Unrechtsausschluss bei zeitlich gestreckten Notlagen
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Unrechtsausschluss bei zeitlich gestreckten Notlagen
Eine strafrechtsdogmatische Untersuchung an den Beispielen von Nachstellung sowie von Schutz- und Schweigegelderpressung
Schriften zum Strafrecht, Vol. 346
(2019)
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Von 2011 bis 2017 studierte Carolin Weiß Rechtswissenschaft an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. 2017 absolvierte sie das Erste Juristische Staatsexamen. 2019 erfolgte die Promotion (Dr. iur.) an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Während der Promotion arbeitete sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Strafrecht und Strafprozessrecht an der Friedrich-Schiller-Universität Jena sowie in einer Anwaltskanzlei in Jena. Seit April 2019 ist Carolin Weiß Rechtsreferendarin am Oberlandesgericht Nürnberg.Abstract
Carolin Weiß zeigt an den Beispielen der Nachstellung sowie der Schutz- und Schweigegelderpressung auf, dass auf Rechtfertigungsebene zwei dogmatische Kategorien zu unterscheiden sind: Der notwehrtypischen Augenblickssituation sind Fälle des zeitlich gestreckten Geschehensverlaufes gegenüberzustellen. Es wird untersucht, ob die Abwehrmaßnahme des Opfers trotz der dann bestehenden zeitlich gestreckten Notlage nach § 32 StGB zu rechtfertigen ist oder ob nicht vielmehr die Heranziehung des § 34 StGB oder gar einer außergesetzlichen Regelung sachgerechte Ergebnisse ermöglicht. Zudem wird untersucht, welche allgemeingültigen Aussagen über die Rechtfertigung von Abwehrmaßnahmen des Opfers zu treffen sind, wenn die zeitliche Streckung des Geschehensverlaufes angemessen berücksichtigt wird. Die Autorin stellt heraus, welche Unterschiede sich hier zur Rechtfertigung in Augenblickssituationen ergeben und inwiefern die Kategorisierung sich somit insgesamt auf den Unrechtsausschluss auswirkt.»Justification Concerning Continuous Plights. A Penal-Dogmatic Investigation on the Examples of Stalking and Blackmail (Protection Money, Hush Money)«Carolin Weiß depicts that the dogmatic categories ›instantaneous situations‹ and ›continuous situations‹ are to be distinguished at the level of justification. This differentiation concerns the criterion of presence in the context of § 32 StGB and § 34 StGB, impacts the application of these rules and influences the necessity of a self-defense and the extent of admissible defense.
Table of Contents
Section Title | Page | Action | Price |
---|---|---|---|
Vorwort | 7 | ||
Inhaltsverzeichnis | 9 | ||
Abkürzungsverzeichnis | 15 | ||
A. Einleitung | 19 | ||
B. Problematik der atypischen Rechtfertigungssituation | 23 | ||
I. Augenblickssituation als Leitbild der Notwehr | 23 | ||
II. Zeitlich gestreckter Geschehensverlauf | 24 | ||
1. Formale Charakterisierung der Tat | 24 | ||
a) Schutz- und Schweigegelderpressung | 24 | ||
aa) Deliktsstruktur | 26 | ||
(1) Drohung mit einem empfindlichen Übel | 26 | ||
(a) Erlaubtes Verhalten als Gegenstand der Drohung | 27 | ||
(b) Wirkung der Drohung | 29 | ||
(2) Psychische Zwangslage des Opfers infolge der Drohung | 30 | ||
bb) Konkrete Abwehrmaßnahmen des Opfers | 31 | ||
(1) Schutzgelderpressung | 31 | ||
(2) Schweigegelderpressung | 32 | ||
b) Nachstellung | 35 | ||
aa) Deliktsstruktur | 36 | ||
(1) Verhalten des Täters | 36 | ||
(a) Mögliche Verhaltensweisen gemäß § 238 Abs. 1 StGB | 36 | ||
(b) Beharrlichkeit des Täters | 39 | ||
(aa) Begriffsverständnis | 40 | ||
(bb) Temporale Anforderungen | 41 | ||
(2) Psychische Zwangslage des Opfers infolge der Beharrlichkeit des Täters | 44 | ||
bb) Durchführung eines Interviews mit einem Stalkingopfer | 45 | ||
(1) Verübte Nachstellungshandlungen | 45 | ||
(2) Auswirkungen der Belästigungen auf das Opfer | 47 | ||
cc) Konkrete Abwehrmaßnahmen des Opfers | 49 | ||
c) Gegenüberstellung der zeitlich gestreckten Geschehensverläufe | 51 | ||
d) Schlussfolgerung | 52 | ||
2. Besonderheit der zeitlich gestreckten Notlage | 52 | ||
a) Darstellung der atypischen Notlage | 52 | ||
aa) Schutz- und Schweigegelderpressung | 53 | ||
(1) Angegriffene Rechtsgüter | 53 | ||
(a) Willensfreiheit | 54 | ||
(aa) Konkretisierung des Rechtsgutes | 55 | ||
(bb) Notwehrfähigkeit des Rechtsgutes | 58 | ||
(cc) Angriff des Schutz- oder Schweigegelderpressers | 63 | ||
(b) Vermögen | 64 | ||
(c) Rechtsgüter bezüglich des angedrohten Übels | 65 | ||
(aa) Ansehen des Schweigegelderpressten | 66 | ||
(bb) Diskretionsinteresse des Schweigegelderpressten | 68 | ||
(cc) Interesse des Schweigegelderpressten, nicht strafrechtlich verfolgt zu werden | 70 | ||
(dd) Leib, Leben und Eigentum des Schutzgelderpressten | 74 | ||
(d) Zusammenfassung | 75 | ||
(2) Gegenwärtigkeit des erpresserischen Angriffs | 75 | ||
(a) Vorliegen eines künftigen Angriffs hinsichtlich des Vermögens und der Rechtsgüter bezüglich des angedrohten Übels | 77 | ||
(b) Andauernde Rechtsgutsverletzung hinsichtlich der Willensfreiheit | 79 | ||
bb) Nachstellung | 85 | ||
(1) Angegriffenes Rechtsgut | 85 | ||
(a) Konkretisierung des Rechtsgutes | 85 | ||
(b) Tatgeschehen vor Eintritt der Beharrlichkeit | 88 | ||
(c) Tatgeschehen nach Eintritt der Beharrlichkeit | 90 | ||
(2) Gegenwärtigkeit des Angriffs | 93 | ||
(a) Andauernde Rechtsgutsverletzung | 93 | ||
(b) Einwände gegen die Annahme einer andauernden Rechtsgutsverletzung | 98 | ||
cc) Zusammenfassung | 101 | ||
b) Auswirkungen der atypischen Notlage auf Abwehrmaßnahmen im Allgemeinen | 101 | ||
III. Zusammenfassung | 102 | ||
C. Rechtliche Behandlung des Unrechtsausschlusses bei zeitlich gestreckten Notlagen | 103 | ||
I. Lösungsansätze | 103 | ||
1. Lösungsansätze de lege lata | 103 | ||
a) Unterscheidung zweier Notwehrtypen im Rahmen des § 32 StGB | 104 | ||
aa) Augenblickssituation | 104 | ||
bb) Zeitlich gestreckter Geschehensverlauf | 105 | ||
(1) Anerkennung des Dauerangriffs | 105 | ||
(2) Erhöhte Anforderungen an Erforderlichkeit der Notwehrhandlung | 106 | ||
(3) Eigenständige Fallgruppe im Rahmen der Gebotenheit der Notwehrhandlung | 107 | ||
(a) Ratio des § 32 StGB | 108 | ||
(b) Begründung einer eigenständigen Fallgruppe | 109 | ||
(c) Einschränkung des Notwehrrechts | 111 | ||
(d) Zusammenfassung | 113 | ||
cc) Schlussfolgerung | 113 | ||
b) Rechtfertigender Notstand, § 34 StGB | 114 | ||
aa) Dauergefahr | 114 | ||
(1) Schutz- und Schweigegelderpressung | 115 | ||
(2) Nachstellung | 118 | ||
(3) Zusammenfassung | 120 | ||
bb) Erhöhte Anforderungen an fehlende anderweitige Abwendbarkeit der Gefahr | 120 | ||
cc) Zeitliche Streckung als Interessenabwägungsfaktor | 121 | ||
2. Außergesetzlicher Lösungsansatz | 121 | ||
II. Merkmal der Gegenwärtigkeit als entscheidendes Kriterium der Problemlösung | 123 | ||
1. Auslegung der Gegenwärtigkeit in zeitlicher Hinsicht | 123 | ||
a) Erfordernis einer akuten Bedrängnissituation im Rahmen des § 32 StGB | 124 | ||
b) Notwendigkeit einer sofortigen Rettungshandlung im Rahmen des § 34 StGB | 125 | ||
c) Zusammenfassung | 128 | ||
2. Begründung der unterschiedlichen Auslegung der Gegenwärtigkeit | 128 | ||
a) Wortlaut der Normen | 128 | ||
b) Ratio der Vorschriften | 130 | ||
c) Reichweite der Befugnisse des sich wehrenden Opfers | 131 | ||
3. Schlussfolgerung | 133 | ||
III. Bewertung der Lösungsansätze | 134 | ||
1. Ablehnung zweier Notwehrtypen | 134 | ||
a) Aufhebung der engen zeitlichen Grenze des Notwehrrechts | 134 | ||
aa) Allgemeines Begriffsverständnis hinsichtlich des gegenwärtigen Angriffs | 134 | ||
bb) „Schneidigkeit“ des Notwehrrechts | 135 | ||
b) Angleichung von § 32 StGB und § 34 StGB | 136 | ||
c) Schlussfolgerung | 137 | ||
2. Anwendung des § 34 StGB | 138 | ||
a) Zuschnitt des Rechtfertigungsgrundes auf zeitlich gestreckte Notlagen | 139 | ||
b) Keine Verharmlosung der Situation | 140 | ||
aa) Deutung als Dauergefahr | 140 | ||
bb) Schutzwürdigkeit des Opfers | 141 | ||
cc) Psychische Belastung des Opfers | 142 | ||
c) Angemessene Rigorosität des Lösungsansatzes | 144 | ||
3. Fehlendes Bedürfnis für außergesetzliche Regelung | 145 | ||
IV. Ergebnis | 145 | ||
D. Konkrete Auswirkungen der zeitlich gestreckten Notlage auf die Rechtfertigungshandlung | 147 | ||
I. Anderweitige Abwendbarkeit der Gefahr aufgrund möglicher Inanspruchnahme staatlicher Hilfe? | 147 | ||
1. Staatliches Gewaltmonopol | 148 | ||
2. Schutzgelderpressung | 151 | ||
3. Schweigegelderpressung | 154 | ||
a) Inanspruchnahme staatlicher Hilfe bei Ankündigung einer Strafanzeige | 155 | ||
aa) Eingriff in die Selbstbelastungsfreiheit des Erpressten | 156 | ||
(1) Persönlicher Geltungsbereich der Selbstbelastungsfreiheit | 157 | ||
(2) Sachlicher Geltungsbereich der Selbstbelastungsfreiheit | 160 | ||
bb) Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme staatlicher Hilfe | 162 | ||
(1) Keine angemessene Kompensation des Eingriffs | 164 | ||
(a) Verfahrenseinstellung gemäß § 154c Abs. 1 StPO | 164 | ||
(b) Anerkennung eines Verwertungsverbotes | 166 | ||
(2) Zurückdrängung des öffentlichen Interesses an einer wirksamen Strafverfolgung | 169 | ||
cc) Schlussfolgerungen | 170 | ||
(1) Fehlende anderweitige Abwendbarkeit der Gefahr | 170 | ||
(2) Abwehr der strafrechtlichen Verfolgung als notwendige Nebenfolge der Erpressungsabwehr | 171 | ||
(3) Heimlichkeit der Abwehrmaßnahmen | 172 | ||
b) Inanspruchnahme staatlicher Hilfe bei Ankündigung der Offenbarung sonstiger kompromittierender Tatsachen | 173 | ||
aa) Eingriff in das Recht des Erpressten auf informationelle Selbstbestimmung | 173 | ||
bb) Zumutbarkeit der Inanspruchnahme staatlicher Hilfe | 174 | ||
(1) Angemessene Kompensation des Eingriffs | 176 | ||
(a) Beschränkung des Fragerechts nach § 68a Abs. 1 StPO | 176 | ||
(b) Ausschluss der Öffentlichkeit nach § 171b Abs. 1 S. 1, 2, Abs. 3 S. 1 GVG | 178 | ||
(c) Verpflichtung zur Geheimhaltung von Tatsachen nach § 174 Abs. 3 S. 1 GVG | 179 | ||
(d) Verschwiegenheitspflicht gemäß § 67 Abs. 1 BBG bzw. § 37 Abs. 1 BeamtStG | 180 | ||
(2) Vorrang des öffentlichen Interesses an einer wirksamen Strafverfolgung | 181 | ||
(3) Irrelevante Risiken und Gefahren aufgrund praktischer Erwägungen | 182 | ||
(a) Bekanntwerden des Strafverfahrens im Familien- und Berufsleben des Opfers | 183 | ||
(b) Spätere Offenbarung der kompromittierenden Tatsachen durch den Erpresser | 184 | ||
cc) Zusammenfassung | 185 | ||
c) Konsequenzen | 187 | ||
4. Nachstellung | 188 | ||
a) Zivilrechtliche Schutzmöglichkeiten | 189 | ||
aa) Schutzmaßnahmen gemäß § 1 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 2b GewSchG | 189 | ||
bb) Schutzmaßnahmen gemäß §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog | 194 | ||
b) Polizeirechtliche Schutzmöglichkeiten | 196 | ||
aa) Platzverweisung, Wohnungsverweisung, Aufenthaltsverbot | 196 | ||
bb) Ingewahrsamnahme | 198 | ||
cc) Sicherstellung, Verwahrung | 199 | ||
dd) Annäherungs- und Kontaktverbot, Gefährderansprache | 199 | ||
c) Strafanzeige des Opfers | 201 | ||
aa) Sensibilisierung der Polizeibeamten | 204 | ||
bb) Enge Zusammenarbeit zwischen Opfer und Strafverfolgungsbehörde | 205 | ||
cc) Einführung weitergehender polizeilicher Interventionsmöglichkeiten | 206 | ||
dd) Schlussfolgerung | 207 | ||
5. Zusammenfassung | 208 | ||
II. Ausmaß der zulässigen Abwehrmaßnahmen gemäß der Interessenabwägung | 208 | ||
1. Relevante Interessenabwägungsfaktoren | 209 | ||
2. Verhaltensregeln für das mit einer Strafanzeige erpresste Chantageopfer | 210 | ||
a) Gewaltlose Abwehrmaßnahmen | 211 | ||
b) Leichte Gewaltanwendung | 213 | ||
c) Schwere Gewaltanwendung, Tötung | 215 | ||
3. Zusammenfassung | 219 | ||
III. Abwehrprovokation bei erfolgter Zuspitzung der zeitlich gestreckten Notlage | 220 | ||
1. Urteil des LG Hamburg vom 31.08.2016 (Az.: 601 Ks 4 / 16) als Sonderfall einer Schutzgelderpressung | 220 | ||
a) Sachverhalt | 221 | ||
b) Rechtfertigung der Tötungshandlung | 222 | ||
2. Grundfall der Schutzgelderpressung | 224 | ||
3. Nachstellung | 229 | ||
4. Schweigegelderpressung | 230 | ||
5. Zusammenfassung | 231 | ||
E. Fazit | 232 | ||
Anhang | 235 | ||
Literaturverzeichnis | 252 | ||
Stichwortverzeichnis | 269 |