Selbstverfügung als intrapersonaler Rechtspflichtverstoß
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Selbstverfügung als intrapersonaler Rechtspflichtverstoß
Zum Strafunrecht einverständlicher Sterbehilfe
Strafrechtliche Abhandlungen. Neue Folge, Vol. 135
(2001)
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Abstract
Mit zunehmendem Abstand zur nationalsozialistischen Schreckensherrschaft wird auch in Deutschland die Debatte um Sterbehilfe wieder vernehmlicher geführt. Dabei zeigt sich, daß die langjährige Tabuisierung dieses praktisch unausweichlichen Problems die Entwicklung eines gesicherten Standpunktes in Recht und Moral behindert hat. Eine auf nachvollziehbare Prinzipien gestützte Auseinandersetzung steht heute erst an ihrem Anfang.Gerade die - wegen der Zwangsmittel des Rechts - so bedeutsame juristische Diskussion besteht vielfach noch immer aus Positionen, deren Wert sich in dem bloßer Behauptungen erschöpft. Dem positivistisch eingeengten Blick weiter Teile von Rechtslehre und Judikatur gelingt es kaum, Ausnahmen vom Grundsatz des "absoluten Lebensschutzes" im Strafgesetzbuch überzeugend darzulegen. Besonders augenscheinlich wird dies im Fall der sogenannten indirekten Euthanasie, also der Schmerztherapie mit lebensverkürzenden Nebenwirkungen. Auch nach der ersten Entscheidung des Bundesgerichtshofs zu dieser Frage besteht hier die bemerkenswerte Situation einer Vielfalt an Begründungskonzeptionen für das gleichzeitig ganz weitgehend konsentierte Ergebnis der Straffreiheit fort.Asmus Maatsch kritisiert, ausgehend von dieser Fallgruppe, die bisher vertretenen strafrechtlichen Lösungsansätze und versucht, ihnen einen rational-deduktiven Begründungsweg entgegenzustellen. Zum methodischen Ausgangspunkt dient das dem Tatbestand der Tötung auf Verlangen (§ 216 StGB) zugrundeliegende Selbstverfügungsverbot, dessen Grund in einem allgemeingültigen Prinzip zu finden sein muß, um den Rechtszwang gegen den Täter der eingewilligten Fremdtötung legitimieren zu können. Hierfür kommt allein die praktische Vernunft in Betracht, als deren Gesetz der Kategorische Imperativ Kants exponiert und legitimiert wird. Durch die Anwendung dieses Grundprinzips moralischer Verbindlichkeit auf die Selbstverfügung durch Verlangen des eigenen Todes zeigt Asmus Maatsch, daß das Verbot des § 216 StGB wegen des intrapersonalen Rechtspflichtverstoßes des Todeswilligen an sich zu Recht besteht, aber genau zu definierender Ausnahmen bedarf, die gerade für die mit dem Stichwort "Sterbehilfe" belegten Fallkonstellationen von Bedeutung sind.
Table of Contents
Section Title | Page | Action | Price |
---|---|---|---|
Vorwort | 7 | ||
Inhaltsverzeichnis | 9 | ||
Einleitung | 15 | ||
1. Teil: Positivrechtliche Lösungsansätze zur Straflosigkeit der indirekten Sterbehilfe | 19 | ||
A. Einführung | 19 | ||
B. Der Tötungstatbestand | 21 | ||
I. Der objektive Tatbestand | 21 | ||
1. Kausalität | 21 | ||
2. Handlungsqualität | 23 | ||
3. Die objektive Zurechnung | 24 | ||
a) Soziale Adäquanz | 25 | ||
b) Gefahrrealisierung | 29 | ||
II. Der subjektive Tatbestand | 33 | ||
C. Rechtswidrigkeit | 34 | ||
I. Einwilligung und rechtfertigender Notstand | 35 | ||
2. Teil: Die vorpositive Legitimation von Selbstverfügungsschranken | 40 | ||
A. Einführung | 40 | ||
B. Kritik empiristischer Positionen | 43 | ||
I. Die kollektivistische Begründung | 43 | ||
II. Paternalistische Erklärungsansätze | 45 | ||
1. Interessenorientierter Paternalismus | 45 | ||
2. Zuständigkeitsorientierter Paternalismus | 50 | ||
III. Zusammenfassung | 55 | ||
C. Der freiheitsrechtliche Ansatz | 57 | ||
I. Exposition und Legitimation des kategorischen Imperativs am Leitfaden der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten | 58 | ||
1. Die meta-ethische These – letztbegründetes Sollen | 59 | ||
a) Exposition | 60 | ||
b) Kritik des Letztbegründungsskeptizismus – insbesondere zum „Münch-hausentrilemma“ | 62 | ||
2. Der gute Wille als das absolut Gute | 66 | ||
3. Die deontologische These – Guter Wille und Pflicht | 70 | ||
4. Pflicht und Gesetz – die Formulierung des kategorischen Imperativs | 80 | ||
5. Die Dialektik der praktischen gemeinen Vernunft – das Erfordernis des Übergangs zur Vernunftkritik | 82 | ||
6. Der zweite Abschnitt der Grundlegungsschrift | 84 | ||
a) Der gute Wille als vernünftiger Wille | 84 | ||
b) Kategorische und hypothetische Imperative | 90 | ||
c) Freiheit als Autonomie – der Schluß des analytischen Teils | 92 | ||
d) Autonomie und Freiheit zum Bösen – das Zurechnungsproblem | 93 | ||
7. Der Aufweis der Freiheit | 97 | ||
a) Die Möglichkeit synthetisch-praktischer Sätze a priori | 97 | ||
b) Die Deduktion der Freiheit | 101 | ||
aa) Die Denkmöglichkeit der Freiheit in der Kritik der reinen Vernunft | 101 | ||
(1) Die Dialektik der rationalen Kosmologie | 101 | ||
(2) Die dritte Vernunftantinomie – Exposition und Auflösung | 105 | ||
bb) Der Aufweis der Realmöglichkeit von Freiheit in den Grundlegungsschriften zur praktischen Vernunft | 109 | ||
(1) Zur Bedeutung des Deduktionsbegriffs | 109 | ||
(2) Die „Art von Zirkel“ im dritten Grundlegungsabschnitt und ihre transzendentale Auflösung | 115 | ||
(3) Die transzendentale Apperzeption und das Unternehmen eines praktischen Spontaneitätsbeweises | 116 | ||
(4) Fazit: Die Deduktion der Grundlegung als schwache Deduktion | 121 | ||
c) Die Kreditierung des moralischen Gesetzes in der Kritik der praktischen Vernunft – kategorischer Imperativ als ratio cognoscendi der Willensfreiheit | 123 | ||
II. Die Anwendung des kategorischen Imperativs | 128 | ||
1. Die Maxime als Gegenstand der Qualifikation | 129 | ||
2. Die Formeln des kategorischen Imperativs | 136 | ||
a) Die Gesetzesformeln – Selbsttötung und Naturgesetz | 139 | ||
aa) Das allgemeine (Natur-) Gesetz als universell gültige Norm | 141 | ||
(1) Die Bedeutung des Verallgemeinerungsbegriffs | 141 | ||
(2) Kategorischer Imperativ und Pflichten gegen sich selbst | 145 | ||
(3) Der Allgemeinheitsgrad der Maxime – zur Möglichkeit ihrer nicht-kollektiven Universalisierung | 148 | ||
(4) Ergebnis: kollektives Verallgemeinerungsverständnis | 159 | ||
bb) Das Nichtdenkenkönnen als allgemeines (Natur-)Gesetz | 164 | ||
cc) Ergebnis: Der Tatbestand der Unsittlichkeit | 169 | ||
dd) Die Prüfung der Selbsttötungsmaxime | 169 | ||
(1) Die Frage ihrer inhaltlichen Inkonsistenz | 169 | ||
(2) Die Frage ihrer Untauglichkeit zum (objektiven) Grundsatz | 172 | ||
(3) Ergebnis: Prinzipientauglichkeit | 176 | ||
(4) Die Frage der Inkonsistenz im Verhältnis zur maximengeleiteten Handlung | 176 | ||
(5) Einwände aus dem Handlungsbegriff? | 179 | ||
ee) Ergebnis: keine formale Inkonsistenz der allgemeinen Selbsttötungsmaxime | 181 | ||
ff) Die Frage nach der Sittenwidrigkeit der spezifischen Selbsttötungsmaxime der GMS | 181 | ||
gg) Teleologisches Verständnis des Naturgesetzbegriffs | 182 | ||
hh) Ergebnis: kein formallogischer oder teleologischer Widerspruch | 185 | ||
ii) Das Nichtwollenkönnen als allgemeines Gesetz | 185 | ||
b) Die Selbstzweckformel als materiale Übersetzung der Gesetzesformeln | 189 | ||
aa) Legitimation der Selbstzweckformel – das vernünftige Wesen als Zweck an sich | 189 | ||
bb) Anwendung auf die (allgemeine) Selbsttötungsmaxime | 193 | ||
cc) Ergebnis: Selbstverfügungsverbot aus Selbstzweckhaftigkeit | 195 | ||
3. Die rechtliche Relevanz des Selbstverfügungsverbots | 195 | ||
a) Die Unterscheidung von Recht und Moral bei Kant | 198 | ||
b) Die Erzwingbarkeit der Selbsterhaltungspflicht | 203 | ||
c) Der kategorische Imperativ als Rechtskriterium | 204 | ||
aa) Fragestellung | 205 | ||
bb) Ergebnis: Der kategorische Rechtsimperativ | 210 | ||
d) Die Selbstzweckformel als Quelle von Rechtspflichten | 210 | ||
e) Ergebnis: faktische Erzwingbarkeit des Selbstverfügungsverbots | 211 | ||
f) Die Frage der (normativen) Zwangsbefugnis – Selbstverhältnis und Rechtszwang | 212 | ||
g) Die Selbsterhaltungspflicht als Rechtspflicht gegen sich selbst – zum Recht der Menschheit in der eigenen Person | 213 | ||
h) Die inneren Rechtspflichten als nur selbstzwangsbewehrte Rechtspflichten | 216 | ||
aa) Der spezifische Charakter der intrapersonalen Rechtspflichten | 216 | ||
bb) Folgerung: Unrechtsausschluß bei einverständlichem Behandlungsabbruch | 221 | ||
(1) Zur Strafbarkeit des Arztes | 221 | ||
(2) Der Abbruch fremder Rettungsbemühungen | 223 | ||
i) Ergebnis: Zur Bedeutung einer intrapersonal rechtspflichtwidrigen Einwilligung in die von einem anderen ausgeführte Tötung | 225 | ||
4. Die Grenzen des rechtlichen Selbstverfügungsverbots | 225 | ||
a) Zu den Besonderheiten der Sterbehilfesituation | 225 | ||
b) Ergebnis: Ausnahme vom Selbstverfügungsverbot (nur) im Fall der indirekten Sterbehilfe | 231 | ||
3. Teil: Folgerungen für die Behandlung der indirekten Sterbehilfe nach geltendem Recht | 233 | ||
A. Die Wirksamkeit der Einwilligung des Schmerzpatienten nach den allgemeinen Regeln | 233 | ||
I. Die Einwilligungsfähigkeit | 233 | ||
II. Die Freiheit von Willensmängeln | 234 | ||
B. Ergebnis: Unrecht und Rechtfertigung von Sterbehilfemaßnahmen nach dem freiheitlichen Rechtsprinzip | 236 | ||
C. Zur Verfassungsmäßigkeit der gefundenen Lösung | 239 | ||
Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse | 241 | ||
Literaturverzeichnis | 244 | ||
Sachwortverzeichnis | 263 |