmte Rechtslage | 208 | ||
2. Einwände | 211 | ||
3. Sonderfälle | 215 | ||
4. Zwei Fälle aus der Praxis | 217 | ||
IV. Der Geltungsanspruch von Rechtsbehauptungen | 219 | ||
1. Rechtsbehauptungen mit deutlichem Autoritätsgefälle | 219 | ||
2. Rechtsbehauptungen gegenüber Juristen | 221 | ||
3. Rechtsbehauptungen zwischen Laien | 222 | ||
V. Zusammenfassung | 222 | ||
Kapitel 17: Der Wahrheitsbeweis im Beleidigungsrecht | 224 | ||
I. Der Wahrheitsbeweis bei Tatsachenaussagen | 225 | ||
1. Die Voraussetzungen des Wahrheitsbeweises | 225 | ||
2. Wahrheitsbeweis trotz vollständiger Nichtidentität? | 226 | ||
II. Wahrheitsbeweis bei Werturteilen? | 228 | ||
III. Zusammenfassung | 230 | ||
Kapitel 18: Die Einheitlichkeit des Begriffs „Tatsachenbehauptung“ | 231 | ||
I. Das Postulat der „Einheit der Rechtsordnung“ | 231 | ||
II. Argumente für eine bereichsspezifische Terminologie | 234 | ||
1. Die Funktionalität der Begriffe „Tatsache“ und „Tatsachenbehauptung“ | 234 | ||
2. Normzweck und der Begriff der Tatsachenbehauptung in den verschiedenen Rechtsgebieten | 235 | ||
III. Zusammenfassung und Ausblick | 237 | ||
Literaturverzeichnis | 239 | ||
Sachwortverzeichnis | 267 |