Lebensschutz am Lebensende
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Lebensschutz am Lebensende
Das Grundrecht auf Leben und die Hirntodkonzeption. Zugleich ein Beitrag zur Autonomie rechtlicher Begriffsbildung
Schriften zum Öffentlichen Recht, Vol. 795
(1999)
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Abstract
Der Streit um die Tragfähigkeit der sogenannten Hirntodkonzeption, der in der Behauptung "Der Hirntod ist der Tod des Menschen" kulminierte, hat die Entstehung des Transplantationsgesetzes (TPG) stark beeinflußt. Auch nach Erlaß des TPG, das den hirntoten Menschen der Leiche gleichstellt, verstummen die Einwände gegen die von Medizin, Arzt- und Strafrechtslehre seit etwa dreißig Jahren favorisierte Hirntodkonzeption nicht. Mit den normativen Vorgaben des Lebensgrundrechts (Art. 2 II 1 GG) ist die Hirntodkonzeption unvereinbar. Sie widerspricht dem "offenen Menschenbild des Grundgesetzes", das die Reduktion menschlichen Lebens auf Kognitivität (Geistigkeitstheorie) oder Zerebralität (biologisch-zerebrale Theorie) verbietet. Dem trägt ein reformulierter Todesbegriff Rechnung. Die Gleichsetzung von Tod und Hirntod im TPG ist danach verfassungswidrig. Sie ist auch für das (Arzt-)Strafrecht abzulehnen. Dies gebietet die aus Art. 2 II 1 GG folgende grundrechtliche Schutzpflicht. Die Entnahme lebenswichtiger Organe bleibt gleichwohl möglich, wenn auch nur unter den strengen Voraussetzungen einer (grundrechtlich geschützten) Vorausverfügung über das Lebensende. Diese Erwägung ist für die grundrechtliche Bewertung anderer Problemlagen am Ende menschlichen Lebens folgenreich.
Table of Contents
Section Title | Page | Action | Price |
---|---|---|---|
Vorwort | 5 | ||
Inhaltsverzeichnis | 7 | ||
1. Kapitel: Thema und Gang der Untersuchung | 13 | ||
A. Was ist der Tod? Ein grundrechtliches Thema im strafrechtlichen Gewand | 13 | ||
B. Aktuelle Problematisierung der Hirntodkonzeption | 20 | ||
I. Die Hirntodkonzeption | 20 | ||
II. Zunehmende Kritik an der Hirntodkonzeption | 23 | ||
C. Die dogmatische Diskussion als Deutungskampf | 25 | ||
D. Die Rechtswissenschaft als „eigentliche Rechtsquelle" des rechtlichen Todesbegriffs | 29 | ||
E. Die Frage nach Leben und Tod als Problem des geltenden Rechts | 32 | ||
F. Eine Untersuchung auf der Grenze – Zur einheitsstiftenden Kraft eines integrativen öffentlichrechtlichen Zugriffs | 34 | ||
I. Das Strafrecht als Grenze ärztlicher Handlungsfreiheit | 35 | ||
II. Das Recht als Grenze der Ethik: Autonomie rechtlicher Begriffsbildung | 36 | ||
III. Auf der Grenze von Grund- und Strafrechtslehre: Arzt(straf)recht als juristisch-interdisziplinäres Unternehmen | 46 | ||
IV. Interpretatorische Grenzverschiebungen als Normalfall juristischer Textbearbeitung | 48 | ||
V. Auf der Grenze von Rechtsdogmatik und Rechtsmethodologie | 50 | ||
G. Gang der Untersuchung | 52 | ||
2. Kapitel: Die Rezeption des Hirntodkonzepts durch die Straf- und Grundrechtslehre | 55 | ||
A. Die Rezeption des Hirntodkonzepts – Versuch einer Rekonstruktion | 55 | ||
I. Die Rezeption des Hirntodkonzepts im Spiegel zweier Auslegungsgeschichten | 55 | ||
II. Zur Bedeutung geschichtlicher Betrachtung bei der Gewinnung geltenden Rechts | 60 | ||
III. Modus und Probleme der Rekonstruktion | 63 | ||
1. Zum Begriff der „Rezeption" | 63 | ||
2. Rekonstruktion als theoriegeleitete Konstruktion | 64 | ||
3. Zu den Modalitäten rechtswissenschaftlicher Meinungsbildung | 65 | ||
4. Zur Verschränkung der juristischen Rezeption mit nichtrechtswissenschaftlichen Rezeptionsvorgängen | 68 | ||
5. Grenzen der Literaturanalyse | 69 | ||
IV. Zum Gang von Rekonstruktion und Kritik | 71 | ||
B. Rezeption des Hirntodkonzepts in der Straf- und Grundrechtslehre | 72 | ||
I. Die Rezeption des Hirntodkonzepts in der Strafrechtslehre | 72 | ||
1. Der unproblematische Tod | 73 | ||
2. Der unproblematische Hirntod | 79 | ||
a) Der publizistische Durchbruch zur Etablierung des Hirntodkonzepts | 82 | ||
aa) Die Kommentar- und Lehrbuchliteratur | 82 | ||
(1) Der Kommentar von Schwarz/Dreher/Tröndle | 82 | ||
(2) Der Kommentar von Lackner/Maassen | 83 | ||
(3) Der Kommentar von Schönke/Schröder | 84 | ||
(4) Das Lehrbuch von Krey | 85 | ||
(5) Das Lehrbuch von Wessels | 86 | ||
(6) Das Lehrbuch von Maurach | 87 | ||
(7) Das Lehrbuch von Welzel und die Dissertation von G. Jakobs | 88 | ||
bb) Die übrige Literatur | 89 | ||
(1) Karl Engisch | 89 | ||
(2) Paul Bockelmann | 90 | ||
(3) Hans Lüttger | 92 | ||
(4) Ernst-Walter Hanack | 92 | ||
(5) Claus Roxin | 93 | ||
(6) Günter Stratenwerth | 94 | ||
(7) Günther Kaiser | 95 | ||
(8) Weitere Äußerungen aus der Frühzeit der Rezeption des Hirntodkonzepts | 96 | ||
b) Der Transplantationsgesetzgebungsversuch in den 70er Jahren als Exempel der erfolgten Etablierung | 98 | ||
c) Die Fraglosigkeit des Hirntodkonzepts vor dem publizistischen Umbruch | 103 | ||
II. Die Rezeption des Hirntodkonzepts in der Grundrechtslehre | 108 | ||
1. Einleitung | 108 | ||
2. Die Auslegung des Art. 2 II 1 Var. 1 GG durch Günter Dürig | 109 | ||
3. Die Vorbildwirkung der Dürig'schen Kommentierung | 111 | ||
4. Die Stellungnahmen der Grundrechtslehre vor dem Hintergrund der Transplantationspraxis | 113 | ||
5. Schlußbemerkung | 124 | ||
III. Die Rezeption des Hirntodkonzepts durch das (Straf-)Recht der DDR | 124 | ||
1. Zur positivrechtlichen Verortung der Rezeptionsfrage | 124 | ||
2. Die Medizin als Initiatorin und Protagonistin der Rezeption | 126 | ||
a) Anfänge der Rezeption | 126 | ||
b) Stabilisierung der Rezeption des Hirntodkonzepts | 137 | ||
c) Ein medizinisches Resümee am „Vorabend" der Deutschen Einheit | 141 | ||
3. (Straf-)Rechtliche Stellungnahmen als Appendix der medizinischen Debatte | 143 | ||
4. Fazit | 144 | ||
IV. Die Rezeption des Hirntodkonzepts in der Krise: der problematische Hirntod | 145 | ||
1. Der „Erlanger Fall" | 145 | ||
2. Der neuerliche Transplantationsgesetzgebungsversuch als aktueller Anlaß der Kritik des Hirntodkonzepts | 147 | ||
3. Frühere Ansätze der Kritik | 152 | ||
a) Gerd Geilen | 152 | ||
b) Herbert Tröndle | 162 | ||
c) Willi Geiger | 164 | ||
d) Werner Böhmer | 165 | ||
4. Die Hirntodkonzeption in der Krise: Versuche, die Kritik zu ignorieren | 166 | ||
C. Das Hirntodkonzept im Spiegel nichtrechtswissenschafilicher Äußerungen | 170 | ||
I. Das Hirntodkonzept im Spiegel ethischer, insbesondere theologischer Stellungnahmen | 170 | ||
1. Katholisch-theologische Stellungnahmen | 170 | ||
2. Evangelisch-theologische Stellungnahmen | 180 | ||
3. Weitere Stellungnahmen, insbesondere die Kritik Hans Jonas' | 186 | ||
II. Das Hirntodkonzept im Spiegel medizinischer Stellungnahmen | 188 | ||
1. Die „Entdeckung" (Erstbeschreibung) des Hirntodes (coma dépassé) im Kontext der Debatte um die Grenzen der Behandlungspflicht | 188 | ||
2. Die Lage in den späten sechziger und den siebziger Jahren | 197 | ||
3. Die Lage in den späten siebziger, den achtziger und den neunziger Jahren | 199 | ||
4. Versuche der Etablierung des großhirnzentrierten Teilhirntodkonzeptes | 202 | ||
5. Medizininterne Kritik des (Ganz-)Hirntodkonzepts | 205 | ||
III. Die Stellungnahmen des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesärztekammer | 208 | ||
D. Kennzeichen der Rezeptionsgeschichte des Hirntodkonzepts | 214 | ||
I. Kritik als produktive Reproduktion und produzierende Kritik | 214 | ||
II. Kennzeichen der Rezeptionsgeschichte | 216 | ||
1. Zu den Begründungen der Hirntodkonzeption | 216 | ||
2. Zu Dichte und Gehalt der Begründungen | 220 | ||
3. Der Grad der Berücksichtigung medizinisch-biologischer Daten | 222 | ||
4. Dreifach vermittelter Begriffsimport: Zur Vorreiter-Rolle der Medizin | 227 | ||
5. Das Kontinuitätsargument | 236 | ||
6. Die Medizin als „neue konkrete Ordnung" | 238 | ||
7. Die frühe und die neue Kritik der Hirntodkonzeption | 243 | ||
3. Kapitel: Grundrechtliche Kritik der Hirntodkonzeption | 247 | ||
A. Hinfuhrung | 247 | ||
I. Zum Inhalt des Kapitels | 247 | ||
II. Zu den Argumenten der „antikritischen Hirntodapologie" | 248 | ||
B. Die rechtserkenntnistheoretisch grundlegende Unterscheidung von Todesbegriff, Todeskriterium und Todesfeststellung | 254 | ||
C. Zur Normativität des Lebensgrundrechts (Art. 2 II 1 GG) – Prinzipielle Probleme der Grundrechtskonkretisierung (Grundrechtsauslegung) | 260 | ||
D. Kritik der Hirntodkonzeption aus grundrechtlicher Sicht | 269 | ||
I. Die „trügerische Sicherheit" des (möglichen) Wortsinns von Art. 2 II 1 Var. 1 GG | 271 | ||
II. Zum (möglichen) Wortsinn des Normtextes von Art. 2 II 1 Var. 1 GG | 273 | ||
1. Befund | 273 | ||
a) „Jeder" = jeder lebende Mensch | 273 | ||
b) „hat ein Recht auf" | 274 | ||
c) „Leben" | 275 | ||
2. Zeichen des (biologischen) Lebens beim hirntoten Menschen | 276 | ||
3. Fazit | 279 | ||
III. Das Bundesverfassungsgericht und der Lebensbegriff des Art. 2 II 1 Var. 1 GG | 279 | ||
1. Befund | 279 | ||
2. Fazit | 282 | ||
IV. Art. 2 II 1 Var. 1 GG im Spiegel von Entstehungsgeschichte und Regelungsabsicht des Verfassunggebers | 283 | ||
1. Befund | 284 | ||
2. Fazit | 286 | ||
V. Das offene Menschenbild des Grundgesetzes und der hirntote Mensch | 288 | ||
1. Das offene Menschenbild als Interpretament des Lebensgrundrechts | 288 | ||
2. „Kriteriologischer Biologismus" als Folge des offenen Menschenbildes | 296 | ||
3. Ablehnung der Geistigkeitstheorie und des Teilhirntodkonzepts | 297 | ||
4. Ablehnung der biologisch-zerebralen Begründung des (Ganz-)Hirntodkonzepts | 302 | ||
a) Das Gehirn (der Hirnstamm) und der Organismus als funktionelle Ganzheit | 302 | ||
b) Der Einwand der „Künstlichkeit" | 307 | ||
c) Der Einwand der „dauerhaften Künstlichkeit" | 308 | ||
d) Ergebnis | 309 | ||
VI. Zur Unbeachtlichkeit europarechtlicher, rechtsvergleichender und gewohnheitsrechtlicherArgumente | 312 | ||
1. Zur Unbeachtlichkeit europarechtlicher Argumente | 312 | ||
a) Europäische Menschenrechtskonvention | 312 | ||
b) EG-Recht | 313 | ||
2. Zur Unbeachtlichkeit rechtsvergleichender Argumente | 315 | ||
3. Zur Unbeachtlichkeit gewohnheitsrechtlicher Argumente | 317 | ||
VII. Ergebnis der grundrechtlichen Kritik der Hirntodkonzeption | 321 | ||
E. Die Maßstäblichkeit der grundrechtlichen Kritik der Hirntodkonzeption für den Strafrechtsschutz am Ende menschlichen Lebens | 322 | ||
I. Zum problematischen Verhältnis von Verfassungsrecht und Strafgesetz | 322 | ||
II. Die strafgesetzlichen Bestimmungen über die Tötungsdelikte als „Maßnahmen normativer Art" zur Verwirklichung der grundrechtlichen Schutzpflicht aus Art. 2 II 1 Var. 1 GG: Zur schutzbereichskongruenten Auslegung des Tatbestandsmerkmals „töten" | 327 | ||
III. Die grundrechtsorientierte Auslegung des Tatbestandsmerkmals „töten" als Beispiel mittelbaren „Verfassungsstrafrechts" | 337 | ||
IV. Ergebnis | 342 | ||
F. Lebensgrundrechtlich angemessene Todeskriterien im Strafrecht | 343 | ||
I. Angemessene Todeskriterien | 343 | ||
II. Todeszeitbestimmung | 348 | ||
III. Todeszeichen und Wesentlichkeitsprinzip | 350 | ||
IV. Ergebnis | 352 | ||
G. Grundrechtsorientierte Auslegung der §§ 212 I, 216 StGB – die Entnahme lebenswichtiger Organe zu Transplantationszwecken beim lebenden Hirntoten | 353 | ||
I. Das Hauptproblem: Entnahme lebenswichtiger Organe zu Transplantationszwecken – Tötung (auf Verlangen)? | 353 | ||
1. Hinführung | 353 | ||
2. Die tatsächlichen Umstände der Entnahme lebenswichtiger Organe am Beispiel der Herzexplantation | 355 | ||
II. Grundrechtsorientierte Auslegung der §§ 212 I, 216 I StGB mit Blick auf die Herzexplantation zu Transplantationszwecken | 358 | ||
1. Zur Doppeldeutigkeit des Wortes „Tötung" | 358 | ||
2. Wortlaut und Kausalität | 359 | ||
3. Kausalität als schutzzweckbezogene Kausalität | 361 | ||
4. Rechtssystematisch-teleologische, insbesondere grundrechtliche Überlegungen | 363 | ||
a) Art. 2 II 1 Var. 1 GG als besonderes Selbstbestimmungsgrundrecht für den Bereich des Lebens: Überlegungen zum Problemkreis „Grundrechtsverzicht" | 364 | ||
aa) Die grundrechtliche Befugnis zum Verzicht auf den Schutz des Lebens zwischen Art. 2 II 1 Var. 1 und Art. 2 I GG | 365 | ||
bb) „Grundrechtsverzicht" als Verzicht auf den Schutz gegen Eingriffe bzw. Übergriffe | 368 | ||
b) Auslegung der §§ 212 1, 2161 StGB im Lichte des Art. 2 II 1 Var.l GG | 370 | ||
c) Ergebnis | 376 | ||
III. Behandlungsabbruch beim hirntoten Patienten | 381 | ||
IV. Die grundrechtliche Kritik der Hirntodkonzeption und das Transplantationsgesetz | 382 | ||
4. Kapitel: Zusammenfassung und Ausblick | 389 | ||
Literaturverzeichnis | 399 | ||
Sachregister | 469 |