Staatenimmunität im Konflikt mit dem Rechtsschutzanspruch des Einzelnen aus Art. 6 I EMRK
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Staatenimmunität im Konflikt mit dem Rechtsschutzanspruch des Einzelnen aus Art. 6 I EMRK
Tübinger Schriften zum internationalen und europäischen Recht, Vol. 104
(2019)
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Die Autorin studierte in Tübingen und Aix-en-Provence Rechtswissenschaften mit den Schwerpunkten Europarecht und Völkerrecht. Im Rahmen ihres Referendariats absolvierte sie Stationen in internationalen Wirtschaftskanzleien, an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer und am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Nach erfolgreichem zweitem Staatsexamen arbeitete die Autorin am Lehrstuhl für Staats- und Verwaltungsrecht, Europarecht und Völkerrecht von Prof. Dr. Martin Nettesheim und fertigte ihre Dissertation an. Seit 2015 arbeitet sie als Rechtsanwältin in Stuttgart im Bereich Kartellrecht und EU.Abstract
Das Recht auf Zugang zu Gericht ist zu einem Sinnbild der sich stetig entwickelnden Rechtsposition des Einzelnen im Völkerrecht geworden, da es vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) justiziabel ist. Im Falle eines Aufeinandertreffens mit der Staatenimmunität hat es nach Ansicht des EGMR vollständig zurückzutreten, was nach Ansicht der Autorin den durch die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) garantierten Mindeststandard unterschreitet.Der Konflikt zwischen regional verbindlichem Völkervertragsrecht (Art. 6 I EMRK) und allgemein verbindlichem Völkergewohnheitsrecht (Staatenimmunität) ist Ausdruck einer fragmentierten Völkerrechtslandschaft, in der zwei (Teil-)Rechtsordnungen bzw. sog. Regime gemeinsame Schnittmengen aufweisen (Inter-Regime-Konflikt). Die vorliegende Arbeit schlägt vor, die betroffenen Interessen in Einklang zu bringen und hierbei beiden Regimen den jeweils größtmöglichen Anwendungsspielraum zu belassen. Sie appelliert an den EGMR, seinem Auftrag aus Art.19 EMRK entsprechend seine Verantwortung für eine praktische und effektive Durchsetzung des Rechts auf Zugang zu Gericht aus Art. 6 I EMRK ernst- und wahrzunehmen.»The Right of Access to Court from Art. 6 ECHR in Conflict with State Immunity«The right of access to court has become a symbol of the constantly evolving position of individuals in public international law. In case of a conflict with the principle of state immunity, however, the European Court of Human Rights (ECtHR) takes the view that it has to withdraw completely or »in principle«, which, in the author's view, falls short of the minimum standard guaranteed under the ECHR. She proposes reconciling the interests involved while leaving both regimes the widest possible range of application. In this connection, the author appeals to the ECtHR, in accordance with its mandate under Art. 19 ECHR, to take seriously its responsibility for the practical and effective enforcement of the right of access to court under Art. 6 I ECHR.
Table of Contents
Section Title | Page | Action | Price |
---|---|---|---|
Vorwort | 7 | ||
Inhaltsverzeichnis | 9 | ||
Einleitung | 15 | ||
1. Untersuchungsgegenstand | 17 | ||
2. Gang der Untersuchung | 19 | ||
A. Das Recht auf Zugang zu Gericht aus Art. 6 I 1 EMRK | 20 | ||
I. Die Garantie des Zugangs zu Gericht aus Art. 6 I EMRK – Der Fall Golder | 20 | ||
1. Argumentation des EGMR im Fall Golder | 22 | ||
2. Kritik an der Entscheidung des EGMR im Fall Golder | 24 | ||
II. Eröffnung des Zugangs – Anwendungsbereich des Art. 6 EMRK | 26 | ||
1. Vorliegen „zivilrechtlicher“ Ansprüche (civil rights and obligations) im Sinne des Art. 6 I EMRK | 26 | ||
2. Die zivilrechtliche Natur des geltend gemachten Anspruchs | 28 | ||
3. Abgrenzung zur strafrechtlichen Anklage | 29 | ||
4. Das Vorliegen einer Streitigkeit (contestation) | 30 | ||
III. Immunität als (inhärente) Schranke des Rechts auf Zugang zu Gericht | 30 | ||
1. Legitimes Ziel | 31 | ||
a) Grundsatz | 31 | ||
b) Ausführliche Prüfung des legitimen Ziels in Prince Hans-Adam II of Liechtenstein | 32 | ||
2. Der Wesensgehalt – the very essence of the right of access to court | 33 | ||
a) Abgrenzung zur Verhältnismäßigkeitsprüfung | 34 | ||
b) Eigenständige Bedeutung des Wesensgehalts? | 35 | ||
c) Die strukturelle Dimension des Wesensgehaltskriteriums | 36 | ||
3. Verhältnismäßigkeit | 38 | ||
IV. Staatenimmunität und arbeitsrechtliche Streitigkeiten | 40 | ||
1. Anwendbarkeit von Art. 6 I EMRK auf arbeitsrechtliche Streitigkeiten | 41 | ||
a) Die Pellegrin-Kriterien | 42 | ||
b) Der Fall Vilho Eskelinen | 43 | ||
c) Die Fälle Cudak und Sabeh El Leil | 44 | ||
2. Legitimes Ziel | 45 | ||
3. Verhältnismäßigkeit | 46 | ||
a) Der Fall Fogarty | 47 | ||
b) Kritik an dem Urteil Fogarty | 49 | ||
c) Der Fall Cudak | 50 | ||
d) Der Fall Sabeh El Leil | 51 | ||
e) Der Fall Wallishauser | 52 | ||
f) Zusammenfassung | 53 | ||
V. Die Immunitätsausnahme bei Personenschäden aufgrund deliktischen Handelns | 54 | ||
1. Der Fall McElhinney | 54 | ||
2. Zusammenfassung | 57 | ||
VI. Verzicht auf das Recht auf Zugang zu Gericht | 58 | ||
VII. Verhältnis des Rechts auf Zugang zu Gericht zu Art. 13 EMRK und zu Art. 5 IV EMRK | 58 | ||
VIII. Ergebnis | 59 | ||
B. Herkunft, Begründung und Entwicklung der Staatenimmunität | 61 | ||
I. Grundlagen der Staatenimmunität | 61 | ||
1. Begriff der Staatenimmunität | 62 | ||
2. Abgrenzung der Immunität von der Zuständigkeit (Jurisdiktion) | 62 | ||
3. Formelle Herleitung | 63 | ||
a) Die Immunität als Ausdruck der Würde und Höflichkeit | 63 | ||
b) Staatenimmunität als Ausdruck der souveränen Gleichheit aller Staaten | 64 | ||
4. Funktionale Herleitung | 65 | ||
II. Rechtsquellen der Staatenimmunität | 66 | ||
1. Verbindlichkeit der Staatenimmunität als Völkergewohnheitsrecht | 67 | ||
2. Abgrenzungen | 68 | ||
3. Zusammenfassung | 68 | ||
III. Aktuelle Entwicklung der Staatenimmunität | 69 | ||
1. Die Entwicklung der Staatenimmunität von einer absoluten zu einer relativen Geltung | 69 | ||
2. Die Unterscheidung zwischen acta iure imperii und acta iure gestionis | 70 | ||
a) Unterscheidungskriterien | 71 | ||
b) Die Kategorie der delicta imperii | 72 | ||
c) Die territoriale Deliktsausnahme | 72 | ||
d) Zusammenfassung | 73 | ||
3. Die Entscheidung des IGH im Fall Jurisdictional Immunities of the State | 74 | ||
a) Der Fall Ferrini | 75 | ||
b) Der Fall Distomo | 76 | ||
c) Die Entscheidung des IGH | 77 | ||
IV. Grenzen der Staatenimmunität | 80 | ||
1. Begriff und Voraussetzungen eines Verzichts | 80 | ||
2. Die „Verwirkung“ der Immunität bei schwersten Menschenrechtsverletzungen | 82 | ||
V. Ergebnis | 83 | ||
C. Der Konflikt zwischen Völkergewohnheitsrecht und Völkervertragsrecht | 86 | ||
I. Der Konflikt im Völkerrecht | 88 | ||
1. Konfliktbeteiligte | 88 | ||
2. Konfliktbegriff | 89 | ||
a) Klassische Definition des Konfliktbegriff | 89 | ||
b) Hier vertretener Konfliktbegriff | 91 | ||
II. Die Staatenimmunität im Konflikt zum Recht auf Zugang zu Gericht aus Art. 6 I EMRK | 93 | ||
1. Das komplizierte Dreiecksverhältnis des vorliegenden Konflikts | 94 | ||
2. Der vorliegende Konflikt als Inter-Regime-Konflikt | 95 | ||
a) Begriff des internationalen (speziellen) Regimes in Abgrenzung zum Subsystem | 96 | ||
b) Abgrenzung zum self-contained-Regime | 98 | ||
c) EMRK und ihre Durchsetzungsmechanismen als self-contained Regime im Hinblick auf Immunitätsfälle? | 100 | ||
3. Der vorliegende Konflikt als Auslegungskonflikt | 101 | ||
4. Einordnung des vorliegenden Konflikts in die Fragmentierungs- und Proliferationsdebatte | 102 | ||
a) Die Arbeit der ILC und die ausführliche Folgediskussion | 103 | ||
b) Institutioneller und materieller Rechtspluralismus als normative Realität | 104 | ||
c) Ursachen und Wirkung der Fragmentierung | 105 | ||
III. Ergebnis | 107 | ||
D. Der Konflikt zwischen Völkervertrags- und Gewohnheitsrecht in Literatur und Praxis | 109 | ||
I. Zwischengerichtliche Kooperation | 110 | ||
1. Ausgestaltung der Kooperation mittels Gerichtshierarchisierung | 110 | ||
2. Kooperation mittels Vorlageverfahren bzw. Vorabenscheidungsverfahren | 111 | ||
3. Die Einholung von Gutachten | 112 | ||
4. Der Rückgriff auf Urteile anderer Gerichte bei der Entscheidungsfindung | 114 | ||
5. Zwischenergebnis | 116 | ||
II. Vertragliche Konfliktlösungsansätze | 116 | ||
1. Völkervertragliche Konfliktlösungsansätze | 117 | ||
2. Bewertung der vertraglichen Lösungsmöglichkeiten für den vorliegenden Konflikt | 118 | ||
III. No-conflict approaches | 118 | ||
1. Kein Konflikt wegen fehlender Schnittmengen | 119 | ||
2. Die Unterscheidung zwischen procedural obligations und substantive prohibitions | 120 | ||
3. Die Auflösung von Konflikten durch funktionelle Derogation | 121 | ||
a) Die lex posterior-Maxime | 122 | ||
b) Die lex specialis-Maxime | 124 | ||
IV. Die Theorie der Normenhierarchie im Völkerrecht | 126 | ||
1. Grundlagen der Theorie der Normenhierarchie im Völkerrecht | 126 | ||
2. Die Rechtsprechung des EGMR zur Theorie der Normenhierarchie | 128 | ||
a) Der Fall Al-Adsani | 128 | ||
b) Der Fall Jones vs. Saudi Arabia vor dem House of Lords | 132 | ||
c) Die Entscheidung des EGMR im Fall Jones u.a. | 133 | ||
d) Die Entscheidung der Kleinen Kammer im Fall Nait-Liman | 134 | ||
e) Die Entscheidung der Großen Kammer im Fall Nait-Liman | 135 | ||
f) Zwischenergebnis | 137 | ||
3. Normative Hierarchien und peremptory norms als Ausdruck eines internationalen Wertesystems | 138 | ||
a) Die besondere Natur der EMRK und ihr konstitutionelles Gewicht | 140 | ||
b) Erga omnes-Normen als peremtory norms | 141 | ||
4. Zwischenergebnis | 144 | ||
V. Konfliktlösung über (harmonische) Interpretation | 145 | ||
1. Lösung von Normkonflikten durch Auslegung und Interpretation? | 145 | ||
2. Art. 31 Abs. 3 lit. c WVK und die systemische Integration | 146 | ||
a) Voraussetzungen des Art. 31 Abs. 3 lit. c WVK | 147 | ||
aa) Begriff des „Einschlägigen Völkerrechtssatzes“ i.S.d. Art. 31 III lit. c WVK | 147 | ||
bb) Bestimmung der Normadressaten des Art. 31 III lit. c WVK | 148 | ||
cc) Das intertemporale Moment bei der Auslegung von Art. 31 III lit. c WVK | 149 | ||
b) Art. 31 III lit. c WVK als Diener zweier Herren? | 149 | ||
3. Die Auslegung der EMRK über Art. 31 III lit. c WVK | 150 | ||
a) Darstellung der Rechtspraxis des EGMR zu Art. 31 III lit. c WVK | 150 | ||
b) Anwendung von Art. 31 Abs. 3 lit. c WVK durch den EGMR im Kontext der Fragmentierungsdebatte | 151 | ||
c) Zwischenergebnis | 153 | ||
4. Die presumption against conflict | 153 | ||
VI. Der Konflikt zwischen der Staatenimmunität und Art. 6 I EMRK in der Literatur | 154 | ||
1. Die Ansicht von Pahr | 155 | ||
2. Die Ansicht von Heß | 155 | ||
3. Die Ansicht von Richter Ress | 158 | ||
4. Die Ansicht von Yang | 158 | ||
5. Lösung über die Prüfung der Verhältnismäßigkeit | 159 | ||
a) Die Ansicht von Tzevelekos | 160 | ||
b) Das Recht auf Zugang zu Gericht als Stellschraube – Die Ansicht von Whytock | 163 | ||
VII. Ergebnis | 167 | ||
E. Vorschlag einer Lösung des Konflikts zwischen der Staatenimmunität und Art. 6 I EMRK | 168 | ||
I. Vorüberlegungen | 168 | ||
1. Ausgangssituation / status quo | 168 | ||
2. Lösungsmöglichkeit des Konflikts – modus procedendi | 170 | ||
II. Charakterisierung des Konflikts | 172 | ||
III. Die Rolle der nationalen Gerichte bei der Konfliktbewältigung | 173 | ||
1. Die Rechtsprechung der nationalen Gerichte im Kontext des vorliegenden Konflikts | 173 | ||
2. Fehlendes Mandat der nationalen Gerichte | 174 | ||
IV. Die Prüfung von alternative remedies auf Ebene der Wesensgehaltsprüfung | 176 | ||
1. Alternativer Rechtsschutz einer Internationalen Organisation als Vorbedingung der Immunitätsgewährung | 177 | ||
a) Die equivalent protection-Formel der Kommission | 178 | ||
b) Die Entscheidungen Lenzing AG der Kommission | 179 | ||
c) Die Fälle Waite and Kennedy und Beer and Regan vor dem EGMR | 180 | ||
d) Anforderungen an den äquivalenten Rechtsschutz | 181 | ||
e) Der Fall Klausecker gegen Deutschland | 181 | ||
f) Der Fall Perez | 184 | ||
2. Das Kriterium der Erkennbarkeit und Vorhersehbarkeit für den Kläger | 185 | ||
3. Zwischenergebnis | 186 | ||
4. Abgrenzung zu Art. 35 I EMRK | 187 | ||
5. Verfahren vor einem dritten Staat | 187 | ||
6. Übertragbarkeit der Rechtsprechung zu den alternative remedies auf die Staatenimmunität | 188 | ||
a) Grundlagen und Entwicklung der Immunität Internationaler Organisationen | 189 | ||
b) Unterschiede zwischen der Staatenimmunität und der Immunität Internationaler Organisationen | 191 | ||
c) Übertragbarkeit der Entwicklungen im Bereich der Immunität Internationaler Organisationen auf die Staatenimmunität | 192 | ||
7. Zusammenfassung | 194 | ||
V. Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne – konkrete Abwägung | 195 | ||
1. Anforderungen an den alternativen Rechtsschutz | 195 | ||
a) Kriterium der Gleichwertigkeit zum nationalen Rechtsschutz | 195 | ||
b) Das Kriterium der Zumutbarkeit | 196 | ||
c) Das vom Beschwerdeführer geltend gemachte Recht | 197 | ||
VI. Rechtfertigung des Lösungsansatzes über die Auslegungsmethodik des EGMR | 197 | ||
1. Das Konsensprinzip | 200 | ||
2. Autonome Interpretation | 201 | ||
a) Die evolutive Auslegungsmethode | 202 | ||
b) Die evolutiv-dynamische Auslegung als verbindliche general rule (IGH) | 203 | ||
3. Evolutive Auslegung | 204 | ||
4. Auswirkungen der Auslegungsmethodik auf die Abwägung | 205 | ||
a) Konsens über die Bedeutung des Rechts auf Zugang zu Gericht und autonome Auslegung | 205 | ||
b) Die evolutiv-dynamische Auslegung von Art. 6 I EMRK | 205 | ||
5. Mögliche Einwände gegen die vorgeschlagene Lösung | 206 | ||
a) Gefahr der fictional intentions | 207 | ||
b) Die Margin of Appreciation als Gegengewicht | 209 | ||
c) Bedenken gegen die Lockerung staatlicher Immunität | 211 | ||
VII. Ergebnis | 212 | ||
F. Schluss | 214 | ||
Literaturverzeichnis | 218 |