Die erkennbar untaugliche Bürgschaft
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Die erkennbar untaugliche Bürgschaft
Rechtstheoretische Überlegungen zu einer im letzten Jahrzehnt in den Vordergrund getretenen strittigen Erscheinung des Bankrechts
Schriften zum Bürgerlichen Recht, Vol. 222
(1999)
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Abstract
Gegenstand der vorliegenden Untersuchung ist die Frage nach der rechtlichen Behandlung von Personalsicherheiten, die mittellose Familienangehörige für Kredite ihrer Verwandten übernehmen.Nach anfänglicher Zurückhaltung sieht die höchstrichterliche Rechtsprechung solche Verträge heute unter bestimmten Voraussetzungen als sittenwidrig an - eine Ansicht, welche vor allem auf der z. T. heftig kritisierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts beruht. Dieser Lösungsansatz ist jedoch in zweifacher Hinsicht unbefriedigend. Zum einen sind die Kriterien, anhand derer eine große Zahl von Konsumentenkrediten als sittenwidrig und somit nichtig eingestuft wird, nicht hinreichend genau bestimmt. Zum anderen ist davon auszugehen, daß die Banken bei der Gewährung von Konsumentenkrediten angesichts des hohen Ausfallrisikos künftig zurückhaltender sein werden - eine Entwicklung, die gesamtwirtschaftlich nicht wünschenswert sein kann. Neben dieser herrschenden Auffassung werden auch zahlreiche andere Lösungsvorschläge einer kritischen Betrachtung unterzogen. Ihnen allen ist entgegenzuhalten, daß sie letzlich die Unwirksamkeit des Sicherungsvertrages zur Folge haben, was weder den Interessen der Kreditnehmer und der Sicherungsgeber noch den Interessen der Banken gerecht wird.Diesen Lösungsansätzen stellt Chelidonis einen Ansatz gegenüber, der die wirtschaftlich negativen Folgen der Unwirksamkeit für den sogenannten kleinen Kreditmarkt zu vermeiden sucht. Ausgangspunkt der Überlegungen ist die Beobachtung, daß die Untauglichkeit der hier erörterten Personalsicherheiten einer Leistungsstörung näher steht als einer sittenwidrigen vertraglichen Regelung. Insbesondere die Tatsache, daß die Untauglichkeit für beide Seiten von vornherein erkennbar ist, erfordert eine andere Risikoverteilung, als sie die Rechtsfolge der Nichtigkeit oder Unwirksamkeit zwangsläufig mit sich bringt.Das BGB kennt verschiedene Vorschriften, welche die Risikoverteilung in Fällen regeln, in denen das mögliche Eintreten einer Leistungsstörung für beide Seiten erkennbar ist. Im Wege einer Gesamtanalogie werden diese Vorschriften für die hier erörterten Fälle fruchtbar gemacht - mit zwei Folgen: Zum einen bleiben die Sicherungsverträge wirksam, zum anderen wird eine fragwürdige Ausweitung des Anwendungsbereichs des § 138 Abs. 1 vermieden. An die Stelle der Unwirksamkeit tritt ein Leistungsverweigerungsrecht des Sicherungsgebers, das ihm zusteht, solange er nicht zu Vermögen kommt.
Table of Contents
Section Title | Page | Action | Price |
---|---|---|---|
Vorwort | 5 | ||
Inhaltsverzeichnis | 7 | ||
A. Einführung in die Problematik | 13 | ||
I. Gegenstand der Untersuchung | 13 | ||
1. Der Anlaß | 13 | ||
2. Probleme der materiellrechtlichen Einordnung | 16 | ||
II. Der heutige Stand der Debatte | 18 | ||
1. „Moralwidrigkeit“ der Personalsicherheit | 18 | ||
2. Die Erkennbarkeit der Untauglichkeit | 20 | ||
3. Die rechtspolitischen Anhaltspunkte | 21 | ||
III. Plan der Darstellung | 23 | ||
B. Die Mithaftung als bankwirtschaftliches Phänomen | 25 | ||
I. Die Gestalt der Mithaftungsverträge nach der Rechtsprechung | 25 | ||
1. Die Mithaftung von Ehefrauen | 25 | ||
2. Die Heranziehung junger Erwachsener und nichtehelicher Lebensgefährten | 27 | ||
3. Die Ausdehnung des Phänomens von Konsumenten- auf Betriebsmitteltelkredite | 28 | ||
4. Die wirtschaftliche und soziale Lage der Mithaftenden | 31 | ||
5. Aussichtslosigkeit einer Vermögensverbesserung | 34 | ||
6. Das Abhängigmachen der Kreditgewährung von Familiensicherheiten | 36 | ||
7. Die gemeinsame Kredittilgung durch alle Mithaftenden | 38 | ||
a) Der sog. moderne Schuldturm | 38 | ||
b) Die Tilgungsaussichten der Banken | 39 | ||
8. Das mangelnde Interesse des Mithaftenden an der Kreditgewährung | 41 | ||
9. Das Vertrauen auf die Nichtinanspruchnahme des Mithaftenden | 43 | ||
a) Die explizite Verharmlosung des Risikos | 44 | ||
b) Die ausreichende Bonität des Erstschuldners | 45 | ||
c) Der sichere Fortbestand der Ehe | 45 | ||
10. Die Inanspruchnahme des mittellosen Bürgen | 46 | ||
11. Zusammenfasssung: Die wesentlichen Merkmale des Phänomens | 47 | ||
II. Die Schwierigkeiten einer materiellrechtlichen Zuordnung | 49 | ||
1. Das Fehlen einer gesetzlichen Regelung | 49 | ||
a) Das Problem des untauglichen Bürgen | 49 | ||
b) Ansatzpunkte im BGB | 49 | ||
2. Die durch die Rechtsprechung gelegten Grundlagen | 52 | ||
a) Die Geldmangelproblematik | 52 | ||
b) Die die materiellrechtliche Zuordnung ablehnende Judikatur | 55 | ||
c) Die Lehre | 59 | ||
C. Die Kritik der maßgeblichen Gesichtspunkte | 64 | ||
I. Die Erläuterung anhand der wirtschaftlichen und sozialen Lage | 64 | ||
1. Die Begründung einer familiären Haftungsgemeinschaft | 64 | ||
a) Die Motivation der Banken | 64 | ||
aa) Das Familieneinkommen als Sicherungsgrundlage | 64 | ||
bb) Verwandte Aspekte | 66 | ||
b) Die rechtliche Beurteilung | 68 | ||
aa) Das fehlende Verbot vertraglicher Schuldgemeinschaften | 68 | ||
bb) Das sog. Verbot von Familiensicherheiten | 69 | ||
2. Die unerwartete Vermögensvermehrung des Bürgen | 72 | ||
a) Die rechtspolitische Erklärung | 72 | ||
b) Die rechtliche Beurteilung | 74 | ||
3. Das neue Verständnis der Sicherungsfunktion | 76 | ||
a) Vermeidung von Vermögensverschiebungen zwischen Familienangehörigen | 76 | ||
aa) Die Begründung durch die Banken | 76 | ||
bb) Die rechtliche Beurteilung | 77 | ||
b) Die größere Sorgfalt bei der Kredittilgung | 82 | ||
aa) Die Motivation der Banken | 82 | ||
bb) Die rechtliche Beurteilung | 83 | ||
4. Die berechtigten rechtlichen Bedenken | 85 | ||
5. Ergebnisse | 88 | ||
II. Die Schutzbedürftigkeit des mittellosen Bürgen | 91 | ||
1. Mittellosigkeit und Bürgenschutz | 91 | ||
a) Die Pflicht des Gläubigers zur Rücksichtnahme | 91 | ||
b) Der Institutionsmißbrauch | 93 | ||
c) Untaugliche Bürgschaften als Globalbürgschaften | 97 | ||
2. Der Ansatz der fehlerhaften Risikoeinschätzung seitens des Bürgen | 98 | ||
a) Die analoge Anwendung des § 1 HWiG auf Bürgschaftsverträge | 99 | ||
b) Aufklärungsproblematik und culpa in contrahendo | 103 | ||
c) Kündigungsrechte des Bürgen | 109 | ||
d) Ansätze de lege ferenda | 110 | ||
3. Ergebnisse | 113 | ||
III. Der Ansatz der Sittenwidrigkeit | 115 | ||
1. Die Unbestimmtheit des Ansatzes | 115 | ||
2. Die Knebelung | 118 | ||
a) Die Rechtsprechung | 119 | ||
b) Die Aufnahme durch die Lehre | 124 | ||
c) Die Knebelung als Konkretisierungsmethode des § 138 I BGB | 130 | ||
aa) Zur Ermittlung der Funktion der Knebelung | 130 | ||
(1) Knebelung und objektives Verständnis der Vertragswidrigkeit | 130 | ||
(2) Schutz der Privatautonomie vor sich selbst | 132 | ||
(3) Sozialstaatlichkeit und Knebelung | 135 | ||
(4) Knebelung und vertragsbezogene Systemwidrigkeit | 142 | ||
(5) Systemwidrigkeit und Typenausgestaltung der Knebelung. | 150 | ||
bb) Knebelung und wirtschaftliche Überforderung | 152 | ||
(1) „Wirtschaftliche Lähmung“ infolge belastender Vertragsgestaltung | 152 | ||
(2) Knebelung und Sozialwidrigkeit | 155 | ||
d) Die Knebelung als Grundlage zur Vernichtung erkennbar untaugcher Personalsicherheiten | 161 | ||
aa) Die Reduktion auf § 850 c ZPO | 161 | ||
bb) Der Ansatz des § 310 BGB | 164 | ||
cc) Knebelung und unangemessene Sicherheitsgewährung | 168 | ||
dd) Knebelung und anfängliche Leistungsstörungen | 172 | ||
3. Die höchstrichterliche „Umstandssittenwidrigkeit“ | 175 | ||
a) Die Rechtsprechung | 176 | ||
b) Die Kriterien einer Umstandssittenwidrigkeit | 177 | ||
c) Die positive Aufnahme der Judikatur | 181 | ||
d) Zur Ermittlung der Funktion einer Umstandssittenwidrigkeit | 182 | ||
aa) Die Dominanz von subjektiven Elementen | 182 | ||
(1) Die Gesamtwürdigung aller maßgeblichen Umstände | 182 | ||
(2) Die Moralwidrigkeit im Vertragsschluß | 185 | ||
bb) „Bewegliche Systeme“ als Grundlage zur Erfassung einer Umstandssittenwidrigkeit | 187 | ||
(1) Die rechtstheoretischen Grundlagen | 187 | ||
(2) Bewegliche Systeme bei erkennbar untauglichen Personalsicherheiten | 194 | ||
cc) Zum subsidiären Charakter der Umstandssittenwidrigkeit | 199 | ||
e) Die Untersuchung der einzelnen Kriterien | 203 | ||
aa) Das mangelnde Sicherungsinteresse | 203 | ||
bb) Eigenes Interesse des Sicherungsgebers an der Kreditgewährung | 208 | ||
cc) Umstandssittenwidrigkeit und Unerfahrenheit | 212 | ||
(1) Die Verwendung des Ansatzes in der Rechtsprechung | 212 | ||
(2) Die eigene Stellungnahme | 213 | ||
4. Der Ansatz des Bundesverfassungsgerichts: Die Gleichgewichtigkeit | 223 | ||
a) Die Theorie der strukturellen Unterlegenheit des mittellosen Sicherungsgebers | 223 | ||
b) Die zurückhaltende Aufnahme durch die Literatur | 225 | ||
c) Der rechtsdogmatische Hintergrund | 226 | ||
d) Die eigene Kritik | 228 | ||
5. Die Ausnutzung der familiären Solidarität | 243 | ||
a) Die Rechtsprechung | 243 | ||
b) Die Rechtswirklichkeit | 246 | ||
c) Eigene Stellungnahme | 250 | ||
6. Abschließende Bemerkungen zum Ansatz der Sittenwidrigkeit | 258 | ||
D. Der eigene Ansatz | 269 | ||
I. Die Mittellosigkeit des Bürgen als Leistungsstörung | 269 | ||
1. Die bisher festgelegten Ausgangspositionen | 269 | ||
a) Das Erfordernis der Wirksamkeit des Sicherungsvertrags | 269 | ||
b) Unterschiede zu anderen Sicherheiten | 269 | ||
c) Die begründeten Bedenken der Rechtsordnung | 270 | ||
2. Die vernachlässigten Elemente | 271 | ||
a) Die mangelnde Schutzwürdigkeit der Bank | 271 | ||
b) Die Zuordnung des Elementes der „Erkennbarkeit“ | 272 | ||
3. Alternative Lösungsansätze | 273 | ||
a) Die dilatorische Einrede | 273 | ||
b) Das pactum de non petendo | 274 | ||
c) Der Ansatz von Becker | 278 | ||
4. Die Problematik der Leistungsstörungen | 279 | ||
a) Der anfängliche Geldmangel des Bürgen | 279 | ||
b) Wegfall oder Nichteintritt einer vermeintlichen Geschäftsgrundlage | 283 | ||
c) Der erkennbar unerfüllbare Erfüllungsanspruch | 287 | ||
d) Der sekundäre Charakter der Geldmangel-Problematik | 292 | ||
e) Die Unzulänglichkeit einer Restschuldbefreiung | 296 | ||
f) Die sog. entbehrliche Bonitätsprüfungspflicht | 297 | ||
II. Die Konstruktion eines Leistungsverweigerungsrechts | 302 | ||
1. Die Anhaltspunkte des Gesetzes | 302 | ||
a) § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB | 302 | ||
b) § 439 BGB | 305 | ||
c) § 460 BGB | 306 | ||
d) § 539 BGB | 308 | ||
e) § 640 BGB | 309 | ||
f) Die Erwähnung des Gedankens in der Pandektenwissenschaft | 309 | ||
g) Fazit | 311 | ||
2. Der Gedanke außerhalb des Rechts der Leistungsstörungen | 313 | ||
a) § 122 Abs. 2 BGB | 313 | ||
b) § 179 Abs. 3 Satz 1 BGB | 314 | ||
c) Der Gedanke im Bereicherungsrecht | 314 | ||
3. Zu einer Gesamtanalogie | 315 | ||
a) Die beiderseits erkennbare Leistungsstörung | 315 | ||
b) Die Vorteile der hier vertretenen Ansicht | 320 | ||
Literaturverzeichnis | 323 | ||
Sachregister | 372 |