Die Moderne und der Kirchenstaat
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Die Moderne und der Kirchenstaat
Aufklärung und römisch-katholische Staatlichkeit im Urteil der Geschichtsschreibung vom 18. Jahrhundert bis zur Postmoderne
Historische Forschungen, Vol. 72
(2001)
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Abstract
Säkularisierung, Verwissenschaftlichung und Fortschritt galten lange als Grundtendenzen der neuzeitlichen Geschichte. Diese Auffassung wurde von der postmodernen Geschichtstheorie grundsätzlich in Frage gestellt. Ihrzufolge unterscheidet sich die Selbstinterpretation der Moderne als Zeitalter fortschreitender Verwissenschaftlichung nicht wesentlich von den mythischen Weltdeutungen, die die moderne Geschichtswissenschaft abzulösen vorgab.Der Autor verfolgt das Verhältnis der modernen Geschichtswissenschaft zu einer vormodernen Lebensform wie der der Religion von den Anfängen moderner Geschichtstheorie in der Aufklärung bis zur Postmoderne. Am Beispiel der Einschätzung der Zukunftsfähigkeit des Kirchenstaates im Zeitalter der Aufklärung soll verdeutlicht werden, wie das Konzept der Modernisierung, die im 18. Jahrhundert als Überwindung konfessioneller Staatlichkeit gedacht wurde, angesichts der Beharrungskraft von Papsttum und Katholizismus im Verlauf der letzten zweihundert Jahre revidiert wurde. Es zeigt sich, daß die moderne Geschichtswissenschaft ihre Haltung zur weltgeschichtlichen Rolle von Wissenschaft und Religion permanent revidiert hat. Im Anschluß an die postmoderne Kritik, die die moderne Wissenschaft als typisch neuzeitliches Machtinstrument versteht, werden die verschiedenen Deutungen des Gegensatzes von Papsttum und Aufklärung nach ihrem Verhältnis zu der politischen Auseinandersetzung um die Rolle von Wissenschaft und Religion in der Gesellschaft befragt. In Anlehnung an die postmodernen Kritiker, die die Erzählung vom wissenschaftlichen Fortschritt als neue Form des Mythos bezeichnen, werden die Geschichten von Papsttum und Aufklärung mit dem Instrumentarium der Erzählforschung untersucht.Die narratologische Untersuchung macht deutlich, wie die Verwendung bestimmter Erzählmodelle unabhängig von der politischen und konfessionellen Ausrichtung des Autors die Deutungen der geschichtlichen Rolle von Wissenschaft und Religion beeinflußt hat. Sie zeigt, daß sich die Geschichtsschreibung bei der Darstellung der Interaktion von Wissenschaft, Staat, Kultgemeinschaft und Individuum über den gesamten Untersuchungszeitraum der narrativen Schemata bedient hat, die schon den alttestamentarischen, christlichen und humanistischen Erzählungen von der geschichtlichen Rolle des »wahren Wissens« zugrunde lagen. Am Schluß legt Veit Elm dar, inwieweit die Kontroversen der Forschung auf politische Gegensätze bzw. auf die Unverbeinbarkeit der drei Erzählmuster zurückzuführen sind.
Table of Contents
Section Title | Page | Action | Price |
---|---|---|---|
Vorwort | 5 | ||
Inhaltsverzeichnis | 7 | ||
A. Einleitung: Modernisierungstheorie und Religion | 11 | ||
I. Die Verwissenschaftlichung der Welt als Paradigma moderner Geschichtswissenschaft | 11 | ||
II. Wissenschaft und Religion in der postmodernen Geschichtstheorie | 13 | ||
III. Die Selbstbehauptung der Religion und die Revision der Modernisierungstheorie | 15 | ||
IV. Säkulares Fortschrittsdenken und katholische Staatlichkeit im Zeitalter der Aufklärung | 16 | ||
V. Die Metamorphosen der Modernisierungstheorie und die Wandlungen katholischer Staatlichkeit von der Restauration bis ans Ende des 20. Jahrhunderts | 24 | ||
VI. Die Rolle der Geschichtswissenschaft in den Auseinandersetzungen um die Säkularisierung von Staat und Gesellschaft | 28 | ||
VII. Die Geschichten von Papsttum, Wissenschaft und Fortschritt aus der Perspektive der Narratologie | 28 | ||
B. Moderne Geschichtsschreibung und moderne Politik: Kirchenstaat, Aufklärung und päpstliche Reformpolitik im Urteil der Geschichtsschreibung von der Aufklärung bis in die Gegenwart | 31 | ||
I. Der Kirchenstaat des 18. Jahrhunderts im Urteil der Zeitgenossen | 31 | ||
1. Die Geschichtsschreibung der Aufklärung | 31 | ||
a) Montesquieus sozialpsychologische Zyklentheorie | 33 | ||
b) Voltaires rationalistische Fortschrittsgeschichte | 35 | ||
2. Die protestantische Geschichtsschreibung des 18. Jahrhunderts | 43 | ||
II. Der Untergang des Kirchenstaates aus der Sicht der ersten französischen Republik | 45 | ||
1. François de Bourgoing: Die Revolution und das Ende des Kirchenstaates als Bestätigung der rationalistischen Fortschrittstheorie | 45 | ||
III. Aufklärung, Papsttum und Kirchenstaat in den Geschichtsentwürfen des Risorgimento | 60 | ||
1. Carlo Botta: Vom jansenistischen Antitemporalismus zur Versöhnung im Zeichen des Klassizismus | 64 | ||
2. Cesare Balbo: Kirchenstaat und Papsttum als Garanten von Freiheit und nationaler Selbstbestimmung | 77 | ||
3. Vincenzo Gioberti: Der Kirchenstaat als Vorbild für den italienischen Nationalstaat | 83 | ||
IV. Die Beurteilung der Reformpäpste von der Gründung des Nationalstaates bis zur Wiederherstellung des Kirchenstaates durch Mussolini | 88 | ||
1. Die liberale Staatswissenschaft und die historische Schule der Nationalökonomie | 88 | ||
2. Von der liberalen zur faschistischen Wirtschaftsgeschichtsschreibung: Die Verantwortung der Päpste für den Verfall der römischen Landwirtschaft | 94 | ||
a) Werner Sombart: Päpstliche Interventionspolitik als Vorbild für den Kampf gegen den wilden Kapitalismus | 94 | ||
b) Cesare de Cupis: Die ewig-römische Staatstradition als Grundlage für den Ausgleich von Katholizismus und Sinistra storica | 107 | ||
c) Federico Marconcini: Der katholische Personalismus als gemeinsame Grundlage von katholischer Soziallehre und faschistischer Bevölkerungs- und Bodenpolitik | 109 | ||
3. Päpste und Aufklärer in der politischen Geschichtsschreibung | 125 | ||
a) Davide Silvagni: Die aufklärerischen Wurzeln des laizistischen Radikalismus | 125 | ||
b) Alfredo Oriani: Aufklärer und römisches Volk erzwingen die Reformen | 128 | ||
c) Louis Madelin: Napoleon als Vollender der päpstlichen Reformpolitik | 130 | ||
d) Illario Rinieri S. J.: Päpste und römisches Volk verteidigen den katholischen Wohlfahrtsstaat | 132 | ||
V. Aufklärung und Papsttum in der Ära des Faschismus | 133 | ||
1. Gioacchino Volpe, Carlo Morandi, Carlo Maria Ghisalberti, Amintore Fanfani: Die Reformpäpste in der Nuova Storiografia Italiana | 133 | ||
2. Ettore Rota: Der römischen Jansenismus als italienische Alternative zu Lumières und Revolution | 135 | ||
3. Luigi Dal Pane: Die freihändlerischen Reformen Benedikts XIV. und die Dynamik des Wirtschaftsbürgertums | 138 | ||
4. Antonio Gramsci: Die Krise der italienischen Aufklärung und die Ursprünge der klerikal-faschistischen Reaktion aus der Perspektive des kommunistischen Widerstandes | 157 | ||
5. Aufklärerischer Rationalismus und christliche Tradition im liberalsozialistischen und im katholischen Widerstand | 159 | ||
VI. Das Modell der Reformpäpste im Zeitalter von Christdemokratie und kapitalistischer Industrialisierung | 160 | ||
1. Vittorio Franchini: Die Reformpäpste als Vorreiter der pragmatischen Entwicklungspolitik | 160 | ||
2. Enzo Piscitelli: Die Reformpäpste als Stellvertreter des internationalen Kapitals | 166 | ||
3. Franco Venturi: Die antiaufklärerische Wende des Papsttums und die Degeneration der Aufklärung in Jakobinismus und Kommunismus | 172 | ||
4. Vittorio Emanuele Giuntella: Die kapitalistische Reformpolitik der Päpste und die verpaßte Chance einer katholisch-kommunistischen Revolution | 187 | ||
5. Nicola La Marca: Die Modernität der päpstlichen Entwicklungspolitik und der Widerstand der „vested interests“ | 199 | ||
C. Die narratologische Untersuchung der Geschichten von Papsttum und Moderne: Das Erzählmodell als Organisationsform von Wissenschaftsbegriff, Staats- und Kirchenverständnis | 212 | ||
I. Die weltgeschichtliche Rolle des Kirchenstaates in der rationalistischen und der christlichen Fortschrittsgeschichte | 214 | ||
1. Jenseitsglaube und Staatsunfähigkeit in der rationalistischen Fortschrittsgeschichte | 215 | ||
2. Von der rationalistischen Fortschrittsgeschichte zur wissenschaftlichen Heilsgeschichte | 215 | ||
3. Wahres Christentum und Fortschritt zur Freiheit in der protestantischen Fortschrittsgeschichte Carlo Bottas | 216 | ||
4. Der Petrusprimat als Garant des Fortschritts in Vincenzo Giobertis katholischer Fortschrittsgeschichte | 219 | ||
5. Päpstliche Eigenstaatlichkeit und englischer Parlamentarismus als Garanten christlichen Fortschritts bei Cesare Balbo | 221 | ||
6. Gemeinsame Grundlagen und signifikante Unterschiede rationalistischer und christlicher Fortschrittsgeschichte | 224 | ||
II. Die weltgeschichtliche Rolle von Staat, Wissenschaft und Kirche in den Erzählmodellen der Fortschrittsgeschichte | 225 | ||
1. Modernisierung als Überwindung der Staatlichkeit | 226 | ||
a) Die Bedeutung der Endzeitnähe für das Verhältnis von Staat und Kirche bei Gioberti, Balbo, Rinieri und Giuntella | 226 | ||
b) Die Bedeutung des Übergangs von der vorletzten zur letzten Klassenherrschaft für das Verhältnis von Kirche, Staat und Wissenschaft bei Gramsci, Dal Pane und Piscitelli | 228 | ||
2. Modernisierung als revolutionäre Erneuerung des Staates | 231 | ||
a) Staat, Individuum, Kultgemeinschaft und revolutionäres Wissen bei François Bourgoing und Carlo Botta | 231 | ||
b) Der Durchbruch der Wissenschaft und die revolutionäre Erneuerung des Staates von Carlo Botta bis Franco Venturi | 232 | ||
III. Der Dualismus von Staat und Gesellschaft im Erzählmodell der klassizistischen, katholischen und staatswissenschaftlichen Etatisten | 235 | ||
1. Carlo Botta: Die Selbstbehauptung der Päpste und das römisch-italienische Staatswissen | 235 | ||
2. Werner Sombart: Das römisch-katholische Staatsbewußtsein als Vorläufer moderner Staatswissenschaft | 237 | ||
3. Luigi Cossa: Die Verdrängung der katholischen durch die universale Staatswissenschaft | 238 | ||
4. Federico Marconcini, Vittorio Franchini, Nicola La Marca: Der Katholizismus als höchste Form staatlicher Rationalität | 239 | ||
5. Gemeinsame Grundmuster und divergierende Urteile des klassizistischen, katholischen und staatswissenschaftlichen Etatismus | 241 | ||
D. Schluß: Mythische Erzählmodelle in Politik und Geschichtsschreibung | 243 | ||
I. Die Herkunft der Erzählmodelle der modernen Geschichtsschreibung aus der jüdischen, christlichen und antiken Mythologie | 244 | ||
II. Gemeinsamkeiten und Unterschiede von wissenschaftlicher und mythischer Erzählung | 247 | ||
III. Die hermeneutische Funktion der Fortschreibung der jüdischen, christlichen und humanistischen Erzählungen vom wahren Wissen | 248 | ||
Literaturverzeichnis | 253 | ||
Personen- und Sachregister | 299 |