Grundrechte und Gestaltungsspielraum
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Grundrechte und Gestaltungsspielraum
Eine rechtsvergleichende Untersuchung zum Prüfungsinstrumentarium von Bundesverfassungsgericht und US-amerikanischem Supreme Court bei der Normenkontrolle
Schriften zum Internationalen Recht, Vol. 111
(1999)
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Abstract
Die Rechtsprechung des BVerfG zumal in Grundrechtsfragen ist geprägt von einer starren Fixierung auf die vom Zivilrecht bekannten Interpretationsmethoden. Das Verhältnis zwischen Gericht und Gesetzgeber spielt hierbei praktisch keine Rolle. Der amerikanischen Verfassungstheorie und vor allem -praxis ist diese materiellrechtliche Sichtweise fremd. Hier haben stattdessen funktionellrechtliche, also von den Aufgaben der beteiligten Institutionen her gedachte Interpretationsmethoden Konjunktur. »Gestaltungsspielräume des Gesetzgebers« dienen dort demgemäß nicht nur als milderndes Regulativ bereits anderweitig gefundener Entscheidungen, sondern bilden den Ausgangspunkt jeder verfassungsrechtlichen Überlegung.Die vom Supreme Court hierzu entwickelten Anschauungen entfalten sich vor allem in den »Werkzeugen«, die das Gericht seiner Arbeit zugrundelegt. Die Analyse dieser Werkzeuge, insbesondere der gestaffelten Prüfungsmaßstäbe, der Vermutungs- und Beweislastregeln sowie der Modi der Tatsachen- und Prognoseprüfung, gewährt Einblick in eine von der deutschen grundsätzlich und auf überrraschende Weise verschiedene Verfassungspraxis: Verfassungskontrolle wird in den USA sehr viel stärker als in Deutschland als Mittel der Austarierung miteinander konkurrierender Kompetenzträger verstanden; materielle Wert- und Abwägungsentscheidungen bleiben demgegenüber weitgehend dem Gesetzgeber überlassen.Der Vergleich der deutschen Verfassungspraxis mit einer so nahen und zugleich entfernten Rechtskultur wie der amerikanischen soll der Einsicht Bahn brechen, daß ein Gericht mit der Festlegung verbindlicher Verfasssungswerte immer, also unabhängig vom materiellen Ergebnis seiner Entscheidungen, überfordert ist. Legitimität kann ein Verfassungsgericht nur dadurch erlangen, daß es sich seiner grundsätzlich subsidiären Funktion im demokratischen Rechtsstaat besinnt. Die Methode der Verfassungsinterpretation hat dem notwendig Rechnung zu tragen.
Table of Contents
Section Title | Page | Action | Price |
---|---|---|---|
Vorwort | 5 | ||
Inhaltsverzeichnis | 7 | ||
Einführung | 15 | ||
A. Das Problem | 15 | ||
B. Das deutsche Modell: Verfassungsgericht und Dogmatik (1) | 17 | ||
C. Das amerikanische Modell: Verfassungsgericht und Funktion (1) | 22 | ||
D. Magisches Dreieck: Gericht – Gesetzgeber – Individuum | 25 | ||
E. Gegenstand und Grenzen der Untersuchung | 27 | ||
Erster Teil: Die Grundlagen der Kontrolle legislativer Akte durch Supreme Court und BVerfG | 31 | ||
A. Die Rechtslage in den USA | 31 | ||
I. „Marbury v. Madison“ – Rechtfertigung von judicial review | 33 | ||
1. Die Fakten | 33 | ||
2. Die Gerichtsentscheidung und ihre Argumente | 33 | ||
3. Bedeutung | 35 | ||
II. „Marbury v. Madison“ – Reichweite und Grenzen von judicial review | 37 | ||
1. Die Absichten der Verfassungsväter und der Verfassungstext | 38 | ||
2. Marshalls Verständnis von judicial review | 40 | ||
3. Schlußfolgerung | 45 | ||
B. Die Rechtslage in Deutschland | 46 | ||
I. Die positive Entscheidung des Grundgesetzes für die Verfassungsgebundenheit des Gesetzgebers und die Kontrollbefugnis des BVerfG | 46 | ||
II. Die Bedeutung der positiv-rechtlichen Normierung im Grundgesetz für die Ausübung der richterlichen Kontrollbefugnis | 47 | ||
C. Zusammenfassung | 52 | ||
Zweiter Teil: Die verfassungsgerichtliche Kontrolle legislativer Akte im Selbstverständnis von Supreme Court und BVerfG | 53 | ||
A. Supreme Court | 53 | ||
I. Schlüsselbegriffe der Supreme Court-Praxis: judicial activism und judicial restraint | 53 | ||
II. Der rote Faden: „judicial restraint“ | 56 | ||
III. Das gemiedene Bekenntnis: „judicial activism“ | 64 | ||
IV. Zusammenfassung | 68 | ||
B. Bundesverfassungsgericht | 69 | ||
I. Der „Statusbericht“ von 1952 | 69 | ||
II. Die Abgrenzung von Recht und Politik und die political question-Doktrin | 71 | ||
III. BVerfG und judicial self restraint | 76 | ||
C. Zusammenfassung | 82 | ||
Dritter Teil: Gestaltungsfreiheit und Kontrollauftrag in der Praxis – Mittel und Modi verfassungsgerichtlicher Kontrolle | 84 | ||
A. Die verschiedenen Prüfungsmaßstäbe | 84 | ||
I. Die Rechtslage in den USA | 85 | ||
1. Definition der Prüfungsmaßstäbe | 86 | ||
a) Der mere rationality-Standard | 86 | ||
b) Der strict scrutiny-Standard | 88 | ||
c) Der middle tier-Standard | 89 | ||
d) Zusammenfassung | 90 | ||
2. Prüfungsobjekte | 91 | ||
a) Ends eines Gesetzes: Ziele, Zwecke, Motive und Effekte | 91 | ||
aa) Feststellungsmodi | 91 | ||
bb) Wertigkeit | 93 | ||
b) Gesetzgeberische Mittel | 96 | ||
c) Mittel-Zweck-Relation | 97 | ||
aa) Allgemeines | 97 | ||
bb) Due process- und equal protection-Fälle | 98 | ||
cc) Freedom of speech-Fälle | 100 | ||
dd) Zusammenfassung | 108 | ||
3. Handhabung der Prüfungsmaßstäbe | 109 | ||
II. Die Rechtslage in Deutschland | 114 | ||
1. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als Prüfungsmaßstab | 115 | ||
a) Allgemeines | 115 | ||
b) Prüfungsobjekte, insbesondere die Mittel-Zweck-Beziehung | 116 | ||
aa) Zweck | 116 | ||
bb) Mittel-Zweck-Beziehung | 116 | ||
(1) Eignung | 116 | ||
(2) Erforderlichkeit | 117 | ||
(3) Proportionalität | 118 | ||
2. Der allgemeine und die besonderen Gleichheitssätze als Prüfungsmaßstab | 119 | ||
a) Allgemeines | 119 | ||
b) Prüfungsobjekte | 121 | ||
aa) Differenzierungskriterium (Mittel) | 121 | ||
bb) Differenzierungsziel (Zweck) | 123 | ||
cc) Mittel-Zweck-Beziehung | 124 | ||
III. Bedeutung der Prüfungsmaßstäbe für die Aufgaben- und Funktionsverteilung zwischen Verfassungsgericht und Gesetzgeber | 127 | ||
1. Die (potentielle) Doppelfunktion der Prüfungsmaßstäbe | 127 | ||
2. Verfassungsgerichtliche Argumentation und Auswahl bzw. Ausgestaltung der Prüfungsmaßstäbe | 130 | ||
3. Folgerungen | 142 | ||
B. Vermutungen, Darlegungslast, Beweislast und Beweismaß | 147 | ||
I. Allgemeines | 147 | ||
1. Die Rechtslage in den USA | 148 | ||
a) Beweislast (burden of proof) | 148 | ||
aa) Burden of pleading und burden of producing evidence/going forward | 148 | ||
bb) Burden of persuasion | 150 | ||
b) Vermutungen (presumptions) | 152 | ||
c) Exkurs: „Tatsachen“ und Supreme Court | 155 | ||
2. Die Rechtslage in Deutschland | 156 | ||
II. Vermutungen/presumptions und Beweislast/burden of proof in der Praxis von BVerfG und Supreme Court | 160 | ||
1. Die Rechtslage in den USA | 160 | ||
a) Dogmatische Ausgestaltung | 160 | ||
b) Praktische Bedeutung | 166 | ||
2. Die Rechtslage in Deutschland | 169 | ||
III. Vermutungen und Prüfungsstandards | 175 | ||
IV. Vermutungen, Beweislast und Rollenverteilung zwischen Supreme Court und Gesetzgeber | 177 | ||
V. Zusammenfassung | 182 | ||
C. Gerichtliche Tatsachenfeststellungen und Folgeneinschätzungen | 183 | ||
I. Allgemeines | 183 | ||
II. Tatsachenfeststellungen und Folgeneinschätzungen in der Praxis von Supreme Court und BVerfG | 186 | ||
1. Die Rechtslage in den USA | 186 | ||
a) Die Befugnis des Supreme Court zur Tatsachenfeststellung und Folgeneinschätzung | 186 | ||
aa) Der juristisch-prozessuale Aspekt: adversary proceeding, Revisionstätigkeit und legislative facts | 186 | ||
bb) Der praktisch-kompetenzielle Aspekt: Gericht, Gesetzgeber und legislative facts | 192 | ||
b) Die Praxis des Supreme Court | 194 | ||
aa) Tatsachenfeststellungen | 194 | ||
bb) Folgeneinschätzungen | 208 | ||
2. Die Rechtslage in Deutschland | 214 | ||
a) Die Befugnis des BVerfG zur Tatsachenfeststellung und Folgeneinschätzung | 214 | ||
b) Die Praxis des BVerfG | 216 | ||
aa) Tatsachenfeststellungen | 216 | ||
bb) Folgeneinschätzungen | 218 | ||
III. Legislative facts, Vermutung der Verfassungsmäßigkeit und Prüfungsmaßstäbe | 223 | ||
IV. Legislative facts und Funktionenordnung | 226 | ||
V. Zusammenfassung | 232 | ||
D. „Administrative convenience“ und „Ökomomie der Verwaltung“ | 233 | ||
E. Gesetzgeberische Motive | 242 | ||
I. Allgemeines | 242 | ||
II. Die Praxis gerichtlicher Motivforschung | 246 | ||
1. Die Rechtslage in den USA | 246 | ||
a) Die Unterscheidung zwischen „de iure-“ und „de facto-Benachteiligungen“ und die „doctrine of discriminatory purpose“ | 246 | ||
b) Umfang der Tatsachenfeststellung und Verteilung der Beweislast bei der Ermittlung der Absichten des Gesetzgebers | 251 | ||
aa) Allgemeines | 251 | ||
bb) Möglichkeiten der Feststellung von Motiven | 252 | ||
cc) Beweislast und Beweismaß | 253 | ||
2. Die Rechtslage in Deutschland | 255 | ||
a) Ausgangssituation | 255 | ||
b) Die Behandlung „faktischer“ Ungleichheit | 256 | ||
c) Ergebnis- oder Verfahrenskontrolle gegenüber dem Gesetzgeber? | 262 | ||
III. Rechtfertigung gerichtlicher Motivforschung | 266 | ||
IV. Zusammenfassung | 275 | ||
F. Kontrolle des gesetzgeberischen Verfahrens im übrigen | 277 | ||
Vierter Teil: Abhängigkeit und Unabhängigkeit, Stabilität und Flexibilität der gerichtlichen Kontrollinstrumente | 280 | ||
A. Die Situation im amerikanischen Verfassungsrecht | 280 | ||
I. Das Zusammenwirken der verschiedenen Kontrollinstrumente | 280 | ||
1. Der mere rationality-Standard | 280 | ||
2. Der strict scrutiny-Standard | 282 | ||
3. Der intermediate scrutiny-Standard | 283 | ||
II. Differenzierungen | 284 | ||
B. Die Situation im deutschen Verfassungsrecht | 291 | ||
Fünfter Teil: Anwendungsbereiche der jeweiligen Kontrollstandards | 293 | ||
A. Die Situation im amerikanischen Verfassungsrecht | 293 | ||
I. Der strict scrutiny-Standard | 293 | ||
1. Equal protection-Fälle | 293 | ||
2. Due process-Fälle | 298 | ||
3. Freedom of speech-Fälle | 300 | ||
II. Der mere rationality-Standard | 302 | ||
III. Der intermediate scrutiny-Standard | 303 | ||
B. Die Situation im deutschen Verfassungsrecht | 305 | ||
I. Fälle relativ strenger Kontrolle | 306 | ||
II. Fälle relativ durchlässiger Kontrolle | 311 | ||
C. Zusammenfassung | 314 | ||
Sechster Teil: Gerichtliche Rechtfertigung der geübten Kontrollpraxis | 315 | ||
A. Das amerikanische Modell: Verfassungsgericht und Funktion (2) | 315 | ||
I. Die „Carolene Products“-Fußnote | 316 | ||
II. John H. Ely: „Democracy and Distrust“ | 318 | ||
III. Die Rechtsprechung des Supreme Court | 323 | ||
B. Das deutsche Modell: Verfassungsgericht und Dogmatik (2) | 326 | ||
Siebter Teil: Das Phänomen selbständiger funktionell-rechtlicher Perspektiven und Kriterien und der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers | 331 | ||
A. Zusammenfassung und Analyse der Einzelergebnisse | 331 | ||
B. Schlußfolgerungen | 355 | ||
C. Paradigmatischer Testfall: Die Abtreibungsfrage | 367 | ||
Zusammenfassung der Ergebnisse | 373 | ||
Literaturverzeichnis | 382 | ||
Sachregister | 409 |