Die Judikatur des Bundesgerichtshofs zur Rechtsbeugung im NS-Staat und in der DDR
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Die Judikatur des Bundesgerichtshofs zur Rechtsbeugung im NS-Staat und in der DDR
Schriften zum Strafrecht, Vol. 141
(2003)
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Abstract
Der Tatbestand der Rechtsbeugung hat in der jüngsten deutschen (Rechts-)Geschichte jeweils nach einem radikalen politischen Wandel Beachtung gefunden: nach dem Zusammenbruch der NS-Diktatur sowie am Ende der DDR. Dirk Quasten vergleicht die höchstrichterliche Handhabung des Rechtsbeugungsstraftatbestandes an diesen beiden Zäsuren.Die Analyse der BGH-Entscheidungen zeigt, dass die Einhaltung des Rechts dort endet, wo die Richter praktisch über sich selbst zu Gericht sitzen. Mit der klaren Absicht, die Strafbarkeit von gesetzeswidrigen Urteilen während der Zeit des Nationalsozialismus zu verhindern, sind z. B. die Vorsatzanforderungen auf ein Maß angehoben worden, welches die Strafvorschrift de facto ins Leere laufen ließ. Die justizielle Aufarbeitung der NS-Zeit muss als gescheitert gelten. Nach der Wiedervereinigung hat der BGH anknüpfend an die eigene Nachkriegsjudikatur die sehr restriktive Auslegung des Rechtsbeugungstatbestandes fortgesetzt. Gleichwohl hat die erneute Bewährungsprobe für den BGH nicht zu einer vollständigen Ausklammerung der Rechtsbeugungsstrafbarkeit geführt, sondern einzelne Verurteilungen, insbesondere bei offensichtlicher Willkür, ermöglicht. Obwohl von der Rechtsprechung grundsätzlich die Grenzen bei der Strafverfolgung des DDR-Unrechts eng gezogen wurden, erscheint es besonders unbefriedigend, dass diese Grenzen bei der Verfolgung der Rechtsbeugung die engsten waren. Die These des Richters in eigener Sache bestätigt sich daher erneut.
Table of Contents
Section Title | Page | Action | Price |
---|---|---|---|
Inhaltsverzeichnis | 7 | ||
Abkürzungsverzeichnis | 11 | ||
Einführung | 13 | ||
Teil I: Die Judikatur des Bundesgerichtshofs zur Rechtsbeugung im NS-Staat | 16 | ||
A. Die Vorsatzform bei der Rechtsbeugung – dolus eventualis oder dolus directus? | 16 | ||
I. Entstehungsgeschichte und Wortlaut der Norm | 17 | ||
II. Nachkriegsjudikatur und Bundesgerichtshof | 19 | ||
1. Beschluss des OLG Bamberg | 20 | ||
2. BGH-Entscheidungen zur Vorsatzform | 22 | ||
a) Wendepunkt BGHSt 10, 294 | 24 | ||
b) Das Rehse-Verfahren und die Gesetzesreform von 1974 | 29 | ||
III. Fazit | 33 | ||
B. Der Rechtsbeugungstatbestand und seine Sperrwirkung | 36 | ||
I. Die Sperrwirkung im Rahmen der Konkurrenz mit tateinheitlich erfüllten Delikten | 36 | ||
II. Handhabung der Sperrwirkung durch die Nachkriegsjudikatur und den BGH | 38 | ||
1. Ausweitung der Sperrwirkung auf die Laienrichter | 38 | ||
2. Die Verknüpfung von Sperrwirkung und Vorsatzerfordernis | 40 | ||
3. Der Schutz der richterlichen Unabhängigkeit als Begründung für die Sperrwirkung | 42 | ||
a) Tauglichkeit der potentiellen Täter | 43 | ||
b) Spannungsverhältnis zwischen richterlicher Unabhängigkeit und Sperrwirkung bzw. Rechtsbeugungstatbestand | 45 | ||
c) Rechtshistorische Zweifel an der Position des BGH | 48 | ||
Zwischenergebnis: Notwendigkeit der Sperrwirkung und Konsequenzen der kritisierten Rechtsprechung | 51 | ||
4. Grenzen der Sperrwirkung | 55 | ||
a) Wegfall der privilegierenden und Beibehaltung der repressiven Wirkung des Rechtsbeugungstatbestandes bei sog. Scheinverfahren | 55 | ||
aa) Maßstab Nichtigkeit und Nichturteil | 56 | ||
bb) Aufrechterhaltung der sanktionierenden Funktion des Rechtsbeugungstatbestandes | 57 | ||
cc) Resümee | 58 | ||
b) Definition des Begriffes Scheinverfahren durch die Rechtsprechung | 59 | ||
c) Abgrenzung von rechtsbeugenden und nichtigen Urteilen als auch Nichturteilen durch den BGH | 62 | ||
aa) BGH-Entscheidung vom 9.6.1953, 1 StR 198/53 | 62 | ||
bb) BGHSt 2, 173 | 68 | ||
cc) Denunziantenprozesse | 70 | ||
d) Kritische Deutung zu der vom BGH definierten Reichweite der Sperrwirkung | 71 | ||
C. „Recht“ im Sinne des Rechtsbeugungstatbestandes | 74 | ||
I. Radbruch’sche Formel | 76 | ||
1. Normativ-geltungstheoretischer Ansatz | 76 | ||
2. Wehrlosigkeitsthese | 77 | ||
a) Stellenwert des Rechtspositivismus in der Weimarer Justiz | 78 | ||
b) Rechtspositivismus innerhalb der Wissenschaft | 81 | ||
c) Wehrlosigkeit der NS-Richterschaft | 82 | ||
Fazit | 85 | ||
II. Schwächen des normativ-geltungstheoretischen Ansatzes Radbruchs | 86 | ||
1. Konstruktive Bedenken im Hinblick auf den Rechtsbeugungstatbestand | 86 | ||
a) Irrtumsproblematik und übergesetzliches Recht | 86 | ||
b) Doppelfunktion des Rechtsbeugungstatbestandes? | 89 | ||
2. Rechtsphilosophische Unzulänglichkeit | 91 | ||
III. Wortlaut der Vorschrift und Wille des Gesetzgebers | 93 | ||
IV. Verfassungs- und Naturrecht | 95 | ||
V. Nulla poena sine lege | 96 | ||
1. Rückwirkungsverbot | 96 | ||
2. Bestimmtheitsgebot | 100 | ||
3. Gesetzlichkeitsprinzip | 103 | ||
VI. Nachkriegsjudikatur und BGH zum übergesetzlichen Recht | 104 | ||
1. Alliierte Gesetzgebung und NS-Rechtsordnung | 104 | ||
2. Kontrollratsgesetz Nr. 10 und der OGH | 106 | ||
3. Der Bundesgerichtshof | 107 | ||
D. Die Beugung des Rechts | 115 | ||
I. Rechtsbeugung als tatbestandliches Handeln | 115 | ||
II. Auslegung des damals geltenden Rechts | 117 | ||
III. Der Bundesgerichtshof | 121 | ||
E. Rechtsblindheit oder politische Verblendung? | 135 | ||
I. Vorsatzinhalt und Rechtsbegriff | 135 | ||
II. Lösungsansätze | 136 | ||
III. Nachkriegsjustiz und Bundesgerichtshof | 139 | ||
Exkurs: Die subjektive Rechtsbeugungstheorie | 146 | ||
IV. Fazit | 150 | ||
Teil II: Die Judikatur des Bundesgerichtshofs zur Rechtsbeugung in der DDR | 153 | ||
A. Vergleichbarkeit der beiden Regime und deren Rechtsverständnis | 153 | ||
I. Totalitarismus und Primat der Politik | 153 | ||
II. Verfassungs- und Strafrecht der beiden Regime | 155 | ||
III. Fazit | 159 | ||
B. Strafanwendungsrecht | 160 | ||
I. Art. 315 I 1 EGStGB in Verbindung mit § 2 I, III StGB | 160 | ||
1. Beitrittsprinzip contra internationale Lösung | 160 | ||
2. Unrechtskontinuität von § 244 DDR-StGB und § 339 StGB | 165 | ||
a) Wortlautübereinstimmung und Gemeinschaftsrechtsgut Rechtspflege | 166 | ||
b) Individualrechtsgüterschutz der beiden Normen | 170 | ||
3. Mildevergleich | 175 | ||
4. Unterbrechung, Ruhen und Verlängerung von Verjährungsfristen | 177 | ||
5. Amnestie | 182 | ||
II. Der Bundesgerichtshof | 183 | ||
1. Beitrittsprinzip | 183 | ||
2. Kontinuität des Unrechts – innerstaatliche Rechtspflege und Individualschutzinteresse | 186 | ||
3. Mildevergleich | 191 | ||
4. Verjährungsfristen und Amnestie | 192 | ||
C. Die Sperrwirkung und Rechtsbeugung in der DDR | 193 | ||
I. Die Figur der Sperrwirkung und der Tatbestand des § 244 DDR-StGB | 193 | ||
II. Grenzen der Sperrwirkung | 195 | ||
III. Der Bundesgerichtshof | 196 | ||
D. Naturrecht und Gesetzlichkeit | 198 | ||
I. Schwächen der Radbruch’schen Formel | 199 | ||
II. Wortlaut und ratio legis des § 244 DDR-StGB | 201 | ||
III. Der Einigungsvertrag und Art. 315 I EGStGB i. V. m. § 2 StGB | 203 | ||
IV. Verfassungsrechtliche und konstruktive Bedenken | 204 | ||
V. Der Bundesgerichtshof | 208 | ||
E. Gesetzwidriges Entscheiden | 220 | ||
I. Rechtssetzung, Rechtsanwendung und Rechtsquellen nach der Rechtsdogmatik in der DDR | 222 | ||
II. Der Auslegungsmaßstab | 228 | ||
III. Der Bundesgerichtshof | 237 | ||
1. Auslegungsmethodik und Auslegungsinhalt | 237 | ||
2. Schwerwiegende Menschenrechtsverletzung gleich gesetzwidriges Entscheiden | 243 | ||
a) Rechtsbruch als elementarer Verstoß gegen die Rechtspflege | 244 | ||
b) Anderes Rechtssystem und Rückwirkungsverbot | 248 | ||
3. Tatbestandsreduktion in concreto | 252 | ||
F. Rechtsblindheit und politische Verblendung | 267 | ||
I. Vorsatzinhalt und Tatbestandsirrtum | 267 | ||
II. Der Bundesgerichtshof | 269 | ||
Schlussbetrachtung | 272 | ||
Literaturverzeichnis | 278 | ||
Sachwortregister | 293 |